Karl Gutzkow
Hohenschwangau
Karl Gutzkow

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XXXIII.

Ottheinrich hatte sich nicht enthalten können, von dem Wege, den er einschlug, abzulenken und in der Nähe Ulms auf dem freundlichen Donauschlosse Erbach die Witwe Johannes Paumgartners, Anna von Stadion, zu besuchen.

Auch sie war zum Erscheinen in Augsburg, zur Beiwohnung der Testamentsöffnung, durch einen reitenden Boten aufgefordert worden und war eben im Begriff, dorthin abzureisen.

Ihr erstes Erstaunen über Ottheinrichs Entschluß, die Dienste ihres Hauses zu verlassen und sich so ohne weiteres selbst den Abschied zu geben, milderte sich durch die von ihr ausgesprochene Erkenntnis, daß jene Stellung unter den gegenwärtigen Umständen bei weitem noch schwieriger zu werden drohte, als sie bisher schon gewesen.

»Was ich zu hoffen habe vom gemeinsamen Vermögen,« sagte sie, »das wüßt' ich ja schon lange. Mußte doch Johannes auf alles verzichten, was sein Erstgeburtsrecht verlangen durfte. Mein Wittum war festgestellt und von fahrender Habe soll mir jedes Andenken an den Vater meines guten Hans willkommen sein. Ich gehe im Grunde nur nach Augsburg um Vittoria. Die Schwiegertöchter werden sie bald aus dem Hause gedrängt haben. Auch Antoni wird sich von Venedig einstellen. Schon lange leben und halten sich meine Schwäger in solcher Weise, das ihnen dieser ins Gesicht lachen und sie fragen kann, worin sie denn besser wären als er. Auch ihr werdet billigen, daß Vittoria reichlich mit Mitteln versehen werde, um ohne Sorgen, geschützt von einem sicheren, in Augsburg aufzutreibenden Geleit, in ihre Heimat zurückkehren zu können.«

Ottheinrich berichtete, daß diese Anordnung ganz den Wünschen des um ihre Jugend und ihre Lebenshoffnungen betrogenen Mädchens entsprechen würde.

»Bemitleidet sie doch nicht!« entgegnete Anna. »Sie hat sich schöne Erinnerungen erworben! Was können wir Frauen denn anderes vom Leben begehren –! Auch ich klage drum nicht. Gab es für uns nicht eine Zeit, die schön gewesen? Und war sie uns auch noch so kurz zugemessen, wir Frauen verstehen es, davon ein ganzes Leben lang zu zehren. Das ist ein Schatz, den wir wie unsern Augapfel hüten. Wir beziehen alles auf ihn, putzen und schmücken immerdar daran, genießen immer wieder im Geist noch einmal von vorn das Genossene. Nur die sind unglücklich, die, wie Gundula oder die Schwägerinnen, nie einen Halt haben in ihrem Glück. Weil jeder Tag ihnen Neues bringt, so wissen sie das Alte nicht zu schätzen. Diese verschmachten, wie sie vom Tantalo berichten in den alten Historien –«

Über Ottheinrichs Verhältnis zur Freifrau von Völs sprach sie nach der ihr eigenen Unbefangenheit:

»Ihr hättet um die jüngste Tochter Honolds werben sollen! Unsere gute Regina wäre eure Brautwerberin gewesen. Ich sah es ihrem Schwesterchen an, daß sie euch mit den Augen verschlang. Der Vater würde die Hand seines Kindes euch auch nicht verweigert haben. Ihr wäret in euerm kaufmännischen, bürgerlichen Kreise verblieben und glücklicher geworden. Statt dessen hat euch die Sorge des weltlichen Lebens erfaßt; Pracht, Ehrgeiz haben euch mit in die Höhe gehoben, und da oben ist kein Glück zu finden. Blickt drum nicht so trübe! Dankt vielmehr Gott dem Herrn, daß ihr euch beizeiten geborgen habt! Denn ich ahne manches, was kommen wird. Nicht vom nächsten Kometen, der uns alle bedroht, wohl aber vom Wassermann, in dessen Zeichen, wie ich immer gehört habe, beide Junker von Schwangau geboren sind. Das kann heißen, ihr Reichtum wird zerrinnen wie Wasser im lecken Faß. Sie haben schon jetzt ihr Bestes so gut wie auf die Straße geworfen. Denn was ist Macht und Herrlichkeit, die kein Geld einbringen –? Die im Gegenteil nur Opfer fordern, Aufwand, Pracht aller Art, Schenken, Verleihen, Verlieren an die Großen, die nichts wiedergeben –! Ich habe vor zween Jahren hier in meinem halbverbrannten Erbach gesehen, wie David, nur um ein glücklicher Unterhändler und im kaiserlichen Lager machtreicher Mann zu erscheinen, das Beste, womit Granvella allein zu gewinnen war, blank Gold und bar Silber, aus seiner eigenen Tasche gab. Die Ulmer und der Bund der Städte hatten ihn und den Vater um ihr Fürwort beim Kaiser gebeten. Bis jetzt haben sie nichts dafür wiederbekommen als allein das Bürgerrecht von Ulm. Das ist gut, wenn eins im Leben spitalreif ist. Sonst kostet's nur. Aber ich prophezeie, daß die Stunde kommt, wo jene hochmütigen Frauen noch für die Suppe danken werden, die man ihnen aus irgendeinem frommen Stift verabreicht –!«

Ottheinrich wehrte mit dem Schlagen des Kreuzes die dämonische Macht so bedenklicher Prophezeiungen ab und schied von Anna mit dem beruhigenden Gefühl, daß er im Kreise der Familie, von der er sich so gewaltsam entfernte, ein Wesen zurückließ, dessen gesundes Gefühl und ehrliches Urteil ab und zu noch bestimmend und verhindernd in die allerdings tief abschüssig drängende Art, das Leben zu behandeln, die dort einzureißen drohte, eingreifen konnte. Und so kurze Zeit er auch blieb, so wurde ihm doch reiche Gelegenheit geboten, ebenfalls von jenem Reichtum mitzuzehren, den nach Annas Meinung reine und bescheidene Seelen in ihren Erinnerungen besitzen.

In Heidelbergs entzückende Naturschönheiten begleitete den Reisenden bei einem kurzen Aufenthalt, den er daselbst nehmen mußte (der nähere Bericht über die Vereinigung mit Paul von Biberach war im »Ritter« noch nicht angekommen), ein Sohn Georg Frölichs, der an der neubegründeten lateinischen Schule der kurpfälzischen Residenz eine Lehrstelle bekleidete. Dem jungen Mann konnte nichts willkommener sein, als ein Besuch, der so unmittelbar den Eindruck mitbrachte, wie die Seinigen in Kaufbeuren nach ihrer Verbannung aus Augsburg lebten.

Zum erstenmal sah Ottheinrich eine Universitätsstadt. Sein Herz schlug ihm mächtig, als ihm Konrad Frölich bei der ehrwürdigen alten Peterskirche zeigte, wo die Studenten in ihren Bursen wohnten, die Hörsäle der Professoren und die berühmte Bibliothek lagen.

Konrad Frölich war erstaunt über das reiche Wissen seines Besuches, das sich jedesmal entfaltete, wenn beide die Berge bestiegen hatten oder die Ebene durchwanderten. Unter blühenden Hollunderbüschen, am waldkühlen Wolfsbrunnen streckten sich die Schnellbefreundeten im Grase und besprachen so manche jener gelehrten Fragen, durch deren Erörterung man sich damals über die trübe Zeit und die kampferfüllte Welt zu erheben suchen mußte. Auch der junge Frölich erwartete das Heil Deutschlands vom Wiederfreiwerden der gefangenen Fürsten.

Die Weiterreise und Weisung nach Hagenau war zu Heidelberg im »Ritter« durch einen Boten gekommen, der aus Pforzheim gebürtig sein wollte, wohin sich des Markgrafen Albrecht Schwester verheiratet hatte.

Hagenau war eine kleine freie Reichsstadt und liegt eine Stunde abwärts vom Rhein, der in dieser Gegend nur seichte oder morastige Ufer hat. Grundlose Wiesen zeigen die Stellen an, wo zu landen unmöglich ist. Nur da, wo die Ufer mit Wald besetzt sind, gelingt der Versuch eher.

Ein dichter Tannenwald liegt hinter Bischweiler. Auf dem andern Ufer erheben sich die Türme des Städtchens Lichtenau.

Hier hinaus wagte sich Ottheinrich einigemal bis tief in die Nacht und dann immer allein. Des Geheimnisses wegen, mit dem zu seinem Befremden die Kaufmannsgesellschaft reiste, hatte er die ihm angegebene Stelle, wo sie landen wollte, ohne Begleitung aufgesucht. Zweimal überraschte ihn der Mond, dessen Licht sich über dem Schwarzwald, über der alten Burg von Baden magisch verbreitete. Am dritten Abend entdeckte er eine förmliche Flottille, die vom jenseitigen Ufer abstieg und dem Tannenwalde zusteuerte. Er unterschied Rosse, Maultiere, Karren, eine Anzahl bewaffneter Männer und einige Warenballen, die ohne Zweifel die Pelzwaren enthielten. Die Schiffer faßten mit den Haken ihrer Ruderstangen die nächsten am Ufer stehenden Bäume und ließen die Nachen auf die Sandwellen laufen, die hier die Ufer des Flusses bildeten.

»Wer seid ihr?« fragte eine scharfe Stimme von einem der Schiffe herüber, als Ottheinrich näher trat und grüßend sein Barett gezogen hatte.

»Ottheinrich Stauff von Augsburg!« – lautete seine Antwort, worauf von mehreren Seiten ein Willkommen erscholl und von einem dicken in Mäntel gewickelten Herren sogar ein scherzendes, sofort auf die Bestimmung des hier vorgefundenen deutendes »parlez-vouz français –!«

Derjenige, der Ottheinrich zuerst angeredet hatte, sprang auch zuerst ans Ufer. Es war eine lange schlanke Figur mit rötlichem Bart. Ohne Zweifel war es Paul von Biberach selbst.

Ottheinrich konnte der Ausschiffung nicht bis zu Ende beiwohnen und noch nicht nach Moritz Hausner forschen. Jener junge Mann, der die Hauptperson der Gesellschaft schien (unter seinem Pelzrock war sein Wams mit Schnürwerk, sein Gürtel mit fremdartigen, in der Regel nur den Slawen eigenen Waffen besetzt) beschäftigte sich sofort allein mit ihm, kümmerte sich um die Ausschiffung der Tiere und Waren wenig und richtete auf der zunächst auf Bischweiler zugehenden Wanderung eine Reihe von Fragen an seinen Dolmetscher über die Reise, die er zurückgelegt, über Grumbachs Befinden, über die Bedingungen, unter denen er die Gesellschaft bis Paris und von dort wieder zurück begleiten sollte. Alles, was er sprach, kam kurz und fast herrisch heraus.

Seltsame Erinnerungen stiegen in Ottheinrich auf. Es war ihm, als müßte er diese Stimme schon einmal gehört, diese blasse hagere Gestalt schon einmal gesehen haben. Einen so jungen Mann in Paul von Biberach zu finden, hatte er am wenigsten erwartet.

Auch aus dem Kreise der übrigen, nach denen er sich, durch das Fragen des Pelzhändlers festgehalten, kaum umsehen konnte, schlugen ihm zuweilen Töne ans Ohr, die ihm bekannt waren; nicht immer Hausners Stimme, sondern andere, namentlich aus dem Munde des Mannes, der ihn mit den wenigen französischen Worten begrüßt hatte.

Paul von Biberach bestieg in Bischweiler ein Roß. Jetzt hielt er sich vorzugsweise an einen kleinen Wagen, wo ihn das Gespräch mit einem jungen Mann, neben dem endlich auch Moritz Hausner zum Vorschein kam, ausschließlich zu fesseln schien. Eben im Begriff, dem alten Bekannten, der in stattlicher Herrentracht ging, die Hand zu schütteln, wurde Ottheinrich auf einen verdeckten Wagen gewiesen, auf dem er mit einem Manne, der die Ordnung des ganzen Zuges geleitet hatte, allein sitzen sollte. Der lachte ihn zuweilen mit einer Miene an, als wollte er sagen: Ei, Narr, kennst du uns denn nicht? Wir haben uns ja alle schon oft gesehen –!

In Hagenau hatte Ottheinrich Herberge bestellt. Als in der Wirtsstube alles beisammensaß und zu zechen anfing und sich das Gespräch mit offenbar geflissentlicher Hervorhebung um die Messen von Leipzig und Frankfurt drehte und wieder die Klänge und Sprechweisen wie die Gesichter Ottheinrich bekannt blieben, glaubte er an einen Traum, zuletzt an Zauberei. Denn es geschah ihm das Seltsamste. Nachdem ihn wieder Hausner auf morgen verwiesen hatte, wollte er sich in eine Dachkammer, die ihm noch übriggeblieben war, zur Ruhe begeben. Schon hatte er sich aufs Lager geworfen, als ihn der wüste Lärm und das Singen von Landsknechtsliedern in die Wirtsstube zurückrief. Von einer Galerie aus, die sich um die zuweilen als Tanzdiele benutzte Stube herumzog, konnte er die Zechenden beobachten. Während unten an den Tischen Lampen und Lichter brannten, schien oben von der Galerie herab der Mond herein. Die Galerie war hier und da offen und führte ins Freie.

Während Ottheinrich die einzelnen Gesichter jetzt schärfer beobachten konnte und ihm vor allen Paul von Biberach selbst, der starr und brütend in die niederbrennenden Lichter sah, eine Persönlichkeit erschien, der er mit dem höchsten Befremden den Namen gar nicht zu geben wagte, der ihm doch auf der Lippe lag, erschien ihm gegenüber auf der Galerie eine Person geradezu wie ein unheimliches Gespenst. Die von Hausner geschilderte Szene auf der Plassenburg trat vor seine lebhaft erregte Einbildungskraft. Er sah ein grünes Gewand von Samt. Doch war es ein Jüngling, der jenes Wams trug, derselbe, mit dem Paul von Biberach während der Herfahrt so eifrig und abseits von allen andern sich unterhalten hatte. Und dennoch – dieser Jüngling – trug die Züge Jakobinas –! Während er noch verglich und die sich über die Brüstung lauschend niederbeugende schlanke Gestalt, ihn nicht bemerkend, nur die Blicke voll schmerzlichen Verlangens und wie trauernd nach dem träumerisch in die Lichter starrenden Herrn der ganzen Gesellschaft richtete, trat Hausner auf die Galerie. Kaum aber hatte dessen listiges Auge den ihm gegenüber Lauschenden entdeckt, als er auch schon wie gleichsam zum Versteckspielen mit dem zarten Jüngling in einem Gange verschwand, der sich hinter der Galerie hinzog.

War das Bild Jakobinas nur eine Täuschung seiner ermüdeten Sinne, hervorgebracht durch den trügerischen Schein des Mondes –? Er zog sich zurück, als wenn ihm alle Besinnung geschwunden wäre. Bilder der Luft umgaukelten ihn. Er sah nun auch Gundula neben dem Jüngling stehen, der sich in Jakobina, dann in einen Teufel verwandelte, geradezu nach der Vorstellung der Zeit in einen Teufel mit Hörnern und langem Kuhschweif. Erst die Forderung der Natur, die ihm einen erquickenden Schlaf brachte, erlöste ihn von den Schreckgestalten seiner erregten Phantasie.

Der grauende Morgen gab endlich Aufklärung. Es klopfte an die von innen mit einem Holzriegel verschließbare Tür Ottheinrichs. Schon stand dieser angekleidet, als er Hausner öffnete, der ihm jetzt um den Hals fiel und ihm die Erklärung der ganzen Lage brachte, in die sich der Ahnungslose begeben hatte. Paul von Biberach war – Markgraf Albrecht von Brandenburg. Der dicke Spaßmacher, der ihn mit den drei französischen Worten, die er einzig verstand, beim Landen am Rheinufer begrüßt hatte, war – Joachim von Zitzewitz. Derjenige, der sich als ein Kürschner von Profession geberdete, war der Bamberger Dompropst Christoph von Henneberg, vom Kaiser in die Acht erklärt ob seiner Teilnahme am schmalkaldischen Kriege, der Mörder des würzburgischen Scharwächters. Der Juwelenhändler, der alle Augenblicke in Paris wegen seiner Schätze ermordet zu werden fürchtete, war Kilian von Fuchs, der Mörder des Schaumbergers, der Verehrer Juttas. Der Furier der Reise, der ihm gestern gegenübergesessen, war das Faktotum des Markgrafen, sein Reitknecht Bartel Hartung. Derjenige, der die gemeine Arbeit des Pferdstriegelns, Sattelns und Zäumens besorgte, war Landgraf Christoph von Leuchtenberg. Die wirklichen Stalljungen und Fuhrleute waren drei leicht als Knechte erkennbare Reisige aus des Markgrafen Leibwache.

»Und der Edelknabe –?« fiel Ottheinrich nach erstem sprachlosen Erstaunen ein – »Das ist das liebevolle, wahnbetörte Mädchen, das ihr in einer Pagentracht dem Kardinalbischof von Augsburg entführt habt –!«

»Entführt –!« entgegnete Hausner, »sagt lieber – doch nein –! Ich beschwöre euch –! Wagt nie eine Silbe solchen Verdachtes auszusprechen! Der Page ist kein anderer, als der Junker von Stammheim!«

»Lasset eure Gaukeleien!« brauste Ottheinrich auf. »Treibt sie mit andern und nicht mit mir –! Was aber den Betrug eures Ritters anlangt, was kann mich hindern, euch jetzt eures Weges ziehen zu lassen, der mir ein Weg zur Hölle zu sein scheint –? Wofür haltet ihr mich –?«

Weder eine Beschwichtigung dieser in Ottheinrich aufgestiegenen heftigen Wallung und eines ihm fast das Herz zersprengenden Unmuts, noch eine entschiedene Bekämpfung des Ernstes, in dem Hausner verharrte, war in diesem Augenblick möglich, denn alles mahnte zum Aufbruch. Ihm selbst wurde sein Pferd vorgeführt, dasselbe, mit dem er von Augsburg her gekommen war.

Der Markgraf behielt den Dolmetscher in seiner Nähe.

»Ich höre,« sprach er zu ihm, »daß ihr nun wisset, mit wem ihr reist –! Euer gegeben Wort, Paul von Bibrach treu zu dienen, werdet ihr, so denk' ich, auch mir, dem Markgrafen, halten. Zu den alten Bedingungen, die ihr bereits wisset, kommt noch die hinzu, daß ihr in mir lediglich einen Kaufmann mit Juwelen und Rauchwaren sehet und nur als solchen mich vor andern behandelt und so anredet, wie alle tun. Wir gehen auf Vitry, Chalons, Reims, Paris –! Möglich, daß wir noch nach Orleans, Blois Compiègne müssen. Ich spreche französisch wie ein welscher Zahnbrecher deutsch. Ihr werdet viel zu hören bekommen, was nicht jedermann zu wissen braucht. Wer uns auch anredet oder mit wem wir auch sprechen, ich erwarte, daß ihr wie ein Sieb seid, ein leck Faß, das nichts bei sich behält. Euer zuverlässig Wesen ist mir allseits gerühmt worden. Ein Kaufmann seid ihr ohnehin, was von uns allen keiner ist. Die Kundschafter des Kaisers und der Königin Maria durchstreifen Frankreich. Schertlin, die beiden Rheingrafen von Salm, Georg von Reckerod und wer nicht alles sind hier ihres Lebens nicht sicher – weil in der Acht. Ihr kennt die Preise der Augsburger Waren. Sie gehören Carlowitzen, der sie von Hörbrot entnommen hat –! In Nanzig macht euch an die Herzogin und bietet ihr zum Verkauf an! Ich bin, versteht ihr, halb und halb ein Russe, der nicht mit ihr reden kann. Inzwischen forschen wir nach etwaigen Rüstungen. Auch zu Metz und an andern Orten nach den Gelegenheiten. Im evangelischen Glauben seid ihr, ich weiß es, treu und beharrlich. Tragt das aber nicht zu offen zur Schau –! Wir reisen hier in Deutschlands dümmster Gegend und sind bald in Frankreich, wo ihr ja die übeln Läufe kennt! Aber das wisset, wir reisen just um des Evangeliums und um der deutschen Freiheit willen –! Die »viehische Servitut«, in der uns die Spanier halten, soll mit Gottes oder – des Teufels Hilfe jetzt ein Ende nehmen! Drum haltet den Atem an und betet, daß uns gelinge, was wir schaffen. Wir verdienen uns von Frau Germania einen Kuppelpelz für ewige Zeiten, wir – Pelzhändler aus Preußen! Das soll ein Wort sein, und sehen wir uns einst einmal wieder drüben in unserm Frankenland – auch ihr seid ja ein Franke – dann, Landsmann, soll dieser Pelz uns alle warm halten. Was ich armer Brandenburger Fürst für euch künftig tun kann, dessen dürft ihr euch für versichert halten –!«

Die berühmte Redekunst des Markgrafen verfehlte auch hier ihre Wirkung nicht. Ottheinrich ergab sich in seine Lage und machte, ohne zu widersprechen, jene denkwürdige Reise mit, durch die Albrecht die Franzosen zu Hilfe gegen die Gestalt rief, die jetzt das Deutsche Reich durch den Übermut des Hauses Habsburg erhalten sollte. Der mutigste, der abenteuerlichste unter den im geheimen verbundenen Fürsten hatte es übernommen, sich heimlich, den Kaiser täuschend, von Magdeburg zu entfernen und mit König Heinrich II. von Frankreich persönlich die Bedingungen abzuschließen, unter denen sich die Fürsten demnächst gegen den Kaiser zu erheben gedachten. Der Markgraf war der besondere Bote Moritz von Sachsen.

Georg Frölich hatte also doch gute Witterung gehabt, als er auf Hohenschwangau so vertrauensvoll über die nächste Zukunft gesprochen –! Schertlin erwartete den Markgrafen in Paris und leitete den Abschluß der Verhandlungen, die in Deutschland durch französische Agenten bereits eingeleitet worden waren. Ein verhängnisvolles Wort – die Hilfe der Franzosen! Striche deutschen Landes wurden ihnen überlassen zum Lohn für eine Heeresmacht, die sie am Rhein aufstellen sollten, zum Lohn für bare Geldzahlungen in monatlichen Raten an die protestantischen Fürsten –! Die deutschen Fürsten hatten das volle Gefühl der Verantwortlichkeit, die sie vor dem deutschen Volke durch einen Bund mit Frankreich übernahmen. Johann Friedrich, der gefangene Kurfürst, hatte die Anrufung dieser Hilfe abgewiesen. Auch Philipp von Hessen wußte, daß seine spanischen Wächter Befehl hatten, ihn beim ersten französischen Angriff auf die Gegend, wo er gefangen saß, sofort niederzustoßen; auch er wich französischen Versprechungen aus. Und selbst die jungen Fürsten nahmen den Bund mit Heinrich II. nur für ein Gebot der äußersten Bedrängnis. Nur der Brandenburger schien keine besonderen Bedenken zu hegen. Die Politik »der freien Hand« liebte er zu aller Zeit und trieb sie jetzt in solchem Grade, daß er sich auch noch gegenwärtig nicht einmal denen ganz verpflichtet hatte, für die er eine Reise unternahm, die ihm, wenn ihn der Kaiser ergriff, den Kopf kosten konnte. Zu dieser scheinbaren Neutralität hatte ihm Grumbach geraten.

Auch Ottheinrich sah in Frankreichs Hilfe jenen Beistand, den einst sogar das bedrängte Israel gegen innere und äußere Feinde bei den Medianitern und Amalekitern gesucht hatte.

Die Reise an sich war eine Fastnachtsposse. Nach deutscher Sitte wurde nur vormittags gereist. Der Nachmittag und der Abend gehörten dem Trunk.

Der Junker von Stammheim war – ein Mann. Das stand bei allen fest. Ottheinrich wurde an seinem eigenen Ohr und Auge irre. Er glaubte auf der Plassenburg zu weilen und Geister um sich zu sehen ... Auch Hausner stand ihm keine Rede mehr. Der Junker selbst vermied Ottheinrich auf Schritt und Tritt. Zuweilen, wenn sich dennoch beider Augen begegneten, glaubte er in des Knaben Augen Tränen zu bemerken. Wollte er hierauf auf ihn zutreten und bewegt mit ihm ein Gespräch beginnen, so schlug ihm der Markgraf oder ein anderer der Gefährten auf die Schulter und richtete irgendeine Frage an ihn. Er mußte sich in den Glauben an den Junker von Stammheim ergeben. Sein verstorbener Prinzipal Hans Paumgartner würde da wieder, wie schon einst zu ihm, gesagt haben: Das ist die Macht der Großen –!

In Paris übernahm es Moritz Hausner, die Mitglieder der Gesandtschaft wie Gaukler auszustaffieren. Aus Goldblech schnitt er Sterne und Sonnen und schmückte damit die Rosse, die Wagen und selbst die Reiter. Der Markgraf, von Natur im Besitz eines langen Bartes, klebte noch einen viel längeren künstlichen darüber und ritt seinem Gefolge voran mit einer Mütze auf dem Kopf, wie ein Khan aus den asiatischen Steppen. Das spitze Ding reichte bis an die Decke der Torbögen, durch die sie einritten, umgeben von der Pariser Straßenjugend, deren Johlen und Purzelbaumschlagen sie durch ab und zu ausgeworfene Münzen lustig und lebendig erhielten. In einer Herberge der inneren Stadt, auf der sogenannten Villette, errichteten sie sofort nach ihrer Einquartierung einen Verkauf und machten gute Geschäfte.

Auch Deutsche kamen zum Einkauf oder aus bloßer Neugier; sicher befanden sich auch darunter kaiserliche Spione. Schertlin, der sich mit großem Pomp einstellte, ganz in seiner Würde als französischer Generalquartiermeister, benahm sich wie der Schlausten einer. Leider war der König nicht in Paris, sondern in Blois. Dort in dem neugebauten Schlosse Chambord, wollte er den Markgrafen und Schertlin empfangen. Einige Tage darauf ritt Schertlin, begleitet von königlichen Gendarmen nach Chambord. Bartel Hartung, Ottheinrich und der Markgraf durften ihn als seine Knechte begleiten. In Chambord wurde Schertlin nach seinem Range empfangen, der Markgraf wie ein einfacher Soldreiter. Für König Heinrichs romantischen Charakter bot diese Mummerei einen besonderen Reiz. Wenn Schertlin nachts durch »aller Kavaliere und Frauenzimmer Kammern« geführt worden war, wie er selbst erzählt hat, hinter ihm her der Markgraf als sein Diener, so wurde letzterer vom König in dessen innerstem Gemach und im Beisein nur des Connetable Montmorency mit herzlicher Vertraulichkeit umarmt. Hier machten Schertlin und ein geheimer Sekretarius den Dolmetsch.

Die Rückreise erfolgte unmittelbar. Der Markgraf hatte Eile und kannte sich zu gut, um sich seiner ganz sicher zu fühlen auf einem Boden, wo seiner mit eiserner Strenge durchgeführten Rolle Verführungen drohten, die gefährlich werden und ihm den jähen Tod von einem kaiserlichen Agenten bringen konnten, wenn er erkannt wurde.

Noch schien der »Junker von Stammheim« sein Schutzengel zu sein. Schertlin hatte die Stammheime zu Verwandten. Seine Frau, die in Deutschland zurückgeblieben war, schickte ihm, so hieß es, seinen Neffen zur Begrüßung und Erheiterung. In Paris wurde Schertlin dieses nahen Anverwandten, des Junkers von Stammheim, gar nicht ansichtig. Darüber wurde aber ebenso wenig gescherzt wie vorher über das Eintreffen des verdächtigen Junkers überhaupt. Unerklärlich blieb es für Ottheinrich, wie diese wilden Begleiter des Markgrafen, immer zu Spott und Scherz aufgelegt, ein so verfängliches Geheimnis schonen konnten mit ihrer doch sonst alles durchhechelnden Zunge. Der Junker von Stammheim sollte eben den Markgrafen vor den Strudeln des Pariser Lebens bewahren. Um deshalb hatte man die liebestolle Sehnsucht des Mädchens nicht abgewiesen, vielleicht gerade herbeigerufen. Alles das hatte Grumbach veranstaltet, Hausner ins Werk gerichtet.

Den staunend fragenden Blicken Ottheinrichs war der Junker von Stammheim mit scheuer Furcht überall ausgewichen. Ihn anzureden: Wer seid ihr in Wahrheit? Wo kommt ihr her? Wohin ginget ihr neulich von Hohenschwangau? Wisset ihr nichts vom Tode des Rats, nichts von eurer Freundin, von Gundulas Verhalten zu dem betrübenden Ereignis und – zu meinem eigenen so plötzlichen Verschwinden –? alles das wagte er nicht. Färbte ihm doch auch schon die Scham seine Wange um das verlorene Mädchen selbst. Wenn er in ihre Nähe trat, wenn seine Kleider die ihrigen streiften, sie die Augen niederschlug, da ergriff ihn ein Zagen statt ihrer. Dann sagte ihm wohl die Erinnerung an die Plassenburg, die Befangenheit im Geisterglauben der Zeit: Du irrst dich aber doch –! Es ist ein Knabe –! Nicht das liebliche Mädchen, das du als Kind kanntest –! Schauer überliefen ihn... Der Gedanke ergriff ihn: Wäre Jakobina vielleicht gestorben und auf eines Nekromanten Geheiß ihr abgeschiedener Geist noch einmal zu den Menschen zurückgekehrt –? Hat eine Seele die ewige Seligkeit drum gegeben, um nur noch einmal an den Strahl der himmlischen Sonne zurückzukehren –? Mancher hat ja am Tage schon – das stand in allen Büchern zu lesen – zu leben geschienen und verrann mit dem Mondenstrahl in Nebel und Duft –! Oder der Mond weckte ihn aus den Gräbern und der Hahnenschrei verscheuchte ihn aus den Bezirken des Tags –! Nostradamus, der Königin Leibarzt, solches erzählte man, sollte Diener haben, die er sich selbst geschaffen hatte, wie Paracelsus Menschen schuf. Zu Montpellier, solches erzählte Hausner, lebte ein Rabbiner, der die Worte hätte, die, auf einen zu einem Menschen gebildeten Klumpen von Lehm mit der Hand geschrieben, diesem Leben einhauchen, so daß er dem Meister dienen mußte, solange es Gottes oder des Teufels Wille ... Wer konnte wissen, ob nicht Jakobina am 28. April den Keim einer Krankheit auf dem Alpsee oder in der Abendluft beim Feuerwerk sich geholt hatte, der sie schon jetzt zum abgeschiedenen Geist machte –? Und was den Rabbiner von Montpellier anlangte, so wußte ja Ottheinrich aus des Sinapius glaubwürdigem Munde, daß zu Ferrara eine Jungfrau gelebt hatte, die als tot aus dem Grabe genommen wurde, doch noch lebte und dann auf Erden blieb, allerdings wie ein Geist mit schwebendem Schritt, der kaum noch die Erde berührte ... Dem Teufel sich verschrieben zu haben, das war des Markgrafen Albrecht Ruf im ganzen Frankenlande. Und zwei Mörder waren sein Gefolge – und ein Zauberer war einer seiner Diener ...

Irrte er sich oder irrte er sich nicht, es war der »Fürst dieser Welt«, unter dessen Herrschaft auch er zu lange hier und schon sonst gelebt hatte. Da hatte er sie ja ganz um sich diese Welt des Übermuts, den Sieg der prahlerischen Sünde – er sah es ganz das Leben der Lust ohne jedes innere Gesetz ...

Es zog ihn nach Antwerpen, nach Brüssel und – Mecheln.

In der Hoffnung, daß sich die Rückreise nach den Erfahrungen der Herreise um so mehr erleichtern würde, als für die Heimkehr die größte Dringlichkeit geboten war, versprach der Markgraf, seinen Dolmetscher, auf dessen wiederholtes Ersuchen, schon auf halbem Wege zu entlassen. Am vereinbarten Solde wurde nichts abgezogen, vielmehr noch ein ansehnliches Geschenk und manche wohlwollende Versicherung für die Zukunft hinzugefügt.


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