Karl Gutzkow
Hohenschwangau
Karl Gutzkow

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IV.

»Ich weiß,« begann der Rat, »daß Hans Pfister, ist er nur erst unterwegs, den Ritt wacker zu betreiben pflegt. Er läßt die Rößli gern schon vor Sonnenaufgang aus dem Stall ziehen. Drum macht er aber auch zeitiger Feierabend. Das wünschte ich wohl für den morgenden Tag, der ohnehin ein Sonntag ist.«

Ottheinrich wußte, daß das damals noch streng gehaltene Gebot: »Du sollst den Feiertag heiligen!« auch ein Verbot des Reisens am Sonntag einschloß. Die Taxissche Post hatte sich in Rom, wo für Geld aller Sünden Erlaß zu haben war, Dispens erkauft.

»Seht doch ja zu,« fuhr der Rat fort, »daß ihr morgen beizeiten ausreitet! Die Wege über Oberndorf und Roßhaupten, allwo selbst bei trockenem Wetter der Boden vor dem weichen Wiesenmoor oft zum Versinken ist, sind zwar, da es kürzlich lange geregnet hat, beinahe grundlos; dennoch werdet ihr vielleicht noch bei guter Zeit in Füssen anlangen und dort einen Auftrag ausrichten, für den ich euch nicht weniger Behutsamkeit anempfehle als für die ungarische Sache. Ohne Zweifel wird Hans Pfister auf dem Füssener Schloß in Aufträgen des Bischofs, vielleicht auch unten im Sankt-Mangstift zu tun haben. Trifft es sich nun etwa so, so nehmt, wenn irgend noch am Abend möglich, Urlaub und macht euch auf und geht zu Fuße, der Weg ist unweit, über den allda so anmutig gelegenen Lech, um euch hinter einem Berge, den man den Huttelberg nennt, und an einem ganz im Gebirge versteckten See ein Anwesen anzusehen, auf das ich, im Vertrauen gesagt, meine ganze Aufmerksamkeit gerichtet habe – ich meine die stolze Vierburg Hohenschwangau!«

Ottheinrich wußte, daß zu des Rates Schuldnern auch die Ritter von Schwangau gehörten. Beide waren kinderlos, die letzten ihres jahrhunderte alten Geschlechts.

»Ich soll die Briefe,« sagte er, »die ich an euern Pfandpfleger, Sigmund Rothhut, zu überbringen habe, selbst nach Waltenhofen tragen, wo er haust? Es soll den Burgen nahebei liegen.«

»Doch nicht!« entgegnete der Rat. »Und nennet auch nicht Sigmund Rothhut meinen Pfandpfleger! Allerorten sind die Schwangauer verschuldet. Die Rehlinger bei uns, die Ehem, die Rem haben zu fordern, und ich nicht einmal das meiste. Nein! Heinrich von Schwangau lebt mir befreundet hier in unseres Bischofs Pfalz. Des von Zusmarshausen, seinem Vogtamt, alters- und kränklichkeitshalber, fast immer abwesenden Georg von Schwangau, seines Bruders Ehehälfte ist selbst eine Augsburgerin, aus dem Geschlecht der Argon. Von ihren Burgen sehnt die gute Frau sich fort nach Augsburg oder nach Kaufbeuren, wo ihre Sippe jetzt wohnt. Der Gläubiger Konsortium, wir alle, setzten den Pfleger auf die Zinserträgnisse und nur ein Zufall ist es, daß man dazu den weiland Rottmeister meiner türkischen Zweiunddreißig genommen hat. Auch er sehnt sich wieder in die Kundschaft großer Herren zurück und wollte schon diesmal mit Schertlin nach Welschland reiten. Ich will ihm Ablösung geben, wenn alles so vonstatten geht, wie ich es mit Gottes und eines guten Zahlbrettes Hilfe erziele.«

Ottheinrich horchte hoch auf. Das Feuer seiner Augen milderte sich. Es überfiel ihn eine dunkle, ja unheimliche Ahnung. »Lasset getrost die Briefe an Rothhut,« sagte der Rat, »durch des Bischofs Pflegamt gehen! Ihr selbst sucht euch einen Grund, die Burgen in Augenschein zu nehmen, die ich, im Vertrauen gesagt« – der Rat dämpfte seine Stimme – »für mich erstehen will!«

»Wie?« rief Ottheinrich mit unverstelltem Ausdruck der Bestürzung. »Das Unerwartete sollte sich ereignen? Mein Prinzipal, wohl gar überdrüssig seiner Ehren in Augsburg, wollte wie die Fugger in der Fremde die Schwingen seiner Kraft von hohen Ritterburgen herab entfalten? Sollte sich, seitdem euere Schwäger die Herren von Kirchberg und Weißenhorn geworden sind –«

»Recht, recht!« unterbrach der Rat mit einiger Strenge. »Ähnliches begibt sich vielleicht auch bei uns. Braucht nun ein Auskunftsmittel, das euch an die Hand gibt, euch die Burgen des näheren anzuschauen und mir – was könnte – wohl –? Ha, seht! Die Leute sagen: Doktor Martin Luther hätte eine Nacht in Hohenschwangau zugebracht. Daraufhin könntet ihr ja – Wißt ihr,« unterbrach sich der Rat selbst, »bei uns in Augsburg das Gäßlein, so man den Dahinab nennt?«

»Am Galluskirchlein bei dem Teufelsbild ...?« antwortete Ottheinrich.

»Das Gäßlein vornwider braucht der Teufel zum Ausritt aus Augsburg – wo er wohl öfters hausen mag ...«

Ottheinrich schlug zur Abwehr solcher Vorstellungen das Kreuz. Den Zauber des alten Christenzeichens, das Sichsegnen mit dem Kreuze, hatte die Reformation noch nicht abgeschafft.

»Nun,« fuhr der Rat fort, »durch jenes Gäßlein soll denn auch euer Luther dazumal entwichen sein, als er vor siebzehn Jahren vor unserm Reichstag dahier stand und des Böhmen Johann Huß trauriges Schicksal erwarten mochte. Der Bürger einige geleiteten ihn, sagt man, und wie man wohl einem Roß, das einen Flüchtling trägt, das Hufeisen verkehrt anlegt, um die Verfolger zu tauschen, so nahm er seinen Weg, um nach Sachsen zurückzugelangen, nicht sogleich über Donauwörth und Nürnberg. Um die Verfolger zu irren, machte er einen Umweg ins Gebirge. Die Leute glauben, daß Luther über die Burgen der Freyberge und der Schwangauer nach München und von dort erst auf Nürnberg und Sachsen zurück entkommen sei. Mag es wahr sein oder nicht, laßt euch getrost, als wüßtet ihr dessen nicht anders, die Zelle zeigen, wo ihn die Schwangauer beherbergt haben sollen. Luther sind sie beide zugetan, der Burgherr, trotz seines hiesigen Bruders, und die Burgfrau. Schon um der alten Späne willen sind sie's mit des Bischofs Pflegern in Füssen und dem Abt von Steingaden. Läßt man euch dann ein, so verschweigt euere Verbindung mit mir! Verschweigt die Absicht, die Burgen genauer untersuchen zu wollen! Seht euch alles an! Betrachtet die Gelegenheit, wo ihr könnt, und berichtet mir's sofort von Venedig ausführlich, wie ihr's gefunden! Als ich an Jahren jung war, sah ich die Burgen, wenn ich meinen Vater auf Ehrenberg geleitete, dessen Pflegamt ihm die Kaiser geschenkt hatten und wo er auch ab und zu einmal hauste, wenn ihn sein Geschäft in Augsburg freiließ. Das volle Bild der Gelegenheit steht mir aber nicht mehr vor Augen. Sehet zu, ob noch die alte Burg oberhalb des Pöllat – ein Bergwasser, das wild und stürmisch, wie ich mich entsinne, aus den Schluchten des hohen Sayling niederstürzt – bewohnbar, ob das Innere unverfallen, die untere Burg besonders, die auf dem Neudecker Berge, oberhalb eines wunderbar lieblichen, wie ein Menschenauge klaren Sees, des Alpsees, noch leidlich gegen Wind und Wetter vorhält, vor allem aber, ob der auf einem Hügel von eitel Marmor sich erhebende und, wie ich aus meiner Jugendzeit mich entsinne, mit lustigen Buchen und Ahorn umstandene Simwellenturm noch ein leidlich Aussehen gewährt! Blickt dann fürsichtig nach Stadeln und Ställen! Nach des Viehs Bestand! Nach Waldzucht, Wiesenwachs, Fischerei, Jagd und dem Betrieb eines alten Gipswerks, dessen Räder das wilde Pöllatwasserle treibt! Sprecht davon mit den Knechten, den Bauern und Hörigen vom Dorf Schwangau oder Waltenhofen im Tal! In den Schenken, auf dem Hin- oder Wiedergang, vermag man dergleichen allzeit. Da kommt ihr allem besser auf den Grund, als wenn euch Sigmund Rothhut Bären aufbindet, berechnet ihn bald auszulösen, oder als wenn euch gar die Herrschaft erst alles, ehe ihr's seht, schön zurechtstutzt, daß es eine Art zu haben scheint und doch nur Sand in die Augen gestreut ist. Gedenket aber auch in dieser Sache, daß mir jedes Verlautbaren von einem Auftrag, den ich euch gegeben, mein Spiel verderben könnte! Denn nimmermehr, merkt euch das und erkennet daraus mein ganzes auf euch gesetztes Vertrauen, nimmermehr erhalte ich vom Kaiser die Lehen, wenn solches die Fugger, die mich, wie ja wohl in Augsburg die Ziegel auf den Dächern wissen, hassen, behindern können. Sie würden es damit leicht haben, denn des Kaisers Bruder, König Ferdinand – merket daraus die hohe Gefahr für mich! – will sich ebenso die stolzen Warten an der Landesgrenze nicht entgehen lassen. Nur mangelt's in Innsbruck beim Salamanca zurzeit noch am Geld zum Ankauf. Wie ich den König, wie ich sein edel Geschwister, Maria von Ungarn, und durch beide den Kaiser, von dessen Gnade die Erteilung der Lehen auf Hohenschwangau abhängt, zu gewinnen suchen muß, das wisset ihr ja nun bereits durch den ungarischen Auftrag, den ich euch gegeben. Nehmt alles in und um Hohenschwangau aufs Korn und laßt euch darüber behutsam in Briefen, deutlicher bei euerer, so Gott will! gesunden und glücklichen Rückkunft vernehmen!«

Damit wollte nun der Rat, kräftig die Rechte des jungen Mannes schüttelnd und mit den wohlgenährten rundlichen Fingern ihm schier die fünf Ringe, die daran hafteten, ins Fleisch drückend, von ihm Abschied nehmen.

Denn immer lauter wurde es im Hause und in der Tat auch auf der Gasse. Frauenstimmen ließen sich vernehmen, schwatzend und lachend. Zuletzt erscholl sogar vom Hof herauf ein kräftiger vielstimmiger Gesang von Knaben mit einem untermischten Baß, der dem wohlgefugten Cantus firmus den kräftigen Halt gab. Die Alumnen von nebenan waren es, die mit ihrem Kantor dem Sohn des vornehmen Nachbars ein Abschiedslied sangen.

»Ei, ein gutes Zeichen sei mir der Lobgesang,« sagte der Rat überrascht und fuhr, da Ottheinrich über den zu erwartenden Übergang seines Prinzipals in die Adelssphäre wie auf den Trümmern einer zusammensinkenden Welt stand, fort: »Und nun noch dies! Da ihr nach Italien geht, wo euers Evangeliums Verbreitung ins Stocken geraten ist, so mäßigt euch doch mit euerm Aposteleifer! Das Stücklein, das ihr mir heute in den Straßen Augsburgs aufgeführt habt, muß von sotaner Art das letzte sein. Es hat mich anfangs unwirsch gemacht. Doppelt gut, daß ich den Zorn für mich behalten habe – einmal, wir hätten vielleicht nicht mehr die Zeit gefunden, uns so weit wieder zu versöhnen, wie wir jetzt voneinander scheiden; andernteils hätte euch mein Lachen nur noch mehr gekränkt, das ihr ja schon sahet, als mir nach Tisch Beichling allerlei Mären brachte. Höret es nun! Euere beiden Mönchlein sind in aller Stille wieder zum Sankt-Ulrich zurückgeschlichen!«

Hatte schon die Erklärung des Rats, daß sein Streben nach Erwerb eines so mächtigen Anwesens wie Hohenschwangau, das eine reichsunmittelbare, fast fürstliche Herrschaft war, auf Ottheinrich so aufregend gewirkt, daß er im Geiste das Handlungshaus der Paumgartner geschlossen, sich selbst in unabsehbare neue Bahnen gedrängt sah, so mußte vollends verwirrend auf ihn die Beschämung wirken, die sich der Rat für die letzten Augenblicke des Zusammenseins mit seinem jungen Vertrauten aufgespart zu haben schien. Die unerwartete Nachricht über die Mönche, Betchlings Triumph, machte ihn sprachlos.

Der Rat wiegte sich in dem Bewußtsein der Überlegenheit seiner Welterfahrung und seines Verstandes über die Unreife eines noch so jugendlichen Gemüts.

»Erkennet da,« sprach er, »an welchen Gewichten die Weiser hängen, die euch in der Welt auf gut und böse, auf gerecht und gottlos zu deuten scheinen! Da seht ihr's, Vorteil und Gelegenheit, mein Sohn, machen unsere Meinung. Euere beiden Benediktiner hatten Streit. Worüber glaubt ihr wohl? weil sie vom Abt und Konvent zu Sankt-Ulrich verhindert wurden, das Evangelium, wie ihr's nennt, die Schrift, von Gott eingegeben, unverfälscht und lauter zu bekennen und die Klausur zu verlassen? Mit nichten. Hört! Im Kloster befindet sich ein wilder, halsstarriger, tollköpfiger Mönch, Namens Hans Gadolt. Der hat unter den Konventsbrüdern eine seltsame Verschwörung angezettelt. Ihrer einige, Gadolt an der Spitze, wollen ihr Gelübde brechen, wollen lutherisch werden, mögen aber nicht, wie die meisten, nackt und bloß aus dem fürstlich reichen Kloster gehen und um Gottes Barmherzigkeit willen um Brot an der Leute Türen betteln und sich auf Gott verlassen, der die Lilien auf dem Felde kleidet und die Vögel unter dem Himmel ernährt. Nein, nachdem sie Ortolonen und zehnpfündige Forchinen zu speisen gewohnt sind, wollen sie insofern die reichen Pfründner vom Sankt-Ulrich bleiben, als sie ihr Gut nicht herauszugeben, nicht an Bischof oder Bürgerschaft auszuliefern, sondern pro rata unter sich zu verteilen gedenken. Evangelisch wollten sie werden – die Freiheit und ein jung Weib seien schöne Dinge; aber wie die Schnecken ihre Gehäuse mitnähmen, wenn sie wanderten, das Kamel sich erst dermaßen satt tränke, daß es eine ganze Reise durch die Wüste ohne Wasser aushalten könnte, so wollten sie auch die Herren ihres Guts bleiben, es teilen und das, was jedem zufiele, ihren Kindern und Kindeskindern hinterlassen. Diese Meinung, für die sich alle meine Bücher da, die Werke der gelehrtesten Juristen, als eine vollkommen richtige aussprechen, hat einen Funken in die Gemüter geworfen, der sie alltäglich in helle Flammen versetzt, die Schwächern zu Opfern der Wut der Stärkern macht und bald die Klausur des Klosters durchbrechen, den Einspruch der Zechpfleger, den Besuch Stoffel Sorges zur Folge haben dürfte. Letzteres wäre nun niemand unwillkommener, als dem verschmitzten Gadolt, der mit seinen Gesellen auf ein einmütig, von niemand im Kloster gekreuztes Handeln drängt. Einem seiner Meinungsverwandten, der auf den Abt, der durchaus zustimmen soll und nicht mag, heute mit Fäusten losgegangen, wurde die Strafzelle zugewiesen, worauf er anfing zu rufen und zu schreien, als wenn er am Spieß stäke. Darüber schäumte dann Gadolt. Nicht gegen den Abt, sondern gegen seinen eigenen Anhänger. Nichts so sehr fürchtend, als die Einmischung der weltlichen Gewalt, sah er mit Schrecken den Aufruhr, der draußen in den Straßen ausbrach. Jetzt beschwor Gadolt um aller Heiligen willen, sie sollten sich nur einigen und ruhig sein. Da aber draußen der Lärm zu sehr überhand nahm und schon vom Perlach her die Wache anrückte, ergreift der wilde Mensch kurzweg die beiden friedfertigsten, sanftmütigsten, geduldigsten unter den Lämmern des Klosters, die für nichts als für ihre Küche oder für ihre Blumen, für grünwachsende oder gekochte Gemüse, leben und Sinn haben, und drängt sie zur Klosterpforte hinaus, diese sofort wieder verschließend und den armen Tröpfen überlassend, zu sehen wie sie sich draußen helfen sollten. Die Menge hatte zwei Opfer, die seit Jahren nur noch die Sprache ihrer Klostergenossen verstehen und zu allem, was von ihnen gefragt und gefordert wurde, wie die Schafe Mäh! sagten. Der Tumult verzog sich. Jetzt begehren sie, wenig von euern Vorwürfen, die sie im Grunde nicht verdient haben, berührt, in ihr altes Kloster, in ihre Küche, ihren Garten, ihre Gewohnheit zurückzukehren. Betulejus hat sie ziehen lassen, wohin sie wollten.«

»Und solche Frevel,« wallte Ottheinrich auf, »duldet die Stadt?«

»Was hat hier die Stadt zu dulden oder zu verbieten?« antwortete der Rat. »Noch sind wir nicht so weit, daß den Mönchen und Nonnen, zumal eines reichsfreien, kaiserlichen Klosters, mit Gewalt befohlen werden könnte, ihre Klausur zu verlassen. Ja, ja,« setzte er lächelnd und fast spöttisch hinzu, »der Pater erschien euch dürr und hager, weil ihn die Glaubenssehnsucht verzehrte? Ihr wußtet nicht, daß gute Gärtner und fleißige Landbebauer selten feiste Martinsgänse werden. Oder der Koch schien euch vom heiligen Eifer getrieben? Der hatte das hitzige Geblüt aller Köche. Köche, mein Sohn. sind allzeit zornig, wenn sie hinterm Feuer stehen, können über den geringsten Verdruß auflodern und hintennach pflegt ihr Gemüt wieder der Trauer zugeneigt zu sein. Denn vergänglich sind ja die Gebilde ihrer Kunst. Köche ergeben sich dem Trunk rein aus Wehmut über die Vergänglichkeit alles Irdischen. Mußte um deswillen manchen guten Küchenkünstler abschaffen.«

Der Rat schwieg nachsinnend und Ottheinrich merkte durch dieses Schweigen, daß die Unterhaltung nun wohl zu Ende sei, und sprach mit fester Stimme: »Ich werde mit Gottes Hilfe wieder gesund heimkehren und hoffe, daß Ihr, Herr, dieses schöne Haus und Augsburg noch nicht verlassen habt.«

Mit gütigen und wohlwollenden Worten unterbrach der Rat diese kühne Rede. Er erhob sich und deutete an, daß die vertrauliche Zwiesprache, deren er den jungen Diener gewürdigt, zu Ende sei. Alle Worte, die noch gewechselt worden wären, würden auch verloren gewesen sein in dem Tumult, den die jetzt angebrochene Abschiedsstunde im Hause hervorrief.

Das war ein Schwirren und Lachen und Jubeln jetzt, das von unten heraufdrang! Die Sankt-Annenschüler, vierzig an der Zahl, wurden köstlich im Hofe bewirtet. Stimmen von Frauen und von Männern, von Greisen und Kindern schollen durcheinander, Gläser erklangen. Der Rat trat mit glückseliger Spannung auf alle die, die nun doch dem häuslichen Begegnis Teilnahme schenkten, in die vorderen Zimmer.

Da kam ihm zuerst seine Mutter entgegen und wollte ihn abrufen. Ein Gewühl von Menschen drängte näher und näher und umringte ihn. Lachender und weinender Zuspruch, Glückwünschung und Verheißung äußerte sich von allen Seiten.

Ottheinrich bedurfte der Nichtachtung, die ihm reichlich zuteil wurde. Zu mächtig hatte die Fülle der Eindrücke auf seine für so hohe Dinge, wie er sie heute vernommen, noch wenig geübte Fassungskraft eingestürmt. Und wie vieles davon war für ihn aufs schmerzlichste verwundend! Besaß auch sein Gemüt schon an Enttäuschungen eine schwere Bürde, so hatte er doch noch nicht die Macht gewonnen, der Wunden, die dem Herzen geschlagen werden, um anderer Dinge willen, die dem Herzen wohltun, weniger zu achten. Zwischen dem, was ihm am Rat die höchste Bewunderung abgewann und dem, was ihn abstieß, jetzt, nach den Enthüllungen über seine weitausgreifenden Pläne, sogar ihn unheimlich berührte, fehlte noch die Vermittlung reifer Welt- und Menschenkenntnis, wenigstens die sichere Hingebung an die sich vielleicht schon regenden selbständigen Urteile. Wie hätte er gewagt, in dem Fürstenhut, den der Rat auf sein Haupt drücken zu wollen schien (die Freiherren von Hohenschwangau gehörten zu den Unmittelbaren des Reichs und hatten ihre Lehen aus Kaisershand), nur die Anmaßung verblendeter Eitelkeit zu erkennen! Die wunderbare Zeit selbst mit ihren zauberhaften Umgestaltungen im Glauben, Wissen, Fühlen und Leben trug dazu bei, alles, was eben sein Ohr vernommen, ihm an sich eigentlich natürlich und begründet und selbstverständlich erscheinen zu lassen. Bei alledem war die Kluft, die beide, den Prinzipal und den Diener, nunmehr zu trennen anfing, nach dieser Szene des höchstens Vertrauens doch eine unermeßliche geworden, und nur – Blumen verhüllten noch die schroffen Gegensätze und den Blick auf ein Scheiden aus diesem Kreise vielleicht – für immer...

Vorm Hause umgab die drei hochbepackten Taxisschen Gäule ein Troß von mehr als einem Dutzend anderer jugendlicher Reiter auf schmuckvoll gezäumten Rossen. Licht, Glanz, Farbe – Gold, Silber und Edelsteine leuchteten im Hause und vor dem Hause. Die auf den Schabracken eingestickten Wappen, die zwischen den Ohren der Tiere angebrachten bunten »Fiocchetti«, die nach strengen städtischen Luxusgesetzen nicht jedermanns Gaul tragen durfte, ließen in den Reitern die jungen Hoffnungen der Aristokratie Augsburgs erkennen, der Aristokratie der alten Geschlechter und der neuerblühenden aus der Kaufmannsstube. Die Jünglinge waren aufs zierlichste nach der neuesten spanisch-burgundischen Mode gekleidet; die buntfarbigen Röcke und Beinkleider über und über geschlitzt, die Stiefel von feinstem Leder aus Cordova, die Sporen mächtig groß nach türkisch-ungarischen Mustern. Hier harrten die Brüder der Philippine Welser, die Brüder der Jakobine Jung; einige Anverwandte der Rehlinger, der Rem, Imhof, Langenmantel, sowohl derer aus der Sippe der Langenmantel »mit dem Sparren«, wie jener andern der Langenmantel, die sich vom »doppelten R« nannte. Lukas Rem, der gebrechlich war, hatte seinen Diener Leonhard Hofmann, einen Nürnberger, den Ottheinrich von den Tuchern her kannte, mit Briefen für seinen Sohn in Padua geschickt, der ebenfalls beim Exrektor der Universität Leipzig, dem Magister Muschler, in Pension war. Anton Fugger schickte einen seiner Buchhalter, Ulrich Schwarz, einen närrischen Kauz, der seit dem Tage, wo ihn Kaiser Maximilians Hofnarr Kunz von der Rose als »Buben« für einige Wochen in seine Dienste genommen hatte, der Lustigmacher der augsburgischen Kaufmannsstube wurde. Trotz der Fuggerschen Trauer saß er possenhaft gekleidet wie ein Hanswurst zu Roß.

Mit hin- und herfunkelnden Äuglein musterte der Rat, wer sich zur schuldigen Referenz eingefunden hatte.

David Paumgartner, das kleine und sogar jetzt schon von der Natur zum Behäbigen wie sein Vater angewiesene Studentlein, erschien der Unternehmendsten einer. Sein Barett, über langwallendes, goldblondes Lockenhaar gegen Wind und Wetter festgebunden, war mit einer grünen Feder geschmückt, entsprechend dem Sittich im väterlichen Wappen. Um sein dunkelbraunes Wams ging von der rechten Schulter bis zur linken Hüfte ein schwarzes, zierlich mit kleinen Muscheln besetztes Bandelier, ein Degengehenk.

Auch der junge Zasius war geschmackvoll und kriegerisch gekleidet, nur daß er statt einer grünen Feder am Barett eine schwarze trug.

Beide Jünglinge gingen gleichsam von Hand zu Hand, von Mund zu Mund – zum Abschiedskuß und zum Erguß mancher aufrichtig quillenden Träne.

Endlich erscholl ein wildes Jauchzen durch die ganze mit Menschen bedeckte Sankt-Annengasse. Hans Pfister, auf seinem stadtbekannten Schimmel bog vom Rathausplatz in die Annengasse ein. Noch einen Becher Weins auf sein Roß hinaufgelangt und saufend mußt' es nun von dannen gehen. Das bischöfliche Geleit gesellte sich erst am Tore zu, am »Roten«, das gen Süden führt und damals das Haunstetter hieß.

Der Abschied des Lohnes vom Vater und der Großmutter ergriff noch alle, so kurz er war. Die Abwesenheit des Johannes, des Doktors, wurde allgemein beklagt und auffallend gefunden. Man wußte aber, daß der Rat mit seinen Söhnen nicht im besten Einklang lebte.

Umarmungen und Händedrücke hatten unter dem Torweg stattgefunden, wohin man wieder die Rosse zum Aufsteigen zurückgeführt.

Gundulas Abschied blieb der letzte von allen. Jetzt weinte sie helle Tränen und sogar Tränen des Zorns gerieten dazwischen, als einige der jungen Vettern sie schon wieder neckten, ob sie nicht mit auf den Sattel möchte, man könnte sie vorn auf die Kruppe setzen.

»Wenn sie zurückkommen,« sagte sie, »sollt ihr sehen, daß ich selbst ein Pferd führen kann!«

»Hast dazu drei Jahre Zeit!« spotteten die Vettern.

Sie hatte aber ein Vierteljahr gemeint, da sie nur an Ottheinrichs Zurückkunft dachte. Diesem reichte sie die Hand, die vom Andrängen des Blutes zum Herzen eiskalt geworden war und zitterte.

Auch der Abschied des Rates von Ottheinrich und die ernste Empfehlung der Kinder an ihn seitens der Großmutter und der ganzen Familie war herzlich, nur mit dem Unterschied, daß er den Blicken der Menge entzogen wurde.

Beim schönsten Sonnenschein, der noch die obern Stockwerke der hohen Häuser der Stadt erleuchtete, sprengte das Geschwader davon. Seit langem war aus Augsburg die Post nicht so stattlich auf Venedig ausgeritten. Allmählich ging es in ruhigerem Paß und in schnellerem Trab wieder über den Weinmarkt, am Siegelhaus und Weinstadel vorüber. An den Fenstern der Fugger ließ sich niemand sehen. Abwärts ging es den Milchberg, immer tiefer hinunter, dann am Spital vorüber Zum Haunstetter Tor, unter dessen dunkeln Bögen vier bischöfliche Reiter harrten, um sich dem Zuge anzuschließen.

Am Stadtgraben, an den Wällen, die soeben für kriegerische Zeiten neu befestigt wurden, hielten die Schanzarbeiter, darunter Gefangene in Ketten, sogenannte Schellenwerker, in ihrer Arbeit still, des Zuges staunend, der donnernd über die niedergelassene Brücke ritt.

Bald nahm kühler Waldesschatten die Reiter auf. Man lachte, scherzte, sang. Um seine Reitkunst zu zeigen, trieb man mit den Rossen halsbrecherische Kurzweil.

Am Lehm- oder Ziegelstadel trennte sich die Straße in zwei Arme, einen, der über die Wertach auf Memmingen führte, einen, der geradenwegs auf Tirol über Kaufbeuren ging. Der Lech blieb in beiden Fällen zur Linken.

Obschon Hans Pfister zur Eile trieb, so war doch Ottheinrich verpflichtet, am Ziegelstadel zu einem dort mit dem Backsteinbrennen verbundenen Wirtshaus abzuschwenken, wo ihm in der Tat die Haysermannschen Hausgenossen entgegentraten, um ihm, wie versprochen, den letzten Gruß zu spenden.

Auch Frau Praxede, die wohlgenährte, noch schmucke Frau Schneidermeisterin, war in ihrem besten Sonntagsstaat zugegen. Ihr Kind Martina fehlte.

Aber zu langem Fragen darüber gab es jetzt keine Zeit. Sahen doch alle, daß in dem vorüberbrausenden vornehmen Zuge der bescheidenen Freunde des jungen Begleiters nicht geachtet wurde. Frau Haysermann hatte ihr Taschentuch vor den Augen. Sie wie die Männer verstanden es, was es bedeutete, daß Ottheinrich durch die Zweige eines in duftender Blüte stehenden Lindenbaums nach einem entlegenen Buschwerk blickte, wo sich trotz der Windstille die Zweige bewegten.

Martina hatte sich nicht sehen lassen. Schmerz verhinderte sie, sich zu zeigen. Und ihm selbst – zu gefahrvoll für sein Herz hatte ihn heute Gundula umgaukelt – ihm hatte der Mut gefehlt, nach ihr zu fragen –

Ein schmetternder Finkenruf erscholl hinter ihm her aus den Zweigen der Linde.

Die Freunde sahen noch lange nach, wie die Reiter in den sommerfrischen grünen Wald hinein wie um die Wette jagten.

In Haunstetten dann, in der Nähe eines den Benediktinern von Sankt-Ulrich gehörenden stattlichen Schlosses, wo die bischöflichen Reiter Briefe abzugeben hatten, fand von dem Geleit der jungen Freunde David Paumgartners der Abschied statt.

Er vollzog sich nach damaliger und aller Zeiten Jugendsitte. Aus den Satteln und Halftern wurden strohumwundene Flaschen, Gläser und Becher hervorgelangt, in wilder Lust gefüllt und jubelnd geleert. In den mächtigen Eichenkronen und Tannenwipfeln des Forstes hallte es weit hinaus wieder.

Endlich gab der Taxissche »Schwalgêr« das Zeichen zum Aufbruch. Jetzt konnte der Ausdruck des Trennungsleides nur noch ein Schwenken und Winken mit den Mützen und den unter der Brust hervorgezogenen bunten Tüchern sein.

Lange noch blickte sich die »Ordinari« um, bis in der wachsenden Weite das Rufen verhallte, das Winken mit den Tüchern und Mützen in dem röter und röter sich färbenden Abendsonnenhimmel nicht mehr gesehen werden konnte.

Winkten nicht die Alpen –? ...

Die Jünglinge ritten einer verheißungsvollen Zukunft entgegen. Ihre Rosse hatten Flügel.


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