Karl Gutzkow
Hohenschwangau
Karl Gutzkow

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XX.

Ottheinrich schwankte ins Kontor. Man überhäufte ihn dort mit Fragen und bewunderte seinen Anzug. Er erzählte scheinbar ruhig, ja mit einer gewissen Feierlichkeit, was er glaubte berichten zu dürfen. Daß es nur abgerissene und mit ersichtlicher Zerstreuung und Abwesenheit vorgetragene Einzelheiten waren, so hatte Cyriax recht, wenn er an die Märchen erinnerte, wo Wanderer in einen Felsenspalt geschaut hatten, Bergkönigs Haushalt sahen und nimmer wieder zu sprechen vermochten.

Den Unglücklichen, dem das ganze, ihm seit lange schon bekannte wilde Heer der Vorwürfe, Gewissensbisse, Reuegedanken wieder durchs Hirn jagte, überfiel ein förmlicher Fieberfrost. Es schüttelte ihn wie eine Mutter nach der Geburt. Als es Zwölf schlug, war er wenigstens vom Zwang der Selbstbeherrschung erlöst. Für den Nachmittag blieb das Kontor geschlossen. Zum Fest im Tanzhause war das gesamte Personal als Galeriezuschauer eingeladen. Auch von ihm wurde sein Erscheinen erwartet. Es fehlte ihm aber alle Lust, die Stätte der Freude zu betreten. An den Häusern entlang schlich er sich in seine Wohnung.

Daheim bei seinen Wirtsleuten, die ihm mit noch größerer Spannung als die Kontorgenossen entgegenkamen, gab er denselben abgerissenen, die Hauptsache verschweigenden Bericht.

Als Ottheinrich allein war, da hörte er das furchtbare Wort, das ihm Himmel und Erde riefen: Was hast du getan? Wie wird das enden? Er ahnte ein Unwetter, das ihn vernichten mußte, wie ein Delinquent mit verbundenen Augen sitzend, erwartete er jeden Augenblick den tödlichen Streich.

»Jetzt geht Rat Haller in die Annengasse – jetzt schickt Anton Fugger an seinen Schwager eine Botschaft –!« Alles das malte er sich bis in die kleinsten Einzelheiten aus.

Märtyrerwonnen zu genießen, schien ihm sonst des Lebens edelster Inhalt. Diese Wonne trübte sich jetzt. Immer höher wuchs der Vorwurf des geistlichen Hochmuts, den er sich machte. Wie vermessen hast du gehandelt –! Wie hast du dich dem himmlischen Vater, der dich berufen, aber schwerlich auserwählt hat, gleichsam aufgedrängt –! Wird Gott nicht andere Wege wissen, dem Herzen der Verstockten beizukommen, als durch dich –?

Wenn ihn der Rat verstieße –! Ein Diener wächst mit seinem Herrn zu einem Wesen. Konnte er denn sein und leben ohne die ehrenvolle Stellung, die er nun durch drei Jahre behauptete –!

Für einen Augenblick wuchs auch wohl sein Stolz. Konnte der Rat ohne ihn sein? Ihn, der ihm so treu gedient, so vielfach schon genützt hatte –?

Aber das war dann wieder Vermessenheit –! Der kleine Finger an seines Meisters Hand konnte glauben, daß er dem Meister notwendig wäre –!

Alles, was auf Augenblicke licht und hell in seine Seele trat, zog bei näherer Betrachtung einen langen düstern Schatten des Unglücks nach sich. Soviel stand fürs erste fest, ins Tanzhaus zu gehen war ihm nicht möglich. Gern hätte er dieser feierlichen Zeremonie des Umzugs aller angesehenen Bürger und Bürgerinnen der Stadt angewohnt, hätte den seit lange nicht mehr aufgeführten sogenannten Geschlechtertanz gesehen – es war nur halb ein Tanz mit mäßigen, abgemessenen, nur auf Gehen berechneten Bewegungen. Wenn er sich aber überwand, wenn er auch nur von der Galerie zusah, konnte ihn nicht der Blick der Königin, ihrer Räte, Anton Fuggers und aller derer, die ihn so ungnädig behandelt und zur Tür hinausgeführt hatten, treffen? Konnte ihm nicht eine neue Demütigung zuteil werden? Kunigunde wird dich überall suchen! sagte er sich. Martina wird sogar nicht weitab von der Königin selbst verweilen dürfen –! Man veranlaßt dich vielleicht, näher zu treten –! Welche neue Demütigung konnte das geben, wenn er sich überreden ließ! Zum Glück kostete es ihm keine Überwindung, sich als einen Streiter Gottes zu bekennen, dem das rote Kreuz auf die Schulter geheftet war und der wenigstens da nicht verweilen durfte, wo weltliche Freude rauschte, der Menschen Spiel und flüchtige Narretei.

Martina ging ins Tanzhaus, köstlich gekleidet wie eine Herrentochter. Ihre Mutter begleitete sie. Auch sie war anmutig anzuschauen. Sie schien eine ältere Schwester ihres Kindes zu sein. Haysermann trug einen Anzug mit den Farben und Wappen seines Gewerks; die mächtige Zuschneideschere mit den gekrümmten Griffen, nachgebildet von Borten, thronte auf Brust und Rücken und Achselklappen seines Heroldrockes. Der Altgesell ging zeisiggrün. Er machte einen der Ordner und Possenreißer.

Ottheinrichs Daheimbleiben erschien allen unerklärlich. Doch konnte ihn nichts von seinem Vorsatz abbringen.

Als um sechs Uhr abends die Glocken läuteten, auf den Wällen die Karthaunen und Singerinnen gelöst wurden, mochte sich die Phantasie des einsam das stille Haus Behütenden die Pracht und Herrlichkeit ausmalen, wie die Königin abgeholt, ins Tanzhaus geleitet, über köstliche Teppiche hinweg in die Säle geführt wurde, wo schmetternde, mit langen rotweißen Decken behangene Posaunen, silberne Heerpauken sie mit donnerndem Wirbel empfingen. Ottheinrich sah und hörte, die ganze Stadt mußte in Bewegung sein. Das Summen und Rauschen, das Rufen und Jauchzen am Tanzhause glaubte er bis zu seiner Einsamkeit hin zu vernehmen. Dann malte er sich aus, wie alles so herrlich geschmückt sein würde in den Räumen, die mit Blumen und Girlanden behangen waren, letztere von hohen Gewächsen unterbrochen, unter denen sich die Kunstgebilde Vittorias, wie man ihm auf dem Kontor erzählt hatte, sozusagen halb zeigten, halb versteckten. Er sah die Fülle von Glanz in den Trachten der Bürger, die Frauen in ihrer Schönheit. Zwischen Purpur, Gold und Silber, Licht und eitel Schönheit erblickte dann sein Auge Kunigunde – stolz ihr Naschen rümpfend über Martina, die sie sich nicht so schön vorgestellt hatte. Er sah, wie auch ihn Kunigunde suchte, wie sie die Kontordiener nach ihm fragte, ärgerlich, daß er nicht längst schon nach ihr ausschaute, ihr einen Beweis der Bewunderung – wenigstens ihres köstlichen Anzugs gegeben hatte. Da schritt dann im Tanz Herr Wolfgang Rudolf heran – und neben ihm – wenn der Ritter mit der roten Feder der Ankömmling von Venedig, Antonius Paumgartner wäre – vielleicht nicht ahnend, wem er hier begegnen mußte ... Darüber verwirrten sich des Träumenden Sinne. Ein Bild gaukelte vor seinen Augen, als könnte es heute im Tanzhause so werden, wie Johannes vorausgesehen hatte oder wie es einst auf dem Kapellenberg in seiner Heimat zugegangen, wo ein Wirtshaus gestanden hatte, allwo man zechte und tanzte und fluchte und würfelte; und als eines Sterbenden letzte Zehrung vorübergetragen wurde und nicht wenigstens solange der Hölle Lärm still schwieg und nicht die Musiker, während das Glöcklein des Priesters mahnte, innehielten, da öffnete sich die Erde und verschlang das Haus der Freude, wie den Wirt und all seine Gäste.

Nach neun Uhr schon kamen Martina und ihre Mutter vom Tanzhause zurück.

Sie kamen mit aufgelöstem Blumenkranz, zerdrückten Kleidern, mit Schreck und Entsetzen in ihren Mienen.

Die Visionen Johannes Paumgartners und Ottheinrichs waren eingetroffen. Noch läuteten die Glocken, noch donnerten die Karthaunen und Singerinnen. Das Fest, erzählten sie, war noch in vollem Zuge. Aber eine Weile wäre es erschreckend unterbrochen gewesen und nur noch für die, so bei einem solchen Anlaß, es mochte vorkommen was da wollte, gesinnt waren zusammen zu bleiben mit Jubeln, Schmausen und mit nicht endendem Zechen, dauerte es noch fort.

Mit bebenden Lippen erzählten die Frauen, daß die Königin, nach langem Harren auf ihr Erscheinen und nach nicht endendem Umgang bei denen, die sich ihr verneigen durften, endlich auf einem Thronsessel Platz genommen hatte. Die Tänze hatten begonnen. Als sie im besten Zuge gewesen, hätte sich eine Störung ergeben, die dermaßen verdrießlich auf die Königin nachgewirkt, daß die hohe Frau bald aufgebrochen wäre und sich verdrossen mit ihrem ganzen Gefolge entfernt hätte.

Auf Ottheinrich gespannte Erwartung erzählte statt Martina, die fortging, um sich in Demut auszukleiden, ihre Mutter:

»Kunigunde Paumgartner, eures Prinzipals Töchterlein, erschien wie ein Engel und wundersam schön gekleidet! Rot, weiß, grün war sie von Kopf bis zu Fuß. Die dunkeln Locken hingen ihr unter einem langen Schleier wie einer Braut über Hals und Schultern! Ihr zur Seite schritt ein prachtvoll gekleideter Kavalier, in seidenen Schuhen und Strümpfen. Sein goldener Degen, im Gürtel sein »Tröster« blitzten von Edelsteinen, sein Hut von Perlen. Es war des Fräuleins Bruder, euer Herr Antoni, der eben aus Venedig gekommen ist –«

Ottheinrich hörte atemlos.

»Als das Paar,« fuhr Martinas Mutter fort, »auf das alle schauen mußten, bei den hohen Bäumen angelangt war, so da in ganzer Länge, bis an das Dach des Saals hinauf, aufgerichtet stunden, hinter dem es herrlich gemalte Bilder gab, blieb Herr Antoni stehen, als hätte etwas seinen Fuß gehemmt. Es war aber der Boden so glatt und spiegelblank wie auf dem Eise. Seltsam aber, er konnte nicht vorwärts. Die aber, so hinter ihm kamen, wollten drum nicht stehen bleiben und umgingen ihn. Das gab eine Verwirrung. Da zog ihn sein Fräulein Schwester voran. Das hättet ihr sehen sollen –! Sie hatte die Augen überall und mochte wohl nur nach euch gesucht haben –«

»Redet nicht also –!« erhob sich Ottheinrich und bat, mit fieberhafter Glut in den Augen, fortzufahren.

»Es wurde gefragt, ob dem Junker Paumgartner etwas fehlte –? Nun hörte man auf eins ein Lachen dicht innert der Büsche, hinter einem der hohen Bilder. War ein schrecklich Lachen –! Wie ein Irrer lacht, der uns damit durch die Seele schneidet. Nun schritt Herr Antoni vor, verneigte sich vor der Königin, so sich umgewendet hatte, wie nach dem Lachen alle getan. Herr Antoni war nur um zehn Schritte weiter gekommen, da vernahm man ein Rufen, ein Schreien so aufrührerisch, daß die Musik stockte, was eigentlich geschehen, weiß ich nicht Sagen kann ich nur, daß in welscher Sprache, doch nur kurz, etwa wie ein Priester Amen! Also sei es! spricht, ein Geschrei entstand, dann ein Geklirr von Degen – nun verdunkelte sich's vor meinen Augen. Musik fing drauf mächtig an zu blasen und alles schien auch, wie es anfangs gewesen, wieder feierlich und wohlgemut geworden. Doch hinter uns her auf den Stiegen und Galerien ging es ängstlich auf und ab. Stoffel sorge, der mit fünfzig Mann die Wache gehalten, soll drei Italiener in die Eisen gebracht haben, die auf Antoni gestochen, daß er blutete. Ich hörte, sie waren von den Welschen, so mit euch von Padua gekommen –«

Ottheinrich hatte sich setzen müssen, vor Entsetzen hielt er sein Haupt in beiden Händen.

»Nehmt es euch nicht zu Herzen!« fuhr Frau Praxede fort. »Es hieß auch schon, daß Herrn Antoni kein besonderer Schaden zugefügt sei. Alsbald ging aber die Königin aus dem Saal. Und da Martina folgen mußte, ging auch ich. So wie wir hier ankommen, wurden wir von dem Gedräng zerzaust. Jetzt sind nur noch die Zünfte beisammen und zechen. Auch von den Kaufherren tun sich noch viele gütlich. Aber eures Herrn Töchterlein sah ich nicht mehr. Der kaiserliche Rat war sogleich zur Hand. Er hatte sie wohl von dannen geführt oder irgendwo geborgen. Wir gingen auch deshalb, weil Martina morgen zeitig zur Reise gerüstet sein muß – und wollen nun mit ihr der letzten Ruhe pflegen – ihr erfahret wohl am besten, wie es Herrn Antoni ergangen ist und was an ihn die mörderischen Welschen zu begehren hatten –«

Ottheinrich ging in sein Zimmer, erschüttert von den Schauern des Einblicks in die Wege der ewigen Gerechtigkeit. Das Eintreffen eines so schrecklichen Vorgangs hatte sich voraussehen lassen.

Am folgenden Morgen suchte Ottheinrich seine eigene Lage zu vergessen. Es drängte ihn, zu Vittoria zu gehen, zu Johannes. Er würde sich sofort auf den Weg zur »Traube« gemacht haben, wenn nicht erst noch der Abschied von Martina zu vollziehen und um den Abzug der Königin die Stadt in zu heller, rauschender Bewegung gewesen wäre.

Das Lebewohl, das ihm Martina sprach, war, er sah es wohl, für ewige Zeit gemeint.

»Werdet so glücklich, wie ihr verdient –!« sagte Ottheinrich, als sich beide nach der unbefangenen Sitte der Zeit geküßt hatten.

»Ihr mehr noch, als ihr es verdient!« sagte Martina, unter Tränen lächelnd.

Fast das ganze Haus leerte sich, um Martina an die Packwagen zu geleiten, die der Königin folgen sollten. Die mutige Jägerin selbst reiste zu Roß.

Als sich Ottheinrich endlich ein Herz gefaßt hatte, um sich aufzuraffen und zuvor auf den Weinmarkt in die »Traube«, dann auf den Jüdenberg ins Kontor zu gehen, vertrat ihm beim Verlassen des Hauses eine seltsam zusammengesetzte und, wie es schien, feierlich gemeinte Abordnung den Weg.

Vier Männer, deren Anblick ihm die widersprechendsten Gefühle wecken mußte, waren eben im Begriff Einlaß in sein Wohnhaus zu begehren und ihn aufzusuchen, der alte Magister Rupilus, Laux Beichling, Cyriax Mäusle und, in einiger Entfernung stehend und einen Tragkorb bewachend, der alte Leibdiener seines Prinzipals, Hans Schneehuhn.

Alle gingen mit ihm wieder zurück ins Haus, die drei ersteren mit ihm in sein Zimmer.

Ihm pochte das Herz vor böser Ahnung, was konnten ihm die Boten bringen?

Oben trat Rupilius mit Feierlichkeit an ihn heran. Anfangs erschien ihm das Benehmen des alten Mannes eine Gaukelei. Als dann aber auch Cyriax Mäusle vor sich hinstarrte wie ein Leichenbitter, Laux Beichling einem Armensünder gleich die Augen verdrehte, mußte er sich wohl in die Art und Weise des Alten finden, die ihm von den Trinksprüchen her, die derselbe bei Tisch vorzutragen pflegte, geläufig war.

Bitter und kalt, scharf und schneidend, fest und dermaßen bestimmt, daß sich förmlich in gleichmäßigem Takt der lange, weiße Bart des Alten hob und senkte, sprach der Magister:

»Ottheinrich Stauff! Wir sind von unserm wohledeln Herrn, eurem seitherigen Prinzipal, entsendet worden, euch anzukündigen, daß ihr seines Dienstes entlassen seid! Eurem Fleiß, eurer Ehrlichkeit, euren Kenntnissen läßt der Wohledle alle Gerechtigkeit widerfahren. Doch euer Benehmen, so ihr gestern im Hause Herrn Anton Fuggers, unter den Augen der kaiserlichen Schwester, in Gegenwart der höchsten Standespersonen deutschen Reiches und hiesiger Stadt, eingehalten habt, zerreißet den Vertrag, der euch bis dato an des Wohledeln weltberühmte Banka und Kommerzium gebunden hielt. Die Notwendigkeit, einen Diener, der sich Solches, wie gestern ihr, erlaubte, de facto aus den Diensten eines Kaufmanns, wie unser Herr, zu verweisen, liegt auf der Hand. Ihr kennet aber auch das Gesetz Augsburgs, demzufolge euch nicht gestattet ist, ohne Verwilligung des seitherigen Prinzipals in einen neuen Dienst allhier einzutreten. Auch diese Verwilligung versagt euch hiermit der Rat. Ihr habt die Stadt zu verlassen. Und noch mehr. Der kaiserliche Rat kann auf löblichem Amt den Beweis führen, daß jeder Aufenthalt in Augsburg, so eurerseits noch länger als von Anbeginn dieser eurer Kündigung währen würde, ihn in seinen persönlichen Verhältnissen schädige. Er wird demnach von Herrn Ludwig Spinner, dem Vogt, verlangen, daß ihr auf der Stelle das Weichbild der Stadt verlasset, vorausgesetzt, daß ihr etwa nicht schon freiwillig gehen wolltet. Der Wohledle wird für eure Verbindlichkeiten, so sie ehrlich sind, aufkommen. Entschließet euch also, lieber aus freier Bewegung, in unserer Begleitung Augsburg zu verlassen! Habt ihr annoch allhier etwas zu entrichten –?«

Der Unglückliche war über diese Botschaft so vernichtet, daß es ihm unmöglich war, anders als mit leisem Kopfschütteln zu antworten.

»Der Rat entläßt euch nicht ohne Wohlwollen für eure Person –« fuhr der Magister mit schneidender Kälte fort: »Er weiß euch Dank für alles, was ihr ihm an besondern Dienstleistungen, so euch aber auch schon mannigfache Beweise seines Dankes eingebracht haben, gewidmet habt. Auch noch jetzt will er keineswegs, daß ihr von Augsburg als ein Bettler scheidet. Hiemit zahlt er euch euren noch rückständigen Lohn, fügt den Lohn für ein ferner Dienstvierteljahr, endlich ein Geschenk von zwanzig Goldgulden als besonderes Gratiale hinzu. Nicht minder werdet ihr in Nürnberg, wohin ihr sofort zurückzukehren habt, Empfehlungen für eine fernere Kundschaft finden. Letzteres jedoch nur in dem Fall, daß ihr euch in den Wunsch des Wohledlen ergeben fügt und in unserer Gegenwart, ans Wertachbrucker Tor von uns begleitet, sofort Augsburg verlasset und in Oberhausen, jenseit der Mauth am Wertachfluß, so lange verweilt, bis abends die auf Nürnberg fällige Ordinari euch anreiten und auf ein Roß mitnehmen wird, das ebenfalls Seine Wohledlen für euch schon bis Nürnberg ausgemacht und bezahlt haben werden. Eure Sachen, so ihr noch auf dem Kontor hattet, befinden sich bereits – sehet dort –! in dem Korb. Was für den Transport im übrigen zu schwer ausfallen dürfte, Kleider, Bücher, all das wird euch pünktlich nachgeliefert werden –! Deshalb schicket euch hiemit sofort an, das eurige zusammenzutun verständigt euch mit euren Herbergern und folget uns auf dem Fuß, um von Augsburg in Güte und nach dem Vorgefallenen in leidlichen Ehren abzuscheiden –!«

»In leidlichen Ehren –?« rief Ottheinrich, von Schmerz und Zorn ergriffen. »Mit Schande, saget! Mit dreifacher Schande! Was habe ich verbrochen, daß man an mir also grausam, also undankbar zu handeln vermag!«

Des jungen Mannes Augen rollten. Gegen Laux Beichling sprang er an, der sich schon an seinem Tisch Platz zu machen suchte, um die Geldsummen aufzuzählen, von denen der Bevollmächtigte des Rates eben gesprochen hatte. Auch seinen Kollegen Cyriax stieß er zurück, der auf den Korb deutete, den inzwischen Schneehuhn heraufgetragen hatte. Der Korb enthielt Dinge, die man auf dem Jüdenberg unter dem Deckel seines Schreibpultes gefunden hatte.

»Fasset euch!« sprach Rupilius mit gesteigertem Nachdruck. »Erfüllt, was euch befohlen wird! Es kann nur zu eurem Gewinn ausfallen –! Bedenkt die Güte des Rats! Erwägt, welchen Schimpf ihm und seinem Lohn die mit euch verbundenen Italiener zugefügt haben! Der glückliche Umstand, daß der mörderische Anfall der welschen »Banditen« durch Gottes Barmherzigkeit vereitelt wurde, vermochte den Vater ebenfalls, euch milder zu behandeln, als ihr verdient –!«

»Bezahlen lassen soll ich mir euer Unrecht?« unterbrach Ottheinrich diese Worte. »Lohn soll ich empfangen wie andere, die sich mit Füßen treten lassen? Was hab' ich so Ruchloses begangen? Hat nicht die Königin zuvor vom Wort Gottes zu mir geredet? Ihr lasset mich ein Opfer sein für Anton Fugger, für den Bischof, die Spanier –? Was wagt der Rat – weiß er nicht – was ich Besseres um ihn verdient habe –?«

»Schweigt! Mäßigt eure Zunge!« herrschte ihn der kleine böse Mann mit dem weißen Bart ergrimmt an. Seine sonst so leblosen Augen standen wie weiße gläserne Kugeln heraus. »Ihr seid zu jung, um zu wissen, was der Rat seinem Namen, seiner Stellung zum Kaiser, seiner Familie schuldig ist –!«

»O wohl! Greise kenne ich,« fuhr Ottheinrich, auf die Reden des Alten nicht achtend, fort, »die einen weißen Bart tragen und doch so unweise sind, ihren Herrn zu betrügen – geben seinen Kindern Unterschleif, verbergen dem Vater die Wahrheit über den Aufenthalt seines Sohnes –! Ich hätte Schuld an dem Unglück des Herrn Antoni –! sagt ihr? Fragt sein unglücklich Ehegemahl –! Das kann euch –«

Ottheinrich mäßigte seine Leidenschaft, um Regina zu schonen.

Zornfunkelnd betrachtete der Alte seinen jungen Gegner, erwiderte auf seine Anklagen nichts und schien nur zu überlegen und sich zu vergegenwärtigen, wie geraten erscheinen mußte, daß ein den maßgebenden Mächten des Paumgartnerschen Hauses so nahe gedrungener Neuling entfernt wurde.

Beichling zählte inzwischen mit lächelnder Bosheit die Goldgulden auf. Cyriax suchte durch Mienen des Mitleids und hinter dem Rücken der beiden Peiniger mit bezeichnendem Achselzucken den unglücklichen Kollegen zu beruhigen.

»Ein Brief, der für euch ankam, Staufferle!« sagte er und überreichte einen solchen aus dem Korbe, den er auszupacken begonnen hatte.

Mit Tränen füllte sich Ottheinrichs Auge, als er die Handschrift des mit der Frühpost ausgegebenen Briefes erkannte. Er kam, über Bamberg, von Argula von Grumbach. Der Empfänger war in einer Stimmung, daß er die Züge der teuern Hand hätte küssen mögen.

Ottheinrich öffnete das Schreiben mechanisch und hielt sich noch nicht für würdig hineinzuschauen. Er kämpfte mit Ingrimm gegen die ihn empörende Einschnürung und Einengung seines freien Willens, gegen die Gesetze gänzlicher Abhängigkeit eines Dieners von seinem Brotgeber, gegen die Beweise von Undankbarkeit nach so viel treuen, mit Gefahren Leibes und Lebens geleisteten Diensten.

»Warum soll ich nicht mit dem Rat sprechen –?« sagte er. »Ich werde mich verteidigen, seine Söhne werden meine Fürsprecher sein. Diese wissen vielleicht nicht, was mir soeben widerfahren soll!«

»Herr Antoni,« entgegnete der Magister zähneknirschend, »der weiß es vollkommen! Nur durch euch ist der Unglückliche in die Lage kommen, von Mörderhand beinahe sein jung Leben zu verlieren –«

»Gott im Himmel!« rief Ottheinrich mit verzweifelndem Lachen. »Mir soll die Schuld elender Tücke, in denen er zuvor ein Meister gewesen, zugeschrieben werden!«

»Lasset, lasset!« fuhren Beichling und Cyriax zu gleicher Zeit auf ihn ein, um ihn nur zu beruhigen und an neuen gefährlichen Freiheiten des Urteils zu verhindern. Lauscher im Hause mußte es schon genug geben.

Es lag am Tage, daß der Rat auch den gestrigen traurigen Ausgang des Ballfestes Ottheinrich in Anrechnung brachte, wenn auch Laux Beichling mit gemachter Würde versicherte:

»Seine Wohledlen lassen euch sagen, daß er euch in nichts anschuldige, so sich aus den Aufträgen ergeben hat, deren euch sein besonderes Vertrauen gewürdiget. Ich kann euch versichern, daß seine Hand euch unverloren bleibt und sich auch noch in der Fremde mannigfach bewähren wird. Noch scheint es der Weisheit des kaiserlichen Rats angemessen, daß ihr – nicht um deswillen, weil er der Hausehre seines Schwagers Anton Fugger eine erkleckliche Genugtuung schuldig ist, Augsburg verlasset, sondern damit ihr besser die Gelegenheit wahrnehmen könnt, von so manchem, was des Rates Sorge gegenwärtig in Anspruch nimmt, euch – ich will nicht sagen entfernt zu halten – aber doch –«

»O ich begreife!« unterbrach Ottheinrich die Schlangenwindungen des Sprechers. »Ich bin ihm ein Hindernis, ein Störenfried in allem –! Sowohl in dem, was die unglückliche Frau Antonis betrifft, wie in dem, was – seinen edlen, fürtrefflichen Sohn Johannes –! Will's euch erzählen, worin ich ihn störe –«

Und dennoch schwieg Ottheinrich. Aus freien Stücken brach er von den mißlichen Dingen ab.

vom kaiserlichen Rat hatte Ottheinrich die Vorstellung, die jeder haben mußte, der ihn so gut kannte, wie er. Hans Paumgartner ließ sich in keiner Weise als Mitglied einer gleichartig bedingten Menschenklasse betrachten, ein Vornehmer etwa, der auch Anknüpfungen eines Zusammenhangs mit den gemeinsamen Bedingungen der menschlichen Natur zuließ. Hans Paumgartner war nur er selbst. Wie er war, wie er sich gab, so mußte man ihn nehmen. Das taten seine Kinder, taten die ersten Vorstände des Geschäfts, alle, die mit ihm in Güte auskommen wollten. Zu glauben, daß in seiner Art sich je etwas bestimmen, ändern, nach gemeinsamen Lebenserfahrungen berechnen ließe, war Torheit. In seiner Art war des Rates Wesen nur einmal vorhanden.

Daraufhin hatte auch schon die Widerstandskraft Ottheinrichs nachgelassen. Er wußte, daß ihm die Schlinge über den Kopf geworfen war und daß er in seiner Lage nichts weiter als nur noch zu gehorchen hatte. Die Gesetze der Stadt schützten ihn nicht. An den Rat, an einen evangelischen Gönner sich zu wenden, war vergebliche Mühe. Zurzeit war Hans Paumgartner noch ein zu mächtiger Mann, er selbst ein armer Fremdling. Der Eingeborene fand in allen deutschen Städten allein Recht, Zuzügler durften nur auf Gnade rechnen. Es war ersichtlich, der Rat wollte ihn aus den Kreisen seiner Familie entfernen. Die Anwesenheit der Italiener, die seinem John zu so großer Schande gereichte, schrieb er nur ihm zu. Ottheinrich war der Vertraute seines Sohnes Johannes. Welche Verwickelungen mochten zutage getreten, gestern, heute schon im Vaterhause erörtert worden sein –! Zuletzt mochte der Rat von Gundulas Neigung Kunde erhalten haben. Man sah, er wollte die Fäden einer weiteren Verbindung mit ihm durchschneiden und einen lästig gewordenen Vertrauten seiner Familienzerwürfnisse, den er ohnehin seiner Anrede an die Königin wegen öffentlich fallen lassen mußte, nun auch durchaus aus Augsburg und seinem nächsten Lebenskreise entfernen.

Cyriax zählte die Goldgulden statt seiner nach. Beichling breitete ein Papier aus, um von Ottheinrich den Empfang bescheinigen zu lassen. Der Magister fing rücksichtslos zu packen an.

Inzwischen las Ottheinrich mit Tränen im Auge die mütterliche Ansprache seiner Wohltäterin, den Ausdruck ihrer Freude, daß sie seinen Besuch erwarten sollte, wie ihr Ottheinrich von Venedig aus geschrieben hatte, sie schilderte ihm die Sorgen, unter deren Last sie seufzte. Sie sprach von seinem tröstenden Zuspruch, seiner rüstigen Hilfe für so manche ihr als Frau unlösbare Verwicklung. Sie stellte ihm ein ruhig Stilleben an den Ufern der kleinen Volkach, vielleicht, wenn er wollte, Reisen mit ihr nach Würzburg, Bamberg, Schweinfurt in Aussicht. Zur Mehrung seiner Menschen- und Weltkenntnis, vor allem seiner Gottesfurcht würde sich auch in ihren geringen Lebensverhältnissen, schrieb sie, mancher Anlaß finden, wenn nur die Zeit, die ihm sein Prinzipal bei ihr zu weilen gestatten würde, nicht dafür allzu gemessen wäre. Über Augsburg sprach sie Worte, die für ihn von doppelter Bedeutung wurden. Sie klagte, daß die Papisten dort immer noch einen so mächtigen Hinterhalt hätten und daß sie jetzt auf die Uneinigkeit der Evangelischen, die sich in Lutheraner und Zwinglianer trennten, ihre ganze Hoffnung setzten und die Uneinigkeit schürten. Sie schloß mit einem damals gebräuchlichen Briefschluß: »Ich bete für euch, sollt' ich mehr tun können, so wär's meine Schuldigkeit. Sonst aber mehre sich in euch Gottes Gnade.«

»Sollt' ich mehr tun können –?!« Jetzt war vielleicht eine Gelegenheit da, daß die edle Frau mehr für ihn tun konnte –! Zunächst: Ihn aufrichten, ihn erheben –! Das vermochte sie gewiß. Und vielleicht schlug sie ihm eine neue Lebensbahn vor –! Unter den mancherlei Äußerungen, die Magister Rupilius, nun, wo er den jungen Mann überwunden sah, wieder in seinem trockenen Spaßton vortrug, war Ottheinrich auch die zu Gehör gekommen: »Ihr solltet ein Prädikant werden –! Versteht ja, hör' ich, Latein –! Will euch in Oberhausen examinieren, so lange, bis der Nürnberger Postreiter kommt –!«

Als die Hausgenossen zurückgekehrt waren und nun hören und sehen mußten, was sich inzwischen im Hause wiederum Neues und Seltsames begeben hatte, war alles wie vom Schlag getroffen. Man sah mit starrem Auge, hörte mit nicht begreifendem Ohr. Die plötzliche Schicksalsänderung des jungen Mietsmannes und Freundes schien eine von dringenden Umständen gebotene Versetzung in eine auswärts gelegene Faktorei des Paumgartnerschen Hauses. Wenigstens sagte Cyriax, daß der Rat den Mietsmann in Aufträgen nach Nürnberg schickte, allwo seines Bleibens vielleicht längere Zeit sein würde. Ottheinrichs Verweisung kam nach solcher Auslegung wie eine ehrenvolle Versetzung heraus. Und dennoch strafte sein Schweigen, sein bleiches Aussehen, die Spur von Tränen auf seinen Wangen solche Darstellungen Lügen.

Willenlos sah Ottheinrich dem Dienst der Beauftragten zu, der sich wie eine große Freundlichkeit anließ, eine von einem wichtigen Handelsanlaß gebotene Eilfertigkeit. Geneigt, in allem, was ihm begegnete, Gottes unmittelbaren Willen, hier in seinem Unglück sogar ein himmlisches Strafgericht zu erblicken, verweilte er nicht bei dem Trost, daß die, so Gott lieben, von der Welt Anfechtung und Hohn zu erleiden hätten. Er suchte den Grund seines Schicksals in seinen Fehlern. Mit wehmütiger Beschämung verweilte er bei dem Gedanken an Martina und Kunigunde. Sein Gewissen sagte ihm: Da du die eine ließest, nahm dir das Schicksal die andere –!

Endlich waren die Sachen, die ihm nachgeschickt werden sollten, ausgeschieden von denen, die, verpackt in ein Felleisen, sofort von ihm mitgenommen werden mußten. Dazu gehörte der deutsche Psalter. Gedankenvoll betrachtete er die Brustnadel und darauf das Bild. Auch diese Reliquie nahm er mit sich.

Daß sein Ziel wohl Bamberg und der Main werden sollte, verschwieg Ottheinrich noch.

Wie gut es die Schergen des Rats verstanden, ihr Opfer scheinbar in fröhlichem Triumph zur Stadt hinauszubegleiten! Sie bekränzten es gleichsam noch mit Blumen und spielten ihm wie zum Tanz auf –! So mochten einst aus dieser alten Stadt, dachte Ottheinrich, die Bekenner, der heilige Narciß, die schöne Afra mit ihren Dienerinnen – zum Tode geführt worden sein!

Nach dem Abschied von der Familie Haysermann, die sich mit nicht endendem Staunen und mit tiefstem Schmerz über das völlig unerwartet Gekommene vollzog, vermied man die Straßen und Gebäude, die Ottheinrich hätten aufregen, seine Erinnerungen, seinen Schmerz wachrufen können. Er sah von selbst zu ihnen nicht mehr auf. Er ging wie zur Schlachtbank geführt. Was ließ er nicht alles zurück –! Wie viele unbeendete, sein Gemüt tief aufregende Dinge –! Wie viel unbeantwortete Fragen der allernächsten Zukunft –! Er wußte, daß er dem allen eben fehlen sollte – gerade um deshalb verschwinden –! Schweigen sollte er wohl auch vor den Richtern –! Das sagte ihm das zu seiner Linken liegende Gefängnis »zu den Eisen«, wo gegenwärtig Vittorias Brüder und Luigi Costa in Haft lagen. Bei der Strenge der damaligen Gesetze konnten die Unglücklichen ihr Leben verwirkt haben.

Nur mit unklaren Andeutungen kam man auf den Vorfall des gestrigen Abends zurück. Es war ihm peinlich, den Magister zu befragen, der allein genaue Auskunft geben konnte. Der Alte blieb kalt und entschieden im Vollziehen der ihm gestellten Aufgabe, auch Cyriax wurde einsilbiger. Nur Beichling tat, als verhängte ihm das Schicksal, sich von seinem besten Freund trennen zu sollen. Der alte Schneehuhn trug das Felleisen als mürrischer Aufpasser.

Am Wertachbrucker Tor, an derselben Stelle, wo Ottheinrich im Sommer in so glücklicher Stimmung die Zurüstungen zur Reise nach Venedig getroffen hatte, hielt der Trauerzug beim Posthause. Die andern sprachen statt seiner mit dem Postmeister und vergewisserten sich der rechtzeitigen Ausführung der Anordnungen, die durch andere Sendboten des Rats bereits getroffen und nach ihrem Rostenbetrag berichtigt waren. Ottheinrichs Auge fiel auf den zerstörten Klinkerturm, der noch an einigen Stellen rauchte. Auf dem Graben, der sich unter den Torbrücken hinzieht, hatte Ottheinrich im Winter auf dem Eis oft Martina, einmal sogar Gundula, gefahren –! vor den Toren lagen Mühlen, ein Eisenwerk, das Zollhaus an der Wertach, alles ihm liebe, traute, bekannte Stätten. Am Zollhaus wurde halt gemacht und zuvörderst eine Mahlzeit gehalten. Die Kosten bezahlte Beichling auf des Rates Rechnung.

Noch volle sechs Stunden blieben bei Ottheinrich seine Henker. In Oberhausen wurde gerastet, geplaudert, nichts unterlassen, was ihn zerstreuen oder hindern sollte, daß er sich etwa von ihnen entfernte und auf die bezaubernde, mächtige Stadt, die mit ihren Türmen und Wällen so inhaltreich und groß vor ihm lag, zurück entwich. Cyriax sollte das linde Öl zu den strengen Aufträgen des Rates sein. Er spendete den Anteil derer, die wohl trösten, Mut zusprechen können, aber bei allem, was ihnen über die Lippen kommt, den Gedanken verraten: Wohl mir, daß ich nicht an deiner Stelle bin –!

Nur der alte Schneehuhn, so ernst und sogar gehässig er sich anfangs gebürdete, wurde zuletzt ein Wohltäter an dem Unglücklichen, als er ihm bei einer Gelegenheit, wo sie allein waren, zuraunte:

»Und das Ärgste, so ihr gewagt habt, Stauffer, ist doch noch euer sträflicher Verkehr mit des Rates Tochter gewesen –!«

Ottheinrich widersprach dem Schreckenswort nicht, was sollte er entgegnen –! Sein Protest hätte auch die Aufmerksamkeit der nahestehenden Lauscher erregen können.

»Wäre gewiß noch nicht alles so weit gekommen, wie gegenwärtig,« fuhr der Alte fort, »wenn nicht heute in der Frühe das Fräulein einem der Laufjungen des Kontors einen Zettel für euch in die Hand gedrückt hätte –! Der Zettel kam in des Rates Hand. Nun ging die Ahne in ihres Sohnes Zimmer. Da gab's ein schwer Gericht. Auch mit Gundula. Hab' sie weinen hören. Dann wurde alles so ausgemacht, wie ihr's nun erlebt –!«

Gundula hatte um ihn dulden müssen – Tränen vergossen – hatte ihm geschrieben –! Sicher war es Beichling gewesen, der dem Diener, den Gundula bestochen, den Brief abgenommen hatte –!

Als Ottheinrich diese Vermutung aussprach und des Alten Angst sie bestätigte, rief dieser:

»Redet kein Wort darüber, ich lasse euch jetzt nicht – schweigt! Mäßigt euch! Ihr bringt mich sonst in Unheil –!«

Der Diener hielt krampfhaft Ottheinrichs Hand, die dieser vor Leidenschaft geballt hatte. Er wollte den Rasenden hindern, zu den beiden andern fortzustürmen –

Der Blick auf das Silberhaupt des Greises, Cyriax' Scherze mit den Bleichmädchen von Oberhausen, die auf den Wiesen mit dem Wasser aus der Wertach Augsburgs berühmte Linnengespinste begossen, hinderten den Ausbruch eines Zorns, den Ottheinrich schon um deswillen bekämpfte, weil er ihn zu tatsächlichem Angriff hinzureißen drohte.

»Sie schrieb an dich –! Sie leidet selbst wie du –!«

Da konnte er ruhiger auf die Türme und Wälle der Stadt blicken. Er konnte die Landstraßen, die Brücken, die über die kleine Wertach führten, mit Wehmut verfolgen. Er nutzte es wohl, daß niemand kam, daß ihm keiner eine Botschaft der Liebe und Freundschaft bringen würde. Aber denken durfte er doch: Gewiß, sie würden es tun, wenn nicht die Gewalt sie verhinderte –! Und die andern alle, die dem Bund mit Kunigunde fehlten, der edle Johannes, die unglückliche Vittoria, sie wußten es ja nicht, wie herb ihn das Schicksal prüfte und welches Werk der List und Gewalt sich an ihm vollzog –! So harrte er denn aus und ertrug sein Los geduldiger, seitdem er wußte, daß er es mit einem liebenden Herzen teilte.

Die Herbstsonne war gesunken, als der Nürnberger »Schwalger«, mit ihm eine reiche Zahl von Reitern und Bewaffneten und für ihn ein leeres Pferd erschienen.

Ihm wurde Ottheinrichs Felleisen aufgeschnallt. Man geleitete ihn an den Sattel mit Glück- und Segenswünschen, wie der besten Freunde einen.

Drei herrliche, unvergeßliche Augsburger Jahre –! Sie waren dahin –!

Verbannt, verstoßen ritt er in seine Heimat.


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