Karl Gutzkow
Hohenschwangau
Karl Gutzkow

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XXXII.

Augsburg war zwar durch die Anwesenheit des Kaisers um seine alte freie Lebensäußerung gekommen, aber an Aufregung und Unruhe fehlte es drum nicht. Ottheinrich fand nur Ruhe und Einsamkeit in der Annengasse im Paumgartnerschen Hause.

Auch hier hatten einige spanische Herren die Herberge gehabt, sie gehörten zu dem Gefolge des Prinzen Philipp. Das Haus sah darüber so verwüstet aus, daß schon allein hier die Wiederherstellung der alten Ordnung einen Teil seiner Zeit in Anspruch nahm. An das Nichtwiederfinden vieler kostbarer Gegenstände war man in solchen Fällen schon gewöhnt. Die Vornehmen stahlen so gut wie die Geringen.

Auch Königin Maria und König Ferdinand waren schon abgereist. Ebenso Melchior, der Bischof von Würzburg.

Ottheinrichs notwendigste und dringendste Geschäfte waren abgetan, als er sich eines Morgens in die Nähe des Klinkerturms verirrte.

Als er eine Weile sinnend den wiederhergestellten Klinkerturm betrachtet hatte, bemerkte er einen jungen Mann, scheinbar im Anfang der zwanziger Jahre, mit zierlich gekräuseltem Bart, in wohlgeordneten, fast auffallenden Kleidern, die seiner schlanken, weichlichen Gestalt einen vorteilhaften Eindruck gewährten.

Der Klinkerturm schien auch die Aufmerksamkeit des jungen Mannes, der ein Fremder sein mochte, zu beschäftigen.

Ab und zu schielte der etwas verlebt, blaß und ermüdet aussehende junge Beobachter auf die Wohnung des Henkers nebenan, der sich auch Ottheinrich seither niemals wieder ohne Grauen nähern konnte. Bei längerer Beobachtung kam es Ottheinrich vor, als sollte er den schlanken, ihn an Wuchs überragenden Mann kennen.

Als auch dieser von Ottheinrichs Person gefesselt zu werden anfing und sich beider Blicke darüber begegneten, war ihm bald erwiesen, daß er Moritz Hausner vor sich hatte, den Kristallseher, den Brandstifter vom Klinkerturm, den König von Ungarn.

Hausner hatte den Gegenstand der Angst und Furcht, die ihn vor fünfzehn Jahren zur Flucht vor seinem Lebensretter veranlaßte, seitdem nicht wiedergesehen. In der Regensburger Zauberhütte hatte ja sein verzücktes Auge in dem dunkeln Zuschauerraum bei den einzelnen Personen nicht verweilen können. Ottheinrich hatte sich seitdem verändert. Er trug einen vollen männlichen Bart, der ihm fast die ganze Brust bedeckte. Dennoch schien Hausner eine Ahnung zu befallen, die ihm unheimlich wurde. Er wandte sich zur Seite und wollte eilends von dannen.

»Erlaubt –!« vertrat ihm jetzt Ottheinrich den Weg. »Ihr saht euch den Turm an, der vor fünfzehn Jahren beinahe abgebrannt wäre. Damals hab ich um euch nicht wenig Sorge gehabt –!«

Der Fremde tat, als verstünde er gar nicht, womit er angeredet wurde, fuhr zurück und suchte sich einen andern Weg zu gewinnen.

»Ihr seid noch immer bei dem Ritter Grumbach!« fuhr Ottheinrich unerschrocken fort und heftete sich an die Fersen des vor Verlegenheit über und über rot Gewordenen, der fast die Miene annahm, als gehörte er zu den vielen Angehörigen des Reichstags, die kein Deutsch verstanden. »Oder muß ich euch ungarisch anreden?« unterbrach sich Ottheinrich selbst. »In dieser Sprache hab ich keine Fortschritte gemacht, seit wir uns nicht wiedersahen. Eure Weissagung damals in Regensburg ist eingetroffen. Eine Schlange schoß aus dem Bischofshut und stiftete viel Unheil. Der Ritter, der euch damals fragte, hat selbst davon die traurigen Beweise erleben müssen. Er ist tot –«

»Ihr irrt euch in meiner Person –!« antwortete endlich der Fremde mit stammelnden Worten und in einem gebrochenen Deutsch, als wollte er ein Ausländer erscheinen.

Nun aber hatte ihn die Stimme noch mehr verraten, und Ottheinrich sagte lachend, indem er sogar des Jünglings Arm ergriff und sich ihm vertraulich anschloß:

»Seid doch kein Tor, Moritz Hausner oder Lynkeus oder Udalislaus Ilajos, wie ihr heißen möget –! Durch mich wird euch der Nachbar vom Klinkerturm nicht mit glühenden Zangen zwicken oder euch auf einen Haufen Scheite aus dem Walde setzen, in dem ihr mir damals mit so tückischem Undank entlieft –! Ihr seid doch nicht hier, um eure ungarische Krone in Anspruch zu nehmen? Den Schatz von Hohenschwangau, den eure Pflegemutter allda im Alpsee zurückgelassen haben soll, hab ich viel und oftmals gesucht, ihn aber nicht finden können. Unser Ritter Grumbach könnte den weidlich brauchen. Verdrießt es ihn noch immer, wenn an ihn ein Skriptum gelangt mit getrocknetem Sand auf den Buchstaben –?«

Der Widerstand des Fremden war jetzt vergebens.

»Ihr hättet mir hundertmal begegnen können, ich würde euch verkannt haben – !« antwortete er endlich im besten Deutsch und verzog sein wiederum blasser gewordenes, schon mit Furchen gezeichnetes Antlitz in ein sardonisches Lächeln, das ihm gefällig stand.

»Wo ist die Herberge eures Herrn –?« fragte Ottheinrich.

»Bei Walter von Hirnheim –« lautete Moritz Hausners Bescheid.

»Bei einem Freunde also auch meines Herrn –! Wisset ihr es doch, wem ich wiederum diene –?«

»Den neuen Schwangauern! Ich hätte euch gern einmal in meinen alten Bergen aufgesucht – Doch da ihr vom Brennen gesprochen habt, ja, ein gebranntes Kind scheut das Feuer –! Oder was sollte es mit euerm Brennen –?«

»Habt ihr nicht das Beste von uns erfahren –?« fragte Ottheinrich, lächelnd über die dreiste Ausweichung auf die gegen den Brandstifter erhobene Anschuldigung –

»Den Klinkerturm hab ich von euch erfahren –!« antwortete Hausner.

»Warum entsprangt ihr auch und kamt der Jagd der Königin in die Quere –!«

»Ich hatte nur eine Sehnsucht damals, die niemand von euch erraten konnte, weder die Italiener noch euer weiser Rat Johannes zu Kaufbeuren –«

»Ihr wolltet König von Ungarn werden –!«

»Noch bessere Aussichten hätt' ich –! An den »roten Löwen« wollt ich. Von dem wußt ich, daß ich ihn bei meiner Muhme in Thüringen finden würde –«

»Bei des Teufels Großmutter –? Die hattet ihr ja schon im Grüble und am Frauenstein zu Schwangau näher –«

»Herr,« entgegnete Häusner ernsthaft, »lästert die Gaismayrin nicht –! Das war der gute Hirte, von dem es in der Schrift heißt, er läßt sein Leben für seine Schafe und sucht sein Verlorenes, bis er's gefunden. Auch den verlorenen Groschen auf der Erde sucht die Wittib nicht emsiger, als die Gaismayrin nach dem Grund eines Übels forschte, das einem, den sie liebte, wehe tat. Sie hatte nicht immer ihren Verstand. Gerade auch das machte sie weise. Oder meint ihr nicht auch, daß wir unrecht haben, so blindlings unserer Vernunft zu vertrauen – ?«

»Ihr sprecht wie einem Zauberer geziemt –!«

»Erinnert mich nicht an Kräfte, die geschwunden sind, seit ich vom Baum der Erkenntnis gegessen –! Die Schrift legte Simsons Stärke in seine Locken, bis sie ihm ein Weib verschnitt. Meine Zauberei ging mit den Frauen dahin. Was wir sind und sein könnten, unsere Gotteskraft, verschenken wir in der Liebe zum Weibe. Die Frauen wissen nicht, welche Opfer wir ihnen bringen–! Nehmt unsern Ritter, dem auch ihr gedient habt – Sein Weib, seine Kinder, nun schon wieder die Kinder seiner Kinder haben auch ihm die Locken verschnitten, wie Simson –«

Ottheinrich mußte eine Weile schweigen, um dem Geständnis nachzudenken. Paßte es nicht auch auf ihn –? Nicht minder war er überrascht von Hausners Geistes- und Lebensreife.

»Aber eure Muhme in Thüringen –?« lenkte er wieder ein, nachdem er sich gesammelt.

»Zu dieser wollte ich damals, als ich von Steingaden entfloh, wo ich hatte lernen und fasten sollen und nicht mehr die schönen Dinge hörte, die mir meine Mutter Walpurga von Königen und Kaisern, Kronen und Thronen, Schlachten, goldenen Schätzen und schönen Frauen erzählt hätte. Dabei ließ sie mich in einem Wassertropfen, der sich in der Sonne spiegelte, schon all die Dinge sehen, die ich später in den Kristalldrüsen fand. Die Fuggerschen Bergleute, die mit dem Kupfererz nach Thüringen wollten, kamen mir wie Engel von Gott gesandt vor. Denn das wußte ich ja für gewiß, mein Vater und meine Mutter, die in Tirol im Zillertal gestorben waren, hatten Halle in Sachsen zur Heimat. In Thüringen, bei Gotha zu Sundhausen, lebte meiner Mutter Schwester. Ihr Mann war auf den Seigerhütten ein Amalgamierer von Ruf. Habe sie dann später gesehen, die gute Alte. Aber den »roten Löwen« hab ich doch nicht bei ihr gefunden –«

»Weit müßt ihr in der Welt herumgekommen sein –!«

»Habt ja wohl damals auch meinen Brief an den Ritter, den ich ihm von Cadolzburg geschrieben, gelesen – so hört ich wenigstens –«

»Ich meine – herumgekommen nach jener Zeit, als ich eures Ritters Dienste verließ –!«

»Unser Ritter ist der schlimmste nicht!« lächelte Moritz und wich der Frage aus. »Ich weiß, was ihr ihm nachtragt –! Kommt zu ihm, söhnt euch mit ihm aus –!«

»Für mich ist des Ritters Hand mit dem Blut des jungen Grumbach besudelt, dem ihr damals in eurer Hütte seinen Tod vorausgesagt hattet –!«

Hausner schwieg eine Weile. Dann fuhr er fort:

»Herr, wie weit kämen wir wohl im Leben, wollten wir nur immer Vorteile von den Tugenden der Menschen ziehen –! Die Biene saugt auch Honig aus giftigen Blumen. Ihr solltet den Kommandanten vom Hohenlandsberg sehen – unserm Ritter ist das Schloß vom Markgrafen verpfändet – Kretzer waltet da oben wie ein geborener Herr –!«

»Auf dem Eigentum des armen Schwarzenberg –!«

Die Güter Fritz Schwarzenbergs, die der Kaiser dem Markgrafen Albrecht geschenkt hatte, hatte dieser, als Zahlung für die vielen Auslagen, die Grumbach für ihn gemacht, an letzteren abgetreten. Kretzer verwaltete sie in Grumbachs Auftrag.

»Ihr habt euch in den magischen Kreisen, die Grumbach um sich zu ziehen versteht, nicht wohl gefühlt,« fuhr Hausner mit Ruhe fort, »Wenige sind von ihm so wie ihr abgefallen. Meine Gefährten von Regensburg damals sind ihm dankbar verpflichtet und treu zugetan geblieben. Dietrich Picht ist ein Kriegsmann worden, Wilhelm Kiebitz schier ein Gelehrter. Er studiert. Am weitesten, mein' ich fast, bin ich zurückgeblieben. Ich mache den Laufburschen von Rimpar nach Würzburg, halte der Rittersfrau den Rocken, wenn sie spinnt, bringe die Enkel zur Ruh, wenn sie schreien, mache ab und zu ein Carmen, wie mich's der selige Ritter Andreas von Hausen gelehrt hat, bin Possenreißer bei Kindtaufen und Geburtstagen – das ist meine Amtierung worden und ihr werdet schwerlich sagen, daß ich's besonders weit gebracht hätte –!«

Über diese Gespräche und manche noch nachfolgende weitere Erklärung, wobei zweifelhaft bleiben konnte, was daran Scherz oder Ernst sein sollte, waren sie in die Nähe des Perlach gekommen. Hier am Rathaus stand ein Gewühl von Menschen.

Vom Weinmarkt her kam ein Aufzug. Anfangs hieß es, es wäre der Kaiser. Doch nur Herren und Knechte waren's; an ihrer Spitze der neue Stadthauptmann, Schertlins Nachfolger, niemand anders als Grumbachs Wirt, Herr Walter von Hirnheim. Herr Walter war unmäßig dem Trunk ergeben und im berauschten Zustand von boshafter Händelsucht. Seine kaiserliche Gesinnung jedoch, die Freundschaft der Fugger, der Paumgartner, Welden und Stein für ihn hatten ihm das Kommando der Stadtwehr, einer dem kaiserlichen Oberbefehlshaber untergeordneten Truppe, eingebracht. Soeben machte er mit seinem Stab und vielen Rittern und bürgerlichen Herren Halt vor dem adligen Kasino Augsburgs, der »Stube der Geschlechter«, die jetzt mehr als die »Stube der Kaufleute« im alten Paumgartnerhause auf dem Jüdenberg Mittelpunkt der Stadt geworden war.

Indessen hatten sich zu den Herren zwei Reiter gesellt, die Ottheinrich sofort erkannte. Der eine war die rechte Hand des Kurfürsten Moritz, Ritter Christoph von Carlowitz, der andere Grumbach. Der letztere war auffallend gealtert. Die Runzeln, die schon sonst seine Stirn bedeckt hatten, waren tiefere geworden. Der mächtig lange, in Knoten gebundene Bart war ergraut. Carlowitz dagegen, der Vielgewandte, von kleiner und dicker Statur, sah trotz seines schon weißen Haupthaares und seines rund um die vollen Backen gehenden gleichfarbigen Bartes frisch und lebensmutig aus. Er lachte aus Leibeskräften und schien sich mit Hirnheim zu necken, der sich auf seine unerwartet erlangte Würde nicht wenig zugute tat.

Ottheinrich drängte zum Gehen, seitdem er bemerkte, daß aus dem Kreise der laut Sprechenden Grumbach zuweilen einen Blick auf die Stelle des Rathauses warf, wo Hausner und er standen.

»Bleibt doch –!« hielt jetzt jener den letzteren zurück. »Er erkennt euch noch! Hier auf dem Perlach in Augsburg wird er euch nicht um den Magister Lindemann in Schweinfurt zur Rede stellen –!«

In der Tat sprengte auch schon Grumbach über die Straße von der Geschlechterstube herüber, und Ottheinrich wurde gezwungen, standzuhalten. Moritz Hausner hatte durch mehrfach wiederholtes Winken die Aufmerksamkeit seines Herrn zu erregen versucht und mit vertraulichen Geberden auf den nebenstehenden Fremden gedeutet.

Der Ritter kniff die Augen zusammen, um seine Sehkraft zu schärfen. Als er sich mit seinem Rosse Bahn gemacht, hatte er bald das Richtige getroffen, lachte hell auf und langte die Hand vom Pferde mit den Worten:

»Potz Velten! Euch eben sucht ich ja –! Warum lassen sich eure Schwangauer Ritter gerade jetzt in Augsburg nicht sehen–? Kommt ihr nicht in meine Herberge, so komm ich in die eurige –! Euer Meister Lindemann, das wisset ihr doch wohl, ist wieder wohlbehalten in Schweinfurt eingezogen und sogar dort Pfarrherr geworden. Seit ich nicht mehr dem Pfaffen in Würzburg diene und jetzt, ich denke denn doch, die Markgräfischen in Franken das erste Wort sprechen, kann Schweinfurt, falls es will und solches eure Mutter Argula erlaubt, meinetwegen seinen alten Götzen, den Lollus, wieder anbeten, von dem Lorenz Fries geschrieben hat –!«

Ottheinrich verbeugte sich schweigend. Sein Blick zeigte eisige Kälte.

»Wir verständigen uns schon noch –!« sagte Grumbach, ebenfalls in seiner Erwartung abgekühlt und mit einem Blick auf Hausner, der etwa sagen sollte: Der grollt uns wohl noch um unsern Kretzer –?

Ein längeres Ausdehnen des Gesprächs war unmöglich. Die Masse des Volks, der Lärm der Rosse, das Wirbeln der Trommeln wurden zu geräuschvoll.

Ottheinrich begleitete Moritz Hausner bis zu des Ritters Herberge. Das Hirnheimsche Haus lag in der Nähe des Sankt Ulrich, in dessen Räumen schon wieder die Messe gesungen wurde.

»Ihr seht,« sprach Hausner, »wie wenig unser Ritter einen Ärger auf Zinsen zu legen versteht –! Wär er so rachsüchtigen Gemüts, wie ihn Würzburgs Pfaffen verschreien, längst hätt' er ob Würzburg den Frauenberg angezündet. Um es euch aber aufrichtig zu sagen, wir suchen hier vor allen Dingen – Geld. Könnt ihr uns da euern Rat, vielleicht bei euerm Herrn eine Fürsprache geben, so würdet ihr feurige Kohlen auf unser Haupt sammeln. Und daß ihr edel und gut seid, das weiß ja schon jeder, der euch kennen gelernt hat. Lasset denn also auch den Klinkerturm ruhen, solange ich noch in Augsburg weile. Sahet ihr's denn nicht, um wieviel schöner und stattlicher sie ihn wieder aufgebaut haben –?«

Die Miene, mit der Hausner seine Worte, die einem Geständnis seiner mordbrennerischen Schuld gleichkamen, begleitete, war so unheimlich, daß alle Empfindungen, die schon in der Nähe des Abenteurers in Ottheinrich aufgetaucht waren, wieder zurückkehrten und er sich mit einem Schweigen, das sich der Brandstifter bei alledem zu seinen Gunsten deuten mochte, entfernte.

Ottheinrich bemerkte kaum, wie er wieder in die Sankt-Annengasse zurückgelangte.

Noch war er zu seinen Arbeiten, deren ihn eine reiche Anzahl zu jeder Stunde erwartete, nicht zurückgekehrt, als auf dem Korridor, auf dem sein Zimmer lag, Sporenklirren vernehmbar und ein Besuch gemeldet wurde.

Es war Grumbach, der bereits Wort hielt und die wiederangeknüpfte Bekanntschaft festhalten wollte.

»In diesem Hause hab ich euch schon vor zween Jahren gesucht,« sprach er ohne allen weitern Gruß während des Eintretens. »Ich weiß, daß die Geldkastenschlüssel der Paumgartner in eurer Hand sind. Macht also jetzt nur auf und streckt mir oder meinem Markgrafen ein ordentliches Sümmlein vor, das ein paar eichene Tische zum Zahlbrett braucht. Eure hohen Zinsen sind wir schon gewohnt. Macht's aber diesmal damit christlich –!«

Das erste Gefühl Ottheinrichs auf diese Anrede war Mitleid. Diese Ritter, ja sogar die Fürsten gingen hier von Haus zu Haus, um Geld aufzutreiben –! Hörbrot, der sonst so rasch zu helfen pflegte, borgte nun selbst und alle Welt erzählte sich, er hätte soeben von Christoph von Carlowitz fünfundzwanzigtausend Gulden geborgt und ihm dafür einen Teil seines Pelz- und Kleinodienlagers zum Versatz gegeben. Von Albrecht von Brandenburg war nichts zu bekommen und Grumbach hatte sich mit seiner kaiserlichen Gesinnung, seinen Werbungen für Albrecht, den Ausstattungen seiner Töchter und den Maßnahmen seines Trotzes gegen Bischof Melchior Zobel halb und halb auch ruiniert.

Ottheinrich bedauerte, dem Ritter in erwünschter Weise nicht dienen zu können. Seinen Einfluß schlüge er auch viel zu hoch an, sagte er. Im übrigen wüßte er, daß das, was sein Prinzipal an Kaiser und Reich und namentlich an König Ferdinand schon getan hätte, so weit ginge, daß ihm jedes Gelddarleihen an Fürsten und Herren gründlich verleidet wäre.

»Ha, einem Pfaffen wird er schon geben!« brauste Grumbach auf. »Melchior gab er gewiß! Der ist mit sechs Wagen voll Münze heimgefahren! Einen und denselben Münzmeister haben sie ja ohnehin –!«

»Euer Gestrengen irren –! Kaspar Seeler münzte nur die Pagamente von Kelchen und Heiligen, die der Bischof hierher mitgebracht hatte –! Wahrscheinlich hat der Andächtige gedacht, wenn ihr doch in Würzburg zu reformieren anfangen werdet, werde man Christi Blut auch aus zinnernen Bechern trinken können –«

Des Ritters alter Stolz war zurückgekehrt, seitdem sich der erste Anlauf der guten Laune als mißlungen erwies. Jetzt saß der ältere ernste Mann dem nun auch zum Mann gereiften Jüngling gegenüber, dessen er sich aus der kurzen Umgangszeit in Regensburg zu Ottheinrichs Vorteil vollkommen entsinnen konnte.

In dem kleinen Zimmer sich umschauend, schien er zu bereuen, daß er sich so von einem Hoffnungsstrahl hatte blenden lassen.

Indem er auf die vergangene Zeit, auch auf Argula und den Tod ihres Sohnes zu sprechen kam, äußerte er:

»Ja, sie war in Würzburg. Ohne uns zu besuchen, zog sie vor, zu Jutta Vogler zu halten, deren Fürwort meinem Kretzer noch nachträglich den Hals brechen sollte –! Das ist ihr doch mißlungen. Braust ob meiner Freude nicht auf –! Ein Diener des Fürstbischofs, der seines Amtes waltet, ist kein Missetäter. Ich weiß es, damals waret ihr mit auf dem Kirchberg. Ich hätte euch alle verstricken lassen können, weil ihr den Junker hetztet. Aber laßt das nun im Grabe ruhen –! Wer mag wieder aufwühlen, was verfault ist –! Die Zeit wartet ja auf keinen, der am Begrabenen hockt und erst durchaus wieder dessen Auferstehung verlangt. Die Zeit geht über unsern Häuptern hinweg und läßt uns unbeachtet sitzen, wenn wir uns nicht selbst erheben und ihr folgen. Auch ziemt's dem Mann nicht, jede erlittene Unbill zu rächen. Ich habe in Würzburg Lust gezeigt, mich meinen ärgsten Feinden zu versöhnen. Vor sechs Jahren hab ich Zobels Wahl durchgesetzt, bin meinen Widersachern im Stift mit dargereichter Hand entgegengetreten; freilich – sie sind es, die wie die Weiber nichts vergessen können –«

»Argula ist ein Weib« – entgegnete Ottheinrich.

»Die dächt ich, wäre doch wohl ein. Mann –!« fiel der Ritter ein. »Sogleich hat sie gewußt, wo in Würzburg die rechte Schmiede ist. Sinapius, der Leibarzt, der hat sie ihr zeigen müssen. Ihr anderer Sohn ist in Bayern geblieben und hat die Belehnung von Göchheim und halb Zeilitzheim wirklich bekommen. Was er damit gewinnen wird in Zeiten wie die unsrigen, dafür glaub ich mir wenig kaufen zu können. Dem Adel tut Hilfe not oder die Fürsten, Pfaffen und die Städte fressen uns auf –!«

Wie in ihrer Geldnot die ganze Zeit damals um die immer schwieriger gewordene Existenz mit Ahnungen und Phantasien herumging und dennoch gebannt blieb nur von der Wucht und dem Klang des Materials, aus welchem die Herstellung des Begriffes Geld lediglich für möglich gehalten wurde, so streiften auch hier die Vorschläge des durch seine bedrängte Lage zum »Finanzer« gewordenen Ritters nahe an die späteren Kredit- und Pfandbriefinstitute. Die fränkische Ritterschaft war diejenige, die sich am allerfrühesten in feste Sippen, wohlgegliederte Genossenschaften verbunden hatte. Sie hielt bestimmte Adelstage, hatte Vororte, wechselnde Präsidien. Sie würde sich am liebsten, unabhängig von allen Bedingungen der nächsten Örtlichkeit, unmittelbar unter Kaiser und Reich gestellt haben. Auch von den Folgen einer solchen Gegenseitigkeit für die Hebung der Gütererträgnisse hatte schon Grumbach eine Ahnung.

Noch lag ein Blick nahe auf die Zeit, auf die Lage des Augenblicks, die nächsten Absichten des Kaisers.

Auf Ottheinrichs mit flammenden Worten hervorbrechende Äußerung: »Wenn nur die beiden gefangenen Fürsten freigegeben würden, Johann Friedrich und Philipp von Hessen, dann würde der spanische Übermut bald gedämpft sein –!« entgegnete Grumbach höhnisch lachend:

»Wie ihr so töricht seid und nach Jugendart urteilt! Diese beiden Fürsten sollten ihren Lauf noch einmal neubeginnen –? Ich verglich von beiden die Konstellationen und sah, daß ihre Zukunft in den – Siebenschläfern ruht. Ist das ein Fürst, auf den Deutschland noch bauen kann, den ihr hier seht seinen fürstlichen Schimpf just wie ein Bär ertragen, den ein Savoyer nach der Trommel tanzen gelehrt –! Der Kaiser führt ihn mit sich herum zur Schau. Des Kurfürsten größte Sorge ist sein frischer Trunk Bier und abends sein Spiel »Trischacken«. Dieser fromme Fürst, der Land und Leute verloren und so viele Menschen in Armut und Elend gebracht hat, verspielt jetzt hier Tausende –! Einen Maler hat er sich kommen lassen, um alle Welt, wie ein Heiliger, mit seinem Bildnis zu beschenken. Tiziano, der große Meister von Venedig, den ebenfalls der Kaiser berufen hat, wird ihn auch noch malen müssen. Er trägt seinen wohlgenährten Körper durch alle Gärten Augsburgs, unterhält sich mit den Blumen, macht im Sande Figuren, die nicht etwa dem Schloß Grimmenstein zu Gotha, wo seine Söhne hausen, gelten, sondern einem Lusthause, das er sich in Thüringens Wäldern erbauen will. Der noch einmal wie ein Wetter über den Kaiser fahren –? Und auch an Philipp glaubt ihr noch, den Zagmütigen, der, um nur seine Margareta wiederzusehen (sein richtig Gemahl ist inzwischen gestorben), dem Kaiser noch dreimal sein Knie zu beugen bereit ist! Nein, diese Fürsten haben sich überlebt. Nur noch mit den jungen Hannsen kann eins gehen. Und was die vorhaben – je nun, darüber werden sie freilich nicht der Katz die Schellen anhenken –«

Mit dieser doppelsinnigen Äußerung erhob sich Grumbach.

»Ehrliche, offene Fürsten braucht die Zeit!« widersprach Ottheinrich, indem er sich anschickte, ihm das Geleit zu geben. »Eure jungen Hannsen sind verräterische Judasse, die den Herrn schon zehnmal verleugnet haben. Wer wird denen noch sein Vertrauen schenken –! Und wenn sie heute den Kaiser verraten, so verraten sie morgen schon wieder die, zu deren Gunsten sie's getan haben –«

»Das wartet ab!« entgegnete Grumbach und löste den Knoten seines langen Bartes, strich die aufgelösten Strähnen glatt und verknüpfte sie wieder.

»Die Rennbahn ist frei,« fuhr er fort, »es werden schon die rechten Turnierer wieder einreiten. Mars regiert. Lasset aber die Alten –!«

Schon hatte Grumbach die Tür in der Hand, als er sich noch einmal umwandte, die Empfehlung, die er an den Herrn von Hohenschwangau auszurichten bat, unterbrach und die Worte fallen ließ:

»Ei, ei, daß ich die Gelegenheit nutze! Ich weiß ja aus euern Geschichten mit Hausner, wie ihr ein Menschenfischer seid. Gewiß kennt ihr auch in Augsburg manchen weitgereisten Kaufmann oder einen Gelehrten, dem es zum Vergnügen gereichen würde, nicht nur umsonst, sondern sogar gegen guten Entgelt eine Reise über den Rhein bis nach Paris zu machen–? Aber er muß der gallischen Sprache mächtig sein, ebenso wie der deutschen. Franzosen und Spanier gibt's hier genug –! Aber ein Deutscher wird verlangt, der französisch kann, am liebsten ein deutscher Kaufmannsgesell –!«

Ottheinrich schwieg nachdenklich.

Der Ritter fuhr fort:

»Ein Kaufmann aus Preußen hat mich drum ersucht! Ein reicher und vornehmer Herr! Paul von Biberach sein Name –! Sein Handel geht auf Juwelen und Pelzwerk. Er will an die Höfe von Nanzig und Paris. Eines Führers, der des Gallischen und Deutschen gleich kundig, hat er dringend für sich und seine zahlreiche Reisegesellschaft nötig. Ja! Dieser ersucht mich, ihm einen solchen Mann von Augsburg oder Ulm zu schicken. Dieser Tage trifft er in Nördlingen ein – Könnt ihr nun dessen bedacht sein, einen solchen Dolmetsch aufzufinden? Doch müßte er schon in zween Tagen abreisen können. Denn die Fahrt hat Eil' –«

»Schickt euern Kristallseher –!« antwortete Ottheinrich.

»Wenn Paul von Biberach einen Possenreißer brauchte, ja! Ihr werdet euch gewundert haben, daß nichts von dem Zauberjungen übriggeblieben ist, als ein Geck, der nur die Weiber liebt, den Wein und den Gesang. Den haben die Frauen, und diesmal meine eignen, auf dem Gewissen –«

»Aber sie haben ihn liebenswürdig gemacht –!« fuhr es durch Ottheinrichs gerechtigkeitsliebendes Herz.

Der Ritter schien in Gedanken vertieft, plötzlich trat er auch aus dem Gange wieder ins Zimmer zurück und richtete an Ottheinrich die Frage:

»Ihr wart ja wohl noch vor kurzem auf Hohenschwangau–? Ei, da saget mir doch, saht ihr nicht dort eine Jakobina Jung –? Ein Fräulein von hier –? Sie ist den Paumgartnern befreundet –«

»Ich kenne sie wohl –«

»Saht ihr sie am 28. April dieses Jahres –?«

»Da gerade saß sie unter den Fürsten und Herren an des Rates Tafel –!«

»Sie war in Augsburg, als ich sie suchte, und doch nicht zu finden. Niemand gab mir über sie Auskunft – sogar in ihrem Elternhause nicht –«

»Fragt den Kardinalbischof –!«

»Man erwartet ihn stündlich –! Gut. Aber sagt mir, entsinnt ihr euch dessen, welches Kleid trug das Fräulein an dem genannten Tage –? Ich meine, ein Kleid von welcher Farbe –?«

»Am Tage des 28. April trug sie einen goldenen Gürtel um den Leib – auf einem – ich entsinne mich – rot und weißen Kleide –! Abends aber – ja da glaub ich, fröstelte sie's und sie warf ein Mäntelchen über –«

»Von welcher Farbe –?«

»Grün –!«

Grumbach schüttelte nachdenklich den Kopf.

»Was fällt euch dabei auf –?« fragte Ottheinrich.

»Wir sehen uns ja noch –!« brach Grumbach die Unterhaltung ab. »Ich habe jetzt Eile. Nochmals, sucht mir einen zuverlässigen, ehrlichen, verschwiegenen deutschen Mann, der im Handelsverkehr erfahren und der französischen Sprache vollkommen mächtig ist – doch muß er, wie schon gesagt, in zween Tagen an Ort und Stelle, vorläufig in Nördlingen, sein. Redet jedoch davon zu niemand – auch meinem Moritz nicht, falls er nicht selbst davon beginnt –! Ich möchte jedem Herrn raten, auch noch vor dem vertrautesten Diener ein Geheimnis zu behalten. Lacht nicht! Ei ja, er soll noch auf euch eifersüchtig werden –!«

Mit diesen scherzenden Worten des Ritters blieb Ottheinrich allein zurück, nachdem er seinen Besuch über die leidlich wiederhergestellten, wenn auch nicht mehr wie sonst wohnlich und behaglich eingerichteten Stiegen des Hauses bis ans Haustor begleitet hatte.

Was hatte es mit dem Kleide der Jakobina Jung –! Fast schien die Frage von dem schlauen Ritter berechnet, Ottheinrichs Neugier zu fesseln und ihn zu zwingen, ihn bald wieder aufzusuchen. Das hatte sein ehemaliger Sekretarius wieder vollständig in Erfahrung gebracht, man konnte nicht in Grumbachs Nähe kommen, ohne seine magnetische Kraft zu fühlen, wieder war da alles voll spannender Anregung, sicherer Verheißung, Zusammenhang mit Dingen, die dem Weltlauf die entscheidende Richtung gaben. Nun noch der so geheimnisvoll gegebene Auftrag, einen der französischen Sprache kundigen Mann aufzufinden, der unentgeltlich und in größerer Gesellschaft sicher bis nach Paris gelangen könnte.... Darüber stockten ihm alle seine Gedanken, die schon gar nicht mehr bei der Überlegung verweilten, ob er sich einer solchen Persönlichkeit unter dem Handelsstand der Stadt entsinnen konnte, sondern lediglich bei der Erwägung, ob er nicht sein Vorhaben, das drückende Verhältnis zu den Paumgartnern zu lösen, auf einen solchen Anlaß hin ausführen sollte –! Unentgeltlich und sicher reisen zu können bis Paris –! Die Länder der lebhaftesten Straßen damaliger Zeit, von Augsburg nach Straßburg, von Straßburg nach Paris, von Paris nach Antwerpen lagen vor ihm wie von einem magischen Glanz beleuchtet. In Antwerpen blühte Augsburger Handelsschaft, früher hatten selbst die Paumgartner dort ein Kontor gehabt. Und vor allem – in Antwerpen war die evangelische Sache vertreten. Die Einleitung eines Unternehmens auf die Befreiung des Landgrafen, von Paris und von Antwerpen aus getroffen, versprach einen lohnenden Erfolg.... Jetzt wagte er auch, an den Hof der Königin Maria und an Martina zu denken.

Wollte sich Ottheinrich nicht bittern Vorwürfen und der Anklage, er wäre stolz geworden, aussetzen, so mußte er sich endlich in die untere Stadt, zu Meister Haysermann, zu dessen Weib, Kindern und Gesellen begeben.

Er tat es auch, um den überwältigenden Gedankenreihen, die Grumbach in ihm angeregt hatte, zu entfliehen.

Es mochte jetzt da trommeln und blasen um ihn her, es mochte am Fuggerhause um den Kaiser von Rossen und Reitern wimmeln, er sah und hörte nichts, bis er in die Nähe der Haysermannschen Wohnung gekommen war und plötzlich einen Schlag auf die Schulter fühlte.

»Bocksblut! Ihr habt Beifuß nötig! Wackelt ja wie ein feist Gänslein, das Martini gebraten werden soll –!«

Onuphrius Pfefferkorn war's, der ihn also begrüßte, der Altgesell, dem sein lange ersehnter »Einsager«-Posten zuteil geworden war, eine Altersversorgung, die denjenigen, der nach Ruhe verlangte, nun erst recht den ganzen Tag auf die Beine brachte, hier, um die zuwandernden Schneidergesellen an die Werkstätten und Herbergen zu verweisen.

»An Beifuß denk ich,« fuhr er fort, »weil ich mir eure Füße gönne. Warum schleicht ihr so, wenn ihr in eure alte Gegend kommt –? Oder dacht ich an Beifuß und die letzte Martinsgans nur um Martinas willen, die sie uns diesmal verzehren half –? Sie hatte Verlangen, euch das Geld zu leihen, das sie geerbt hat, ich meine eurem Prinzipal! Aber da wir hörten, daß der auch von unserer arm gewordenen Stadt achtzigtausend Gulden begehrte, da dachten wir: Der will nächstens einkommen wie weiland Hochstetter und nächstens Hörbrot –! Da haben wir ihr geraten, die Erbschaft von ihrer Base zu Sankt Kathrinen, dreitausend blanke Goldgulden, lieber nach Nürnberg zu verleihen –«

Ottheinrich ersah aus Pfefferkorns Scherzen die ohne Zweifel wenig erfreuliche Art, wie wiederum Martina seiner mochte gedacht haben. So manchen Seufzer schon hatte es ihm gekostet, zu gedenken, wie damals vor Jahren des holden Mädchens Abendbesuche in der Sankt-Annenkirche doch mehr der Nachbarschaft des Paumgartnerschen Hauses und der Hoffnung, Ottheinrich zu begegnen und ihn zu einer Erklärung zu bewegen, als dem evangelischen Glauben gegolten. Das Häuschen, wo Ottheinrich so manche glückliche Stunde verlebt hatte, war erreicht, die Begrüßung der Bewohner wurde in gewohnter Weise durch grelles Aufschreien, Liegenlassen aller Arbeit, Nötigung zum Essen und Trinken vollzogen, Die seltsame Erscheinung jener Zeit, das Früh-Altwerden der Menschen, hatte sich auch hier schon eingestellt. Frau Praxede konnte die Großmutter ihrer Kinder zweiter Ehe erscheinen, denen Ottheinrich, wie immer, für ihre Sparbüchsen blinkende neue Silbermünzen mitgebracht hatte. Haysermann hatte mit seiner Autorität als Zunftzwölfer sein Selbstvertrauen, jedenfalls mit dem Sturz der Hörbrotschen Partei seine einträgliche Kundschaft verloren. Er äußerte sich kleinmütig über die Lage der Dinge und teilte den allgemeinen Glauben damaliger Zeit, daß mit dem großen, im Jahre 1555 erwarteten Kometen die Welt untergehen würde.

Fast hätte es schon Ottheinrich offen ausgesprochen, er hoffte Martina endlich nach Jahren wiederzusehen und zwar in Brüssel selbst. Auf das genaueste ließ er sich ihre Lebensweise beschreiben, auch die Personen nennen, mit denen sie in nächste Berührung kam. Man staunte seines wiedererwachten Anteils ... Es war eben nur der »Geist«, der ihn mächtig wieder ergriffen hatte. Er dachte: Solltest du dir nicht einen Zugang zum Gefängnis des Landgrafen durch Martinas Hilfe verschaffen können –?

Als Ottheinrich in seine Wohnung zurückgekehrt war, wurde er durch Laufen und Lärmen im Hause überrascht, wer seiner ansichtig wurde, stand still und zeigte in den Hof, wo es ebenfalls lebhafter herging als in diesen Tagen zuvor. Rosse standen unten, die einen weiten Ritt gemacht zu haben schienen. Schon hörte sich Ottheinrich von einem der Reiter mit den Worten angerufen:

»Herr Sigmund Rothhut sucht euch –!«

Rothhut kam staubbedeckt aus einem der oberen Zimmer, die man ihm aufgeschlossen hatte, und redete Ottheinrich mit den Worten an:

»Willkommen, Stauffer! Gelt, ihr hättet mich hier nicht sobald erwartet –? So hört denn ein Wort im Vertrauen –! Doch erschreckt drum nicht –! Ich bringe üble Mär – Der kaiserliche Rat – nun, ihr merkt's wohl schon auch – heute in der Frühe ist der Alte – gestorben –!«

»Heute – sagt ihr?« – mußte Ottheinrich ausrufen – eine Antwort, wie völlig unabhängig vom erschreckenden Inhalt des Berichtes selbst. Des Rates baldiges Abscheiden vom Leben war vorauszusehen gewesen und wenn auch drum die wirklich eingetretene Tatsache des Ausgelöschtseins eines solchen Mannes aus dem Buch des Lebens ein erschütternder Schlag für jedermann im Hause, vollends für Ottheinrich sein mußte, so warf er doch in das fast sprachlose Entsetzen, das die Nachricht bei ihm hervorrief, jenes staunende »Heute – sagt ihr« der Entfernung von Hohenschwangau wegen ein. Denn diese war ja für den schon vollendeten Ritt des Boten eine reine Unerklärlichkeit –!

Rothhut erzählte. Der Rat war zu Schwabmünchen ganz in der Nähe Augsburgs gestorben. Mit völliger Selbsttäuschung über seinen Zustand hatte er vorgestern nach Augsburg aufzubrechen begehrt. Rothhut behauptete, entweder hätte es den Leidenden zum Kaiser oder zu seinen Mitbürgern getrieben, zu letzteren, um sich nach seinem Verzicht auf die Entschädigung mit ihnen zu versöhnen. Aber schon in Kaufbeuren hätte er die Besinnung verloren, doch bei alledem, sich wieder fassend, weiterzureisen begehrt. Rat Hörmann hätte ihm zur Begleitung seinen Arzt Grünthler mitgegeben. In einer elenden Herberge zu Schwabmünchen wäre dann der Tod über ihn gekommen. Da Ottheinrich wußte, daß von je des Rates Befehl dahin gelautet hatte, daß er als Herr von Hohenschwangau zu Waltenhofen am Lech bestattet sein wollte, mitten unter den alten Rittern des Schwangauer Geschlechts, den Schild- und Helmträgern des weißen Schwanen, so hätte Vittoria Ferrabosco, die ihn begleitet, und ein Teil des Gefolges die Leiche sofort nach Füssen zurückgeführt. Die arme Vittoria hätte sich durch die Begegnung mit Frau Doktorin Grünthler, einer Welschen, für ihre schwere Aufgabe Mut und Kraft geholt. Doch sollte von dem wichtigen Ereignis aus mancherlei Gründen noch nicht sofort in Augsburg gesprochen werden.

»In einer Herberge auf der Landstraße –! Vittoria die einzige, die, kein Mietling, an seinem Lager saß –! Ein Lager, das ihm nur für eine Stunde, seine letzte, einige Ruhe bot –! Die Söhne, die Töchter in Innsbruck bei den rauschenden Festen – die dort noch immer den Prinzen gegeben werden –! Wie war's nur möglich, wie hatten sie ihn verlassen können –?«

»Ei, er verlangte selbst, daß sie gingen. So nahe glaubte er seinen Tod noch nicht –!«

»Um den Hofdienst, um die Sucht nach Ehre und Auszeichnung beraubte er sich des letzten Beistandes der Seinigen –! Und die Reue war es, die ihn nach Augsburg zurücktrieb –? Hier wollte er sterben –! Ja hier, wo er die Pflichten seines bürgerlichen Ursprungs vergessen hatte –! O, glaubt mir, er wollte auch hier begraben sein –! Sie haben's nur nicht gehört, was noch alles aus seinen Lippen schwebte –«

Alles das durfte Ottheinrich unbefangen gegen Rothhut aussprechen, wie er's fühlte. Auch diesem hatte die Reihe der Jahre manchen unerwarteten Ausbruch der Leidenschaften des Hauses fühlbar gemacht, seitdem vollends die Söhne des alten Rats verheiratet waren, hatte er oft schon die Kündigung seines Dienstes eingereicht, während sich sein Sohn eher in die Launen des jüngeren Geschlechts fügte. Rothhut stellte die Deutungen Ottheinrichs über die Absichten des Rats nicht in Abrede, versicherte jedoch, daß der Sterbende nichts davon hätte verlauten lassen, so wäre man denn genötigt gewesen, sich an die früheren Befehle desselben zu halten und die Leiche nach Hohenschwangau abzuführen.

»Sicher werden dort die Söhne, vielleicht auch Frau von Völs zur Bestattung eintreffen –!« fuhr Rothhut fort. »Ich ritt auf Augsburg, euch und dem Hause hier die Kunde zu bringen und die Zimmer zu nunmehr größtem Besuch herrichten zu lassen. Denn das Testament liegt hier und kann nur hier eröffnet werden. Auch die Teilung des Vermögens, die Auszahlung der Legate wird hier vorgenommen werden, übernehmt die Sorge für die Herstellung des Hauses zum Empfang der Erben –! Indes will ich zum Doktor Scheffel aufs Rathaus, um dem sofort die Anzeige zu machen. Zuerst muß dann das Leid dem Kaiser angesagt werden – zuletzt den Fuggern! Drum noch einige Verschwiegenheit –! Schon hab' ich die Diener ausgesucht, die mich zum Kaiser begleiten sollen in weißen Trauerbinden, die wir aber erst im Vorzimmer des Pappenheimers, als des kaiserlichen Hofmarschalls, anlegen wollen –«

»Welch ein Aufsehen wird das geben –! In Augsburg – in München – in der Welt –l« sprach Ottheinrich mit aufrichtigem Schmerz – und doch dabei schon in Gedanken verloren – über das Eintreffen der ganzen Familie in Augsburg ... Sollte ihn denn alles wie mit magischer Gewalt – von dannen jagen –?

In seinen Mienen und Reden lag die aufrichtige Anerkennung, die dem Hintritt eines seltenen Mannes gebührte, lag der Schmerz um die Vergänglichkeit aller Ehre, alles Glanzes, lag auch das persönliche Leid, das er über den Unfrieden empfand, in dem er von einem Manne scheiden mußte, der in sein Dasein so mannigfach bestimmend eingegriffen, ihm so viel Wohltaten, so vielfache, in des Gebers Sinn auch wohlgemeinte Förderungen erwiesen hatte. Und dennoch durchzitterte den Ton aller seiner Worte die Angst über das, was nun bevorstehen sollte – die Erbteilung – die neue Belehnung durch den Kaiser – der Hader der Geschwister – Kunigundes Ankunft –! Sollte er da wieder Stand halten, wieder alles mit durchmachen und mit seinem eignen Herzblut durchleben – sich von den Wildaufgeregten mit seiner Anteilnahme, die immer und gegen jeden eine aufrichtige und ehrliche war, hin- und herschleudern lassen –! Auch den Antoni konnte man aus Venedig erwarten.

Rothhut wollte sich mit den Worten entfernen: »Ich wünsche euch Glück; denn nun seid ihr hier alles in allem –!« Doch mit beiden Händen lehnte Ottheinrich eine solche Voraussetzung ab. Wie von einer unwiderstehlichen Gewalt getrieben rief er ihm nach:

»O mit nichten! Saget vielmehr: Jetzt bist du frei und deines Amtes bar und ledig, ganz und für immer –!«

Das an alle Bewohner des Hauses ergangene Geheiß, über die Trauerbotschaft noch Schweigen zu beobachten, vermehrte nur die Unruhe und Peinlichkeit der nächsten Augenblicke. Auch galt es dabei im Geheimen für eine großartige Trauer zu rüsten, schwarzes und weißes Tuch mußte massenhaft angeschafft, verschnitten, verarbeitet werden. Das innere Haus, alle Ausschmückungen der Stiegen mußten mit Trauerfloren umwunden werden.

In dieser Nacht gönnte sich Ottheinrich nur kurze Ruhe. Zu viel gab es zu denken, zu schaffen und zu ordnen.

Als am andern Morgen Moritz Hausner Ottheinrich ganz unerwartet aufsuchte, war dieser so verwirrt und überrascht, daß er Grumbachs Verbot vergaß und mit Moritz von dem Dolmetscher sprach, den er für den Kaufmann Biberach suchen sollte, warum schickte er aber auch Hausner selbst als Mahner –? Hatte er seine Vorsicht zurückgenommen –? Fast schien es so. Hausner berichtete sogar, er selbst müßte morgen in erster Frühe nach Nördlingen reiten.

»Ihr – und zu Paul von Biberach!« hatte Ottheinrich auf den Lippen.

Hausner fuhr fort:

»Ja, was werden die Stiefel so ausgetreten, auf denen diese großen Hannsen spazieren gehen! Immer weiter und weiter werden sie –! Sie werfen uns zuletzt ganz von den Füßen – die Stiefel sind wir – wie man eine Kappe vom Kopf wirft –! Denkt euch nur! Ohne weiteres soll ich mich von euerm schönen Augsburg trennen und nach Nördlingen reiten –! Und zu welchem Ende –? Das wüßtet ihr schon, sagte der Ritter, und mir zu verschweigen gäb' es nichts mehr ... Spätestens morgen am Abend soll euer Dolmetsch für Paul von Biberach gefunden sein, damit er mit der Nürnberger Post noch auf Nördlingen abreiten könnte –!«

»Warum hat mir der Ritter aufgegeben, euch aus diesem Auftrag ein Geheimnis zu machen –?« fragte Ottheinrich erstaunt.

»Ei, so sagt doch lieber,« lautete Hausners Antwort, »warum hat er das Verbot des Geheimhaltens wieder zurückgenommen? Beantworten könnte ich letztere Frage eher als jene. Aber beides muß ich mir jetzt versagen, da ich leider in aller Eile von euch Abschied zu nehmen und nur noch an des Ritters Auftrag zu erinnern habe –«

Der Trauerfall hatte sich trotz aller Verbote in der Stadt doch wie ein Lauffeuer verbreitet. Alle Augenblicke klopfte der Pochhammer an das Haustor. Auch Moritz Hausner war die Trauerkunde schon bekannt.

»Was seid ihr darob so bekümmert!« sprach er. »Schont eure Gesundheit und pflegt eure Nächte –! Ihr könntet sonst krank und eures toten Herrn zeitiger ansichtig werden, als ihr möchtet –! Nicht, daß ihr auch stürbet. Das will ich nicht sagen. Ich meine, der Gestrenge hat die Erde zu sehr geliebt, als daß er nicht noch umgehen sollte und ab und zu in ein offen Fenster gucken. Schlaflose Augen sind offene Fenster für die Geister –!«

»Woher wißt ihr den Trauerfall –?« fragte er und – sann nur indessen über die Nürnberger Post nach, mit der er vor fünfzehn Jahren so unfreiwillig hatte Augsburg verlassen müssen.

»Nicht aus der Stadt –!« antwortete Hausner.

»Wart ihr nicht selbst in Schwabmünchen –?«

Hausner schien nicht hören zu wollen, sondern fuhr, der Frage ausweichend, fort:

»Was mag nicht der gestrenge Herr alles mit euch noch zu verhandeln gehabt haben –! Über mein Recht auf die Krone von Ungarn –! über meinen Vater, den hochseligen König Ludwig –! Über meine schöne Mutter, die ja wohl eine Welsche gewesen sein soll –! Ach, das Lernen von Sprachen hat mir auch drum nicht recht von statten gehen wollen. Heute weiß ich noch weniger ungarisch als damals – nur noch Siralom und – Hontholam–! Hab's um deswillen nicht vergessen, weil's immer noch auf mich paßt –! Hätt' ich gewußt, daß ich jetzt mit nach Paris soll – Wie gesagt, ich selbst kann kein Wort vom Franzosenlatein –!«

»Auch mit nach Paris sollt ihr?« fragte Ottheinrich erstaunt. »Kann euch der Ritter so lange entbehren –?«

»Sagt lieber, ob's die Frauen auf Schloß Rimpar können –! Aber die versöhn' ich mir durch Geschenke, die ich mitbringen werde. Ei, ihr sagtet ja, daß ihr auch noch einige Andenken für mich hättet –?«

Ottheinrich griff in eine Schublade seines Schreibtisches, holte ein Kästchen hervor, öffnete es und übergab Hausner den Inhalt mit den Worten:

»Es wird euch nach eurer eigenen Meinung über eure Pflegemutter ziemen, diese Dinge wertzuhalten! Davids Lobgesänge mögen euch erheben, wenn ihr in Anfechtung fallet –! Das Bild dieser schönen Frau aber lehre euch die Wandelbarkeit des Glücks, das uns die Frauen gewähren, wenn uns mit ihnen nicht die Tugend vereint–!«

Hausner ließ sich kurz die Geschichte dieser Andenken erzählen. Den zu ihm gehörenden Goldreifen hatte er vor Jahren im Klinkerturm schmelzen wollen, um damals mit anderen Mischungen den »roten Löwen« zu machen.

»Der rechte Erbe dieser Andenken bin ich zwar nicht –!« sagte er. »Doch will ich sie nehmen und das Bild als Amulett tragen. Noch höre ich die Wehklagen meiner Pflegemutter um den Tod ihres Mannes und ihre Verwünschungen seiner Mörder –! Bei alledem hab' ich bis jetzt dem Hause Habsburg, dem ihr Fluch und wohl auch der Zauber dieser Andenken galt, allein leben und dienen müssen. Wer weiß – ob sich nicht meine Fahne – durch diesen Zauber nun umkehrt –!«

»Umkehrt? Die Fahne eures Ritters –?« »Auf der Plassenburg wirft der Wind, der aus Böhmen kommt, zuweilen die Wetterhähne der Türme possierlich auf die andere Seite – etwa wie ein Blatt in – einem – Buche –«

Damit blies Hausner in die Luft. Dann steckte er plötzlich mit seltsamer Gebärde einen Finger in die Blätter, blies in den Psalter, eines der Blätter bog sich zurück. Jetzt ergriff er einen Finger an Ottheinrichs Hand, drückte diesen auf das Blatt und ließ ihn lesen, was er getroffen hatte.

»Psalm 7l. Gott, hilf mir aus der Hand der Gottlosen, aus der Hand der Ungerechten und Tyrannen –!« las Ottheinrich und fuhr, von dem seltsamen Treiben, zumal in schon so nächtiger Stunde, erschreckt, fort: »Ihr wollt das Buch zum Orakel machen –!« Von dem Inhalt der Stelle war er betroffen.

»Und noch einmal!« sagte Hausner rasch, blies und legte auf das Blatt, das aufflog, Ottheinrichs wieder festgehaltenen Zeigefinger.

Ottheinrich las:

»Psalm 23. Er werdet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser.«

»Scheint ja ein euch willkommenes Orakel zu sein –!« sagte Hausner, als er Ottheinrich in Schweigen verfallen sah über – so deutete es dieser – eine Mahnung des Himmels, daß er zur Errettung eines Gefangenen und zur Reise nach den Niederlanden nicht Land nicht Meer scheuen sollte.

»Nun könnt ihr mir auch bekennen – die »grüne Aue« bringt mich darauf –« sprach Ottheinrich, wie aus bewußtlosem Träumen sich aufraffend, »warum neulich euer Ritter so erstaunt war, daß eine Dame, die ihr ja kennt und aufsuchen solltet, Jakobina Jung, am 28. April abends ein grünes Kleid getragen hat?«

Nach einigem Überlegen erzählte Hausner, daß sich Markgraf Albrecht nach Kündigung seines Jahressoldes von dreitausend Kronen und dem kaiserlichen Verbot seines Zuzuges zu einem Krieg Englands gegen Frankreich in einer besonders trüben, ja verzweifelnden Stimmung befunden hätte. Auf der Plassenburg ging er des Tags, oft sogar des Nachts, auf den Wällen wie ein Träumender um, düster und in sich gekehrt. Zuweilen besuchten ihn mächtige Herren aus Böhmen, die Sternberge, die Kolowrat. Von Dresden oder Magdeburg kämen Moritz oder dessen Bruder August. Dann schlössen sie sich öfters ein, stellten Wachen aus, um von niemand belauscht zu werden, und merkten auf solche Art kaum, wie inzwischen Mitternacht herangekommen und die Lampen bis zum Verlöschen niederbrannten ...

»Da wo man nichts sieht, sieht man alles –,« fuhr mit nüchterner Erklärung derselbe Zauberer fort, der einst in einer Glaskugel Welten gesehen hatte. »Als so auch am 28. April Kurfürst Moritz und Markgraf Albrecht,« fuhr er fort, »nachts ganz allein am Tisch unter geleerten Kannen saßen, öffnete sich die Tür und eine schöne Jungfrau trat in grünem Gewände herein in die Halle. Kurfürst Moritz sah sie anfangs nicht. Er sah nur, daß der Markgraf von ihm abrückte, wie wenn sich jemand zwischen sie hätte setzen wollen. Nun erkannte aber auch der Kurfürst die Gestalt. Die Jungfrau grüßte beide lächelnd und dreist antwortete sofort der Markgraf der Erscheinung, nannte sie »Jäckelchen!« und forderte sie auf, ihn zu liebkosen. Der Kurfürst hatte sich voll Entsetzen erhoben und ging. Eisigkalt hatte es ihn von der Stelle her angeweht, wo das Gespenst Platz genommen. Markgraf Albrecht blieb mit starren Augen allein, bis Jakobina Jung, für die er sofort das Gespenst hielt, dreimal genickt hatte und hinausgegangen war. Da rief Moritz schon draußen um Licht und erzählte, was beide gesehen. Die Fürsten glaubten nicht anders, als daß die Dame, der sie so eifrig hier in Augsburg hofiert hatten, in selbiger Stunde gestorben wäre. Wenn sie aber gehört haben, daß sie wohlgemut am 28. April auf Hohenschwangau bankettieren saß, so deuten sie sich den Besuch vielleicht anders. Ich sollte meinen, er könnte heißen, beide Fürsten werden in jungen Jahren sterben, einer noch dazu durch den andern, und Jakobine bald nach oder vor ihnen –!«

Ottheinrich erhob sich, das seherische Wort mit beiden Händen abwehrend.

Hausner hatte beinahe einen Ausdruck der Verklärung in seinen Zügen. Er wollte jetzt Abschied nehmen. Als er wiederholt auf die Bitte des Ritters zurückgekommen war, eröffnete sich ihm Ottheinrich mit mutiger Entschlossenheit. Er selbst trüge Verlangen, für die von dem Ritter gesuchte Persönlichkeit einzutreten. Nur um das bäte er, daß dann Hausner in Nördlingen dem preußischen Kaufmann vorschlagen möchte, ob er sich nicht erst in einigen Tagen und etwa am Rhein zu ihm gesellen dürfte. Des Französischen, worin sich Ottheinrich die verlangte Fertigkeit in ausreichendem Grade zutraute, würde ja auch der Reisende früher nicht benötigen.

Hausner erstaunte über den Vorschlag, widerriet eine Trennung von Augsburg und Hohenschwangau, machte den bisherigen Vertrauten des Paumgartnerhauses auf die Vorteile aufmerksam, deren er sich gerade jetzt freiwillig begeben würde; gerade jetzt würden ja die Söhne des Verblichenen mehr noch als der Vater auf seinen Beistand rechnen ...

»Ich will nichts,« entgegnete Ottheinrich, »als die Ämter, die ich in meiner Obhut hatte, dem Pfleger Sigmund Rothhut und dem Notar zurückgeben. Dann schüttle ich den Staub dieser Stadt von meinen Füßen – Laßt mich in Gottes und unseres Heilands Namen mit euch über den Rhein und nach Frankreich reisen –!«

Am folgenden Morgen schickte Grumbach einen Boten mit dem Bescheid, daß er sein Anerbieten annehmen wollte, vorausgesetzt, daß die Entscheidung, Paul von Biberach wollte ihn als Dolmetscher mitnehmen, später, etwa in Heidelberg, gegeben werden könnte. Man könnte noch kaum auf einen Brief von ihm aus Nördlingen rechnen.

Es währte acht Tage, bis die Erklärung Ottheinrichs, er fühlte sich durch den Tod seines Prinzipals seiner Pflichten entbunden, von dem Testamentsvollstrecker und namentlich von Zasius, der sich auch hier in der ganzen Autorität seines neuen Amtes zeigen wollte, angenommen wurde. Es vermochte ihn aber kein Widerspruch, keine Drohung zum Bleiben zu bewegen, nicht einmal eine Aussicht, die man ihm für die Testamentseröffnung gab. Es hieß, sicher würde auch er vom Rat bedacht worden sein. Die Ungeduld und Unruhe seines Drängens um Entbindung von seinem Amte wuchs, als die Anzeige kam, die Bestattung in Waltenhofen wäre vollzogen und jeden Augenblick könnten die Söhne des Rates von Hohenschwangau, wohin sie von Innsbruck abgerufen worden waren, eintreffen.

Als dann noch für bestimmt feststand, daß auch die Freifrau von Völs mit ihrem Gatten kommen würde, und zu gleicher Zeit unerwarteterweise wirklich von Grumbach ein Zettel mit Paul von Biberachs Zustimmung zu einem Zusammentreffen in Hagenau geschickt wurde (den bestimmten Tag sollte der Dolmetsch im Gasthause »Zum Ritter« in Heidelberg erfahren), da verließ Ottheinrich, gerade eine Stunde vor Gundulas Ankunft, Augsburg und war, als sie eintraf und zuerst nach ihm verlangte, bereits auf dem Wege nach Ulm und Frankreich.


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