Karl Gutzkow
Hohenschwangau
Karl Gutzkow

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XIX.

Am folgenden Morgen, in Gegenwart eines mit allen Lebensverhältnissen des kaiserlichen Rats vertrauten Notars, des Doktors Scheffel, schloß dieser mit den beiden Brüdern von Schwangau, mit Johanna von Schwangau und dem kaiserlichen Schatzmeister Haller von Hallerstein den Ankauf Hohenschwangaus ganz in jener Form ab, wie Königin Maria ihm geraten hatte.

Als Zeuge wurde der Pfandpfleger Ligmund Rothhut zugelassen, der von achtbarer Augsburger Herkunft und dem Rat seit Jahren verpflichtet war. Außerdem waren »Siegler« einige Domherren und Herr Wolfgang Rudolf, der dem Rat verwandtschaftlich nahestehende Führer seines Geschäfts.

Alle gaben sie ihr Ehrenwort, daß sie von dem Vorbehalt und von jener Form, unter der Haller von Hallerstein nunmehr Freiherr von Hohenschwangau zu werden im Begriff stand – wovon an und für sich kein Hehl gemacht zu werden brauchte – gesonnen waren, ein unverbrüchliches Schweigen zu beobachten.

Haller versprach, wenn die Übertragung der Schwangauer Lehen auf ihn oder seine Nachkommen vom Kaiser genehmigt sein würden, diese seinem Freunde Paumgartner käuflich wieder abzutreten und solche Zession beim Kaiser auf eigene Wagnis auszubringen.

Den Kaufpreis zahlte Hans Paumgartner im Belang von einunddreißigtausend Goldgulden. Halb mußte die Summe in rheinischem Golde, halb in grober Silbermünze von Tirol erlegt werden. Den Verkäufern war es ganz genehm, daß die volle Summe nicht sofort bar entrichtet, sondern gegen Verpfändungen verzinst wurde. Die Anlage des erworbenen Kapitals konnte den Verkäufern nicht vorteilhafter geboten werden.

Haller versprach, alles aufzubieten, um schon innerhalb eines halben Jahres die Zession eintreten zu lassen. Seine königliche Gebieterin hatte bereits an ihren Bruder geschrieben. Ihm selbst war von je König Ferdinand ein gütiger Herr gewesen; so hoffte er auch, von ihm als Erzherzog von Tirol, der für einige Teile des Schwangauer Besitzes sogar selbst Lehnsherr war, keine Verhinderung erfahren zu dürfen. Die Ungnade, die ihm, sollte der Scheinkauf an den Tag kommen, drohte, wollte er um seines Freundes willen gern ertragen. Er fürchtete sie auch nicht. Hatte doch der letztere seit Jahren Beweise einer in jetziger Zeit so besonders schätzenswerten kaiserlichen Gesinnung gegeben und versprach deren noch mehr zu geben. In Augsburgs, Bayerns, Brandenburgs Nähe konnte eine so rührige, entschlossene Hingebung an die Habsburger nicht genug gefördert werden. König Ferdinand, so hoffte man, würde sich, in Erwägung dieser Verdienste, mit der Zeit beruhigen.

Ehe noch die feierlichen Gelöbnisse und die schriftlichen Handvesten vollzogen waren, hatte man die Vorgänge des gestrigen Abends, den Brand des Klinkerturms und die Verhaftung des berüchtigten Ritters und Doktors der Rechte Hans von Fuchsstein (denn dieser war der Gichtbrüchige, den seine früheren Spießgesellen, Bock und Böhme, als einen gefährlichen Rottierer zur Anzeige brachten) aufs lebhafteste besprochen. Der Brand im Klinkerturm war in seinen Ursachen unaufgeklärt. Nur eine Folge davon, das Verschwinden des gefangenen Knaben, stand fest. Daß Moritz Hausner durch ein verbrecherisches Mittel selbst seine Freiheit hatte gewinnen wollen und den baufälligen Turm in Brand gesteckt hatte, erschien nach dem, was bereits durch den Henker deponiert war, durchaus wahrscheinlich. Der Verbrecher mußte die Verwirrung benutzt, sich versteckt und geflüchtet haben.

Ein Spiel des Zufalls war es, daß dieselben Menschen, die vor Jahren an der Aufstellung eines falschen Prätendenten für die Krone Ungarns beteiligt gewesen, gerade jetzt in Augsburg sich wieder zusammenfanden. Bock und Böhme hatten schon längst das Spielzeug ihrer Umtriebe, jenen Knaben, aufgegeben, hatten neue Ziele, neuen Köder ihrer Gewinnsucht und einer verzweifelten, an allen Ecken und Enden gehetzten Existenz im Auge. Hans von Fuchsstein seinerseits kam unmittelbar aus dem Turm von Hohenurach, in welchen ihn Ulrich von Württemberg hatte werfen lassen, trotzdem der Ritter und Doktor der Rechte jahrelang seiner Sache diente. Der verwegene, den lediglich die Leiden der Gefangenschaft soweit körperlich hatten herunterbringen können, war ein geborener Oberpfälzer, ein Herr zu Ebermannsdorf bei Amberg. Pfalzgraf Friedrich, der Reichsverweser, der unermüdliche Wanderer auf Freiersfüßen, hatte ihn, seiner Kenntnisse und Anschlägigkeit wegen, zu seinem Kanzler gemacht. Als der Kurfürst der Rheinpfalz, des Pfalzgrafen Bruder, von seinem Schloß zu Heidelberg nach Nürnberg aufbrach, ebenso lebenslustig sich an der Pegnitz zu ergehen anfangen wollte und sich auf einen gleichgearteten schlimmen Ratgeber, den Ritter von Venningen, stützte, verschleuderten die beiden lockern jungen Fürsten manche Stadt, die sie in Nürnberg verpfänden und zuletzt verkaufen mußten. Die Beschämung über ihre Lage, ihre Stellung zum Reichsregiment führten sie selbst, zunächst den Fuchssteiner, in einen Zusammenhang mit Sickingens Plänen. Um alles gern hätte er wenigstens seinen Herrn zum Bundesgenossen und Förderer der Sickingenschen Pläne gemacht. Er ermunterte Sickingen, versicherte ihn der Zustimmung des Kaisers, stellte ihm die Majorität des Reichsregiments in Aussicht. Sickingen unterlag. Eine Kugel machte seinem Leben bei Berennung einer seiner Burgen ein Ende. Der Kurfürst hatte sich schon in aller Eile den Gegnern des Ritters angeschlossen. Darüber wurde dann nur noch der Fuchssteiner bloßgestellt. Er wurde von seinem Herrn verhaftet und vor dreizehn Jahren in einen Turm zu Amberg geworfen, der noch jetzt nach ihm der Fuchssteiner heißt. Durch Reue, Verstellung, gewandte Verteidigung erlangte er seine Freiheit wieder. Zu guter Stunde. Denn nach Sickingens Sturz kamen die Briefe des Fuchssteiners zu Tage, die ihm den Kopf hätten kosten können, wenn man ihn noch im Turm gehabt hätte. Fuchsstein hatte sich nach der Schweiz begeben, wo ihm Ulrich von Württemberg mit offenen Armen entgegenkam. Bald wagte sich seine Keckheit mit gewaffneten Reitern wieder auf deutschen Boden zurück. Zur selben Zeit, als Argula von Grumbach gegen die Ingolstädter Universität kämpfte, wagte sich der Flüchtling bis zur Donau, sogar bis nach Regensburg, wo er dem Bischof drohte, er würde, wenn er ihm nicht frei Geleit gäbe, die Stadt anzünden, vom Ritterstand war er auf die Bauern, vom Sporen, wie Herzog Ulrich ebenfalls sagte, zum Bundschuh gekommen. Fuchsstein kannte die Lage des gemeinen Mannes. Der überall liegende Zündstoff einer Erhebung brauchte nur angeblasen werden. Herzog Ulrich fiel mit den Bauern in Deutschland ein. Bald loderte der Brand bis nach Thüringen und Sachsen hinauf. Plan, Organisation, Ausdruck der Ziele, die man sich gestellt hatte, kamen von einigen aufrichtigen Bekennern des erwachten und mündiger gewordenen Volksgeistes, nicht minder aber auch von so verzweifelten Existenzen wie Fuchssteins. Nach dem für die Bauern unglücklichen Treffen von Sindelfingen entwich er in die Schweiz, wagte aber – und die eigentümliche Stellung, die anfangs in der Tat Österreich zur Bauernerhebung einnahm, schon um Württemberg zu behalten, das König Ferdinand in Besitz genommen hatte, ermutigte ihn dazu – sich nach Radolfszell am kleinen Bodensee zu begeben und frischweg mit Österreich für den Herzog zu unterhandeln. Sogar nach Hessen wagte sich der Tollkühne zum Religionsgespräch von Marburg. Späterhin unterhandelte er mit Frankreich, Ungarn, König Japolya, Zoliman. Als Michael Gaismayr bei Padua wohnte, war der Fuchssteiner sein besonderer Rückhalt. Dieser schickte dem unversöhnlichen Tiroler, der sich auf die Republik Venedig und eine Partei in Ungarn stützte, Sendboten in allerlei Gestalt, kam auch wohl selbst als Priester gekleidet zu ihm oder veranlaßte ihn, zu Zwiesprachen nach Graubünden und nach Zürich zu kommen. Die Losung der gemeinschaftlichen Unternehmungen konnte jetzt nur noch die Schädigung Österreichs sein. Um Österreich aus Württemberg zu vertreiben, hatte Bayern Geld von Frankreich genommen. Da kam des Fuchssteiners Verrat an Ulrich. Bayern übertrug die Wiederherstellung der alten württembergischen Dynastie auf den Sohn Ulrichs, den vom Kaiser erzogenen, diesem entflohenen Prinzen Christoph, den Neffen der bayerischen Herzoge. Im Laufe der Zeit, bestochen durch bayerisches Geld, wirkte Fuchssteiner nicht mehr für den Vater, sondern für Christoph den Sohn, und bereitete jenem sogar Verlegenheiten durch selbständige Unternehmungen, die die Pläne des besonnener und gemäßigter gewordenen Fürsten durchkreuzten. Als Ulrich durch den Landgrafen von Hessen endlich wieder zu seinem Land gekommen war, kam wohlgemut und gleichsam wie nach wohlgeführter Sache dennoch der Fuchssteiner nach Tübingen, um sich seinen Lohn zu holen. Der Herzog kannte sein Doppelspiel und ließ ihn in den Turm von Hohenurach werfen.

Schon durch die Geständnisse Bods und Böhmes, die beide, unangenehm von dem Zwischenvorfall mit dem Knaben überrascht, dem Stadtrat, dem sie als Sendboten, Kundschafter, Aufpasser dienten, über Moritz Hausner gegeben hatten, lag für Rat Haller zur Berichterstattung an Königin Maria, vor allem nach Wien und Innsbruck, der gauklerische Plan offen zu Tage, den man vor Jahren mit einem Bergwerksknaben verfolgt hatte, der die Rolle des den Unzufriedenen so zur Unzeit gestorbenen sogenannten Grafen Ilajos hatte übernehmen sollen. Beide Abenteurer, die mit ihren Finanzplänen in Ofen und Innsbruck gescheitert waren, trieben sich anfangs als Laboranten, Rutengänger, als Quacksalber und Tabuletkrämer in benachbarten Landen um, zugleich Boten- und Spionendienste besorgend, die ihnen, seitdem in deutschen Landen Reibung und Haß immer mehr in Blüte stiegen, von allen Seiten gut bezahlt wurden. Die ungarische Partei, die auf den natürlichen Sohn König Ludwigs gerechnet hatte, sah immer mehr Magnaten von Zapolya abfallen und zu König Ferdinand übergehen. Martinuzzi drängte daher in Zapolya, sich zu verehelichen. Noch war die Wahl nicht entschieden. Und wenn auch eine Ehe – vielleicht mit einer Polin, die man in Aussicht genommen: hatte, zustande kam, wer verbürgte Nachkommenschaft? Da stirbt Beatrice Pifani, stirbt auch ihr Sohn. Die Rache aber eines Weibes, dem zur selben Zeit durch österreichische Sendboten ihr Gatte ermordet worden war, ließ den Tod des Grafen Ilajos zweifelhaft erscheinen. Die Verbindungen der Länder und Städte, zumal in Zeiten, wo die Pest herrschte, waren die unvollkommensten, Gerüchte vertraten die Stelle der Tatsachen. Hatte das Gerücht nicht die Wahrheit gesagt? Lebte nicht wenigstens noch König Ludwigs Sohn? Wer konnte Auskunft geben? Da sich die Spur der Gaismayrschen Angehörigen nach Deutschland verloren hatte, so mußte die ungarische Partei, die von Großwardein aus mit ihnen eine Verbindung unterhalten hatte, es nunmehr über Nürnberg, Gnolzbach, Augsburg, Innsbruck tun. Da wurden denn der Fuchssteiner, Bock und Böhme die Mitwisser und Förderer – erst der Wahrheit, hierauf der Erfindung, daß noch ein Sohn König Ludwigs für die Zukunft Ungarns als Trumpf da wäre, den man bei gelegener Zeit ausspielen könnte. Den Versteck der geächteten Gaismayrin hatten diese Agenten aufgefunden, ihr mannigfachen Beistand versprochen, den Knaben, den auch sie für den echten erklärten, oft gesehen. Die Schwangauer Herrschaft hatte den Knaben nach dem Tode seiner Pflegemutter zu den Mönchen des Klosters Steingaden gegeben. Drei Jahre verstrichen, ohne daß sich irgendwer für den Zurückgebliebenen regte oder eine der Versicherungen erfüllte, die sich für die Zukunft des Kindes verbreitet hatten. Fuchsstein, der Leiter des ganzen Gewebes, war eben damals in den Turm von Hohenurach geworfen worden, Bock und Böhme blieben ohne Aufträge, ohne Geld und wandelten schon lange wieder auf neuen Fährten.

Da nunmehr der Flüchtling durch Ottheinrich Stauff und den Fuggerschen Obersteiger auf, seine wahre Herkunft zurückgeführt worden war, so konnte denn auch alles, was sich nach dieser Richtung hin als eine Gefährdung der öffentlichen Zustände hätte ergeben können, als beseitigt betrachtet werden.

Als Hans Paumgartner mit Rat Haller allein war, atmeten vor allem beide von der Erschöpfung auf, die ihnen die mühlradartige Zungengeläufigkeit der schwangauer Rittersfrau verursacht hatte. Das Ziel der edeln Frau war erreicht, ihre Zukunft versorgt, sie konnte mindestens noch Zwanzig Jahre mit Behagen leben und sich all jenen Stiftungen widmen, die sie begründen zu wollen versprach.

Noch einmal bekräftigten hierauf Haller und Paumgartner durch Wort und Handschlag die getroffenen Verabredungen. Dann tauschten sie wiederholt die Verständigungen aus über die politischen Dienste, für welche sich Haller, als von Paumgartner zu leisten versprochen, bei seiner Herrin verbürgt hatte.

»Seid dessen gewiß,« sagte Paumgartner, »daß ich nichts unterlassen werde, mich dankbar zu erweisen und für das Vertrauen des kaiserlich königlichen Hofes durch die Tat aufzukommen! Zwar hat dem Dienst, den ich in der ungarischen Sache euch geleistet habe, der gestrige Brand nicht vollkommen das erhoffte Ende gegeben; indessen wisset ihr nun doch, was von König Ferdinand ferner in Ungarn nicht mehr zu befürchten steht. Das Andenken an den alten Stamm der Corviner ist erloschen, was noch in diesem Augenblick Hans Thurzo, wie früher in Schlesien, so in Gnolzbach sinnen und spinnen mag, sollte des Königs Räte wenig kümmern. Markgraf Georg ist keines Dinges mächtig, das ein lang Einsehen und Abwarten erfordert. Ihn hetzt der Augenblick bald in diesen Zorn, bald in jene Reue, seine alte Kraft, Jörg Vogler, ist von ihm gewichen. Kommt Schertlin zurück, so seid dessen gewiß, sein Gefallen am Geld macht ihm ein absonderlich Justen an meiner Pfeifen. Ich fange ihm den Hessen ab und kopple ihn wenn nicht an Österreich, doch fürs erste an Bayern. Bayern gewinnt sich Österreich durch Verlöbnis der erlauchten Kinder Wilhelms und Ferdinands. Schmalkalden soll, das versprech' ich euch, hiezuland nimmer wachsen. Eure Vaterstadt Nürnberg! Schaut, es soll denen Hessen und Sachsen gar übel bekommen, die Sache der Sektierer zu führen, und Nürnberg, ihres Evangeliums Zion, fehlt ihnen! Beeilt nur die Briefe des Kaisers und daß sie zeitig umgeschrieben werden zu meinen gunsten! Mag nicht länger in Augsburg hausen. Drum verdrießt's mich nicht, wenn auch ihr saget: wir wären es, die dem Kaiser die Stadt erhalten sollten! Ganz werde ich nicht weichen. Dieses meiner Väter Haus werde ich auch als Freiherr von Schwangau behaupten. Aber ich weiß es ja aus Hörbrots eigenem Mund, daß sie hier nichts so sehr fürchten als den Abzug der Vermögenden. Drum besser, sie vermeinen, wir entwichen alle, selbst die Fugger. Im übrigen – wie auch ihr euch von Nürnberg losgerissen habt und durch euer edel Weib, eure hoffnungsvollen Kinder und euer Amt in ein neu Leben eingetreten seid und die Zukunft eures Namens in der Nähe des Kaisers, in Brüssel, zu Madrid, Wien, wie den Mond neben der Sonnen erstrahlen sehet, also ist es meine Sehnsucht, auch mein neu Geschlecht der Freiherren von Hohenschwangau vom Druck kaufmännischer Sorgen, unablässiger Plagen und Demütigungen, so mit unserm Beruf verbunden sind, zu erlösen und nur noch unter Herren, mit adliger Hantierung, wie mit geborener Ritterschaft, zu leben, wohin mich seit Jahren Neigung, Stand, Vermögen, vielleicht auch Talent ziehen –«

Haller von Hallerstein drückte dem Freunde, zum Zeichen, daß er solche Gesinnung durchaus schätzte und ihm dafür in allem ein fröhlich Gelingen gönnte, die Hand, deutete aber durch die Frage, ob nicht Johannes, des Rates ältester Sohn, bald erscheinen und sich der Königin dankend verneigen würde, den ihm durch den Sinn fahrenden Gedanken an: Bist du aber auch für solche Pläne der Neigung, Bildung und vollen Zustimmung deiner Kinder gewiß –? »Von Oswald von Eck,« fuhr er in gleicher Ideenverbindung fort, »der heute in der Frühe auf München zurückgeritten ist, weiß ich, daß euer Sohn in Augsburg verweilen soll –! Warum dankt er nicht der Königin –?«

»Lasset mich annehmen,« erwiderte der Vater mit düsterem Blick, »daß sich die, so ihn gesehen haben wollen, geirrt haben. Es ist nicht unmöglich, daß er da ist. will sich wohl dem Zwang entziehen, den ihm die Verbindlichkeit für eure gütige Vermittlung seines Ratstitels auferlegt! O, auch ihr habt Söhne! Auch ihr werdet vielleicht – Gott sei dafür –! solchen Kummer erleben, daß sie andere Bahnen wandeln möchten, als ihr ihnen vorgeschrieben habet! Der süßeste Trost eines Vaters ist es, sein eigen Leben im Kind sich noch einmal wiederholen zu sehen, wie gern möchte er es als sein sorgender Schutzgeist begleiten, ihm alle Freuden seines eigenen Daseins noch einmal gewähren, alle Leiden, alle Täuschungen, die sein Dasein verbitterten, ersparen –! Aber der Sohn verkennt die weise Strenge, mißachtet die vorsichtige Milde, will die Erfahrungen des Vaters nicht nutzen und legt sich lieber sein Leben auf eigene Verantwortung an –! Fahre denn hin in deiner Torheit! Nur kreuze mir nimmer meine eigene Bahn! Stört mir da eines die Kreise, die ich mir gezogen habe – wehe ihm!«

»Beruhigt euch!« sprach Haller von Hallerstein und brach, da er des Freundes ungewöhnliche Aufregung sah, den Gegenstand mit den Worten ab: »Die Königin wird seine Anwesenheit nicht erfahren, wenn sie ihr nicht Anton Fugger oder der Andächtige von Brixen meldet. Zum öftern sprach sie von eures Sohnes Verlobung mit Anna von Stadion als von einer ausgemachten Sache. Gern hätte sie selbst noch die junge Dame beim Anlaß seiner Vorstellung gesehen, wird dieser Bund zustande kommen?«

»Er wird!« antwortete Paumgartner mit scheinbarer Ruhe. Sein unheimliches Auge verriet die Mittel, die er anzuwenden imstande war, um seiner Prophezeiung die Erfüllung zu geben.

»Das Bild, das Erasmus von eurer Häuslichkeit entworfen hat, beschäftigt die Phantasie der Königin!« sprach Haller ohne irgendeinen Anflug von Ironie über den traurigen Gegensatz. »Auf dem Tanzhause, beim Rundgang, sorget doch ja, daß sie noch Antoni sehe, den ihr aus Venedig erwartet!«

»Wann wird die hohe Frau reisen –?« fragte der Rat mit zusicherndem Kopfnicken.

»Die Nachrichten aus den Niederlanden drängen. Beeilt die Wechselbriefe für Frankfurt und Antorf! Auch die Juwelen vergesset nicht! Das Bankett auf dem Tanzhause wird die Königin nur für einen kurzen Rundgang besuchen...

»Lasset mich mit den Juwelen bis zum Morgen des Banketts warten!« bat der Rat. »Meine Söhne werden bis dahin eingetroffen sein, sie sollen sich vorstellen. Jedenfalls werden in aller Frühe die Steine gebracht. Ich würde sie selbst überbringen, wenn ich den Schein eines Kaufmanns durchführen könnte, wo ihr doch wisset, daß ich der hohen Frau nur eine Verehrung darzubringen gedenke. Es würde auch für sie selbst eine Belästigung sein, in meinem Anwesen den Schein des Ankaufs durchzuführen. Empfehlet mich ihrer Gnade und sorgt, daß nicht mein Schwager bei ihr die Oberhand gewinne!«

Als hierauf der Rat noch einige Augenblicke allein gewesen war, nochmals die verhängnisvollen Papiere durchflogen hatte und sie dann zusammenlegte, kam seine Mutter.

Die würdige Matrone gehörte nicht zu den Schwarzsehern, die hier im Verlassen eines gewohnten Lebensganges, im Einsetzen gewagter Hoffnungen auf ungewissen Zukunftsglanz etwas Unheimliches, eine Herausforderung der trügerischen Schicksalsmächte erblickt hätten, wenn sie über etwas beunruhigt war nach Anhören der geheimen Verabredungen über Hohenschwangau, so lag der Grund nur in der Unruhe ihres Sohnes. Sie sah ihn sorgenvoll und sie wußte, daß es die Kinder waren, die ihm Pein verursachten, Regina, Antoni, Johannes, dieselben Kinder, die sie so innig liebte.

»Johannes soll in der Stadt sein!« sagte der Rat. »Er versteckt sich, um nicht, wie sich gebührt, der Königin zu hofieren! Will sich auch wohl nicht um Anna von Stadion von königlicher Majestät glückwünschend ansprechen lassen –! Die Spelunke, die Nacht, die unadlige Sitte ist seine Welt! Wer möchte glauben, daß dieses Gecken Mutter eine Fugger gewesen! Fast möchte ich gestehen, daß mir da Antoni noch lieber ist in seiner Leblust und Ruhmgier. Niedrige Seelen haften am Gewöhnlichen in allem. In Kleidung, in Benehmen, im Umgang. Ich will Johannes raten, mich nicht zu reizen. Die Torheit unsrer Augsburger Sitte, daß sich Väter beizeiten zu den Narren ihrer Kinder machen, werde ich nimmermehr mitmachen, nimmer der Ehre lächeln, die mir durch die Weisheit meiner Söhne eingebracht wird, oder mich in den Großvaterwinkel stoßen lassen und froh sein, ein Bänklein hinterm Ofen oder Sommers vorm Hause den Sonnenschein mein zu nennen, während die Kinder Karussell reiten! Noch stech' ich den Ring herunter und wehe dem, der mir in den Anritt kommt!«

Der Rat erwähnte nichts von Reginas Absicht, sich zu den Lutheranern zu halten. Er glaubte noch, daß sie es doch nach seinen Erklärungen nicht wagen würde. Da aber berichtete schon die Mutter, daß Regina, durch den alten Diener Schneehuhn, den man mit Knechten ausgesandt, um ihren Einzug in eine Reihe wohlgeordneter Zimmer des Nebenhauses ausführen zu helfen, hätte sagen lassen, es würde mit der Änderung ihrer Lage keine so große Eile haben. Der Bischof und seine Nichte seien ihr gnädig, obschon sie gestern, wie sie ausdrücklich hinzugefügt hätte, noch am Abend in der Sankt-Othmarskapelle gewesen wäre und den Prädikanten Doktor Forster gehört hätte, heute aber in Sankt-Moritz den Doktor Mäußlin hören wollte.

»Die Folge der Reise mit dem Bamberger!« rief der Rat bitter lachend aus. »Auch mit Johannes hat er ein geheimes Spiel! Beichling berichtet, daß der Stauffer gestern mit Cyriax in der »Finstern Stuben« verkehrte, mit Quacksalbern, Franzosendoktoren, Rottieraposteln! soll ich dem Bruder Unnütz das Tor zeigen, wo der Weg auf Nürnberg geht –?«

Die Matrone winkte stumm ablehnend und entfernte sich, schüren wollte sie nicht. Im übrigen wußte sie, daß es ihres Sohnes Art war, nie vollkommen glücklich sein zu können, wenn auch alle Umstände dazu Veranlassung gegeben hätten. Er gehörte zu den Menschen, die sich mitten im frohsten Genuß, im Vollbesitz aller Aufforderungen zu Behagen, abmühen mit dem Aufsuchen und gewaltsamen Heraufbeschwören von Dingen, die sie eigentlich bestimmen sollten, nicht zu genießen und nicht glücklich zu sein. Fand er dann solche Ursachen, so reizten sie ihn doch nur eine Weile. Bald verflogen die Schatten seiner Besorgnisse und es trat um so sicherer dann die ihm unter allen Umständen eigene kraftvolle Beherrschung der Situation ein.

In der Tat hatte Regina wenigstens bei Anna über ihren Besuch der Othmarskapelle keinen Widerspruch gefunden. Es wurde von den Kenntnissen Forsters, der im Hebräischen eine in allen gelehrten Kreisen geschätzte Autorität war, selbst in der bischöflichen Pfalz mit Achtung gesprochen und vorzugsweise vom Bischof, der die Wissenschaften aufrichtig liebte. Regina speiste heute beim Vater. Anna gönnte dem alten Honold und der Freundin das Glück der Annäherung und Aussöhnung, sah sie doch noch für die vielgeprüfte die schwersten Kämpfe voraus, wenn in der Tat – und das vielleicht noch heute – ihr Ehegatte eintraf –!

Anna von Stadion sah indessen am Fenster ihres Zimmers, blickte alle Augenblicke auf den Domhof und glaubte, nun müßte Johannes kommen, sie begrüßen, ihr alles abbitten, womit er sie gekränkt, und sie einladen, ob er sie zur Königin führen sollte.

Durch Apollonia und die geringe Verschwiegenheit ihres Anbeters Cyriax Mäusle hatte Anna längst die Kundschaft, daß sich Johannes ganz dem Dienst der Italiener und ihrer schönen Gesellschafterin, Vittoria Ferrabosco, gewidmet hatte.

Einigen Trost entnahm Anna aus den Versicherungen, die ihr gestern von Ottheinrich Stauff über den Wert, den man den Italienern zuzusprechen hätte, gegeben wurden, und aus Apollonias Mitteilung, daß die Fremdlinge nach München ziehen und dort reichere Beschäftigung finden würden, als sie bei den Fuggern erwarten konnten, die zurzeit nicht in der Laune schienen, neue Bauten zu unternehmen.

Das stille Leid, das sich in Ottheinrichs nächster Nähe vollzog, fand ihn nicht als teilnahmlosen, müßigen Zuschauer. Die stündlich erwartete Berufung des kaiserlichen Rats zur Vollziehung des ihm erteilten Auftrags mit den Juwelen ließ ihn gleichen Schritt halten mit der Geschäftigkeit und Aufregung, die im Haysermannschen Hause über Martinas Ausstattung und Reise herrschte.

Aber wieder verging ein Tag. Er war inzwischen aufs Stadtgericht gefordert worden, um seine Aussagen über den immer noch nicht wiedergefundenen Knaben Moritz Hausner zu Protokoll zu geben. An den Fragen, die man wegen des Fuchssteiners und dessen ehemaliger Genossen an ihn richtete, ersah er den Zusammenhang der gestern stattgefundenen Verhaftung mit dem Ursprung und Herkommen seines Schützlings. Daß sich dieser seine Freiheit durch ein Kapitalverbrechen, eine Brandstiftung, verschafft hatte, stand dem Gericht fest. Betraf man ihn, so konnte es dem Knaben ans Leben gehen. Durch welche Mittel der mit geheimnißvollen Naturkräften früh vertraute Bergmannsknabe nach Entziehung der Lampe, die schon allein die Frau des Henkers in Angst und Schrecken versetzt hatte, ein Feuer hatte entzünden und zu so verheerender Wirkung bringen können, blieb unerklärt. Beunruhigen durfte es Ottheinrich, daß von den Italienern Luigi Costa als Zeuge abgeordnet war. Den Ingrimm seines eifersüchtigen Gemüts ersah er aus den Lügen, die der Maler über ihn und den Knaben schon vorgebracht hatte. Doch wurde den Aussagen Ottheinrichs über die Art, wie die Italiener und er selbst zur Auffindung des Knaben gelangt waren, Glauben geschenkt.

Den ihm für seine Vernehmung gewährten Urlaub durfte Ottheinrich wagen, noch auf den Rest des vormittags auszudehnen. Zuvörderst wollte er die Brandstätte besuchen. Dann gedachte er den Versuch zu machen, sich dem ihm durch Argula von Grumbach so nahe verbundenen Arsacius Seehofer zu nähern. Der gestrige Abend hatte eine Stimmung in ihm hinterlassen, als säße sein ganzes Dasein nur wie mit Adlerflügeln im Käfig eines Stubenvogels. Die Reden des Theophrast, des Fuchssteiners Entrüstung über die Mißbräuche der Zeit und des deutschen Reichs – alles das zusammengenommen hatte ihn in Anschauungen versetzt, gegen die ihm sein stilles, immer nur auf Gewinn und wieder Gewinn berechnetes Kontorleben nichtssagend, ja für sein Bestreben nach dem wahren Inhalt des Lebens fast beschämend abstechen wollte. Bleischwer und wie krank in allen Gliedern hätte er sich auf sein Lager strecken, das Haupt aufstützen und dann doch wieder wie beschwingt zu den Wolken erheben, mit den Sternen um die Wette kreisen mögen. Nun noch die Annäherung an eine Königin – an eine Schwester des Kaisers –! Die Spannung um den Auftrag des Rates wuchs wie zu einer Entscheidung über Leben oder Tod. Jeder Fußtritt, jeder Ruf, den er hinter sich her vernahm, schien ihm die Botschaft aus der Annengasse zu bringen: Rüste dich! Endlich! Die Zeit ist da –!

Ottheinrich begab sich zur Annengasse. Von Kunigunde hatte er seit gestern nichts mehr vernommen. Sollte die Versöhnung bei Tisch nur eine Laune des Augenblicks gewesen sein –? Da er wußte, daß in moralischen Dingen der Sieg in den Händen dessen ist, der dem Kampf und der Gefahr aus dem Wege geht, so schlug er lieber die Augen nieder, um jede Versuchung, auf die Fenster zu blicken, zu vermeiden. Bewegung und Leben gab es ringsum genug. Auch Bekannte, die zu grüßen waren. Schon in der Frühe hatte er im Kontor auf dem Jüdenberg Sigmund Rothhut und den Schwangauer Knecht Baltzer Trotz gesehen, ohne sie sprechen zu können. Jetzt begegnete ihm der erstere, im Begriff, zum Rat zu gehen. Von dem wackeren Reisegefährten erfuhr er zu seinem Erstaunen, daß Hohenschwangau an den Schatzmeister des Kaisers, den Rat der Königin, den Herrn Haller von Hallerstein, verkauft war – ! Diese Mitteilung hätte ihm willkommen sein sollen – Rothhut hatte sie mit unverfänglicher, treuherziger Ehrlichkeit, eingedenk seines verpfändeten Wortes, gegeben. Dennoch verursachte sie ihm Schrecken. Er dachte: Wenn der Rat über diese Wendung verstimmt wäre, ihm vielleicht wieder eine Schuld aufbürdete –! Darüber glitt denn doch sein Blick zu jenem Fenster hinauf, wo Gundula zu sitzen und statt an einem mit Elfenbein und Silber reich geschmückten Spinnrad zu spinnen, gedankenlos auf die Gasse niederzulugen pflegte. Sie war nicht zugegen.

Wieder ging der Tag vorüber, ohne daß die Weisung des Rates gekommen war, sich zur Überreichung der Juwelen bereit zu halten.

Wenn sich Ottheinrich hätte Vorwürfe machen wollen, daß er die Italiener, besonders Vittoria – um des jungen Paumgartner willen – dessen Anwesenheit er nicht erfahren mochte – vernachlässigte, so durfte ihm eine Begegnung mit Luzio die Spari willkommen sein. Zufällig kam ihm dieser in der Wintergasse in den Weg. Der Meister schien in bester Laune zu sein.

»Gute und gerechte Dinge bleiben auch in dieser Stadt nicht unerfunden!« sagte er. »Jetzt sind wir fast in Verlegenheit über die Wahl unter den uns gemachten Anerbietungen. Ob wir nach München gehen sollen, wird von dem Bericht des jungen Ferrabosco abhängen, der vielleicht schon morgen abend zurückkehrt. Er begleitet den Lohn des bayerischen Kanzlers auf untergelegten Rossen. Die Fugger haben uns einstweilen beauftragt, das Tanzhaus für ein Ballfest zu schmücken, das der Königin am Montag gegeben werden soll. Damit find wir seit gestern vollauf beschäftigt, wir werden zeigen, was Italiener aus flatternden, losen Leinen und teilweise wurmstichigen alten Tapeten, die uns zur Verfügung gestellt wurden, zu zaubern vermögen. Dann waren auch Boten des Rats der Stadt bei uns. Sie forderten uns richtig auf, an den Befestigungen eurer Mauern teilzunehmen. Endlich haben sogar die Umgebungen der Königin von einem ihrer ersten Räte gesprochen, der ein königlich Schloß erstanden haben will, das in Verfall geraten sei und sich nunmehr neu, wie ein Phönix aus der Asche, erheben soll. Auch da ist uns, und sogar für lange Jahre, eine Tätigkeit in Aussicht gestellt worden! was würdet ihr uns raten, von alledem zu wählen –?«

Ottheinrich sah die Geheimnisse seines Prinzipals jetzt auf andere Personen übertragen. Ein Neubau Hohenschwangaus –! Dennoch riet er, den Bericht des jungen Ferrabosco abzuwarten.

Messer Luzio hatte Eile. Die Befangenheit, der sich sein junger Freund bei der Absicht, ihn nach dem jungen Paumgartner zu befragen, nicht erwehren konnte, brauchte einige Augenblicke um sich zu überwinden. Darüber war der eilige Italiener schon von dannen geschritten.

Der folgende Tag war ein Sonntag. Ottheinrich hatte die Othmarkapelle besucht und mit Erstaunen Regina Honold unter den Kommunikanten erblickt. Das Gedränge der Menschen war ein zu großes, als daß er sich ihr hätte nähern, ihr seine höchliche Freude über die unerwartete Wandlung ihres Sinnes aussprechen können.

Dagegen hatte Martina die Sebastianskapelle im Fuggerhause besuchen müssen, wie sämtliche Angehörige der Königin. Ottheinrich vernahm es mit bitterstem Schmerz.

Trotz des Sonntags kam das Haysermannsche Haus nicht zur Ruhe. Zu den Vorbereitungen für die Reiseausstattung Martinas gesellten sich die Bestellungen für den morgigen Umgang im Tanzhause. Sogar während der Kirche saßen die Schneider unter den bunten Flicken und Lappen und der Meister und Altgesell hatten sich nicht wenig zusammenzunehmen, um immer gegenwärtig zu behalten, wie sich diese Unordnung in die heiterste Ordnung aufzulösen hatte. Die köstlichen Kleider, die für Johannes bestimmt waren, hatte der Meister schon abgeliefert. Von Gundula kam kein weiteres Zeichen der Versöhnung. Über den Brand erfuhr man manches einzelne noch, nichts aber über das Schicksal des entflohenen Knaben.

Eben hatte es acht Uhr geschlagen. Ottheinrich war unentschlossen, ob er die »Finstre Stube« wieder besuchen sollte, wo sicher wieder Theophrast sein Wesen trieb – Martina war mit dem Fest beschäftigt, wo sie – zum Aufsehen gewiß der gesamten Schneiderzunft – unter den Dienerinnen der Königin zu erscheinen hatte, als am Haysermannschen Hause heftig gepocht wurde und eine Stimme Einlaß begehrte.

»Es wird ein Diener sein,« sagte Frau Praxede, »der um die Kleider seines Herrn kommt! Vielleicht von Herrn Hörbrot –«

Inzwischen wurde ein Fenster geöffnet und um des Pochenden Begehr gefragt.

Nicht wenig mußte Ottheinrich erstaunen, in dem sich Meldenden den jungen Paumgartner zu erkennen. Diesen hatte er im besten Zuge seiner Bewerbungen in der »Traube« geglaubt.

Alles erhob sich vor dem jungen Doktor, dem königlichen Rat, der sich zunächst mit einigen Verwünschungen der Finsternis in diesem Stadtteil einführte, dann einige verbindliche Grüße an die von der Lampe, die sie in Händen hielt, anmutig beschienene Martina richtete. »Ich störe den Familienfrieden!« schloß er. »Vergebt einen Besuch, der nur unserm Freunde Stauff dort gilt, mit dem ich ein Wort im Vertrauen zu reden habe!«

Ein Ernst lag auf Johannes' Zügen, den man in diesem Kreise, wo seine Person niemand fremd war, an ihm nicht zu sehen gewohnt war. Ottheinrich nahm die Leuchte und ging voran.

Oben im Stübchen, das Johannes schon von manchem Besuch kannte, warf sich dieser erschöpft in einen der alten mit Leder überzogenen Sessel und erschreckte Ottheinrich nicht wenig durch sein auffallendes Benehmen.

»Was habt ihr? Kommt ihr so von – Vittoria?« fragte Ottheinrich voll Teilnahme und fügte hinzu: »Daß ihr etwan von Kaufbeuren kämet, kann man nicht sagen. Ihr verweilt schon seit länger als dreien Tagen in Augsburg –!«

»Ich mach' es, sehe ich, den Spähern leicht!« antwortete Johannes. »Ja, ich ruhe mich irgendwo in einem Stübchen von meiner Reise nach Füssen aus und lese in einem Roman von Clement Marot, die Rose genannt. Vittoria sah ich aber darum doch seltener, als ihr glaubt. Heute abend vertraten mir sogar Luzio di Spari und Luigi Costa zusammen den Weg und mit auffallendem Ton sprach der alte Baumeister: »Ich bitte euch, Exzellenza, schont unsere junge Freundin! Sie ist krank, zum mindesten fürchten wir, daß sie es werde, und eure wiederholten Besuche würden nicht ihr Befinden bessern.« Als ich Einwendungen machte und doch meinen Weg über die Stufen der Stiege nehmen wollte, trat mir sogar einer der Brüder in den Weg und bat mich, die Schwester zu schonen. Soeben wäre sein ältester Bruder aus München zurückgekehrt, fügte er hinzu, wohin er mit Oswald von Eck gereist, und hätte der Schwester Nachrichten heimgebracht, die ihr mancherlei zu denken gäben. Deshalb sollte ich ihr die Ruhe gönnen –«

»Was hat sie erfahren?« fragte Ottheinrich, von einer Ahnung ergriffen. Er wußte, über München hatte Antoni Paumgartner kommen sollen.

»Nun konnt' ich sehen,« fuhr Johannes fort, »wie ich Vittoria liebe. Ich bin ihr Knecht. Sie zähmt mein Ungestüm. Legt mir Fesseln an, die ich nur dulde, wo ich Süßigkeit sogar im Schmerz und nicht allein im Glück der Liebe finde. Ging die Stufen zurück und stand eine Weile unschlüssig. Inzwischen war Vittorias Bruder ins Tanzhaus gegangen, wo die gesamte Gesellschaft arbeitet. Ich fragte dort was geschehen wäre, und erfuhr – in München wäre der Bruder unerwartet jenes Mannes ansichtig geworden, der seiner Schwester die Ruhe ihres Lebens geraubt hätte. Comte Traversi, der Edle aus dem Friaul, der Verlobte ihrer Schwester –«

»Ihr hattet es nicht glauben wollen –!« unterbrach Ottheinrich mit banger Erwartung.

»Wer kann glauben, was ein Märchen schien! Am Tage, wo eine Ehe mit Vittoria an einem der Altäre des heiligen Antonius geschlossen werden soll, läßt sie der Bräutigam im Brautkleide, mit dem Kranz auf den goldenen Locken, vergebens harren –«

»Glaubt ihr es endlich – ?«

»Ein Elender wollte die Freuden des Brautstandes genießen – die sorglose Sicherheit, die ein Eheversprechen gewährt –! Das hab' ich mir in Avignon entgehen lassen! Wie leicht ist's, dann Eroberungen zu machen! Die Tochter eines Apothekers in Montpellier hätt' ich auch so gewinnen können. Und die Schwester eines Professors in Ferrara. Aber dazu gehören Talente. Graf Traversi muß die Glätte des Aals, die Geschwindigkeit des Hasen, die Schlauheit des Fuchses besitzen. Schon einmal wollten ihn die Brüder auf der Börse unter den Kaufmännern Venedigs gesehen haben. Kaum hatten sie ihr Messer gezückt, so war er verschwunden –«

Ottheinrich erhob sich.

»In München traf ihn gestern in der Frühe Pietro auf der Dult, mitten im Gewühl der Würfelbuden. Kaum hatte Pietro seinen edlen Schwager erkannt, so verfolgte er ihn. Wieder war er wie von der Erde verschlungen. Eine rote Feder soll ihm hoch und stolz am Hut geschwankt haben – Nach allem, was von seinem Äußern erzählt wird, muß es entweder der Teufel gewesen sein oder – mein Bruder Antoni!«

Ottheinrich wandte sich schweigend ab.

»Ihr aber, ihr wußtet alles das?« fuhr Johannes, sich ebenfalls erhebend, fort. »Als mich Vittoria in Kaufbeuren zum ersten Male sah, da erschrak sie. über meine Augen, meinen Mund, meine Nase –! Seh' ich dem Grafen Traversi so ähnlich – ? Und von dem Jammer – von solcher Schande – habt ihr mir nichts sagen mögen, Stauff –? War das von euch recht –!«

»Ich schwieg von dem, was ich nicht beweisen konnte –«

Eine Stille trat ein. Ottheinrich atmete schwer auf. Mit dumpfem Brüten sah Johannes vor sich nieder. In der Regel wies sein Edelsinn, wo es sich um Anschuldigungen handelte, die Gebilde, die mit erschreckender Verzerrung mißtrauischer Grübelsinn im Menschen zu gestalten pflegt, zurück – eine Gabe des Herzens, dem verliehen, dem noch nicht des Lebens Unbill in die reinsten Gefühle Gift geträufelt oder den Unglück noch nicht bis zum Widerstand gegen die Regungen der Gerechtigkeit und Billigkeit erbittert hat. Bei dem jungen Paumgartner war es eine Art Vornehmheit, daß er den Spruch: Gut sei dir jeder, bis von ihm das Gegenteil bewiesen ist! nicht wie bei den meisten Menschen in sein Gegenteil umkehrte. Hier aber war nichts mehr zu umgehen, die Berührung mit dem Gemeinen nicht mehr wegzuleugnen.

»Ich hätte Pietro selbst um Auskunft angehen sollen!« fuhr Johannes fort. »Ich tat es nicht, weil ich die Bestätigung meines Verdachts fürchtete und ein Grauen empfand vor den Zurüstungen zu den Ballfreuden nebenan, dem Geklopf und Gehämmer, in das ich mich hätte begeben müssen – es hörte sich an wie das Aufschlagen einer Blutbühne – das Zunageln zahlloser Särge –! von Pietros Genossen ließ ich mir's erzählen, wie der junge Ferrabosco im verfolgen des Mannes mit der roten Feder einige Tische, den Kram einiger Buden umstieß, darüber von den Marktleuten verfolgt und angehalten wurde. Man würde ihn ins Gefängnis geführt haben, hätte er sich nicht losgerissen und zu Oswald von Eck geflüchtet, der an einer andern Stelle der Dult mit Warenverkäuferinnen tändelte. Ein Streit entstand. Er wuchs. Als man Oswald von Eck erkannte und die Gelegenheit wahrnahm, ihm für seinen Vater, den Kanzler, Wahrheiten zu sagen, die der Münchener zu jeder Stunde für die Ohren seiner Herren bereit hat, entstand förmlich ein Waffenkampf. Oswald hieb unter die Trabanten der Stadt, die herbeirannten, und nahm mit seinen Genossen – Pietro in ihrer Mitte – dann die Flucht. Am Eckschen Hause begehrte der Vogt der Stadt den Italiener heraus. Sicher würde Pietro auf längere Zeit zur Haft gekommen sein. Da riet ihm Eck, das Weite zu suchen. Mit dem Versprechen, er würde für die Beschäftigung der Künstler Sorge tragen und bis zu ihrer Ankunft auch Pietros Sicherheit geordnet haben – was vermag nicht die Liebe zu Vittoria – selbst bei Narren, die sich leere Hoffnungen machen –! ließ er ein Roß satteln in der Dämmerung und Vittorias Bruder zur hinteren Pforte seines Hauses entweichen. Der Paduaer hatte Mut. Einer der Eckschen Knechte begleitete ihn bis nach Passing. So ist er schon heute wieder hier eingetroffen und bringt uns – den Fleck, der nicht bloß auf Antoni, sondern auf allem sitzt, was Paumgartner heißt –! Ich rannte sofort sinnlos auf die Straße. Sagt mir, wie mach' ich's, um Vittoria unter die Augen zu treten –?«

»Folgt dem Wink des Geschicks und flieht sie für immer –! Oder wollt ihr noch gar die Tücke des jungen Eck herausfordern? Schon umschleicht euch die Eifersucht eines der Landsleute Vittorias –!«

Johannes hörte nicht auf seine Antwort, sondern setzte seine unterbrochene Rede fort.

»Vielleicht,« sprach er mit dumpfem Ton, »vielleicht – wenn ich, wie Perseus mit dem abgeschlagenen Haupt der Medusa, ihr entgegenträte – mit dem Haupt –«

»Redet nicht also!« unterbrach Ottheinrich voll Grauen.

»Antoni ist Graf Traversi!« fuhr Johannes mit dem Ton der vollsten Gewißheit fort. »Gestern saß Vittoria den Tag über und malte zu Ehren der Königin, deren Geschichte man ihr erzählt hatte, Kulissen für unser Tanzhaus. Ich bewunderte den Reichtum ihrer Phantasie. Bildsäulen malte sie auf leinene Tücher. Gott Hymen senkt trauernd die Fackel, während um ihn her Korybanten tanzen und Apollo die Leier schlägt, als ging es zu Glück und ewiger Freude –«

Ottheinrich trat an den Verzweifelten heran und suchte ihn zu beruhigen oder auf andere Gedanken zu leiten. Er kam auf den Brand, auf die Entweichung des mutmaßlichen Anstifters zu sprechen.

Über den Knaben, der in Kaufbeuren auch seine Teilnahme gefunden hatte, kannte schon Johannes durch Cyriax, was seither bekannt geworden und mit ihm geschehen war.

»Siralom! Hontholam!« sprach er. »Mag er um der Küsse willen, die Vittoria auf seine Stirn drückte, glücklich entronnen und Peutingers letzte Stunde nicht stören! In seiner Jugend, wo man noch an Bücherweisheit glaubt, hat der Alte einem Kinde, das beim Mord des bayerischen Ritters Maxelrain geholfen – jeder sagte, eines Schurken, der den Tod dreifach verdient hatte – nach göttlichem und menschlichen Recht die Enthauptung zuerkannt. Seitdem erscheint ihm zuweilen unter seinen Scherben und Leichensteinen ein weißgekleideter Engel und winkt ihm mit der Hand. Fängt man noch den Moritz auf und verbrennt ihn, so könnte sich noch ein zweiter Engel hinzu gesellen –! Pflegt der Ruhe –« unterbrach sich jetzt der Träumende und schickte sich in der Tat auch selbst zum Gehen an, »Ihr müßt morgen der Königin männliche Kraft und Jugend zeigen! Fürsten wollen nichts um sich her, was an die Gebrechlichkeit der Erde erinnert. Hätte ich vor Ihrer Majestät husten müssen, so würde sie besorgt haben, mein Atem könnte der spanischen Monarchie schaden. Krankheit ist an Höfen Mangel an Erziehung. Schade, daß euch mein spanischer Anzug nicht passen wird. Ich wollte ihn euch gern abtreten.« Ottheinrich wollte dem leidenschaftlich Erregten das Geleit geben.

»Sammelt Kraft auf morgen,« hielt ihn Johannes zurück, »für das jüngste Gericht! Zinken und Drommeten werden zum Tanz blasen, die Toten werden aus den Gräbern erstehen. Die Lichter seh ich erlöschen. Antoni wird die Sarabande tanzen! Seht ihr das Blut unter seinen weißen Atlasschuhen? Einer aber wird auch über dies Blut lächeln – mein Vater! Die Hofmänner werden's für eine Komödie erklären zur Belustigung der hohen Herrschaften, wenn – Doch ich weiß nicht, was alles kommen wird. Die Botschaft an meinen Vater möcht' ich euch geben: Euer Sohn ist hinausgezogen in den Wald! Eine Hütte unter Tannen will er sich bauen, unter Bäumen, deren erquickender Hauch seine kranke Brust heilen soll! Sagt es ihm: Ja! Euern Sohn hat Augsburg getötet! Der Qualm der Sünde und Lüge der ganzen Welt hat ihn erstickt! Mein Bruder soll mich ersetzen – David, Georg sollen mich beerben –! Und – ha! Gundula –! –«

Bei diesem Namen unterbrach sich der innerlich Gebrochene mit unheimlichem Lachen.

»Ich weiß es,« sagte er leise, »warum ihr Martina ziehen lasset! Am Tage eurer Einholung vom Ziegelstadel hat es jemand der ganzen Welt verkündigt. Ich meine nicht durch Anschlag an den Toren, nicht durch Heroldsruf oder durch die Gevatterinnen der Familien, die Parzen, von denen ich euch schon in Keufbeuren gesprochen habe. Rosse haben für euch Zeugnis abgelegt, wie bei den alten Persern Rosseshufschlag die Orakel sprach –! Wie flog sie, um euch zu suchen –! Meine Stimme im Familienrat würdet ihr haben, Staufferle – verbotene Liebe ist süß –! Eine Liebe nur ist noch süßer – die unglückliche –! Aber – wer weiß, wo – Hinz ist, wenn Gras wächst –!«

Johannes war gegangen. Mit unheimlichem Blick drängte er Ottheinrich zurück, der ihm bis über die Straße gefolgt war und ihm wenigstens aus dem engen Gewinkel des Stadtteils, in welchem er wohnte, das Geleit geben wollte.

In namenloser Angst blieb Ottheinrich zurück. Den Meister Haysermann, der ihn voll Besorgnis fragte, was geschehen wäre, warum der königliche Rat so erregt geschieden, sah er groß und starr an und antwortete nicht. In seinem Zimmer riß er die Fenster auf, folgte mit dem Ohr den verhallenden Schritten des nächtlichen Besuchers und fand erst Ruhe, als er in seinem Bangen über das, was werden sollte, wenn Antoni mit den Italienern jetzt in Augsburg zusammentraf, nach dem deutschen Psalter gegriffen hatte und die Stimmung der Hoffnung und Zuversicht, die in den Gesängen Davids waltet, über sich hatte Herr werden lassen. Dann suchte er sein Lager auf. So zahlreich die Vorstellungen sein durften, die bei ihm im Schlaf die fortarbeitende Kraft des Geistes und der Phantasie hätten beweisen dürfen, es überwog – das Bild der Erwartung, mit Königin Maria reden zu dürfen. Nicht niederer Sinn war es, es war die Vorstellung von dem, was Gott in die Hände der Fürsten gelegt hat, wenn er geradezu wie von einer Zulassung ins Himmelreich träumte und sich nur von Engelscharen geleitet sah. Auf elfenbeinernem Stuhl, mit flutendem Bart saß Gott der Herr, neben ihm der Heiland, über ihnen schwebte die lichtumflossene Taube.

Am folgenden Morgen kam die Einladung, sich zur Überreichung der Edelsteine bereit zu halten. Der kaiserliche Rat erwartete ihn um die achte Stunde.

Als er in der ihm vorgeschriebenen Tracht vor dem Rat erschienen war, musterte ihn dieser mit Zustimmung, doch ohne besondere Freundlichkeit. Es war in der Tat so, man erwartete jede Stunde Antoni, der über München kommen sollte. Das ganze Haus war in Bewegung.

»Ihr habt der Königin euer Knie zu beugen! Hier ist das Kästchen mit den Juwelen! Die Namen kennt ihr; auch die Preise des Einkaufs, was wir fordern, ist das Doppelte des Einkaufs. Redet nur dann, wenn ihr gefragt werdet! Wird mein Sohn erwähnt, so versichert, daß ihn Krankheit und Geschäfte noch von Augsburg entfernt halten. Morgen in der Frühe wird die Königin reisen.«

Zwei in glänzende Farben gekleidete Diener des Hauses standen auf der Stiege, um Ottheinrich feierlich zu geleiten.

»Lasset euch nicht als Kammerdiener der Königin mitnehmen!« sprach die Großmutter hinter ihm her. Diesmal lag Anteil an dem mutigen Jüngling in ihrem spottenden Ton.

Gundula schien auf Ottheinrichs Herabsteigen vom Zimmer des Vaters gewartet zu haben. Sie stand bereit, den Liebling ihres Herzens in seiner prächtigen Erscheinung mit den Augen ganz in sich aufzunehmen. Dann aber vor allem drängte sie's, ihn zu befragen, ob seine Anwesenheit am Abend auf dem Tanzhause zu erwarten stand. Ihre Rede, die geheimnisvoll flüsternd, flink wie ein Mühlrad auf eine Vermittelung ging, die vielleicht dahin getroffen werden könnte, daß Ottheinrich von der Galerie der Zuschauer in den Saal herunterkommen durfte, unterbrach die hinzutretende Ahne, indem sie die widerstrebende Enkelin von bannen führte.

Ottheinrich schritt dahin – wie in der Luft – die Gedanken nicht mehr nach links oder rechts – nicht auf Vergangenes oder Zukünftiges gerichtet – sondern nur allein die Gegenwart, gleichsam wie ein übervolles Gefäß tragend, lediglich abwartend, daß er keinen Tropfen verschüttete ...

Im Fuggerhause kannte er die Fülle des daselbst zu erwartenden Glanzes schon aus manchem allda vollzogenen Auftrag, sogar die Gemächer der Königin waren ihm bekannt. Ihn konnten nur noch die Entfaltungen des fürstlichen Ansehens selbst jetzt fesseln.

Das Vorgemach des Audienzzimmers war überfüllt. Ab und zu gingen Herren durch die Reihen der Harrenden und fertigten Anliegen ohne Vorlassung der Bittenden zur Fürstin selbst ab. Ihm konnte sein Auftrag nicht abgenommen werden. Allzu Kostbares, seiner persönlichen Verantwortung Anvertrautes trug er in Händen. Im Jagdkleid ging der Bischof von Brixen aus und ein. wieder war er für die Reise nach Brüssel der Reisemarschall seiner Angebeteten. Sein Bistum ließ er im Stiche.

Anton Fugger, seine Neffen, auch Haller von Hallerstein, dem alle Welt als dem neuen Herrn von Hohenschwangau Glück wünschte, gingen ab und zu. Anton Fugger ließ den jungen Diener seines Schwagers, den er kannte, fühlen, daß er die Geschichte mit den Sankt-Ulrichsherren und seiner Rede am Wirtshaus zum »Pyr« wohl behalten hatte.

»Habt nur Mut, ihr werdet eure Sache schon führen –!« sagte dagegen Haller zu Ottheinrich nach Anhörung der Entschuldigung für Johannes Paumgartner, den Rat der Königin.

Ottheinrich wurde von zwei Dienern zugleich, einem Flamen und einem Fuggerschen, der als Dolmetscher diente, angerufen und in das geheime Kabinett der Fürstin geleitet. Hier stand die Königin, an den Doppeladlersessel gelehnt, umgeben von einer Anzahl Herren. Der Bischof von Brixen, Haller von Hallerstein, Anton Fugger waren ihm gefolgt. Er hatte sein Knie gebeugt.

Die Königin trat aus dem Kreise der Männer, mit denen sie eben lebhaft gesprochen hatte, und nahm das Kästchen, das Ottheinrich mit einem goldenen Schlüssel öffnete. Schon die äußere Hülle des Schatzes gefiel ihr in so hohem Grade, daß es den Anschein gewann, als hätte sie am liebsten das Ganze behalten.

Sie sah die Edelsteine mit Augen an, die ebenso funkelten wie die köstlichen Steine selbst. Einmal über das andere rief sie in französischer Sprache:

»Welcher Reichtum! welche Schätze für die Edeldamen von Florenz und Paris –!«

Dann nahm sie einen um den andern der Steine, hielt ihn gegen das Licht, die übrigen Herren traten hinzu, um ihr zu helfen.

Unwillkürlich erhob sich Ottheinrich. Das Mitzugreifen der andern lag nicht in seiner Voraussetzung. Ein plötzliches Verschwinden von Diamanten, selbst in den vornehmsten Kreisen, war bei solchen Anlässen gar nichts seltenes.

Die Königin sagte jetzt in niederdeutscher Sprache:

»Wer diese Steine allzu lange betrachtet, dem tun sie es an! Ich erkenne, daß die Weisen recht haben, wenn sie sagen, daß in solchen Steinen wunderbare Kräfte schlummern. Gar Schönes las ich jüngst auch über die Steine, glaub' ich, in dem Buch, das euer wunderlicher Doktor Theophrastus hier meinem Bruder gewidmet hat. Er muß sich auf die Bergwerke verstehen –«

Wie mühte sich Ottheinrich, den Reiz zum Sprechen niederzukämpfen! Wie hätte er so recht aus der Fülle des Wissens da eine Einschaltung machen, sogar für Anton Fugger das Allerschmeichelhafteste über seinen Vetter Siegmund beibringen können – er mußte es für sich behalten.

Wieder wählte sie andere Steine und verlor sich in deren Glanz, als wollte sie Lebenskräfte aus dem Glast der Steine saugen.

Ottheinrich gewann einige Zeit, sich in dem ihm bekannten Zimmer zu orientieren. Wie störten ihn die Breviere auf dem Betpult, das Kruzifix, darunter die Weihwasserschale –! Also das war die Fürstin, auf die Deutschland ihrer Lutherschen Gesinnung wegen harrte –?

»Die kostbaren Perlen,« sprach die Königin weiter und wühlte in einer der Vertiefungen, wo einige Dutzend echter indischer Perlen schimmerten, »die möchte ich zerstoßen lassen, wie Kleopatra getan, und den Generalstaaten und den Syndizis von Flandern und Brabant zu trinken geben, daß ich solche in Liebe für mich berauschen könnte. Da ginge wohl die neue Steuerauflage durch –!«

»Ein Liebestrank!« sagte der Bischof von Brixen.

Alle erfreute die Heiterkeit der sonst so ernsten Königin.

Endlich behielt sie mehreres, was sie ausgewählt hatte, zurück. »Zu einem Brustbehang von Gold,« sagte sie, »würden diese Diamanten, diese Perlen recht gut stehen –!« Sie deutete auf die schon ziemlich um sich greifende Entleerung des Kästchens und winkte Rat Haller, alles Entnommene genau aufzuzeichnen.

Dieser mochte ihr wohl schon vorher gesagt haben, daß der junge Überbringer dieser Schätze, der sich auch nunmehr bei Abfassung des Verzeichnisses und Aufzeichnung der Preise behilflich erwies, derselbe Diener des Rats Paumgartner war, der sich um die Entlarvung der ungarischen, gegen das Andenken ihres treuen Gatten und die Interessen ihres Bruders gerichteten Umtriebe so anerkennenswerte Verdienste erworben hatte.

Mochte es dann freilich nicht tunlich erscheinen, daß sie in Gegenwart der übrigen von diesen Dingen zu sprechen begann, so redete sie doch den jungen Mann flüchtig auf seinen Namen und seine Herkunft an.

Ottheinrich gab seine Antworten mit Bescheidenheit.

»Ihr seid ein Kaufmann!« sagte die Königin, immer noch im Wählen und Vergleichen der Steine begriffen. »Das ist jetzt der Weg, um zu Reichtümern zu gelangen –«

»Unser wahrer Reichtum ist im Himmel!« – dachte Ottheinrich, sprach aber den Gedanken nicht aus. Als jedoch sein Blick auf ein großes Buch mit silbernen Schließen, das auf dem Tische lag, wo er zu notieren hatte, fiel und zufällig die deutschen Worte auffing: »Wie hat der Herr die Leute so lieb!« kam ihm durch den Anblick der Bibel und die Vorstellung: Es ist wahr, was man von ihr sagt, sie liest täglich in der Bibel! die Ermutigung, diese Worte wenigstens vor sich hin zu murmeln.

Niemand hörte darauf. Am wenigsten die Königin. Alle machten sich mit den Steinen zu schaffen. Die Königin rechnete sich im stillen den Gewinn aus, der sich ihr durch den Wiederverkauf des Zurückbehaltenen ergeben mußte. An eine Bezahlung der Juwelen dachte sie nicht, sie hatte im Wert für etwa dreitausend Gulden genommen.

Die Entdeckung, daß die Königin die deutsche Bibel auf dem Tisch aufgeschlagen liegen hatte, der Zufall, daß die erwähnten Worte Mosis gerade diejenigen waren, die ihm in die Augen gefallen, erschien Ottheinrich wieder ein ihm von Gott unmittelbar gesprochenes Orakel. Und ohne daß er es eigentlich recht verspürte, wie alles kam und immer noch mehr sich regte, befand er sich schon wieder im Zuge jenes willenlosen Gedrängtwerdens vom Geist Gottes, dem er schon so oft hatte widerstehen wollen und der immer wieder zurückkehrte und ihm Augenblicke der gefahrvollsten Prüfungen schuf.

Kaum hatte die Königin bemerkt, daß der Blick des jungen Mannes auf den großen, auf köstlichem Pergament gedruckten, mit bunten Initialen geschmückten Blättern haftete, und hatte daraufhin die Worte gesprochen: »Ja, ja, es steht geschrieben: Ihr sollt euch nicht Schätze sammeln auf Erden, da sie die Motten und der Rost fressen –« und hatte dann doch wieder dem Kästchen, das Ottheinrich noch immer in Händen hielt, sich verlangend zugewandt, so sprach er – mit heller und durch kein Stocken, kein Zögern gehemmter Stimme:

»Denket nur, hohe und großmächtige Frau, daß das Kästchen die Bundeslade Gottes, der Schrein des Zeugnisses, von dem geschrieben steht, sei und daß denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen müssen –!«

Mit einiger Betroffenheit über die Anrede trat die Königin zurück, lächelte jedoch gnädig und nickte ein wenig mit dem Haupte.

Aber die Stille, die in diesem Augenblick unter ihren Umgebungen eintrat, wurde der sogenannte durchs Zimmer gehende Engel. Alles schweigt da und die Erwartung waltet doch, daß geredet werde. Hier fehlte ein Abschluß des kühnlich gesprochenen Wortes, eine Antwort darauf, ein geziemender Schlußpunkt. Wer sollte ihn geben? Ottheinrich rang wie Jakob – mit diesem Engel. Um ihn her wurde es Nacht. Da, als sähe er nicht mehr und als wüßte er nicht, was er zu tun und zu lassen hatte, erschöpft ohnehin durch alles, was er in diesen Tagen erlebt und für heute noch durch die Rückkehr Anton Paumgartners zu erwarten hatte, übermannte ihn der Engel. Er mußte in die Knie sinken und Worte sprechen, die nicht er selbst, sondern ein anderer aus ihm redete:

»Königin, lasset Gnade vor eurem Angesicht das Wort eines armen Jünglings finden! Das Reich deutscher Nation sieht aus euch! Die Gerechten des Herrn harren eures Fürworts, das auch zu der Apostel Zeiten die Boten des Heils zuvor in der Frauen Herzen gefunden! O, daß ich die Kraft Pauli besäße, der zu Joppe Tabea, die mutige Bekennerin des Evangeliums, von den Toten erweckte! Luther hat zu euch gesprochen! Nein, ihr könnt nicht länger schlummern im Grabe päpstlicher Abgötterei, könnt euern Brüdern, den Gesalbten des Herrn, nicht länger vorenthalten, was sie Gott schuldig sind für den heiligen Chrysam, mit welchem er ihre Stirnen benetzte! Fürsten seid ihr des Lebens! Könige seid ihr der Gerechtigkeit! Traget die Krone, die keinem Haupt entfallen wird, die Krone, von welcher es heißet: Sei getreu und ich will dir die Krone des Lebens geben! Seid aber auch ihr getreu dem, was man einst von euch gehofft hat, hohe Fürstin! Bekennet, wie schon in Ungarn, so endlich auch in deutschen und in den Niederlanden, daß allein Christus der Herr der Kirche sei und Gott ein Greuel habe an Opferdienst, Blendwerk der Sinne, Verwirrung der Gewissen! Bekennt euch auf die Schrift von Gott eingegeben, auf Luthers und der neuen Auserwählten alleinseligmachende Botschaft des Heils.«

Die Königin stand anscheinend ruhig und fragend blickten die spanischen Räte, die des kühnen Sprechers Worte nicht verstanden hatten und durch das Selbstgefühl, die unerhörte Zuversicht begreifen mochten, die im Vortrag seiner Rede lag, auf die Niederländer und die Deutschen. Letztere standen teils entsetzt, teils entrüstet.

Haller von Hallerstein zitterte vor Aufregung – schon um der Sache seines Freundes Paumgartner willen. Der Andächtige von Brixen griff an sein Schwert. Es war eine Szene der äußersten Peinlichkeit, die sich nur dadurch löste, daß Anton Fugger hinzutrat, den jungen Mann von der Erde aufhob, an die Tür geleitete, diese öffnete und ihn stillschweigend wie einen Geisteskranken hinausließ.

Wie Ottheinrich zu seinen beiden Begleitern zurückkam, das Freie gewann, in die Sankt-Annengasse zu seinem Prinzipal gelangte, er wußte es nicht.

Dieser empfing ihn, im Begriff auszugehen. Lächelnd öffnete er den Schrein, sah, was entnommen war, schüttelte den Kopf über die bedeutende Menge des Fehlenden, durchsah die von Haller geschriebene Liste, die ihm Ottheinrich zitternd entgegenhielt, und lobte den Jüngling, dem er ruhig, als hätte er selbstverständlich seinen Dienst nur wie eine Maschine verrichtet, befahl, aufs Kontor zu gehen.

»War sie gnädig?« Das war alles, was der Rat noch seinen Diener fragte.

Diesem versagte auch hierauf für ein einfaches Ja! die stimme. Er nickte nur und ging.

Der Rat lachte hinter ihm her. Er sah die Macht der Großen –! Geblendeten Auges stehen die Sterblichen, wenn sie in die Sonne blicken.


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