Karl Gutzkow
Hohenschwangau
Karl Gutzkow

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XXXVII.

»Hänsel, komm daher –! Trink und sag, haben deine Englein denn auch ordentliche Schwänz' –?«

»Narr, da müßten's ja Teufel sein –! Fittiche haben sie –!«

»Reden sie oder reden sie nix –? Reden sie nix –? Ei, Hänsel, das sein dumme Englein –! Trink eins, da tun sie dir vielleicht 's Maul auf –«

»Und schwätzen von Krieg –«

»Vom Türken und von Pestilenz –«

»Und von meines Weibs Ahne, ob der Alte bald heimgaht und was dann in der blauen Stuben im Kasten »leien« wird –?«

Auf dies spottende Durcheinander rief eine alte Frau: »Ihr möget wohl selbst des Teufels sein, daß ihr da meinem Büble seine Englein so verstört –! Komm, Hänsel –! Laß sie dich nicht anfechten und trink auch nicht mehr von ihrem bösen Gift –!«

Damit hatte die alte Frau einen schon halbwüchsigen Jungen von etwa fünfzehn Jahren vom Tisch der Zechenden weggerissen, wo er von einer Hand in die andere gegangen war, just wie ein noch unreifes Kind, das man auf den Schoß nimmt. Ja, für ein verkleidetes Mädchen konnte man den Hänsel halten. Er hatte lange blonde Locken und eine Haut so verschämt rot wie Pfirsichblüte. Seine Augen waren matt, sie hatten im Stern etwas Rotes, und in der Regel hielt er sie geschlossen. Auf seinen Mienen lag wie festgebannt ein glücklich zufriedenes Lächeln.

Die Alte war die Frau Müllerin, wie sie nicht nach dem Stande ihres Mannes, sondern nach ihrem Namen hieß. Ihr Mann und ihr Sohn waren Bergleute und beide schon tot. Hänsel, ihr Enkel, war ein Sonntagskind. Die Bewohner von Sundhausen bei Gotha konnten annehmen, daß sich des Hänsels Gabe, Schätze aufzufinden, die unter der Erde lagen, wenigstens darin bewährte, daß die Alte leben und ihn ernähren konnte.

Noch an demselben Abend ereignete sich die endliche Erfüllung eines Versprechens, das Frau Müllerin schon vor Jahren von einem andern Anverwandten, dem Sohne ihrer jüngsten Schwester, erhalten hatte. Das war ein junger stattlicher Herr gewesen, der eines Tages im Geleit vornehmer Ritter von Gotha in das nebelreiche Tal an der Leine gekommen war. Dieser ganze Grund hier, der Hörselgrund, mochte wohl einst ein See gewesen sein, ein Zaubersee, wo die Wassermädchen hausten und die Schlangen mit goldenen Kronen aus den Wellen tauchten. Doch wachsen hier nur Bäume, die feuchten Grund brauchen, Pappeln, Ellern, Birken, vor Gotha ragte der düstere Grimmenstein auf, das Meisterwerk der Zeit in der Befestigungskunst. Dorther war der junge Herr mit seinen Begleitern gekommen, erneuerte die vor Jahren gemachte Bekanntschaft mit seiner Muhme und nahm dann wirklich auch noch in selbiger Nacht den Hansel an den Ort mit, wohin ihn sein Herr Vetter schon immer mitnehmen wollte.

Hänsels Vetter war Moritz Hausner. Hänsels Ahne war die Schwester seiner Mutter. Letztere hatte sich mit dem Bergmann Hausner aus Halle in Sachsen verehelicht, war nach Böhmen, Ungarn und Tirol gekommen und hatte im Sterben ihr damals kaum geborenes Söhnlein erst dem Vater allein, dann der Walpurga Gaismayrin überlassen müssen. Aber ihrem Sohn waren auch von dieser die Schmelzhütten in Sachsen und Thüringen als Eingänge ins Gold- und Silberland, zum hüttenmännischen Paradiese geschildert worden. Der »rote Löwe« ging bei Sundhausen um und suchte, wen er verschlänge, besonders in den Sommernächten, wenn im Moor die Irrwische tanzten, auf die Berge aber die Sternschnuppen wie ein Silberregen fielen. Schon aus dem Kloster Steingaden hatte Moritz zur Muhme entfliehen wollen, die jenen Schatz hütete, auf den Walpurga besonders wegen ihrer Hoffnungen auf Ungarn so sicher rechnete. Diese Hoffnung erblaßte freilich immer mehr. Österreich wurde stärker und stärker, die Gerichtskommissionen, die von Innsbruck förmlich auf der Jagd hinter den letzten Resten des Bauernaufstandes her waren, stöberten auch das »Grüble« auf. »Schätze« fand man nicht. Aber drum gab es deren doch zunächst in Hohenschwangau wie mit hellen blinkenden Goldhaufen um Gotha herum. Dahin wollte damals auch Hausner, als er anfangs von Steingaden, dann in den Augsburger Reichswald entfloh und zuletzt wieder aus dem Klinkerturm.

Dennoch sah Hausner Sundhausen erst viele Jahre später, erst damals, als er in Grumbachs Diensten diesen auf Werbungen ins Niedersächsische begleitete. Da war er bereits recht weltlich geworden, gründlich geheilt von allem Spuk, den andere mit ihm getrieben.

Hausner wollte Hänsel zu seinem Herrn auf dessen neuerworbenes Gut Hellingen als Hofnarren bringen, zur Unterhaltung für die kränkelnde Frau Anna und die eigenen Kinder, die, soweit sie nicht ganz mit dem Vater verfallen waren, ab- und zugingen.

Grumbach hielt ebenfalls vor der Hütte von Sundhausen und wartete, mit seltsam süßsaurer Spannung die Augen zudrückend, ab, wie der Knabe von einem seiner berittenen Knechte auf die Kruppe seines Gauls gehoben wurde, um nach seinem neuen Sitz an Würzburgs Grenze über die Ruhl und die Werra geführt zu werden. Er beschwichtigte die weinende Alte mit Geld und versprach, ihr den Jungen oft genug wieder zuzuführen, da er ja zwischen Hellingen und Gotha immer unterwegs wäre.

Der Burgstall Hellingen war ein Viereck mit vier Türmen, einem Schloßgraben und einer Brücke darüber. Licht hatte Grumbach in Hellingen genug. Die Sonne konnte er noch immer sehen, wenn sie in seinem so schnöde verlorenen Rimpar und den andern, durch seine ruhmvollen Ahnen ihm zugefallenen Gütern längst im Sinken begriffen war. Das ganze Mainland lag ihm von Hellingen aus zu Füßen. Das »Pfaffenholz«, das sich zwischen ihm und der Burg seines gnädigen Herrn und Beschützers, des »mittleren« Herzogs Johann Friedrich, erhob, gehörte ihm ebenfalls. Im Kirchlein wurde schon vor ihm evangelisch gepredigt; da mußte es denn der neue Gutsherr wohl so lassen und endlich Farbe halten. Auch sein Sohn, jetzt Amtmann zu Böckelsheim in der Pfalz, war um seines Kurfürsten willen evangelisch geworden. Mutter und Töchter freilich fühlten noch immer würzburgisch. Eine düstere Erinnerung in Hellingen war der letzte Burgherr, Herr Schott von Schottenstein. Neulich hatten diesem die Nürnberger, wie Hessel, den Kopf abgeschlagen; noch dazu in Cadolzburg, dem weiland Oberamtsgebiet seines Nachfolgers. Die übrigen düstern Schatten in Grumbachs Leben milderte nicht, wie diese Erinnerung, die Zeit, sie wuchsen mit immer neuem Mißerfolg und Unglück, und zwischen Grumbach und seinem Weibe herrschte kein wohltuender Frieden.

Hausner war der gute Geist, der seinem Herrn manchen Ärger ersparte, so brachte er auch Frau Anna in Hänsel ein Spielzeug für ihre Kurzweil mit. Hänsel bekam einen fuchsroten Anzug mit Hängeärmeln, Klunkern und langgezupften Schwänzlein, ähnlich, wie im Garten das Kraut Tausendschön wächst. Seitdem hießen sie den Narren Hänsel Tausendschön. Doch wurde er gleich anfangs in solchem Grade gehegt und gepflegt, so sehr zum Narren gehalten, so mit Speise überladen, daß ihn Moritz Hausner bereits nach einem halben Jahre bei einem Ritt nach Gotha wieder nach Sundhausen zurücknahm, vorläufig, um ihn dort eine Weile hungern zu lassen. Denn Hänsel sah keine Engel mehr und log auch nicht, daß er deren sähe. Noch im Dezember 1562 hatte er ausgesagt, daß der geringste unter den Knechten Grumbachs einen großen Herrn erschießen würde, den seine Englein noch näher mit Namen bezeichnen würden. Dieser große Herr war Kaiser. Der Kaiser, damals noch Ferdinand, lebte dem Ritter zu lange. Grumbach schrieb an den Herzog: »Und habe ich also aus Befehl Gottes heute früh den Bezeichneten mit seiner Büchse reisen lassen, der fürder auf der Engelein Erfordern und Bescheid warten soll.« Dies schrieb Grumbach kurz vor einem neuen Ritt, den er nach Frankreich machte. Die Frauen hatten dem Knaben seine Sehergabe verdorben und was gutes Essen und Trinken und hinwiederum der Hunger zustande dringt, das kannte Hausner.

In Sundhausen kamen die Englein wieder. Das Kellerloch der Ahne wurde aufs neue die Pforte des Geisterreichs. Jetzt hüpften die kleinen Männlein mit den aschfarbenen Hüten auch in die Seeberge um Gotha hinaus und zeigten auf gewisse dunkle Schluchten, wo in dem alten See, der hier einst zu Fafners Zeit gewogt hatte, des Fafners Gold zurückgeblieben wäre. Grumbach kam wieder aus Frankreich heim. Diesmal hatte er »den Wurf nicht aus der Hand« geben wollen. Gegen den Herbst hin machte er seinen Überfall auf Würzburg. Sogar der Herzog, der doch den Ritt gefördert hatte, fühlte die Schwüle der heraufziehenden Gewitter. Die Zwiesprache mit den Geistern der Nacht, die jetzt auch Bergwerkssegen, Schätze im Schoß der Erde in Aussicht stellten, wurde auch in Gotha auf dem Grimmenstein üblich und diente als Labsal in Not und Ängsten, Hänsel Tausendschön wurde zum Herzog mitgenommen, bei dem der geächtete Ritter jetzt wohnte. Auf Grumbachs Kopf stand ein Preis, wie war er so alt und grau geworden –! Manchmal zog ihm die Gicht die Hände krumm zusammen. Den Schwertknauf konnte er schon lange nicht mehr fassen. Auf seinem Krankenbett jagten sich die wildesten Phantasien. Er hätte die Welt aus ihren Angeln heben mögen und bereute jetzt die Zeit des Dienens, die er an den Markgrafen verschwendet hatte. Und doch diente er schon wieder –! Freilich von Männern umgeben, die auch an ihn wie mit stählernen Ringen geschmiedet waren. Wilhelm von Stein, Ernst von Mandelslohe und viele andere waren wie seine eigenen Gliedmaßen. Allmählich kam ihm wieder Kraft, und am Christtag 1563 schrieb er von Gotha aus an den Herzog, daß eigentlich am gestrigen Christabend nach dem Spruch der Engel der Kaiser »hätte sterben sollen, und zwar an einem Schuß auf der Jagd. Der Kaiser wäre jedoch an der Jagd verhindert worden. Wäre er dies nicht, so wäre es Gottes Befehl gewesen, daß seine lieben Englein den Knaben zum Kaiser auf die Jagd führen sollen, der ihm einen Schuß ins Herz tun, davon er gleich tot bleiben sollen«. »Dieweil aber solches aus jetzo gedachter Verhinderung nicht geschehen und aber Gottes Befehl ausgerichtet und des Kaisers verdiente Strafe nicht vollzogen würde, so hat ihn heute zu sieben Uhr Gott der Herr durch den Jungen an Leib und Seele schießen lassen und ihn also mit Leib und Seele in des Teufels Gewalt gegeben. Solcher Schuß ist dem Kaiser, der Englein Bericht nach, in seiner Stuben widerfahren, daran er umgefallen und geschrien und leidet große Not und wissen weder er noch andere, was ihm ist und soll er dran mit großer Marter sterben –«

Erschossen war aber der Kaiser doch. Und sicher ging er im nämlichen Augenblick verzweifelnd in großer Marter und Not in seinem Zimmer auf und ab, fiel um und Crato von Crafftheim, sein Arzt, wußte nicht, wo das Übel saß, konnte ihm nicht helfen, kein Pulver, kein Trank verschlug.

Am heiligen Dreikönigsabend vollzog sich zwischen dem Herzog und Grumbach eine schon lange angeregte und beiden Teilen dringend empfohlene Geisterweihe. Sie tranken sich einander ihr Blut zu in Gestalt von rotem Wein, gewürzt mit Ingwer, Lorbeerblättern und zerstoßenem Pfefferkuchen.

Die Eumeniden flogen mit ihren schwarzen Fittichen von allen Zeiten her und setzten sich mit zu diesem Mahle. Es war auf schloß Grimmenstein im Geheimzimmer des Herzogs neben dem Abendtrunksaal im großen runden Turm mit dem blinkenden Kupferdach. Die übrigen Genossen der Zauberstunde waren Doktor Brück, der Kanzler des Herzogs, Hieronymus von Brandenstein, der Kommandant des Grimmenstein, der Rentmeister Heinrich Bayer, der zuvor dem Kurfürsten August gedient hatte, ein Sohn des berühmten Theologen von Wittenberg Justus Jonas, der ebenfalls nach einem vielbewegten Leben zu einer Anstellung im Dienst des für alles, was sich auf Luther bezog, leidenschaftlich eingenommenen Herzogs gekommen war, ferner ein leiblicher Sohn Luthers, Paul Luther, des Herzogs Leibarzt, endlich die mit ihm geächteten Freunde Grumbachs, Wilhelm von Stein und Ernst von Mandelslohe, ja sogar die edle Gattin des Herzogs und ihre Hoffräulein. Vor dem Abseitstreten und dem Leeren der Pokale sprach Johann Friedrich feierliche Worte, erklärte die Acht seines Schützlings für ungerechtfertigt und wollte ihn schützen vor Kaiser und Reich, übermannt vor Schmerz stürzte die Herzogin in ihre Gemächer und warf sich auf die Wiegen ihrer Kinder.

Wer hätte unter den Mannen an der Macht dieses Zaubers, an dem Ernst der vollzogenen Geistervermählung gezweifelt? Trugen sie doch alle, die Krieger gewiß, auf ihrem Leibe gesegnete Talismane, hatten ihre Klingen in das Blut eines Raben getaucht oder zu den Kugeln ihres Handrohrs Blei von Klosterfenstern und Hexensalbe genommen.

Der Herzog liebte den Becher, wie fast alle Fürsten jener Zeit. Dagegen war Grumbach nüchtern, hinfällig, durch die Gicht gebrochen. Er hatte viel draußen im Felde bei Regen und Schnee gelegen und auch sonst manche Nacht um den Schlaf betrogen. Seine Hauptkraft lag in der Organisation. Armeen aus der Erde stampfen, war seine besondere Kunst. Die Überredung kam ihm dabei zu Hilfe, die Zuversicht, womit er den Sieg versprechen konnte. Wo die Trommel Grumbachs warb, da schien der Sieg zu winken – trotz aller Niederlagen. Das übrige tat Grumbachs diplomatische Kunst. Er kuppelte den Mann an das Roß wie ein geschickter Roßtäuscher. Wie war er so gern gesehen in Königsberg – in Berlin – sogar beim Kardinal in Augsburg – und alle Zeit beim Kaiser, selbst noch nach den Irrgängen des ersten Abfalls –! Das wußten seine Anhänger und nahmen ihn für die lebendige Weisheit, die verbürgte Zukunft. Noch jetzt, wo ihm jeder Fleck deutscher Erde, Feuer, Wasser, Luft untersagt war und ihn der thüringische Herzog nur mit eigener Lebensgefahr hielt, jetzt, wo er in Sänften getragen werden mußte, die Beine und Stiefel, wenn er zu Roß stieg, mit Wolle und Stroh umwickelt hatte und tagelang kraftlos zusammengekrümmt auf dem Lager lag, war er der Anschläge und Pläne voll, seine Politik entschied für einen Anschluß an die siegreiche Partei der Guises in Frankreich. Letztere bezweckten eine Unternehmung, die ihnen persönlich zugute kommen sollte, auf die Kronen Skandinaviens. Eine große Umwälzung des Nordens, woran Preußen, Brandenburg, die Freiheit der Niederlande, der Handel Englands (alles gegen Spanien, den Kaiser und die mit dem Kaiser gehenden Fürsten, namentlich gegen Kurfürst August) beteiligt sein sollten, wurde von einem der kursächsischen Agenten, einem Franzosen, Hubert Languet, in Orleans und Paris entdeckt und nach Wien und Dresden berichtet. Gleichzeitig mit einer Umwälzung, die Johann Friedrich nicht nur zurück an die Kur, sondern wohl gar an die Kaiserkrone führen sollte, hielt sich der in allen Lebenslagen vor dem Einhalten einer einzigen Farbe wie mit einer Art Aberglauben Erschreckende die Hintertür bei jenem Deutschland offen, wie es nun einmal geworden war, beim Kaiser, der allerdings Acht oder Nichtacht in Händen hatte und vorzugsweise jene andere Reform befördern konnte, die Grumbach nicht aus den Augen verlor, die Kraft des Reiches lediglich durch den Adel und dessen unmittelbare Beziehung zum Kaiser.

Eines Tags erschien auf Schloß Hellingen ein Besuch, um dort Grumbach zu begrüßen. Der Hausherr war nicht anwesend. Er war nach Koburg auf die Burg Rosenau verreist. Der Fremde wollte sich nicht zu erkennen geben. Moritz Hausner jedoch, der bald bei Grumbach, bald beim Herzog, bald in Hellingen verkehrte, erkannte ihn von Augsburg her sofort. Es war David Paumgartner, der Freiherr von Hohenschwangau.

Weit gefehlt, daß etwa David wie ein Flüchtling aus dem Neuburger Schuldturm gekommen wäre. Im Gegenteil, er trat im vollen Glanz seiner Würde auf. Noch war er reichsunmittelbarer Herr. Das Talent, auf der Durchreise da und dort eine Summe als gerade fehlendes Supplement seiner Reisekosten zu borgen, besaß er bereits meisterlich. Die Frauen in Hellingen hatten nicht die Augen, den vornehmen Gast mit seinen goldenen Ketten um den Hals und den wallenden Straußenfedern am Hut zu durchschauen.

Für Grumbach, zu dem David nach Rosenau ritt, diese liebliche von Wald und Wiese eingerahmte Friedensstätte, wo das Wild aus der Hand des Jägers, der es morgen mit mörderischem Blei erlegt, heute das Futter nimmt, als dürfte es, den Rosen, die zur Burg hinaufklettern, nachfühlend die Welt für ein Paradies des Friedens nehmen, galt dieser Widerspruch wenig, wenn er ihn auch durchschaute. Grumbachs Lage glich ja der des abgebrannten Freiherrn. Seine Umgebung stand auf einer derartig tiefsten Verkommenheit, die nur noch verbrannte Schiffe hinter sich hat. Und mit Menschen der gewohnten Ordnung richtet man auch überhaupt in der Welt nichts Kühnes auf. Angenehm von den Erinnerungen der alten Bekanntschaft berührt, konnte Grumbach mit seinem Gast sorglos die Weltlage durchsprechen. Nun konnte er Näheres erfahren, wie es den bayerischen Rittern ergangen war. Oswald von Eck hatte alle seine Würden und Güter verwirkt und war für immer aus Bayern verbannt worden. Er hatte sich nach Böhmen geschlagen, Pankraz von Freyberg hatte dem Herzog einen Fußfall tun und doch noch eine Weile im Münchener Falkenturm sitzen müssen. Alle übrigen hatten Urfehde geschworen und dem Herzog schriftlich und mündlich gedankt, daß er ihre Häupter verschonte. Nur Graf Ortenburg fand den Beistand Württembergs und der evangelischen Fürsten. Auch David. Dieser erzählte, auf seiner Flucht aus Neuburg wäre er glücklich nach Stuttgart entkommen, wo ihm Herzog Christoph ein freundlicher Beschützer und Vermittler mit Herzog Albrecht gewesen, der denn auch zuletzt gegen ihn selbst Versöhnlichkeit gezeigt und ihm verziehen hätte. Von Paumgarten, wo er dann einige Zeit gewohnt, hätte er sich, unter Zusicherung freien Geleits, nach München begeben und sich dort vollends den Herzog wieder verbunden.

Grumbach wußte, daß jetzt auf Hohenschwangau ein Hohenzoller thronte. Markgraf Friedrich Georg von Brandenburg hatte Hohenschwangau in Besitz genommen. Und die eigenen Brüder wiesen David von Hohenschwangau fort. War auch inzwischen Johann Georg in Augsburgs schimpflichste Haft, in die »Eisen«, gekommen, so ließ er doch selbst vom Kerker aus den Prozeß wegen Davids unrechtmäßiger Entäußerung des Familienguts nicht ruhen, sondern verfolgte ihn überall, wo er ihn erreichen konnte. Nicht minder Antoni. Deshalb war David in die weite Welt gegangen.

Grumbach erkannte, daß er an David einen Vermittler für seine kaiserliche Hintertür gefunden hatte. Denn des umirrenden Abenteurers drittes Wort blieb Wien und der Kaiser. Seld und Zasius waren, wie er versicherte, seine besten Freunde. Noch besaß er unangefochten seine Würde eines kaiserlichen Rates, wenn Grumbach für seine kaiserliche Adelsrepublik als Agenten in der Pfalz den Rosenberger hatte, in Hessen den Ritter von Beumelberg und seinen Schwager von der Malsburg, so konnte er für Bayern und Schwaben David Paumgartner brauchen. Vorläufig führte er ihn bei Herzog Johann Friedrich ein, weihte ihn in die gemeinschaftlichen Pläne ein, soweit sie einem unzuverlässigen Überläufer anvertraut werden konnten, und stellte ihn mit seinen besonderen Adelszielen auf die Probe. Für diese schwärmte David. In der Instruktion, die Grumbach seinem neuen Anhänger, der eine Reise nach Wien wagen wollte, mitgab, war ausdrücklich hervorgehoben, daß das Haus Österreich zu dauernder Macht in Deutschland nur durch den Adel gelangen würde. Und in gewissem Sinne hat auch die Wiener Hofburg drei Jahrhunderte lang diesen Rat befolgt. Sie hat in fast allen deutschen Ländern den Adel auf Österreichs Seite gezogen.

Ein schlimmer Gegner erwuchs den Verbündeten in nächster Nähe, in dem thüringischen Städtchen Arnstadt, wo am häufigsten Graf Günther von Schwarzburg, »der Streitbare«, verweilte, stand er nicht gerade im Felde. In der Regel diente der kleine Dynast dem Kaiser. Er hatte einige alte Wünsche, für deren Erfüllung er in Wien und Dresden den Herzog und Grumbach zu opfern gedachte. Des Todschießens, Mordens, Vergiftens war im Bereich der Englein allerdings kein Ende und genug Mordkunden klangen aus der großen Welt herüber, aus Italien, wo der neue Papst Caraffa die Familiensippe seines Vorgängers in den Kerker hatte werfen lassen um Mordtaten, deren sie sich schuldig gemacht haben sollte, aus Frankreich, wo bald auch Franz von Guise selbst dem Meuchelmord erlag. Des Herzogs Todfeind, Kurfürst August, war im Geist und im Bilde schon zehnmal von Jägern und Knappen ermordet worden und gewiß mochte Grumbach einmal gelegentlich in seinen langen Bart gebrummt haben: »Wenn ich dem in Dresden an die Hüfte kommen könnte, ich täte es nicht mehr als gerne –!« Einer seiner alten Kriegsgesellen, ein Vetter des Jobst von Zedtwitz, sollte dem Grafen Günther offenbart haben, Grumbach bezweckte den Kurfürsten ermorden zu lassen. Diese Botschaft zeigte der Graf in Dresden an und fügte noch überdies mehrererlei Verfängliches und Ärgerliches hinzu, das Grumbach sogar bei ihm selbst gegen den Kurfürsten gesprochen haben sollte. Es war kein Heldenstück des vielfach als Helden gepriesenen, mit einem blutigen Brandmal in der Hand auf die Welt gekommenen »streitbaren« Grafen Günther. Aber der Graf verfolgte zwei Pläne. Er wollte nicht länger Vasall Sachsens bleiben, sondern reichsunmittelbar werden. Um solcher schnöden Absichten willen schmeichelte er dem Kurfürsten und dem Kaiser und machte sich zum Denunzianten.

Was von Max II. ausging, war schlaff. Er förderte nicht das Böse, half aber auch nicht dem Guten. In Augsburg mußte ihn die Sache der Paumgartner mehr beschäftigen, als seine Liebe für Zerstreuungen wünschen konnte, sein Bruder Ferdinand wollte unter allen Umständen Hohenschwangau gewinnen, Philippine Welser in Innsbruck verlangte zu sehr nach dem schönen Alpsee und die Freundin Kunigunde von Völs hätte Schloß und Landschaft, wenn doch solche geopfert werden mußten, lieber noch in der Freundin Händen gesehen, als in denen der Bayern, die mit dem jungen Onolzbacher Markgrafen, den die zunehmende Geistesschwäche und die Kinderlosigkeit seines Oheims Albrecht demnächst nach Preußen berief, wegen Übernahme der Schuldforderung in Verhandlung standen. Des Brandenburgers Statthalter Georg von Wambach hielt seine eiserne Hand auf Hohenschwangau. Die Hoheitsrechte wurden von den Brandenburgern geübt, seitdem sie von David kaum Zinsen, noch weniger die Wiederzahlung des Kapitals erwarten konnten. Herzog Christoph in Stuttgart tat alles, um David von Übereilung und Schritten der Verzweiflung zurückzuhalten. Er bat den Herzog von Bayern, der dem Brandenburger seine Schuldforderung abkaufen wollte, dies zurzeit noch zu unterlassen und David Muße zu gönnen, seinen Reukauf, den er sich bedungen hatte, bei einigermaßen wiederhergestellten Finanzen auszuführen. Auch die Furtenbache, die ihrerseits ihre Forderung an den Erzherzog Ferdinand verkaufen wollten, bat Herzog Christoph, sie möchten im Abschluß des Geschäftes noch innehalten. Die Furtenbache hatten dringende Eile. Denn ihnen hatte David noch ein anderes Gut, Thannhausen, verkauft; ihr Guthaben ging sogar jetzt über das des Brandenburger Markgrafen hinaus. Dieser letztere hatte bereits, um nur einigermaßen zu Gelde zu kommen, am geforderten Preise in seinen Verhandlungen mit Bayern nachgelassen. Der Kaiser beförderte zunächst die Wünsche seines Bruders in Tirol. Da zögerte nun dieser mit einem festen Entschlusse, war auch wohl im Augenblick ohne Mittel und mochte hoffen, durch die Prozesse, die sich zu entspinnen drohten, die Preise noch mehr sinken zu sehen. Infolgedessen gingen die Furtenbache zu dem zwischen Bayern und Brandenburg betriebenen Geschäft über, ja setzten es durch manches schwere Opfer, das auch sie brachten, durch, daß der Kaiser auf diesem Augsburger Reichstage ihnen die Lehen auf Hohenschwangau erteilte in derselben Weise, wie diese einst Haller von Hallerstein für seinen Freund Hans Paumgartner erhalten hatte. Ferdinand in Innsbruck konnte nun nicht mehr unmittelbar auf den Bruder einstürmen mit den Ausbrüchen seines Zorns, daß er Bayern belehnt hätte. Die Furtenbache waren gut kaiserlich, auch ihrerseits geadelte Kaufleute, sie konnten immer noch für den Tiroler Erzherzog tun, was sie wollten. David beschwor sie, sich mit den Brandenburgern zu einigen und Hohenschwangau, wie man in Onolzbach und Königsberg in Preußen wünschte, an Albrecht von Bayern abzutreten. Das Hindernis war bis jetzt nur noch, daß die Furtenbache dann ihre große Schuldforderung an die paumgartnersche Masse teilen und auf Hohenschwangau allein abschließen mußten, für welchen Besitz Albrecht von Bayern allein als Käufer einzutreten gesonnen war. Albrecht rechnete dabei auf die Unterstützung seiner Stände, die ihn indessen schon einmal mit seinen Hohenschwangauer Zumutungen abgewiesen hatten.

Auf diesem Reichstage von 1566 wurde Johann Friedrich, als Herberger der Ächter, selbst in die Acht erklärt und August sollte sie vollstrecken. Des Herzogs Gesandter, Doktor Husanus, kam nicht wieder nach Hause, so aufrichtig hatte er seinem Vollmachtgeber nach Gotha geschrieben, daß seine Sache verloren sei. Was half da die schnelle Reise des Freiherrn von Hohenschwangau nach Wien und die Berufung auf Zasius, seinen treuen, für ihn alles, so hatte sich David gerühmt, einsetzenden, mächtigen Jugendfreund –! Zasius war ebenfalls in Augsburg und schon da im höchsten Grade verdrießlich. Er haßte alles, was mit dem Markgrafen Albrecht, den man Alcibiades nannte, zusammenhing, so auch Grumbach, den Kurfürsten Friedrich, der Albrechts Schwager war, die Schwiegersöhne des Kurfürsten. Wie fuhr er David an, als ihm dieser mit seinen Zumutungen kam –! »Zasius, was wärst du ohne meinen Vater und uns Schwangauer geworden –!« Zasius runzelte die Stirn. Nach ihm hörte auch der Kaiser die Vorschläge des Vermittlers. Man erwies ihm einige Gnaden in Bezug auf Hohenschwangau. Im übrigen aber gab man den Herzog und dessen Freunde dem Vollstrecker der Reichsacht, dem Kurfürsten August, preis. Es schien der Wiener Hofburg in Thüringen sich etwas vom wiedererwachenden Bewußtsein der deutschen Fürstenfreiheit zu regen.

Kurfürst August hat die Acht in einer Weise vollzogen, die dem Jahrhundert ein Schandmal aufdrückt. Was Vernichtungswut, Rache, angeborene Grausamkeit, unter dem Deckmantel der berechtigten Sorge für Gemeinwohl, Frieden und Bestehen des Staates, nur wagen konnte, geschah ohne jede Scham und Reue. Den weintrunkenen, aufgeblähten, das große Wort führenden und sich des Höchsten vermessenden Kurfürsten begleiteten auf seinem Kriegszuge der Graf von Schwarzburg, der Graf von Barby, die fränkischen Bischöfe, die ihre Rache endlich kühlen durften – ihre Truppen führte der Seinsheimer. Grauenhaft war die Verwüstung des Landes. Kein Wunder, wenn die eigenen Untertanen des Herzogs über dessen Widerstand jammerten, Grumbach verfluchten und die Herberge des Teufels, den Grimmenstein, wo schwarze Künste getrieben wurden und der ewig lächelnde, rosenfarbene Hänsel Tausendschön noch immer die Englein das Beste verkündigen ließ, dem Erdboden gleichgemacht wünschten –! Moritz Hausner hatte sein Büble sogar auf die Kristalle eingeübt. Wenn der Herzog in einem Kristall das lockende Trugbild des Kurhuts gesehen hat, wie erzählt wird, so fügt die Wundererklärung hinzu, Hausner und sein Zögling hätten die Zeichnung am Finger kleben gehabt und diese durch den Kristall hindurchschimmern lassen. Kaum sah der Herzog die Heereshaufen auf Gotha heranziehen, als er sich Kurfürst nannte, Münzen mit seinem Bildnis im Kurhut schlagen ließ und alle Rettungsbrücken abbrach. Kriegsvolk lagerte bei ihm in Stadt und Festung. Proviant war auf eine Belagerung von Monaten herbeigeschafft. Grumbach vertröstete, er hätte schon schlimmere Zeiten gesehen.

Die Belagerung dauerte vier kalte Wintermonate bis in den April 1567. Der eigene Bruder des Herzogs stand im Lager der Achtvollstrecker. Voll Besorgnis hielt er die Hand auf sein Erbe. Des belagerten Herzogs Gattin saß an der Wiege eines neugeborenen Sohnes im sichersten Gemach des Grimmenstein und weinte. Aber auch da flogen die Kugeln herein. Oft kamen sie wie Hagelwetter. Die Stadt wurde zaghaft. Grumbach nannte die Bürger, wie Kleon die Athener, Wurststopfer. Die Bürger rächten sich. Sie brachten die Kriegsknechte zum Meutern, so trefflich ihr Führer war, Hieronymus van Brandenstein. Zu viel des unheimlichen Spukes mischte sich für den abergläubischen Geist der Zeit in die Umgebung des unerschrockenen und alles auf die von auswärts erwartete Hilfe der Werber Stein und Mandelslohe setzenden Fürsten. Die edle, gute Herzogin –! Als die mordgierigen Meuterer durch die Gemächer stürmten, um Grumbach zu suchen, barg sie den kranken Mann in eine Bettlade ihrer Kinder. Aber man stürmte auch die Gemächer der Fürstin, fand in seinem Versteck den Anstifter des ganzen Unheils, der ein Zauberer des Satans sein sollte, und schleppte ihn aufs Rathaus. Wenige Tage darauf rückten die Scharen des Kurfürsten ein. Es war eine treulose Zeit. Selbst die Augsburger Chronisten, vor allem der herzlose undankbare Schertlin, hatten nur Spott für den Anteil, den David Paumgartner an diesen Vorgängen nahm. Und doch war zuletzt David der einzige, der in dem allgemeinen Jammer des Untergangs zu dem gänzlich verlassenen Herzog stand, seinen unter Todesschrecken hervorgebrachten Wünschen noch eine Erfüllung erzwang, die wenigstens den Schein der Fürstlichkeit rettete, die Herzogin und ihre Kinder nicht verließ. David mochte das Gefühl haben, daß ihn sein Name, die Erinnerung an die Verdienste seines Vaters, die Ehren, die einst Kaiser und Reich, die ersten Staatsmänner der Welt, beide Granvella, ein Navius, ein Liera, ein Seld auf ihn gehäuft hätten, gegen Willkür und Gewalt schützen würden.

Um diese Zeit stand in einem Städtchen, das eigentlich zum Hessenland gehört, aber mitten im Herzen Thüringens und zwischen dessen schönsten Bergen und Wäldern liegt, zu Schmalkalden, ein Mann in den Fünfzigern vor einem Hause, über dessen Eingang seit alten Zeiten schon ein Schwan, zwei Rosen und die eherne Abgottsschlange als Wahrzeichen angebracht und noch heute zu sehen sind.

Sein Haar war lang, voll und lockig, doch schon fast bis zu völliger Weiße ergraut, obgleich die Farbe des Antlitzes noch frisch und beinahe jugendlich war. Heute sah es trübe aus. Das Leben hatte den Mann mannigfach geprüft; den herben Mißmut hatte ihm erst die neueste Zeit gegeben. Denn von Gotha bis hier herauf und noch weiter nach Meiningen hin war das Elend der Dinge fühlbar, die sich um den Grimmenstein vollzogen.

Schmalkalden war in größter Aufregung, über den Wald herüber, den großen Weißenstein, das »eiserne Tor« und den »Totenkopf« kam nicht nur die Kunde des schrecklichen Elends der eroberten Stadt Gotha, auch kamen Flüchtlinge, die all ihre Habe verloren hatten – andere auch wieder, die mit scheuer Angst, da sie an den Vorgängen beteiligt gewesen sein mochten, dem blutigen Strafgericht zu entrinnen suchten.

Ein munterer Knabe von etwa dreizehn Jahren brachte dem ernst in der Tür des so bedeutungsvoll gezeichneten Hauses stehenden die Nachricht, daß die Hinrichtungen schon für morgen angesetzt wären. Eine Frau, die hinzugekommen war und sich entsetzt mit dem Kreuze segnete und ihren Gatten, der die Nachricht mit Tränen aufgenommen hatte, sanft schmeichelnd und wie um ihn zu trösten von der Tür ins Haus zurückzog, war des Knaben Mutter.

Ihr Gatte war der Pfarrer von Schmalkalden, der erst vor einigen Jahren der schönen alten gothischen Kirche zugezogen war, wo Luther gepredigt hat und für den Schmalkaldischen Bund die ersten Gebete sprach. Der würdige, rüstige Mann, dem erst seit kurzem Bart und Haar so gealtert waren, hatte sich um den Landesherrn Verdienste erworben, als dieser zu Mecheln in Banden lag. Es war Ottheinrich Stauff. Sein alter Antwerpener Freund, Kurt Breidenstein, hatte nicht eher geruht, bis der Landgraf auch diesem von seinen Gefährten die schuldige Erkenntlichkeit bewies. Ihm selbst war das schöne Gut Biedenkopf zugefallen; Anton von Wersebe hatte ein Hofamt; Ottheinrich Stauff mußte eine gute hessische Pfarre gewinnen. Und Ottheinrich zog um so lieber von Lauingen fort, als die Nähe Dillingens, der Kampf mit den Jesuiten, noch mehr der Kampf des Pfalzgrafen Wolfgang mit dem Kurfürsten Friedrich für sein Herz allzu peinlich wurde. Dann brach noch in Augsburg und ganz Oberschwaben die Pest aus, die nicht weichen wollte. So willigte Martina gern ein, nach dem Norden zurückzukehren, in die Nähe Jenas, das ihr so viel trauliche Erinnerungen zurückgelassen hatte.

Wie oft hatte Ottheinrich die Männer des Grimmensteiner Kreises in seinem Pfarrhause begrüßt –! Des Hin und Hers zwischen Franken und Thüringen war da kein Ende. Den alt und gebrechlich gewordenen Ritter hatte er auf die zwei Rosen an seinem Hause aufmerksam gemacht, die auch der Ritter in seinem Wappen führte.

»Holt euch den Tau, der sie neu erblühen läßt, aus der Fremde! Lasset den unglücklichen Herzog –! Geht wieder nach Frankreich –!«

»Soll ich den Beweis hindern, daß in der Welt noch Treue lebt –?« hatte Grumbach erwidert.

Und Moritz Hausner hatte er auf die eherne Schlange verwiesen und ihm noch jüngst gesagt:

»Was du durch Gottes Gnade an dir selbst nicht hast zur vollen Reife kommen sehen, das durch Satan in dich gelegte Korn des Luges und Truges, ziehst du nun groß aus eines andern Seele –! Des Hänsels Seele wird einst Gott von dir fordern –!«

Auf ähnliche Vorwürfe hatte sonst Moritz Hausner wohl mit Lachen geantwortet. Erst das letztemal, daß sie sich begrüßten, während der Belagerung, wo sich Hausner mit Lebensgefahr durch des Kurfürsten Umgebung und die Wachen geschlichen hatte, um vom Grimmenstein Botschaften nach Frankreich, an den Rheingrafen, an den Kurfürsten von Brandenburg hinauszutragen, der ein warmer Fürsprecher für die Bedrängten geworden war, und Antworten wieder für den Grimmenstein hereinzuholen, hatte er mit Trauer gesprochen:

»Ja, ich wollte lieber, ich wäre der König von Ungarn worden und hätt' ich auch drum den Glauben abschwören und zu Mahomet beten müssen –!«

Ottheinrich ließ die Lästerung hingehen. Er sah, daß sie nur ein Deckmantel der Verzweiflung sein sollte.

Auch den Schwan am Hause hatte Ottheinrich einem Gaste zeigen dürfen, David Paumgartner, der ihn öfters mit heller Zuversicht begrüßte und, wie wenn alles im besten Gange wäre, auf die demnächstige Wiedererstattung der für ihn verauslagten Summe, der dreitausend Gulden, vertröstete.

Die Fassungskraft, die sich Ottheinrich für die Wechselfälle des Lebens errungen hatte, für seinen Beruf, der ohnehin so oft dem Gemüt die schmerzlichsten Zumutungen stellt, zumal in einer Zeit, die eine Zeit der Gewalt und Willkür war, schien ihn heute, nach seines Sohnes Mitteilung, zu verlassen. Er warf sich an die Brust seines Weibes und vergoß Tränen um das Schicksal von Männern, die ihm in so vielen Lagen des Lebens nahe gestanden hatten. Ja, er machte sich Vorwürfe, daß er nicht nach Gotha geeilt war und den dortigen Geistlichen seine Unterstützung angeboten hatte.

Wie ihn Martina mit liebevollem Zuspruch zu begütigen suchte, ihn auf die Mandoline verwies, die ihm einst Vittoria in Füssen schenkte und die ihm nicht minder oft eine Trösterin gewesen, da vernahm man draußen laute Stimmen, Pferdegetrabe und das Rasseln eines schweren Wagens, das sich immer mehr näherte.

Johannes sah zum Fenster hinaus und berichtete, daß es fast aussähe, als wenn sie Besuch bekämen, vom Werratal her, nicht von Gotha und demnach nicht von Flüchtlingen, die von Osten über die Berge herüber hätten kommen müssen.

Als die Eltern ans Fenster getreten waren und auf den Wagen, der von einer weiten Reise gekommen schien, geblickt hatten, glaubte Ottheinrich anfangs die Gattin Grumbachs zu erkennen. Als ihm jedoch die Frau, die aus dem Wagen sah zu jung für Anna von Hutten erschien, riet er auf die Frau David Paumgartners, Ursula von Freyberg.

Martina, die sich an die Farben der Reiter hielt und mit Staunen schwarz-gelbe Binden an ihren Kollern erblickte, war es zuerst, die, hocherrötend und Ottheinrich mit Schrecken anstarrend, die Fremde, in Trauer gekleidete Frau als Kunigunde von Völs erkannte. Sie hatte sie in den vergangenen vierziger Jahren oft genug auf den Augsburger Reichstagen und als Ehefrau gesehen.

Das Wort des Erstaunens erstarb Ottheinrich im Munde. Doch mußte er sich aufraffen. Der Zug hielt in der Tat an seinem eigenen Hause. Die fremde Frau stieg aus. Johannes, der vor die Tür geeilt war, wurde nach seinem Vater gefragt. Bald trat die Dame selbst ein, und Ottheinrich konnte nicht zweifeln, es war Gundula Paumgartner, jetzt im Alter von fünfundvierzig Jahren.

»Um Gottes Barmherzigkeit,« rief sie mit einer Stimme, die ihr zuletzt versagen wollte, »ihr seid es! Helft mir den Bruder retten! Ich kenne auf Gottes weiter Welt keinen Beistand mehr! Ich fürchte Schimpf und Schande für ihn! Für uns alle! O, so hatte ich mir diese Reise nicht gedacht, die ich zu seinem Glück, zu seiner Freude zu unternehmen glaubte –!«

Sie sank auf einen Sessel, den Martina herangetragen hatte, und reichte ihr die Hand, die eiskalt war, trotz der Mäntel in Leder und Pelz. Ein ihr nachgekommener Diener half ihr, sich etwas mehr zu entkleiden und von den Verhüllungen zu befreien.

»Laß! Laß!« wehrte sie. »Wir müssen ja alsbald weiter –!«

»Daß ihr mich in diesem stillen Winkel der Erde aufsuchtet und findet,« sprach Ottheinrich gefaßt, »muß wohl ein besonderer Ratschluß Gottes sein! Die Läufe dieser Zeit sind wunderbar –!«

»Einen stillen Winkel nennt ihr das?« entgegnete Kunigunde. »In unsern Tiroler Bergen – da ist's still! Hier wütet die Kriegsfurie! Auf allen Wegen und Stegen kommt uns der Krieg entgegen und selbst die Nacht ist hell von den Feuersbrünsten, die unserer Reise von Hellingen bis hierher geleuchtet haben –«

»Kommt ihr von Hellingen –?«

»Ich suchte meinen Bruder dort –! Ist das euer Sohn –?« wandte sie sich an Martina und deutete auf Johannes.

»Gott erhalte ihn!« antwortete Martina, befremdet, wie die Freifrau mit so viel Ruhe, die bei alledem in ihrem Benehmen lag, von Burg Hellingen herunterkommen konnte.

»Habt ihr in Hellingen Trost gefunden –?« fragte Ottheinrich, der über die gleiche Wahrnehmung, die er machte, ebenfalls erstaunen mußte.

»Trost?« lautete die ablehnende Antwort, während sich Kunigunde erhob, »wie könnt ihr von Trost reden, wo ich schier vor Schrecken sterben möchte –! Ja, die Burgfrau von Hellingen – die ist gefaßt auf den Fall von Gotha. Nun ist's gefallen, der Kurfürst ist eingezogen. Glaubt ihr, daß meinem Bruder etwas zu Leide geschehen könnte? Er ist in Gotha – der Unselige, um den ich diese Reise mache –! Ich wollte ihn erfreuen durch so manche Botschaft; wollte ihn auch zwingen, von den Ächtern zu lassen –! Zwingen! Ja, was sein Weib und seine Kinder nicht vermocht haben, das wollte seine Schwester vermögen. O daß ihr mir dafür euern Beistand leihen möchtet –!«

Martina sah zur Seite. Sie verstand die Wünsche der Freifrau und erschrak nicht wenig über die Glut der Verlegenheit, die auf ihres Mannes Wangen trat. Die Freifrau war ihr gealterter geschildert worden. Die Gefallsüchtige wollte ohne Zweifel ihren Mann mit sich nach Gotha nehmen.

»Hattet ihr euerm Bruder noch gute Kunde zu bringen –!« sagte Ottheinrich sinnend.

»Jesus! Und ihr meint doch nicht, daß ich damit zu spät käme –?« rief Kunigunde, die Hände ringend.

Ottheinrich zuckte die Achseln.

»Ich wollte ihm,« fuhr die Schwester mit einem fast hörbaren, angstvollen Zusammenschlagen der Zähne fort, »ich wollte ihm die Nachricht bringen, daß die Furtenbache, die jetzt über Hohenschwangau die Lehen haben, ihre Forderung teilen wollen –! Nun wäre ja alles gut –! Bayern verträgt sich mit Brandenburg. Georg von Wambach gibt die Burg mit allen Lehen und Allodien, mit allen Gülten und Gefällen frei – die Brüder können wieder aufatmen, wenn wir dieser Last ledig sind –«

»Dieser Last –!« warf Ottheinrich mit einem Blick gen Himmel ein. »Das war meine Ahnung über Hohenschwangau schon vor einunddreißig Jahren –!«

»Ihr habt Recht –! Wenn das mein Vater noch erlebt hätte –!«

»Es stünde besser –« warf Martina mit strafendem Ton ein.

»Frau! Frau!« rief Kunigunde mit einem Schmerzensschrei. »Richtet nicht! Wir sind die Unglücklichsten von der Welt geworden – wenn mein Bruder – nein, Stauff, Stauff – wie komm' ich über diese Wälder und Berge hinweg –! Ich werfe mich dem Kurfürsten zu Füßen –! Seht da draußen die kaiserlichen Farben. Ich habe sie unsern Mannen geben dürfen als Weib eines erzherzoglichen Dieners. Des Kaisers Farben und zwei Passepartout vom Pfleger zu Ehrenberg und vom Vogt zu Burgau – die haben uns bis dahin zumeist beschützt –«

»Wo erfuhret ihr unsern Aufenthalt?« sprach Martina, die ihres Mannes Verstummen erriet und nicht im mindesten geneigt war, etwas zu tun, was die Regungen hemmte, die in seiner Brust zu einem Entschluß zu drängen schienen.

»In Hellingen und zu Lauingen schon –!« lautete die Antwort, die im Tone einer völligen Vernichtung gegeben wurde.

Eine Pause trat ein. Martina verstand, was die Stille bedeuten sollte. Draußen mehrten die Peitschenschläge der Fuhrleute, die ihre Gäule vom Sattel aus regierten, die Peinlichkeit der noch nicht ganz erreichten Verständigung.

Martina, voll großherzigen Vertrauens auf ihren Gatten, beendete die Spannung mit den Worten:

»Stauff, begleite die Freifrau –! Laß mir den Knaben –! Und die guten Schmalkaldener werden uns derweilen schon schützen –!«

Kunigunde stürzte auf Martina zu, küßte sie, streichelte ihr die Wange, sagte ihr Liebkosung über Liebkosung und nahm das Anerbieten, daß sie Ottheinrich begleiten sollte, als die letzte Hilfe, den letzten Trost an, der ihr beim Jammer ihres Herzens noch geblieben wäre. Sie würde die Gegend nicht kennen – sagte sie, ihre Leute ebenso wenig – wer sollte für sie sprechen, sie durch die eroberte Stadt führen – wer die siegestrunkenen Horden von ihr abhalten – bei den Schrecken der zu erwartenden Strafgerichte – der vielleicht, so jammerte sie wieder auf – schon vollzogenen –!

Ottheinrich suchte zu trösten, raffte die notwendigsten Kleidungsstücke zusammen, nahm Geld, küßte voll Innigkeit Weib und Kind und begleitete Kunigunde in den Wagen. Ganz Schmalkalden wußte schon, daß sein treuer Seelenhirt nach Gotha wollte, um dort die Sieger um Gnade anzustehen im Interesse dieser vornehmen Frau, deren Verwandte an dem Jammer beteiligt wären. Da gedachte man seiner letzten Predigt in der alten Kirche, um die sich der ganze Ort mit seinen erkerreichen Häusern und den vielen kleinen Hütten, in denen Hunderte von Eisenarbeitern wohnten, wie um eine liebende Mutter schmiegte, und der milden Worte, als er den Text vom verlorenen Sohn zum Anlaß einer Erörterung über Gottes Gnade und Versöhnlichkeit als Vorbild für die Menschen genommen hatte.

Es war eine langsame und beschwerliche Reise durch die waldigen Höhen, über die Abgründe, die schwindelnden Pässe, die zurückzulegen waren, hinweg, bis man nach Tambach kam und erst von dort einen besseren Weg antraf. In Tambach mußte übernachtet werden. Es war die Nacht vom Donnerstag auf Freitag den 17. April 1567.

Daß Kunigunde zu den Wesen gehörte, die beinahe zu jeder Zeit allein das Nächste nur im Auge und im Herzen haben und sich durch ein eben im Gemüt befindliches Glück sogar die sichere Erwartung eines bevorstehenden Unglücks hinwegtäuschen können, das wußte Ottheinrich schon aus alter Erfahrung. Er hatte ihr eine aufrichtige Schilderung alles dessen gegeben, was ihn einst vermocht hätte, sich von Hohenschwangau und aus Kunigundes Lebenskreise für immer zu entfernen. Er hatte ihr erzählt, was ihn dann wieder zu Martina geführt und ihn mit seiner ersten Liebe für die Ewigkeit verbunden hätte. Keines seiner Worte hatte dabei den Ton, wie wohl die Freifrau hätte am liebsten an die Vergangenheit erinnert sein mögen, keines wurde ein Echo der elegischen, von Seufzern unterbrochenen Reden, wie Kunigunde von dem einstigen Glück, dessen überraschendem, plötzlichem Verlust, von ihrem Gatten, ihrem verfehlten Leben sprach. Die Herberge zu Tambach fanden sie fast menschenleer; die ganze Bevölkerung war wie ausgeflogen. Alles war nach Gotha geeilt, um der Hinrichtung der Ächter beizuwohnen. Wer aber dort sein Leben zu verlieren hatte, wer mit Grumbach hingerichtet wurde, davon konnte nichts Gewisses gesagt werden. Manche glaubten sogar an die Enthauptung des Herzogs. Diese Schreckenskunde war zu düster, als daß sie auch nur noch einen Schimmer des alten Glücks am Horizont der Reisenden länger dulden konnte. Sie verbrachten eine Nacht der Verzweiflung.

Als sie am Morgen weiterfuhren, die Lerchen auf den frischgefurchten Feldern wirbelten, der Himmel sich wie ein einziger Friedensbaldachin über ihnen ausbreitete, da flossen jedem für sich allein unaufhaltsam Tränen, ohne daß noch einer den andern zu trösten versuchte. Nur soviel mußte Ottheinrich gestatten, daß die Freifrau öfters seine beiden Hände festhielt und wie in alter Zeit in diese die elektrische Kraft entlud, die so sanft sein magnetischer, beruhigender Seelenstrom in sich aufgenommen und als Frieden und Glück für sie wieder zurückgegeben hatte.

Gegen Mittag geschah das Entsetzliche, daß Haufen von Menschen des Wegs heraufkamen und – sogar aufs heiterste angeregt schienen von dem, was sie in Gotha erlebt hatten.

Andere Scharen gingen wieder ruhiger und trauriger.

Bald stiegen Rauchsäulen am Himmel auf. Das Feuer war in Gotha. Auch auf dem Grimmenstein schien noch nicht alles gelöscht zu sein.

Die Reisenden wagten nicht, die Menschen anzurufen und sich das Geschehene erzählen zu lassen. Ottheinrich verhinderte sogar die Gespräche der Begleiter mit den Landleuten. Offenbar kamen alle von der Hinrichtung.

Endlich – und es war in Sundhausen, das zussammengeschossen in Trümmern lag – mußte das Furchtbare zutage treten. Ein unmittelbarer, entsetzenerregender Anblick wurde ihnen zuteil, der ihnen das Geschehene dicht vor die Augen führte. Die Bewohner Sundhausens gehörten zu denen, die den Ächtern ihr Schicksal gönnten. Sie hatten durch die Kugeln des Grimmenstein Hab und Gut verloren und die alte Müllerin galt für den Fluch des Landes durch ihren Enkel, den Hänsel, dessen Englein den Herzog in seinem Glauben an sein Geschick so verhängnisvoll bestärkt hatten. Die Gemeinde hatte das Schafott gekauft, auf dem die Ächter gestorben waren –! Das bluttriefende Holz wurde soeben in dem zerstörten Dorfe abgeladen und die Bauern riefen zähneknirschend: Das soll ein Haus werden, worin nun die Hexe selbst wohnt –! Sie rissen sich um die Bretter, die ihnen zur Wiedererrichtung ihrer Hütten dienen und – dem Volksglauben gemäß – wie alles, was vom Galgen kommt, Glück bringen sollten.

Die Arbeit von sechs Henkern hatte sieben Opfern gegolten. Kurfürst August hat sich den Ruhm vorbehalten wollen, an der Grenzscheide neuer Jahrhunderte, als Wahrer der unverfälschten Lutherschen Lehre, als Fürst des großen Wortes und des prahlerischen Gebarens, das Beispiel einer Grausamkeit gegeben zu haben, die in der Geschichte ihresgleichen sucht. Er, der sich mit seinem Gott auf dem vertrautesten Fuße glaubte, seine Machtvollkommenheit als einen angeborenen, doch zugleich auch seiner Weisheit und Regententugend gebührenden Schmuck bekleidete, ein Trunkenbold, abhängig von seinem »Gynäceum«, wie die Sippe des fürstlichen Frauenzimmers zu Dresden von den unter ihm seufzenden Theologen genannt wurde, ein Sinnenmensch, der sich als hochbetagter Witwer, schon atemlos, asthmatisch, zum Schlagtreffen dickgeworden, noch zumutete, eine kaum sechzehnjährige Prinzessin, ein halbes Kind, zu heiraten (nach dem Beilager traf ihn auch sofort der Schlag, woran er starb), dieser August I. von Sachsen ließ Grumbach und den Kanzler Brück auf eine Metzgerbank legen, ihnen erst die Brust aufschneiden, dann mit Zangen das Herz herausreißen, das blutigzuckende Fleisch ihnen um den Mund schlagen, hierauf dem Körper Arme und Beine abhauen und erst dann den noch atmenden Rumpf durch Abhauen des Kopfes zum Verenden bringen. Wilhelm von Stein, Hieronymus von Brandenstein und David Paumgartner wurden einfach geköpft. Der Amtmann Beyer und Hänsel Tausendschön, der Engleinseher, wurden gehängt.

Als Ottheinrich mit seiner ihm wie tot in den Armen liegenden Begleiterin in dem noch brennenden Gotha einfuhr, wurde er nur mit großer Schwierigkeit in die Herberge »Zum Riesen« am Fuß des Grimmenstein eingelassen. Die Nachricht, daß die Schwester eines der Hingerichteten mit erzherzoglich österreichischen Pässen eingetroffen wäre, verbreitete sich jedoch schnell bis zu Christoph von Carlowitz, dem zum Lohn für die österreichische Richtung, die gerade er auf Jahrhunderte dem kursächsischen Hofe eingeimpft hatte, die herbe Prüfung verhängt wurde, bei diesen schrecklichen Vorgängen den kaiserlichen Kommissar machen zu müssen. Der Kurfürst war nicht mehr in der Nähe. Nach den Folterungen der Gefangenen, denen er hinter einem Vorhang beigewohnt hatte, war er abgereist. Carlowitz mußte auch später noch den gefangenen Herzog nach Österreich führen.

Die erste Kundgebung des wiedererlangten Bewußtseins bei Kunigunde war der Aufschrei:

»Ich muß ihn sehen –! Ihm ein ehrlich Begräbnis geben –! Wo ist sein Leib –! Mein armer, armer, geliebter Bruder –!«

Ottheinrich sah im Geist den kaiserlichen Rat vor sich stehen, Mutter Felicitas, den Bruder Johannes, Anna von Stadion –! Auch er konnte nur weinen.

Die mitgebrachten Reisigen halfen beiden bei ihrer Kraftlosigkeit. Sie hatten schon ausgekundschaftet, daß fast auf jeden der Hingerichteten irgend jemand ausgewesen war, um den Leichnam zum Begraben zu erlangen. Grumbach hatte seine letzte Barschaft an einige Leute verschenkt, die seine zerstückelten Glieder sammeln und unter die Erde bringen sollten. Diesen wurde das Geld wieder abgenommen und der letzte ihm versprochene Liebesdienst blieb unvollzogen. Von David Paumgartner hieß es, er hätte soeben ein Begräbnis zu gewärtigen. Begleiter des Christoph von Carlowitz, sagte man, bestatteten ihn in diesem Augenblick auf dem Friedhof am Tor der Stadt.

»Wer kann ihn bestatten, wenn nicht ich –!« rief Kunigunde und drängte hinaus auf den Gottesacker. Sie fieberte. Ihr Geist schien irre. Ottheinrich mußte ihr Folge geben, und er tat es von Herzen.

Man hörte inzwischen vom Tode des Freiherrn von Hohenschwangau eine seltsame Mär. Jene Geistesrichtung, die seit dem Metzgertag von Gotha immer mehr im deutschen Vaterlande um sich gegriffen hat, die servilste Unterwürfigkeit unter die fürstliche Gewalt, hat auch in ihrer Geschichtsschreibung David Paumgartners Untergang nur liebedienerisch und falsch erzählt. Die Wahrheit ist die, daß ihm wie vielen andern, den nächsten Umgebungen Grumbachs, den Miterstürmern Würzburgs, Dietrich Picht, Jobst von Zedwitz, vor allen Moritz Hausner, freigestanden hätte, zu entkommen, wenn er sich in den gemeinen Haufen derer hätte mischen wollen, die vom Grimmenstein abzogen und demütig vor dem Kurfürsten und seinen Mitachtvollstreckern vorüberschreiten mußten, sein Stolz verschmähte eine ihn so erniedrigende Rettung. Er, der dem unglücklichen Herzog die letzten Liebesdienste erwiesen hatte, der sein Gemahl und seine Kinder beschützte, sollte sich von dannen schleichen wie ein Dieb –? Noch war er Freiherr von Hohenschwangau. Kaiser und Könige hatten sich seine Freunde genannt, beide Granvella konnten bezeugen, was er dem Wohl des Kaisers geopfert. Er wagte sein Leben, das für ihn keinen Wert mehr hatte. Er bestieg seinen Streithengst, setzte seinen Ritterhelm mit den wallenden Federn auf und ließ auf dem Schild seines Panzerhemds sein Wappen, den Schwanen, im silbernen Felde leuchten, als ruderte der noch frank und frei durch den Alpsee und die Wogen des Geschicks dahin. Das gab ihm dann Schmach und den Tod. Mußte sich auch sein Alexander, der den heimatlichen Mannen und der Schwester wohlbekannte Leibrappe Davids, gerade vor dem Kurfürsten so bäumen, als dieser die Vorüberziehenden musterte und mit scharfem Auge bewachte, wen er noch aus der Masse herausgreifen lassen sollte –! »Wer ist der Reiter da, der Freche? Herunter mit ihm!« rief der Tyrann. David mußte absteigen. Wütend fuhr der Kurfürst auf ihn ein. Als er den Namen erfahren hatte, da erwachte der ganze Hohn des geborenen Adels auf die Augsburger Pfeffersäcke, die »Fuckerer«, die geadelten »Leutschinder«. Mit einem geladenen Handrohr, das er zu seinem Schutz unter dem unheimlichen Haufen, der an ihm vorüberzog, in der Hand gehalten hatte, schlug er auf den Reiter mit dem wallenden Helmbusch ein, »pläuete« ihn derb durch, wie die Erzählung lautet, und ließ ihn von dannen führen als Gefangenen und auch ihm den Kopf vor die Füße legen. Man hatte die Instruktion gefunden, die Grumbach diktiert hatte: Verwandlung Deutschlands in eine Staatsform, wie sie Frankreich zu bekommen anfing – Beseitigung aller Fürsten – Beibehaltung nur des Adels, der Städte und des Kaisers.

Ein junger Geistlicher, Namens Ambrosius Roth, der den Herzog in die Gefangenschaft begleiten sollte, bestattete soeben den entseelten Körper Davids. Es war ein Schüler Ottheinrichs aus dem Paulinum in Jena. Als er den älteren Freund begrüßt hatte, machte er ihn darauf aufmerksam, daß die Männer, die seinen Beistand zu diesem Liebesdienst begehrt hätten, Italiener wären. Er zeigte auf eine Gruppe von Leidtragenden, die am Ende des Friedhofs an der Mauer auf den Sarg warteten, der sich noch im Leichenhauskirchlein befand.

Sollte Ottheinrich seinen Augen trauen –? Er machte die an seinem Arm hängende Kunigunde auf eine ältere Dame in Trauer aufmerksam, die in einem Kreise von Männern stand, die näher und näher auf die Ankommenden herantraten. Kunigunde hatte nur starr zur Erde geblickt.

Daß die leidtragende Italienerin Vittoria Ferrabosco war, konnte nach dem Bericht des Prädikanten nicht auffallen. Denn ihre Brüder, die Baumeister Kaiser Maximilians, bei denen sie in Wien wohnte, waren eigens geschickt worden, um die Festung Grimmenstein dem Erdboden gleichzumachen. Man glaubte zu wissen, daß nächstens die Franzosen gerade auf diese Festung rechneten, die für uneinnehmbar galt und es wohl auch diesmal ohne den Verrat der Gothaer Bürger an ihrem Landesherrn gewesen wäre.

Vittoria, jetzt an Jahren und Haltung eine Matrone, hatte noch vor einem Jahr David in Wien gesprochen. Sie wußte, daß er auf dem Grimmenstein verweilte. Dennoch hatte sie an ein solches Ende des vornehmen Herrn nicht glauben können. Ihre Brüder, jetzt ebenfalls Greise, würdige Männer, hatte sie nur begleitet aus schwesterlicher Liebe und Gewöhnung an deren Beruf.

Die Anordnung dieser Bestattung war ihr Werk.

Auf einem Friedhofe und an der Bahre eines Toten fällt nichts auf, was unerwartet kommt. Da begegnen sich Menschen, die sich jahrzehntelang nicht gesehen haben, sie bieten sich den einfachen Gruß, der sich auf dem stummen Erntefeld des Lebens geziemt.

Noch einmal wurde der einfache Sarg geöffnet. Mit einem Schrei stürzte Kunigunde auf den Leib des geliebten Bruders, Vittoria hatte ihn in ein einfaches schwarzes Wams von Samt und Seide kleiden lassen. Der Kopf lag an den Rumpf gefügt.

Ambrosius Roth betete laut und sprach den Segen. Der Sarg glitt in die Grube. Die Italiener warfen ihm die üblichen drei Hände Erde nach. Mancher alte Graubart war unter ihnen, der Hohenschwangau hatte erbauen helfen –! Kunigunde begriff allmählich alles. Auch daß sich Anfang und Ende hier wie die Schlange zum Ringe wand –! Die Ferraboscos, einst so schmählich von Antoni Paumgartner im schönen Welschland betrogen, bauten jene Burg, die das stolze Geschlecht seines Hauses erhöhte; jetzt brachen sie eine andere Burg – den Grimmenstein – wo die Sonne dieses Geschlechts so blutig erlosch und unterging. Und auch nach einem Leichenopfer, nach dem Tode des geliebten Bruders Johannes war es gewesen, wo damals die Hinterbliebenen sich umarmt und ewige Treue gelobt hatten und Kunigunde im Geist schon wieder die Rose der Freude auf ihre schwarzen Gewänder steckte. An einem Leichenopfer standen sie wieder –! Diesmal freilich ohne die Rosen der Hoffnung. Beide, auch Ottheinrich, blickten vernichtet zur Erde.

Christoph von Carlowitz riet den Leidtragenden, Gotha, die Stätte des Jammers, zu verlassen.

Kunigunde war ein Schatten. Sie nahm von Vittoria mit schwesterlichem Kuß Abschied und dankte für das ihr dargebrachte Liebesopfer mit einem Aufblick gen Himmel.

Ottheinrich durfte hoffen, Vittoria nun noch öfters zu sehen. Sie blieb bei ihren Brüdern, die ein Riesenwerk zu vollenden hatten und schon in voller Tätigkeit waren. Die Schleifung des Grimmensteins dauerte über ein Jahr und verursachte einen Kostenaufwand von 704 675 Gulden. Da, wo einst die stolze Burg gestanden, erbaute eine ruhigere Zeit den jetzigen »Friedenstein«. Herzog Johann Friedrich selbst, in Wien zum Schauspiel des Hohns und Spottes öffentlich aufgeführt, wie die Römer im Triumph asiatische Könige durch die Straßen schleiften, hat noch achtundzwanzig Jahre in der Haft des Hauses Habsburg gelebt, sein edles Weib teilte seine Gefangenschaft bis zu seinem Tode. Bitten über Bitten schickte sie an die deutschen Fürsten, schickte thüringische Quittensäfte und eingemachte Preißelbeeren an die Fürstinnen – um Erlösung. Alles vergebens. Man wollte für Deutschland Ruhe um jeden Preis und hatte wohl auch dem Kurfürsten August gelobt, seinen Feind nicht wieder freizugeben, selbst nicht nach dessen Tode.

Verspätet erschien ein poetisches Flugblatt, das Moritz Hausner gedichtet und nach Frankfurt am Main an seinen Freund Klebitz geschickt hatte, um es dort drucken zu lassen. Es ist »Die Nachtigall«, die Lessing neu herausgegeben hat. Da singt der Frühlingsbote ein traurig Lied von Undankbarkeit und Rache in der Welt. Die Nachtigall richtet an die Fürsten und Stände Deutschlands ihre Bitte um Hilfe und Beistand für die Bedrängten in Gotha und erinnert jeden an eine Schuld, die er bei Grumbach oder dem Herzog abzutragen hätte. Diesen Sang nahm Kaiser Maximilian gar übel auf. Er kündigte den Frankfurtern seine Gnade. Erst dreißigtausend Gulden, die sie nach Wien schickten, erwirkten ihnen die Versöhnung. Den Buchdrucker Schmidt, der die »Nachtigall« druckte, hatte der kaiserliche Profos in Ketten nach Österreich geführt, wo er zwei Jahre gefangen saß. Klebitz war entflohen, mit ihm Hausner, der sich ebenfalls nach dem Gothaer Verrat auf Frankfurt zu gewandt hatte. Von Holland aus, wo sie beide erst in Friesland, dann in Antwerpen verweilten, ließen sie noch ein zweites und grelleres Lied über die jüngste Vergangenheit erschallen: »Die Grabschrift.« Deshalb dann auch von Antwerpen vertrieben gingen sie nach Paris, wo ihre Spur in der Bartholomäusnacht, in der Bluthochzeit, verschwunden ist. Vittorta sprach noch zuweilen zu Ottheinrich: »Siralom – hontholam –! Sie hatte den Glauben, daß sich Hausner durch den Besitz der Reliquien, die Andenken an seine Pflegemutter, die sie einst nach Deutschland hatte bringen sollen, aus dem Gothaer Blutbade gerettet hätte.

Die »Grabschrift« galt nur noch Grumbach allein, der ergeben wie ein Märtyrer gestorben war. Allerdings hat der damals vierundsechzigjährige Mann auf der Folter so geschrien, daß es den Grimmenstein durchschauerte. Sie zogen ihm die Gelenkbänder auseinander, während Kurfürst August, Graf Günther von Schwarzburg und Herzog Adolf von Holstein, der ebenfalls noch zur Belagerung gekommen war, hinter einem Vorhang lauschten. Auf der Blutbühne erduldete er ruhig die Martern. Seltsam, daß er, als er sich auf dem Metzgerbrett strecken mußte, zum Henker sagte: »Du schindest heute einen dürren Geier –!« Ging an dem elektrischen Draht der Seele, der im Tode die Gedanken noch einmal blitzesschnell über ein ganzes Leben hinwegführt, sein Erinnern bis auf die schreckliche Stunde im Bauernkrieg zurück, wo er seinen eigenen Schwager Florian Geyer hatte erschlagen müssen –? Und gedachte er vielleicht: Welches ist die einzige Untat, deren du dich vor Gott wirst zu zeihen haben –? Da mochte ihm Florian Geyer eingefallen sein und er brauchte das auffallende Bild. Vor Menschen hatte er über das von ihm Verschuldete vor manchem Reue ausgesprochen, sogar vor dem triumphierenden Würzburger Abgesandten, dem Seinsheimer. Sicher hatte er gehofft, man würde ihm dafür zu einem menschlicheren Tode verhelfen. Sogar den Umstand, daß man auf Schloß Rimpar die Waren gefunden, die einst vor dreißig Jahren einer seiner Vögte einem Nürnberger Kaufmann abgenommen hatte und deren Auslösung strittig geblieben war, hatte man benutzt, um ihm unter den Qualen der Folter das Zugeständnis abzupressen, daß er zuweilen, wenn er kein Geld gehabt hätte, auf der Landstraße die Kaufleute angeritten habe. Im Menschen tritt beim Anblick des Todes ein Ekel ein vor allem, worauf der Übermut der Lebenden noch Wert legt. »Glaubt was ihr wollt –!« sagte der Ermüdete, dem zum weiteren Streiten die Kraft fehlte. Sein Weib, Anna von Hutten, meldete sich um einige »Kleinöter«, die ihr Eheherr noch gehabt hätte, just wie die Seckendorfferin beim Tode Hessels. Kinder und Kindeskinder verleugneten den Vater oder sie mußten es tun – ihrer Lehen wegen. Kunz, sein Sohn, bekam sie wieder. Das Geschlecht ist mit der Zeit erloschen.

David Paumgartner, der letzte des alten Geschlechts der Handelsherren, lag auf einem evangelischen Friedhof. Seine Gattin stiftete ihm einen katholischen »Jahrestag« zu Waltenhofen am Fuß von Hohenschwangau, wo die Eingangspforte auf dem Marmorberg bald nun der bayerische Löwe bewachen sollte. Noch viele Jahre hatte Bayern gegen die Erben zu kämpfen, die Erben Davids, die Erben des endlich seines Gefängnisses erledigten Johann Georg. Einunddreißig Folianten stehen über Bayerns endlichen Sieg im Archiv zu München. Gundula von Völs muß die für sie freudlos gewordene Erde zeitig verlassen haben. Denn in der Stiftung des Davidschen Jahrestages heißt es:

»Frau Ursula von Paumgarten, Freifrau von Hohenschwangau und Erbach, geborene von Freyberg, stiftet für ihren Ehegemahl selig (folgt der Name und der Titel Davids als Erbmarschalls des Stiftes Augsburg) und allen christgläubigen Seelen zu Hilf und Trost einen ewigen Jahrtag in der Pfarrkirche zu Waltenhofen, vierzehn Tag vor oder nach Martini, ein Pfarrherr daselbst mit drei Priestern mit einem gesungenen Lobamt von Unserer Lieben Frauen, sammt einem Seelamt und zweien gesprochenen Messen. Dabei soll gedacht werden, wie folgt« – folgen die Großeltern und Eltern Davids und Ursulas, seiner Gattin, Johannes und Regina Honold und mancher der uns wohlbekannten Namen – auch »der Freifrau von Völs und Caldif, gebornen von Paumgarten, Davids Schwester«. Die Stiftung ist von 1569. Also mußte Kunigundes Herz und Stolz unmittelbar nach dem Jammer von Gotha gebrochen sein.

Wenn Ottheinrich Stauff in der schönen Pfarrkirche zu Schmalkalden in so hohem Grade und so lange Jahre hindurch die Herzen aller Hörer gewann, so war es vorzugsweise um die Fülle von Erfahrung, woraus er schöpfte. Was hatte er alles erlebt –! Dann riefen ihn aber die Landgrafen von Hessen, Philipps Söhne, in höhere Stellungen nach Marburg und Kassel. Schwer trennte er sich von dem lieblichen Ort, der ihn in Thüringen wie nach Tirol versetzt hatte.

Martina liegt zu Marburg begraben, in der Nähe der heiligen Elisabeth. Auch ihr Leben war allein Liebe und Wohltun. Auch in ihren Körben, die sie heimtrug von den Armen, blühten himmlische Rosen. Bei ihr waren es die Rosen des Glücks. Sie hatte noch die Freude, den Sohn zu sehen, wie er im schwarzen Talar und mit feierlicher Haltung den Vater beim Brotbrechen und Kelchspenden unterstützte.

Die Zeit bot allerdings noch Trübes genug. Aber Ottheinrich behielt seine freudige Zuversicht, war sein Vorbild im Predigen zumeist Wolfgang Musculus, der so gern bei jenem Bilde verweilte, wonach Christus der Weinstock und wir die Reben sind, so nannte der vielgeprüfte, bis in sein spätestes Alter von jedem, der in seine Nähe kam, gesegnete, weil um der Liebe willen gegen alle hilfreiche und milddenkende Mann am liebsten den Herrn den Eckstein, den die Bauleute verworfen haben und der dennoch der Grund des Hauses geworden, wo Gottes Gnade wohnte der Grund des ewigen und den Mächten der Finsternis trotzenden Zion. Denn zwischen zwei Burgen war ja sein eigenes Leben so bedeutungsvoll dahingegangen, zwischen einer im Süden des Vaterlandes und einer im Norden. »Zion,« predigte er gern und zumeist am Martinstage, wenn am Fuß von Hohenschwangau wieder römische Priester die Messe und den unglücklichen Paumgartnern, die den Beruf des deutschen Bürgers verfehlt hatten, ein letztes Andenken lasen, »Zion ist die höchste Burg Davids und des Herrn! Friede und Freiheit sind die Maien, die sie allzeit schmücken, Friede und Freiheit die Banner, die über ihren Zinnen ein Willkommen wehen. Entbrennt der Streit, so werden an ihren Mauern die Widder und Sturmböcke der Hoffärtigen zuschanden werden. Wer aber zur Fahne des wahren Burgherrn auf ihr gehalten, der sieht auch schon jetzt von ihren Türmen die Wahrheit siegen, soweit die Wolken gehen!«

– Ende –


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