Karl Gutzkow
Hohenschwangau
Karl Gutzkow

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XXI.

Es war in der Mitte des Juni 1540, als zu Würzburg am rebengesegneten Mainstrom alle Glocken läuteten, die Gewerke feierten, die Menschen sich in dichten Scharen an und in die alte Münsterkirche drängten.

Konrad von Thüngen, der zweiundsechzigste in der Reihe der Fürstbischöfe und Herzoge von Franken, war gestorben; heute wurde er begraben. Der Verewigte hatte die Bischofsinful, den fränkischen Herzogsmantel, das Schwert einer Macht, die einen der schönsten Striche deutschen Landes beherrschte, einundzwanzig Jahre lang getragen. Er hatte düstere Zeiten erlebt. Dort, am jenseitigen Ufer des Main, hatten die Bauern zu Tausenden gelegen und die hohe stattliche Feste, die Marienburg, die Residenz der fürstbischöflichen Nachfolger des heiligen Kilian, mit Donnerbüchsen, wildem Geschrei und Sturmlaufen belagert. Hier unten in der Stadt war die wilde Neuerung im Siegesrausch bereits zu Regierungsänderungen vorgeschritten, die dem späteren grausamen Strafgericht Gelegenheit boten, selbst den Kopf manches angesehenen Bürgers aus den Schultern zu heben. Unter Blutströmen war der Bischof, der sich nach Heidelberg geflüchtet und die Verteidigung seiner Burg dem Aufgebot der Vasallen, dem Domkapitel überlassen hatte, auf seinen Stuhl zurückgekehrt. Die Menschen, die damals straften, ebenso wie die, die gestraft wurden, hatte ein Geist der Raserei ergriffen.

Während dieser feierlichen Hergänge, die für eine große Anzahl Menschen, vor allem für die Geistlichen und zumal die Kapitelherren, jeden Schritt, den sie taten oder unterließen, an ein bestimmtes Zeremoniell banden, rannten andere, die sich von dem streng einzuhaltenden Schein der Trauer freizumachen wagen konnten, in desto leidenschaftlicherer Bewegung hin und her, schossen durch die Straßen von diesem Haus in jenes, pochten dort an eine Tür, da an ein Fenster, ließen Rosse satteln, entsandten und empfingen Boten, fertigten Briefe ab und arbeiteten für die Neuwahl, die nur dem ganz gemeinen Mann etwas Gleichgültiges blieb.

In einem stattlichen Hof, unfern der Franziskanerkirche, einem Hause, über dessen Eingang das Wappen des schwarzen Ritters mit den drei Rossen prangte, war die Unruhe wohl am größten in ganz Würzburg.

Im geräumigen Hofe stampften Rosse, die nicht in den Stall kamen, weil sie in jedem Augenblick zu einem Ritt benutzt werden konnten, schweres Sporengeklirr hallte bald von den gewölbten Säulengängen wider, die sich an den Wänden des Hofes entlang zogen, bald erscholl es auf der Schneckenstiege, die unmittelbar an der mächtigen gewölbten Einfahrt rechts vom Hofe in die obern Gemächer führte. Über dem Wappen des Hauses hingen kleine schwarze Fahnen und Immortellenkränze. Das Innere des Hauses gehörte dagegen ganz dem Leben und der Zukunft an.

Daß auch die heißersehnte Stunde der bevorstehenden Wahl gerade jetzt hatte schlagen müssen, wo der Herr dieses Hauses viele hundert Stunden Weges von Würzburg entfernt war –!

Wilhelm von Grumbach hatte endlich eines seiner Ziele erreicht. Er war mit dem achtzehnjährigen Prinzen Albrecht von Brandenburg als dessen kriegskundiger Mentor zum Kaiser nach den Niederlanden gereist. Mit Frankreich war ein Scheinfriede eingetreten. Karls, an seinen Todfeind verheiratete ältere Schwester hatte es möglich gemacht, daß der Kaiser zur Züchtigung der Niederländer sogar seinen Weg durch Frankreich und über Paris nahm, somit waren Grumbach und sein Zögling wieder auf dem Heimritt begriffen. Aber mit einer solchen Schnelligkeit, wie jetzt seinem Ehrgeiz wünschenswert erscheinen mußte, ging die Rückreise nicht von statten. Auf manchem schönen schloß im Hennegau und in Lothringen wurde Rast gehalten, wer ahnte unter den Freudengelagen, an denen der junge Brandenburger und seine Genossen, Siegmund Heßberg, Giech, vor allem Christoph von Leuchtenberg, sein nächstverbundener Freund, Gefallen fanden, daß es im Würzburger Dom nur noch wenige Tage dauern würde, wo am Hochaltar eine Hand nach der über dem Sanktissimum angebrachten Schnür greifen und jenes Glöcklein, das »Heule« genannt, anziehen würde, dessen Ertönenlassen die erste Handlung jedes neugewählten Würzburger Bischofs war! Und wenn es nun gar die starke Hand des Domherrn Melchior Zobel von Giebelstadt werden sollte, die nach der Schnur des Glöckleins griff, um Franken zu regieren, nicht Konrad von Bibra, der Oheim seiner Gattin, auf dessen Erwählung Grumbach seine ganze Hoffnung gesetzt hatte –!

Anna von Hutten, die Gattin Grumbachs, wußte vollkommen, was auf dem Spiele stand. Die Verfeindung ihres Mannes mit dem tatkräftigen Mitgliede des Domkapitels war alt. Es gibt Herzen, die sich nur um deshalb befehden, weil sie sich nicht in Freundschaft verbinden können. Verbrüderungen, Parteiungen mußte es unter den hunderterlei Interessen einer herrsch- und gewinnsüchtigen Hierarchie an sich schon geben. Da galt es von je Hammer oder Amboß zu sein. Dann aber brauchen zwei Menschen voll Tatkraft sich auch nur an den Augen zu messen und sie wissen, wie sie miteinander stehen. Grumbachs persönliche Verhältnisse, seine schon vom Vater überkommenen Händel mit dem Stift ließen es einen großen Unterschied erscheinen, ob künftig in Franken eine milde, von Krankheit geschwächte, vollends verwandtschaftlich verbundene Priesterhand das Szepter des Regiments ergriff oder ein Ritter, der sein Schwert in den Türkenkriegen geschwungen, in Wittenberg dann kanonisches Recht gehört hatte und die Tonsur nur um deshalb trug, weil in allen Adelsfamilien hergebracht war, daß der eine Haus und Hof der Väter erbte, der andere an die seit Jahrhunderten wohlversorgende Krippe des Domstifts kam.

Anna von Hütten, die unter blühenden Töchtern noch schöne, durch ihre häufigen Kindbetten wenig mitgenommene Frau, hatte bei der Eile, wie sie am 16. Juni von Schloß Rimpar, eine Meile von Würzburg entfernt, herabflog und bei dem Lärm, der mitten in der Trauerzeit ihr Wohnhaus in der Stadt erfüllte, nicht einmal so sehr das Ziel vor Augen: Bischof muß mein Oheim, Konrad von Bibra, werden! als zunächst das eine: Grumbach muß in Eilritten benachrichtigt, herbeibeschieden werden, die Wahl aber so lange ausgesetzt bleiben, bis er eingetroffen!

Bestellen ließ sich letzteres freilich nicht, sondern nur künstlich veranstalten. Konrad von Bibra, Propst zum Neuen Münster, war schon als zwölfjähriger Knabe zum Domherrn »aufgeschworen«; er zählte noch nicht volle fünfzig Jahre, war aber phlegmatisch, bequem bis zur Trägheit, kränklich. Er litt an Steinbeschwerden, die sich nachgerade bedenklich steigerten.

Wie er jetzt im Chor saß und mit dem Schein, als wenn er sänge, in sein Brevier starrte, war sein ganzes Wesen in elastischer Spannung.

Die Noten, die Wilhelm von Grumbach herbeirufen sollten, hatten, wenn nicht bis Brüssel, doch jedenfalls noch bis Metz, bis Dietenhofen ihm entgegenzureiten. Zum Glück reiste man damals mit mächtigen, weithin sichtbaren Staubwolken. Ein Gefolge von mehr als hundert Reitern machte schon einen Lärm, dessen Echo sich über die Landstraßen hin verfolgen ließ.

Zum Glück war Christoph Kretzer nicht mit nach Brüssel gegangen. Der Obhut dieses umsichtigsten der Diener Grumbachs waren die Schlösser seines Herrn, seine Oberamtierung in Cadolzburg, vor allem die Wartung des Gramschatzer Waldes anvertraut geblieben. Da konnte nun dieser die so hochwichtige Einholung sofort selbst anordnen und in der Hauptsache mit übernehmen. Kaum hatte Endres, ein Knecht des Dompropstes, aus dem Hofe Rödelsee atemlos auf schloß Rimpar die Kunde gebracht, jeden Augenblick könnte Konrad von Thüngen die Augen zutun und schon wäre auf dem Frauenberge ein interimistisches Regiment niedergesetzt worden, als auch Kretzer alles Notwendige mit den entschlossenen Töchtern des Ritters, der siebzehnjährigen Elisabeth, der sechzehnjährigen Ursula anordnete. Zu zwölf ritt er noch in nämlicher Nacht auf Frankfurt. Stationsweise ließ er seine Begleiter zurück; in Aschaffenburg, Mainz, Alzey bis nach Lothringen zu; jeder sollte seines Rosses pflegen und Sorge tragen, daß Grumbach, wenn Kretzer ihn fand, für die Rückreise überall bereitgehaltene Rosse antraf, vierzehn Tage bedingte er sich für seines Herrn Ankunft. »Haltet die Wahl nur offen bis zum Ersten des Juli –!« Darauf hatte er sich mit den schnell aufgebotenen Knechten und Förstern auf den Weg gemacht. Einen Beutel mit Geld für die Zehrung und die Beschaffung neuer Rosse, wenn eins oder das andere fallen sollte, ergänzte er mit weiterer Füllung noch auf dem Hof Rödelsee, dem er, scheinbar gemächlich und ganz der Trauer gemäß durch die Stadt reitend, noch einmal einen Besuch abstattete, während die Gefährten draußen auf der Höhe in den Weinbergen, oberhalb des Stiftes Haug, seiner Rückkehr harrten.

Die Wahl war auf die nächsten acht Tage angesetzt. Bis dahin konnte selbst der am entferntesten wohnende Wähler, Moritz von Hütten, eingetroffen sein. Dieser trug den Bischofshut von Eichstädt, hatte aber darum sein Recht als Domherr in Würzburg nicht aufgegeben.

Nach Eichstädt ging auch aus dem Grumbacher Hof der erste der Briefe ab, die nicht in unrechte Hände geraten sollten. Die Frau des Ritters beklagte recht, daß es ihrem Mann seit langem nicht hatte gelingen wollen, einen geschickten »Briefdichter« zu finden, seine zuverlässigsten Leute hatte er auf dem Amt in Cadolzburg, oder Georg Vogler in Windsheim schrieb ihm Entwürfe, wenn sie einen Rechtskundigen erforderten. Vor vier Jahren wäre dem Ritter beinahe gelungen, eine Persönlichkeit zu gewinnen, die er gehofft hatte, ganz nach seinem Geschmack und Bedürfnis zuzustutzen, Ottheinrich Stauff, den ihm Argula, des Ritters Base, mit einem Empfehlungsbrief nach Schloß Rimpar geschickt hatte. Doch auch diese Erwerbung hatte sich zerschlagen. So mußte denn Anna von Hutten mit schreibunkundiger Hand selbst die Feder ansetzen und eine reiche Zahl von Briefen an die Sippe der Bibra, Hutten, Vestenberg, Stein, Hausen, Seckendorff, Zöllner von der Hallburg, Castell, Fuchs und andere entwerfen. Wer Bischof werden sollte, das war erst die zweite Frage. Die erste galt der Verzögerung des Wahltermins selbst.

Die Trauerkleider standen der Frau Oberamtmännin von Cadolzburg, der Erbförsterin des Herzogtums Franken so anziehend, wie selbst ihren Töchtern nicht. Die dunklen Farben der Kleider hoben die Blässe ihrer zarten Haut. Ihre Formen waren gerundet, fast üppig. Sie, die jetzt am liebsten in ihrer Kleiderkammer verweilt, dort mit ihren Töchtern und Näherinnen vor dem großen Metallspiegel beraten hätte, welche Kleider ihr für die Inthronisation des neuen Bischofs am gefallsamsten stehen würden, mußte jetzt ernsteren Gedanken nachleben, ihre ganze Kraft dem sonst ungewohnten Werk der Intrige widmen.

Sie saß an einem seltsam geformten Tisch. Die Füße desselben waren vergoldete Bocksfüße. Die Platte war von Marmor, mit eingravierten Zahlen und astronomischen Figuren. Rings um beide Frauen her standen lange Fernrohre, Spiegel, Glaskugeln. Die Hausfrau hatte sich das stillste Gemach des Hauses ausgesucht, das Turmzimmer, wo ihr Gatte nach den Sternen zu sehen pflegte. Es lag nach Gärten hinaus, die eine Verbindung mit dem Hof Rödelsee ermöglichten. Aus diesem Zimmer führte eine Tür auf eine hochgelegene, kleine Warte, wo sich die Sterne beobachten ließen, jetzt sich mit lästigem Geschrei die Spatzen eingenistet hatten.

Sie bedurfte des Beistandes der ernsten Schwägerin, der Witwe jenes Unglücklichen, den ihr eigener Bruder in jenem mörderischen letzten Kampfe der Bauern bei Schwäbisch Hall mit eigener Hand getötet – vor dem Henkerschwert des Truchsessen gerettet hatte. Barbara zürnte darum dem Bruder nicht, sie wußte ja, das damals die Ritter, die sich etwa dem Anschluß an die Achtvollstreckung hätten entziehen wollen, selbst verfemt waren, sie wußte, daß ihr Bruder Wilhelm, durch einen grausamen Beschluß der Schicksalsmächte, gezwungen war, nicht anders zu handeln. Sie wußte, daß nicht minder Florian Geyer seinem Schwager für ein ehrliches Ende, das er ihm gegeben, im Zusammenbrechen dankte. Ihr einziger Sohn war vor dem Vater gestorben. Noch hatte sie zwei Töchter, die sich durch den Schleier, den sie genommen, zu bewahren suchten vor dem Schimpf, der auf ihren Namen gekommen. Die Güter Florian Geyers von Giebelstadt waren dem Lehnshof des Bischofs für immer verfallen. Barbara hatte sich unter den Schutz ihres Bruders begeben, dessen blutbefleckte Hand für sie kein Vorwurf, sondern nur die wehmütige Erinnerung an eine furchtbare Zeit war.

Als wiederum einige Briefe beendigt, sorglich petschiert und den reitenden Boten übergeben waren, deren Rosse noch im Hofe von den zurückgelegten Ritten auf die Burgen der Nachbarschaft dampften, sagte Frau Anna: »Was hilft das alles, wenn wir nicht die Bimbacher, Dornheimer, Wunfurter und Schweinshauptner für uns haben –!«

Barbara Geyer verstand, dass das mächtige Geschlecht der Fuchse gemeint war, die den stärksten Druck auf die adlige Prälatensphäre des Landes auszuüben vermochten, obschon sogar einige Kleriker ihres Stammes sich zu Luther bekannten und Frauen genommen hatten.

»Ich wüßte wohl,« sprach Frau Anna, »wer uns die Fuchse gewinnen, auch den alten Sigmund Fuchs, unsern Dechanten, in Bamberg zurückhalten, etwa bis auf eures Bruders Ankunft »bettriss« machen und sonst etwa in unserm Handel helfen könnte.«

Frau Barbara horchte auf und suchte vergebens die Person zu erraten, die gemeint sein konnte. Sie lebte nicht in dem rauschenden Gewirr, das sich in Rimpar um ihre Schwägerin zu bewegen pflegte.

»Ich meine Frau Argula, die Staufferin in Zeilitzheim!« sagte Frau Anna.

Da schüttelte Frau Barbara den Kopf. Durch ihre Schwester Esra, die an einen Bibra verheiratet war, der zwar Amtmann in Gemünden war, oft aber in Schwebheim, dem Stammsitz der Bibra, dicht bei Zeilitzheim, verweilte, wußte sie, dass sich Argula von den Bahnen Grumbachs und von Würzburgs ganzem Treiben seit Jahren losgesagt hatte.

»Sie ist eine Ketzerin!« sagte ihre Schwägerin. »Seit sie uns vor Jahren den jungen Gesellen schickte, der mit einem Schweinfurter Kaufmann auf die Frankfurter Messe zog, hab' ich von ihr nichts mehr vernommen. Ihre weisen Ratschläge hielt sie nur mir zur Plage feil. Diese Gevatterinnen, die uns die Männer aufhetzen, sollte man sich aus dem Wege weisen. Aber wenn ich auch fast besorge, dass sie uns mehr zu »Unstatten« als zustatten handeln möchte, so weiß ich doch, daß sie für ihre Söhne mit unserm Lehnhof prozessiert. Und jetzt zumal – ei, da ist ein seltsam Volk aus Holland kommen! Den Schwarzenbergern und den Grumbachern, mein' ich, kommen! Dem Fritz Schwarzenberg gönn' ich den Ärger schon um seiner Bosheit gegen Ludwig von Hütten willen. Uns in Rimpar kann es einerlei sein, ob unsere Estenfelder Linie mit den Vettern zu teilen hat, die aus Holland gekommen, oder mit den Bayern. Der Bayerin aber muß drob angst werden. Da sollt' ich fast meinen, es müßte ihr gefallen, einen neuen Bischof als Lehnsherren zu gewinnen, der ihr zu danken hat. Doch mag ich selbst ihr nicht drum schreiben. Hm!« fügte Frau Anna nach einer Weile hinzu. »Ich wüßte in Würzburg eines, das hierin helfen könnte, obschon auch das mit uns in grimmer Unnachbarlichkeit lebt –«

Frau Barbara blickte wiederum nichterratend auf.

»Wen kann ich anders meinen,« fuhr Frau Anna fort, ärgerlich die schöne, beinahe faltenlose Stirn runzelnd und die Federspule durch ihre weißen Zähne ziehend, »wen anders als – weißt ja doch, wer im Rienecker Hofe aus- und eingeht –!«

Nun begriff Frau Barbara, wer an Argula schreiben sollte – eine dem Hause ihres Bruders Abtrünniggewordene.

»Ei, wenn sich Kilian von Fuchs noch »entsagt« und die Jungfrau, um die er zum Totschläger wurde, zur Frau nimmt?« fuhr sie fort. »Ihr Vater siegelt mit einem springenden Löwen und läßt sich einen »Ehrbaren« schelten –! Des »gewesten« Domherrn Jakob Fuchs Ehegemahl war eine von Zindel, was auch etwa wie dem Bettelsack gleichkommt –!«

»Weißt du, ob sie nicht lieber den Schaumberger gewollt hätte –« antwortete die Schwägerin auf die hochmütige Rede und winkte mit der Hand dem ganzen Gespräch ab. Das übertragen einer Herzensliebe von einem Ermordeten auf dessen Mörder weckte ihr zu düstere Erinnerungen, die sie nicht verfolgen mochte, zumal die Glocken aller Kirchen und Kapellen der Stadt unablässig die Luft von Trauertönen erzittern machten, als sollte es zum jüngsten Gericht gehen.

Die Rede der beiden Frauen galt Jutta Vogler. Diese lebte noch immer in Würzburg. Unvermählt, doch in besonderen Ehren gehalten. Der Sturm, den vor vier Jahren die Ermordung des Schaumbergers hervorgerufen hatte, konnte auch sie damals treffen. Sie entging ihm durch einen kurzen Aufenthalt bei den Dominikanerinnen im Kloster Sankt Marx. Ob sie damit ihren Vater, den heftigen Gegner alles Klosterwesens, erzürnte oder nicht, kümmerte sie wenig. Hatte dieser doch inzwischen Anna Maria Ortlieb geheiratet und dadurch bei ihr den Entschluß gezeitigt, nie wieder in seine Nähe zurückzukehren. In Würzburg aber konnte sie sich nicht anders halten als unter den Bedingungen des dortigen Lebens. Die rettende Hand bot ihr nicht Anna von Hutten, nicht deren Gatte, der sie damals nach Rimpar zu kommen veranlaßt hatte, sondern Freundinnen ihrer verstorbenen Gönnerin, der Priorin von Schwarzenberg, zwei Gräfinnen Rieneck. Diese, obschon Nonnen vom Kloster Himmelspforten bei Würzburg, lebten meist außerhalb der Klausur und in ihrem eigenen, den Grafen Rieneck gehörenden Würzburger Hofe, als auf ihren väterlichen Burgen. Es war aber auch überdies noch eine besondere Verfeindung zwischen Jutta und dem Mann eingetreten, der ihr einst im alten Bannwalde bei Windsheim so verheißungsreich entgegengetreten war.

Vor vier Jahren hatte Jutta ihre Reise nach Würzburg mit den glücklichsten Erwartungen angetreten. Die erste Frucht des geheimen Bundes zwischen Vogler und Grumbach war gewesen, daß Markgraf Georg, als er auf seiner Durchreise nach Frankfurt an der Oder auf Cadolzburg vorsprach, den Kanzler, auf Grumbachs Bericht von seiner »zufälligen Begegnung« mit Vogler, von Windsheim abholen ließ und ihn, ganz wie ausgesöhnt, mit sich zur Erbeinigung der brandenburgischen Fürsten nach Frankfurt nahm. Da wäre nun Jutta in Windsheim allein gewesen. So folgte sie denn der Einladung Grumbachs nach Würzburg und Rimpar.

Die Tochter des Kanzlers hatte ihren Stolz, wie die Rittersfrau, sie schmiegte und beugte sich nicht. Sie tadelte an den zahlreichen Töchtern, was ihr an ihnen mißfiel, sie fand die Art, wie Frau Anna die Laute schlagen zu können vermeinte, nicht im mindesten dem Ohr wohltuend, und wenn Frau Anna sang, so war Jutta in ihren Lobeserhebungen mäßig. Der Burgherr machte manchen einsamen Gang mit Jutta hinaus auf die Höhe, wo der Ritter den Lauf der Sonne verfolgen konnte, die ihm, wie er ihrem Vater damals im Bannwalde gesagt, im Tal am Ufer der kleinen Pleichach allzu früh unterging. Schon fing Frau Anna über die sichere Ruhe und stolze Zuversicht ihres Besuchs zu klagen an. Und in der Tat bekam Juttas Weise etwas Herausforderndes, als sie an dem Ritter eine große Zaghaftigkeit vor dem Urteil seiner Frau zu bemerken glaubte und ihm Vorwürfe über den geringen Widerstand machte, den der sonst so tatkräftige, eine Welt in sich tragende Mann den Launen einer schönen Frau, der wüsten Unordnung eines auf dem größten Fuß angelegten Hauswesens entgegenstellte. Darüber kam die traurige Entzweiung der beiden jungen Verehrer, die Jutta zugleich gefunden hatte, und mit dem blutigen Ausgang derselben eine große Gefahr für ihre Sicherheit. Als der unheimliche Vorfall Stadt und Land in Bewegung brachte, befand sie sich gerade in Würzburg selbst. Kurz zuvor noch hatte man vernommen, daß ein jüngerer Bruder des Henneberger Grafen Christoph, Graf Poppo von Henneberg, ebenfalls ein Domherr, beide Freunde zu versöhnen gesucht. Und noch eben hatte Jutta mit Wolf Dietrich, dem jungen Schaumberger, im Hofe Rödelsee, beim Dompropst von Bibra, wo Tischgesellschaft war, gescherzt, gelacht und sich unvorsichtigerweise mit ihm allein an den »Antritt« eines Fensters gestellt, wo man beide von der Straße aus sehen konnte. Da, am Abend gegen neun Uhr, kam Kilian Fuchs, der dem Mittagsmahl nicht beigewohnt hatte, aus dem Kaulenberger Hof, dem Haus des kürzlich in Italien verstorbenen Dompropstes Markgrafen Fritz von Brandenburg, in Begleitung einiger Diener des letzteren, begegnete in der Pfaffengasse Wolf Dietrich, mit dem er, anfangs wie zum Vergnügen »gassierend«, den alten Streit über das Eigentum des Rosses, das Jutta geritten, beginnt, zieht am Erbacher Hof den Degen und stößt ihn so unglücklich gegen den Freund, daß eine Ader am Hals getroffen wird. Ein Knecht Wolf Dietrichs rennt in den nahe gelegenen Rödelseer Hof und ruft um Hilfe. Des Dompropstes Konrad von Bibra Gesinde nimmt Waffen, stürmt hinaus und begegnet dem Mörder, der ihnen zuruft: Was sie wollten! Sie sollten heimkehren! Wolf Dietrich wäre gesund und wohl –! Damit entkam er. Der Diener führte seine Begleiter an den Erbacher Hof. Dort stand sein Herr an die Mauer gelehnt; das Blut floß in Strömen, schon sank er. Kein Wort mehr kam über seine Lippen. Er starb, während man ihn in den Rödelseer Hof trug. Kilian Fuchs verbarg sich im Kaulenberger Hof, der eine Freistatt war. Die Diener des Markgrafen von Brandenburg wußten, wie bitter ihr Herr den Kanzler Vogler gehaßt hatte. Jahrelang hatte er ihn nur den »Buben«, den »Bösewicht« geheißen. Jetzt, rief man, jetzt war des Buben Tochter an dem Unglück seines Freundes schuld –! Kilian entkam bei Nacht, nachdem er noch aus seinem Versteck die Bestattung seines Opfers, das im Kapitelhaus begraben wurde, das Aufhören des Läutens aller Glocken – das Zeichen des verletzten Stadtfriedens und Interdikts – mit angesehen und angehört hatte.

Den Rödelseer und Grumbacher Hof umstand am Morgen nach der Tat ein drohender Auflauf. »Führt mich nach Rimpar,« sagte Jutta zu Grumbach. »Gebt mir in einem eurer sieben Türme sichere Verwahrung!« Den Blick, den sie auf den Ritter warf, als dieser entgegnete, der Schaumberger wäre ein zu naher Verwandter des Dompropstes, des Oheims seiner Frau, und dieser schäumte vor Zorn gegen Kilian Fuchs und auch gegen sie, es würde besser sein, sie begäbe sich auf einige Zeit in die Klausur des Klosters Sankt Marx, bis er Sorge getragen haben würde, sie sicher nach Windsheim zurückzuführen – diesen Blick hatten wohl nie weder er noch Frau Anna verstanden. Aber sie gehorchte. Bei Nacht schaffte man sie an den Main und übergab sie der Vorsteherin des dem Grumbachschen Hause mannigfach verpflichteten Klosters, die gern bereit war, sie den Töchtern des Ritters Geyer zur Gesellschaft in deren Zellen zu übergeben, wie Jutta gewünscht hatte. Mit dem Ritter aber, der sich so der öffentlichen Meinung beugen, auch so wohlgemut wieder nach seinem Oberamt in Cadolzburg zurückreiten, sie ganz aufgeben konnte, hatte sie im Geist für immer gebrochen.

Gräfin Kunigunde von Rieneck und ihre Schwester nahmen Jutta in ihren Schutz. Anfangs ließen sie sich von ihr auf die Schlösser ihres Bruders begleiten, dann führten sie ihren Günstling in den Würzburger Hof der Rienecks zurück. Die Aufregung über den blutigen Vorgang hatte sich inzwischen gelegt. Eine glücklichere Lage konnte Jutta nicht geboten werden. An Huldigungen, Zerstreuung, Liebesgeflüster um sie her war hier kein Mangel.

Der Abend dämmerte. Ein milder Regen erfrischte die Natur. Jutta hatte einige Einkäufe besorgt und wollte in den Rienecker Hof zurück. Der Weg ließ sich durch den Kreuzgang nehmen, der, wenn man den Dom durchschreitet, die Entfernung abkürzt.

Da trat ihr eine verhüllte männliche Gestalt entgegen, grüßte und gab sich ihr als Kilian Fuchs zu erkennen. Vier Jahre lagen zwischen dem Einst und dem Jetzt. Sie hatte den Mann, der sie anredete, sofort erkannt, wenn sie sich auch über seinen Anblick befremdet stellte.

Der junge Domherr war behenden Wuchses, klein und wohlgenährt. Sein Gemütsfehler war augenblicklich aufbrausender Zorn, sonst hatte er etwas Unreifes und Jugendliches.

»Vier Jahre habe ich mich verzehrt in Sehnsucht nach euch!« sagte er, voll Zärtlichkeit ihre Hand ergreifend, die sie zurückzog.

Kilian begann mit Beteuerungen seiner Liebe, mit Wiederholung seiner alten Huldigung, der er ein so schmerzliches Opfer gebracht, einen Freund getötet zu haben, um den er schon so viel Tränen vergossen hätte. Freiheit und die Sicherheit im Heimatlande hätte er, schiene es, für immer verspielt. Er schilderte sein Elend in der Verbannung und die Notwendigkeit, sich mit Würzburg auszusöhnen. Im kleinsten Erkerzimmer hier zu wohnen sollte ihm, sprach er, das Himmelreich dünken, zumal wenn er wüßte, daß ihm Jutta seine zärtliche Liebe lohnte –

»Das ist nicht die Sitte bei Töchtern meiner Herkunft –!« antwortete diese zurücktretend.

»Glaubt ihr,« fuhr der junge Domherr fort, »daß es in Franken so bleiben wird wie bisher? Zwei meiner Vettern trugen die Tonsur und haben Frauen genommen, die sie liebten! Keiner aber von ihnen entsagte drum den Rechten auf seine Pfründe. Wer sagt denn, daß der Adel Frankens diese Rechte nur noch durch den Chorstuhl, durch Singen und Palmieren gewinnt –! vom Schweiß des Landes, von den Steuern, die unsere Vorfahren zahlten, sind diese Kirchen, diese Domherrenhöfe erbaut. Sollen wir sie jetzt denen lassen, die nur mit den Kardinalen gehen? Der Bischof ist Herzog von Franken. Da soll er getrost seinen Krummstab in die Thumba des heiligen Bruno werfen und nur noch das Schwert behalten. Ich spotte der Messe und will doch im Kapitel bleiben. Der Henneberger in Bamberg denkt ebenso und hier vollends die meisten –!«

»Wie könnt ihr wagen, euch hier zu zeigen?« entgegnete Jutta sich ängstlich umschauend. »Ihr seid ja geächtet!«

»Von einem Toten!« fiel Kilian ein. »Oder werdet ihr einen Bischof wählen, der den Zwang mit den alten Foltern wieder fortsetzt? Versöhnt mich mit dem Bibra! Ihr könnt das! Ich will alles für ihn tun, von Haus zu Haus schleichen und um Stimmen für ihn betteln –«

Jutta lachte hell auf. »Ei, ihr müßt aus Würzburg wenig Briefe bekommen haben, daß ihr nichts Besseres von mir wißt!« sagte sie, wurde dann aber wieder ernster und fuhr fort: »Der Bibra! Und selbst bei Poppo, der euch wohl verbirgt, erfuhret ihr nicht bessern Rat? Der Henneberger ist nicht für Zobel?«

»Zobel ist ein Meßpfaff worden!« loderte Kilian Fuchs auf. »Wir müssen einen Bischof haben, der des Adels gedenkt, wäre nur Grumbach da –!«

»Der jagt Meerkrebse am Strand von Holland!« erwiderte Jutta zornig. »Und daß ihr wäret, wo der Pfeffer wächst–! Schämt euch, einen Mann wie Zobel zu verkennen! Geht zum Henneberger und widerratet ihm Meuterei! Poppo weiß so gut wie euer Christoph, sein Bruder in Bamberg, wie's mit dem Henneberger Hause steht. Würzburgs Herzog ist des Hennebergers Lehnherr! Der Meininger Grafen Schuld an hiesiges Stift wird ihnen der Bischof kündigen, sollte Poppo Melchiors Feind sein–! Ratet ihm Gutes und allen Adligen–! Geht und nennt nicht mehr Grumbach und seine Sippe in meiner Gegenwart! Schändlich haben sie mich verlassen, als ihr mich damals zum Gespött der Menschen machtet – ja, zum Abscheu der Welt, zur Lästerung –!«

»Haltet inne!« unterbrach Kilian die zornentflammte Rede.

»Ihr seid ein Aufrührer! Ich lasse euch im Namen des Stifts verhaften!«

»Tut mit mir was ihr wollt!« stotterte der junge Mann. »Befehlt ihr, daß ich dem Henneberger sage, der Würzburger »Rechen« (er meinte das Wappenzeichen des Fürstentums) werde seines Vaters Land als reife Frucht einheimsen, wenn nicht der Zobel gewählt wird, so tu' ich es. Tue alles, was ihr mir befehlt–! Jutta–! Liebliche–«

»sagt Poppo,« unterbrach Jutta die leidenschaftliche Huldigung des jungen Mannes, »daß er Zobel wählt oder sein Vater in Meiningen mit seinen elf Geschwistern soll betteln gehen–!«

Das Gespräch war nicht länger fortzusetzen. Der Kreuzgang füllte sich mit den Handwerkern, die aus dem Dom kamen und feiern gingen. Jutta war nach ihrem entscheidenden Befehl entschlüpft, als hätte sie ein Hauch verweht. Der Geächtete, der ihr einen verlangenden Liebesblick nachsandte, hüllte sich in seinen Mantel, drückte den Reiterhut, den er trug, tief in die Stirn und suchte unerkannt wieder den Bruderhof zu gewinnen, um von dort in den Hof Poppos von Henneberg zu gelangen. Daß nun Melchior Zobel gewählt werden mußte, stand für ihn fest.

In derselben Nacht wurde aber auch am Marmelsteiner Hof, der in der Plattnersgasse liegt, aufs heftigste ans Tor geklopft. Dort wohnte der Senior des Kapitels, Sigmund Fuchs. Vor einigen Tagen erst war er aus Bamberg angekommen und hatte heimlich seinen Verwandten, den jungen Kilian, selbst mitgebracht, ohne jedoch zu dulden, daß er mit ihm zugleich in Würzburg einritt oder bei ihm wohnte.

Ein reitender Bote kam aus Kitzingen, Augustin Held, der Knecht des Amtmanns Ludwig von Hütten. Er brachte einen Brief vom Bischof in Eichstädt. Der hochwürdigste Herr war auf der Reise krank geworden. Er bedurfte einiger Ruhetage und verlangte für die Wahl, an welcher teilzunehmen er durchaus verlangen trug, eine fernere Verlängerung des Termins bis auf Donnerstag nach Petri Paul, den ersten Juli.

Sigmund Fuchs konnte zunächst nichts anderes tun, als dem Knecht ein Botenbrot verabfolgen zu lassen und sofort die Veranstaltung zu treffen, daß auf den folgenden Morgen die Glocken noch ihre Einladung zur Bischofswahl unterließen.

Die Freude, die am Morgen ein mündlicher Bericht Augustins im Grumbacher und Rödelseer Hof hervorbrachte, war so laut, daß Frau Barbara riet, den Tag nicht vor dem Abend zu loben.

Dienstag aber, kurz vor dem Schluß der Tore, sprengte durch die Ochsenpforte am Schneidturm ein Trupp Bewaffneter ein. Wohl mehr als zwanzig Reiter, staubbedeckt, die Rosse zum Zusammenbrechen ermüdet.

Der Führer des Trosses trug einen Helm mit geschlossenem Visier. Als er sich am Tor zu erkennen gegeben hatte, hatte er sein Visier gelüftet; dann ließ er die Hülle wieder fallen.

Ließ sie auch so lange auf dem Antlitz, bis er zur Franziskanerkirche gelangte. Hier verteilten sich die Reiter. Die meisten mußten noch eine Stunde Wegs bis nach Rimpar hinauf. Diese führte Christoph Kretzer. Die andern sprengten an das Haus mit dem Wahrzeichen des schwarzen Ritters mit den drei Rosen.

Grumbach kam zurück. Ganz Würzburg erfuhr es am folgenden Morgen, die Domherren schon am selben Abend. Auf Schloß Schauenberg in Lothringen hatte ihn Kretzer bei einem Gelag angetroffen, das dort der Burgherr dem Prinzen Albrecht gab. Sofort brach Grumbach auf. Langsamer kam der Prinz nach und ging über Heidelberg und Rothenburg. Die Stunde der Teilung des Markgrafentums hatte geschlagen. Grumbach, dessen Steine nach allen Zeiten hin jetzt aufleuchteten, war über die Rheinpfalz, an Sickingens geschleiften Burgen vorüber, über Frankfurt und Aschaffenburg gekommen.

Mittwoch nachmittag wurde in seinem Bankettsaal zu Würzburg eine Versammlung des anwesenden Adels gehalten. Jeder, der einen Träger seines Namens im Stift hatte, bekam die Losung: Das Stift ist um die Wohlfahrt des Landes, nicht wegen der Geistlichen da –! Will der Adel nicht zu Grunde gehen, nicht im Wettkampf mit den freien Städten und den Fürsten erliegen, so hat er für seine Freiheit und sein Wohl durch jedes gesetzliche Mittel zu sorgen –! Grumbach als »Hofmeister« (Minister) des Landes, ist die Bürgschaft für den Adel, der unter dem Lehnsdruck schier jetzt verkommt –!

Grumbachs Wahl zum Regenten Frankens wurde nur möglich durch Konrad von Bibras Erhöhung.

Zweiundzwanzig Domherren begaben sich am 1. Juli 1540 morgens fünf Uhr in die Kathedrale des heiligen Kilian, begleitet von Marschällen, Kanzlern, Räten, Kammerschreibern, dem ganzen Hofstaat des Stifts.

Der Adel, hoch zu Roß, mit Feldbinden festlich geschmückt, sprengte mit seinen Knechten durch die Gassen, stieg am Domplatz aus dem Sattel und folgte denen, die zum Eintritt zunächst berechtigt waren. Dann erst drängte das Volk nach.

Als die Messe zu Ende war, die übrigen Priester die Horen fortsangen, begaben sich die Domherren in den am Dom liegenden Kapitelsaal. Bis sie zurückkamen währte es drei volle Stunden.

Um neun Uhr öffnete sich die Tür des Konklave. Die zweihundert Bürger in gleißenden Harnischen und Wehren hatten sich Mann an Mann um den Hochaltar aufgestellt. Durch die Reihen führten Moritz von Hutten und Sigmund von Fuchs den Neugewählten in die Kirche zurück. Es war Konrad von Bibra.

Die Heerpauken, die Trompeten und »Busanen«, die Orgelpfeifen und Sänger fielen mit dem Te Deum laudamus ein.

Fest und sicher, mit hocherrötetem Antlitz, lächelnder Miene schritt der neue Fürst an den Hochaltar, griff nach der Schnur des »Heule«, zog diese dreimal an und sofort fielen die sämtlichen Glocken des Doms, aller Kirchen und Kapellen der Stadt mit hehren Klängen in die vom hellen Glöcklein des Doms gegebene Losung ein.

Grumbach fand sein Haus überfüllt von Glückwünschenden. Seine Hausfrau sorgte für die Bewirtung und Anerkennung derer, die ihrer Erhöhung die Ehre gönnten. Frau Barbara hatte das Bedürfnis, von den Anstrengungen auszuruhen, die der Erfolg gekostet. Der Hausherr machte kein Hehl daraus: »seine Weiber« hätten es fertig gebracht –! sagte er offen heraus.

Sein Naturell sah aber bald die Kehrseiten des Erfolges. Diejenigen, welche gekommen waren, um Glück zu wünschen und die neue Sonne zu begrüßen, ließen ihn auch bald die sehen, die ausgeblieben. »Sie werden alle noch kommen!« sagte Frau Anna siegestrunken. Ihrem Mann aber war seit einigen Jahren klar geworden, daß jener Zauber, dessen er sich früher über die Menschen gerühmt hatte, doch da nur ganz sicher eintrat, wo ihm Menschen und Verhältnisse neu begegneten. Im ersten Anlauf gesellte sich ihm noch immer der Anschluß fröhlich vertrauender Männer. In den alten Verhältnissen aber zeigte sich, daß manche abfielen, die nur nach Gewinn getrachtet hatten, seine brandenburgische Amtierung hatte ihn den Würzburger Verhältnissen entfremdet, wurde er Konrads Hofmeister, so konnte er nicht länger bei Nürnberg hausen. Sollte er nun auch darum vom jungen Markgrafen Albrecht scheiden? Das war der Überlegung wert und beschäftigte ihn sehr. Lachen mußte er aber doch, als er hörte, daß es nun im Rienecker Hof gar still geworden. Adelheid und Kunigunde hatten sich, als das Volk auf den Frauenberg drängte, zum Pleichertor hinaus nach ihrem Kloster begeben und Jutta mitgenommen. Kilian Fuchs hatte sie begleitet, wie man sagte, um das Übersetzen über den Main zu besorgen. Dann war er auf den Abend wieder in die Stadt zurückgekehrt, hatte am Marmelsteiner Hof bei Sigmund Fuchs angeklopft, da aber den Rat erhalten, schleunigst das Weite zu suchen. Der neue Bischof würde ihn sofort verhaften lassen.

Kilian war nach Schweinfurt geritten. Sein väterliches Gut, Schweinshaupten, lag im Baunachgrund.

Noch an demselben Abend fand sich eine Gelegenheit, dem Ritter in die Verhältnisse Schweinfurts und dessen, was sich im schmalkaldischen Lager vorbereitete, eine klarere Einsicht zu gewähren.

Als die Männer, die im Bankettsaal seines Hofes zum Abendtrunk beisammenblieben – die Frauen hatten sich abgesondert – und der wüste Lärm auf den höchsten Gipfel gestiegen war, kam die Hausfrau in den Prachtgewändern, die sie den ganzen Glückstag über nicht abgelegt hatte, herein, stellte sich hinter den Stuhl ihres Eheherrn und raunte ihm ins Ohr:

»Da kommt mir soeben noch in später Nacht ein Brief von Frau Argel aus Schweinfurt! Sie schickt ihn durch denselben jungen Mann, der uns schon vor vier Jahren um ihretwillen Ansprache getan – Hättest ihn damals gern als deinen Briefdichter behalten, schrieb ihr auch dessentwegen – Vielleicht will er bleiben. Kannst gute Sekretarien jetzt brauchen –!«

Schon hatte sich Grumbach erhoben und den Brief in Empfang genommen, den ihm Frau Anna halb verstohlen entgegenhielt. Des jungen Mannes entsann sich ihr Eheherr sofort und konnte nicht angenehmer an ihn erinnert werden, als in diesem Augenblick, wo ihm allerdings sein geheimes Schreibwesen über den Kopf zu wachsen drohte.

»Ei, führ' ihn näher!« sagte er, behaglich seinen zweigeteilten rötlichen Bart streichelnd. »Oder behaltet ihn noch bei euch! Zuvor lese ich den Brief. Vielleicht, daß ich noch ein Wort mit ihm spreche, so mir für morgen in der Frühe beim Bischof nütze. Gebt ihm zu essen und zu trinken vollauf –!«

Des Hausherrn Aufstehen und Beiseitegehen wurde in dem Lärm nicht bemerkt. Er trat an eine der an der Decke befestigten Lampen, durchflog den Brief, der an Frau Anna gerichtet war, und gab seiner Hausfrau den Bescheid, sie sollte den Boten in eine stillere Kammer führen, wo sich mit ihm noch ungestört einige Worte wechseln ließen.

Grumbach schüttelte hierauf dem Boten in der Kemenate neben dem »Frauengemach« die Hand zum Willkommen, nötigte ihn sich niederzulassen und den Erquickungen zuzusprechen, die schon seine Frau und die Töchter hatten anschaffen lassen. Alle erinnerten sich vollkommen der vor vier Jahren ihnen mitgeteilten Erzählung über die Art, wie Argula an den Namensverwandten gekommen war. Die Fräulein blickten mit sichtlichem Wohlgefallen auf die männlich gereifte schöne Erscheinung.

»Hab' ich denn aber recht gelesen,« sagte der Vater, »was ihr geworden seid –? Ein Schulmeister – ?« »Ja, gestrenger Junker,« antwortete Ottheinrich Stauff mit fest und sicher und voll gewordener Stimme. »Für eine Weile bin ich's noch, bis Besseres kommt. Kann aber kaum Besseres kommen, mein' ich fast, als Kinder lehren, fromm und tugendlich werden –!«

»Wie ist das geschehen?« fragte der Ritter mit erhöhter Teilnahme. Denn der neugewählte Stand des jungen Mannes, der da so stattlich ernst und würdig gereift vor ihm stand, gab eine noch nähere Hindeutung des Zufalls auf den schon früher gehegten Plan, den ausgezeichneten Kaligraphen in seine Dienste zu nehmen.

Mit einem Blick, der gleichsam eine ganze Welt überflog und fernab wie nach blauen im Abenddämmer verschwindenden Bergen schweifte, sah Ottheinrich flüchtig zur Decke des Zimmers auf und erwiderte mit einem Seufzer:

»O, ich danke euch, edler Junker, der freundlichen Nachfrage! Wie ich vor vier Jahren auf euerm stolzen Schloß zu Rimpar bei euch vorgesprochen, war ich der Diener eines Kaufherrn in der alten Stadt Schweinfurt; Heinz Rückert sein Name. Der nahm mich auf die Frankfurter Messen mit. Dort verwandte ich jed' Stündlein, das ich erübrigen konnte, auf die Bücherschranne, so in Frankfurt in der Meßzeit die erste der Welt ist. Wo ich dann las und kaufte was zu kaufen in meinen Kräften stund. Mochte darüber wohl manches im Handel verabsäumt haben, was mein Herr und Meister, Herr Heinz Rückert, besser zu seinem Vorteil gewahrt gesehen hätte. Doch zürnte er mir drob nicht. Sprach sogar, als wir nach Schweinfurt heimkommen waren: Ei, bist du ein Gelehrter –! nehmt das für seinen, nicht für meinen Witz –! so will ich dich dann lieber dem Meister Lindemann empfohlen halten, der just einen Gehilfen für unsere Schule braucht! Herr, so kam ich in die Schule und habe im Kleinen den Spruch erprobt: Docendo discimus, lehrende, lernen wir –!«

Ottheinrich erzählte, daß er von Schweinfurt in Begleitung eines jungen Scholaren des Meisters Lindemann abgereist sei, der mit dem Doktor Sinapius nach Italien ziehen wollte, um dort Medizin zu studieren. Mit beiden würde er auf Kitzingen reiten, wohin Frau Argula zu kommen versprochen hätte, um noch mit Sinapius und seinem Reisegefährten auszumachen, was sie, nach des Junkers Meinung, die er, Ottheinrich, persönlich einholen sollte, in Bayern ihren Söhnen sagen möchten. Die Reisenden gingen über Onolzbach, Augsburg, München. Ob ihm nicht der Ritter, schloß Ottheinrich, gute Winke für sie geben wollte? Ihn auch entlassen mit dem Trost, daß gegen seinen Meister Lindemann nicht so übel würde verfahren werden, wie der Schweinfurter Stadtpfarrer, Doktor Feigenbaum, ein Angehöriger des Stiftes Haug zu Würzburg, gedroht hätte –

»Der die Buben nach Luthers Katechismus lehrt!« fiel Grumbach ein, brach aber von diesem Gegenstand ab und gab nur über Argulas Hoffnungen den Bescheid: »Ich würde raten, daß sich meine jungen bayerischen Vettern in guter Wehr und Waffen nächstes Jahr auf den Reichstag zu Regensburg stellen, da dem Bischof und seinen Räten, die mit tagen werden, fleißig hofieren und sie bei manchem Anlaß, der sich schon finden wird, auf den fränkischen Ursprung so edlen Blutes stolz machen. In der Fremde sind wir alle offeneren Sinnes, offeneren Beutels auch. Und hernachmalen wieder, wenn die Knaben dann auch noch nach Würzburg kommen, so bringen sie die lustige Erinnerung an die verlebte Zeit in Regensburg mit. Bei den Großen muß alles nachhelfen, um sie bei guter Laune zu erhalten. Königin Maria in Brüssel schenkt noch jetzt jedem Bettler einen Soldo mehr, der ihr ein ungarisch Wörtlein zuruft –«

Ottheinrich hatte den lebhaftesten Ausdruck seines Dankes für die an Argula auszurichtende Weisung auf den Lippen. Er mußte über die Erwähnung der Königin Maria verstummen. Auch der Gedanke: Sollte wohl Martina noch in ihrer Nähe weilen? Sollte sie der Ritter gesehen haben –? Wie mag es ihr ergehen – ? und der andere: wie kommt der Ritter so plötzlich auf einen ungarischen Bettler und Königin Maria –? nahmen ihm die Besinnung. Er faßte sich erst, als er sich sagte: wie töricht wäre es von dir, etwa den Ritter um eine Magd der Königin zu befragen –!

Des Ritters scharfes Auge sah, daß sich auf dem Antlitz des jungen Mannes Gedanken spiegelten sich kreuzenden Inhalts. Unvermögend, den Grund seiner Zerstreuung zu erraten, glaubte er vorläufig gut zu tun, nochmals auf die Warnungen zurückzukommen, die Argula und die Stadt Schweinfurt betrafen.

»Euer Meister Lindemann,« sagte er, »ist, wie ich schon von unsern Pfaffen gehört habe, von Melanchthon aus Sachsen gekommen und lehrt nach Melanchthons Schulordnung und Luthers Katechismo. Lasset ihn in Güte gewarnt sein, daß er nicht zu jählings mit dem Stifte Haug anbinde. Dies Stift ist noch hierzuland am weitesten von Wittenberg entfernt. Es hat Wälder genug in Franken und viel Holz darin zu Scheitern –! Abstellung der Messe erwartet von dem neuen Bischof nicht! Und kämen die Hessen nach Schweinfurt, so gäb' es gar einen Kampf, in welchen ich mich mit Unfuge begeben müßte, denn die besten hessischen Ritter, die Herren von Schachten und von der Malsburg, sind durch die fuldaischen Hutten meine Schwäher. Ich würde euch raten, zeitig von euerm Schulamt abzustehen –!«

»Herr –!« entgegnete Ottheinrich erschreckt und zögernd.

»Was soll es euch zuerst treffen!« unterbrach Grumbach, »ihr seid ein Kaufmann! sagtet ihr mir nicht vor Jahren, daß ihr in Augsburg gelernt hättet – bei den Fuggern?«

»Den Paumgartnern!« verbesserte Ottheinrich.

»Den Freiherren von Hohenschwangau! sehet da, was aus Kaufmännern und nicht aus Schulmeistern heutzutage werden kann! In Brüssel sagte mir Rat Haller von Hallerstein, die Freiherren von Hohenschwangau würden zum erstenmal in Regensburg auf den Reichstag kommen und daselbst vom Kaiser persönlich die Belehnung empfangen, solltet ihr die Herren nicht da wieder begrüßen wollen? Ei, so kommt mit mir auf den Reichstag – als mein Herr Sekretarius!«

Ottheinrich stand auf. Der Schimmer einer kleinen Lampe beleuchtete ihn gerade. Aber die Glut, die sich ihm bei dieser Aufforderung des Ritters über die Wangen ergoß, konnte geradezu der Widerschein jener Scheiter sein, mit denen das Stift Haug, nach des Ritters Meinung, den Meister Lindemann bedrohte. Seine Augen blitzten. In einer geschützten, geachteten Stellung dem ehemaligen Prinzipal entgegentreten – ihn von seinen Angehörigen umgeben wiedersehen – vielleicht die Henker, die ihn einst so mißhandelten, beschämen – Gundula in seiner Nähe wissen – sie vielleicht sehen –

Er verstummte.

Der Ritter sah die träumerische Verwirrung seines Besuchs und nahm sie für Geneigtheit, auf seinen Vorschlag einzugehen.

»Das sind die Sibyllinischen Bücher!« sprach er. »Schon vor vier Jahren bot ich sie euch zum Kauf an. Nun wieder. Und wenn ich nicht den Bischof, unsern neuen Herzog, begleiten sollte, so begleite ich die Markgrafen von Brandenburg, die an den Thron des Kaisers ihre Erbteilung bringen wollen. Seht, ihr zahlt das zweitemal weniger und ich biete mehr. Eure Handschrift ist meisterlich! Latein, das hört' ich nun schon, könnet ihr auch. Ein Schreiber und Briefdichter eures auch, wie es scheint, sanften und verschwiegenen Gemüts wäre für mich wie gefunden –!«

Ottheinrich dachte, wie vorhin nur an Martina und Brüssel, so nur jetzt an Gundula und die neuen Schwangauer Freiherren in Regensburg –

»In Regensburg wohnen die Brüder der Staufferin!« fuhr der Werber fort. »Argulas Söhne mögen dort als bayerische und fränkische Ritter zugleich auftreten! Das alles sollte euch locken –« Er hielt die Hand zum Einschlagen hin.

»Ihr ruft,« entgegnete Ottheinrich mit bangfrohem Herzen, »Ihr ruft einen Hirten von seiner Herde ab!«

»Wann werdet ihr reisen – ?« fragte der Ritter, der sich erhoben hatte.

»Es muß morgen sein! Obschon ich mich noch gern eines Auftrags entledigt hätte –«

Ottheinrich erzählte, daß ihm Argula den Auftrag gegeben, Jutta Vogler anzusprechen, sollte er ihrer ansichtig werden. Er hatte erfahren, daß sie nach Kloster Himmelspforten abgereist war. Vor vier Jahren, wo er denselben Auftrag empfangen, war sie im Kloster Sankt Marx. Er sagte das dem Ritter.

»Sie ist an diesen heiligen Orten, nicht um dort Nonne zu werden –!« erklärte Grumbach. »Der neue Bischof gefällt ihr nicht. Und wohl der neue Hofmeister, sollte ich es werden, noch weniger. Ihr aber, wenn ihr hört, daß der Tag von Regensburg bestimmt sei – wird wohl auch in Schweinfurt ausgerufen werden – so bedenket alles – das Wiedersehen eures weiland Augsburger Prinzipals, die Begrüßung der Brüder und Söhne eurer mütterlichen Freundin, die Begrüßung des Altkanzlers Vogler, der uns begleiten dürfte, den Reichstag, den Kaiser, die ersten Kardinäle Roms, die erleuchteten Theologen, denen ihr so viel Vertrauen schenkt, Luther und Melanchthon – wisset ihr das alles zu schätzen, so stellt euch in Rimpar oder Cadolzburg bei mir ein! Auf einem Wege und vielleicht auf beiden, für Würzburg oder Brandenburg, reit' ich in Regensburg ein. Bestellt bis dahin euer Haus! Es wird so schwer nicht zu tragen sein. Und müßtet ihr es früher tun, will heißen, haben die Pfaffen einen Krieg gegen Schweinfurt beschlossen, so melde ich es euch beizeiten. Daraufhin lebt wohl! Seht euch draußen in der Nacht nach euerm Stern am Himmel um und vergebt mir, wenn mich die großen Sorgen, die auf mich gefallen, verhindern, euch morgen noch einmal Gehör zu geben –!«

Damit entließ der Ritter den im höchsten Grade erregten, von dem Bild des Regensburger Reichstags geblendeten jungen Mann, der heute zum zweiten Male die eigentümliche Bezauberung erprobte, die Grumbach bei neugeknüpften Verhältnissen auf die Menschen ausübte.

Die Frauen, die nicht anders erwarteten, als daß der Bote Argulas einige Tage in Würzburg verweilen würde, hatten sich zur Ruhe begeben.

Als die Gäste nach dem Mahle gegangen und die letzten Stunden eines der glücklichsten Tage seines Lebens vorüber waren, stieg Grumbach noch auf eine der Turmwarten seines Hauses, öffnete die Altane, die dicht an dem astronomischen, laternenartig gebauten Zimmer lag, beobachtete eine Weile die Nachbarschaft, die still geworden war, sah nachdenklich auf die erleuchteten Fenster des Frauenbergs, die nach und nach bis auf eines erloschen, wo denn also jetzt wohl der neugewählte Würden- und Bürdenträger den erquickenden Schlummer suchte, und verglich hierauf, verweilend bei dem Gedanken: Was wird dir, da oben, wo das Lichtlein brennt, und mir durch dich wohl alles beschieden sein? die Konstellationen des nächtlichen Himmels, auf den hinaus er hierauf sein Fernrohr richtete.

Mars und Saturn standen drohend. Das konnte ihn nicht überraschen. Auf Kampf waren Bibra und er gefaßt. Aber eins befremdete ihn. Daß es volle sechs Zeichen waren, um welche die Opposition stattfand. Die Differenz von sechs Sternzeichen bedeutete offene, nicht verborgene Feindschaft.

»Tragt ihr den Nacken so hoch –?« murmelte er.

Für sein Teil beschloß er, sich in diesen Tagen nur in voller Wehr zu zeigen, im Harnisch vom Kopf bis zur Sohle.


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