Karl Gutzkow
Hohenschwangau
Karl Gutzkow

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XXII.

Als vor vier Jahren Ottheinrich nach Nürnberg reiste, hatte er schon hinter Donauwörth die Fuggerschen Kupfererze eingeholt und durch sein Erscheinen im Geleit der Nürnberger Post den alten Obersteiger nicht wenig überrascht. Er konnte dem Alten die für Bamberg gegebenen Aufträge wieder abnehmen und diese nun selbst vollziehen. Von Moritz Hausner hatte er keine Spur gefunden.

In Nürnberg zu verbleiben, hätte ihm in Rücksicht auf die ihm versprochene Empfehlung des Paumgartnerschen Hauses ratsam erscheinen sollen. Eine weise Überlegung mußte ihm sagen, daß seine Ansprüche auf die nur wohltuenden Seiten des Lebens noch durch nichts gerechtfertigt waren. Glück in jungen Jahren will verdient sein.

Dennoch bestimmte eine schmerzliche Nachricht ihn, die gute Stellung, die seiner gewiß in Nürnberg harrte, nicht aufzusuchen, seine Mutter war gestorben. Sein Vater hatte darauf Haus und Geschäft verkauft und sich vom Erlös seines Besitzes eine Hospitalpfründe erworben. Nicht die damit ausgesprochene Enterbung, sondern aufrichtige, kindliche Liebe und Rührung über die Einsamkeit seines Vaters brachte ihn auf die Verfolgung seines ersten Planes, Argula zu besuchen, wieder zurück. Mit tiefem Herzeleid reiste er nach Bamberg.

Als er hier die schuldigen Opfer des Herzens vollzogen hatte, war der Lauf des Main die Straße, die Ottheinrich verfolgte, um erst Schweinfurt, dann Zeilitzheim zu erreichen.

Die Stunden, die ihm bei seiner Wohltäterin geschenkt wurden, schienen geradezu vom Schicksal bestimmt, ihn für alles Leid, das ihm seither widerfahren, schadlos zu halten. Argulas tatkräftige Natur verleugnete sich noch nicht. Die damals Vierundvierzigjährige hatte selbst im Winter in dem Schlößchen, das sie bewohnte, nicht lange Ruhe, war oft unterwegs, besuchte Schweinfurt, bald Gerolzhofen, bald Volkach oder Schwarzach. Wie sie ihren jungen Freund, der in Trauer um die Mutter kam und sie durch sein entwickeltes Äußere, sein Benehmen, seine Bildung nicht wenig überraschte, sofort in alles einweihte, was ihre tägliche Aufmerksamkeit in Anspruch nahm, so durfte auch er sein vergangenes und gegenwärtiges Leben ganz in ihr Herz schütten.

Das Frauengemüt ist des Anschlusses bedürftig. Anfangs lächelte Argula ob der kleinen Ritterdienste, die Ottheinrich ihr widmete. Sie bediente sich sonst in allem selbst. Ihr ganzer Körperbau war auf Energie angelegt. Mager, sehnenstark, hatte sie selbst in ihrem Äußeren etwas Männliches. Mit der Zeit aber wurde sie der ungewohnten Huldigung immer zugänglicher. Ottheinrich widmete ihr die Dienste, die er seiner toten Mutter nicht mehr widmen konnte.

Auf der andern Seite hatte aber auch Argulas Fürsorge für den Pflegebefohlenen vollauf zu tun. Ottheinrich hatte Argula seine Abenteuer mit den Sankt-Ulrichsmönchen, seine Anrede an Königin Maria, den Spott des Magisters Rupilius, er sollte Prädikant werden, nicht verschwiegen. Sie ermutigte ihn in der Tat zum geistlichen Amt.

Da ringsum die kirchliche Ordnung völlig gelöst, manches Kloster entvölkert, manche Pfarre unbesetzt war, so sprach Ottheinrich zuweilen schon in Wirtshäusern und erwärmten Privatstuben ein Gebet, las aus der Bibel oder Luthersche Schriften vor und erläuterte diese. Er disputierte wohl auch mit den Kaplanen von Volkach, mit den Mönchen von Astheim. So galt er für einen der vielen fahrenden Schüler, die sich damals vom Konventikelhalten ernährten und nur zu leicht, durch die Neigung, auch kirchliche Akte zu vollziehen, zu Wiedertäufern wurden. Der Gedanke, Ottheinrich sollte nach Wittenberg zu Luther gehen, wurde von Argula, da sie seinen Rednerberuf erkannte, in allem Ernst erfaßt und von ihren Freunden befördert, auch von Vogler, dem sie darüber schrieb. Vogler hatte im Sommer, auf der Rückreise von Frankfurt an der Oder, Wittenberg besucht. Zunächst gebrach es für die Ausführung des Plans an Mitteln. Auch hatte Ottheinrich noch nicht das volle Vertrauen zu seinen Kenntnissen, sein bescheidener Sinn und seine hohe Vorstellung vom geistlichen Amt überhaupt unterschätzten sich.

Nachrichten aus der Ferne, etwa aus Augsburg, zu erlangen, war mit großen Schwierigkeiten verbunden.

An wen sollte Ottheinrich in Augsburg noch schreiben? Johannes Paumgartner, der Doktor, hätte ihm vielleicht Mitteilungen gegeben, wenn er darum gebeten. Aber auch von ihm war ihm ein Stachel zurückgeblieben durch seinen letzten Besuch, durch die Schroffheit seiner Äußerungen, die auch ihn wegen Antonis, seines Bruders, angeschuldigt hatten. An Haysermann zu schreiben, widerriet ihm seine Stimmung, der er keinen Namen zu geben vermochte. Als er entdeckte, daß es wohl Stolz, das Bewußtsein seiner gewählteren, durch die von ihm gehaltenen religiösen Vorträge immer mehr gehobenen Bildung war, hätte er es schon eher getan. Einstweilen schrieb er an Regina Honold. Er tat dies auf die Gefahr hin, ihr in dem Fall, daß sie sich mit ihrem Mann wieder hatte vereinigen müssen, Unannehmlichkeiten zu bereiten. Um dieser übeln Folge zu begegnen, schloß er den Brief einem andern an ihren Vater, Hans Honold, bei. Den eingelegten Brief bekam er wieder zurück mit einigen milden, herzlichen Worten des Vaters, der ihm den Tod Reginas anzeigte, sie hätte, schrieb er, die Prüfungen, die ihr zur Läuterung ihres Herzens und zum Gewinn ewiger Freude in Abrahams Schoß verhängt gewesen wären, nicht länger ertragen können. Die Rückkehr ihres Eheherrn wäre nur die Veranlassung zu neuen Bedrängnissen geworden. Auf einem der Güter des Schreibers, bei Babenhausen, das damals noch den Rechbergs, nicht den Fuggern gehörte, wäre sie gestorben. Der Eindruck dieser Mitteilung war für Ottheinrich in so hohem Grade erschütternd, daß er den Mut verlor, ferner noch in seiner Augsburger Vergangenheit zu forschen. Die Nachricht kam gegen Ostern.

Sie hatte ihn dermaßen betrübt, daß Argula bedacht sein mußte, ihn zu zerstreuen und ihn überhaupt dem Beruf des Lebens wieder zurückzugeben. Zuletzt wurde sein Aufenthalt gefahrvoll für sie beide. Für ihn, weil ihm, wenn er Kaufmann bleiben wollte, die Übung in den Pflichten des damals streng genommenen Dienens verloren ging und ein träumerisch beschauliches Geistesleben gefahrvoll in ihm die Oberhand zu gewinnen drohte. Für seine Wohltäterin, weil sich ihr weibliches Herz an so edle Fürsorge zu sehr gewöhnte und sie sogar die Unbefangenheit zu verlieren besorgen mußte, mit der in einem solchen Fall eine ältere Frau die böswillige Mißdeutung, die auch hier nicht ausblieb, zu widerlegen hat. Die würdige Frau war nicht alt genug, um den Schein nicht aufkommen zu lassen, als würde ihr der Umgang mit dem jungen Mann zum Bedürfnis.

Da galt es, den schönen Verkehr mit Besonnenheit abbrechen. In Schweinfurt war es, wo sich einige Verhältnisse boten, die Ottheinrichs kaufmännischen Kenntnissen Verwertung und zugleich den Übergang zum geistlichen Beruf, wenn ihm dazu noch die vollere Ermutigung kommen sollte, offen ließen und schon allein zu diesem Zweck auch die Fortsetzung eines näheren Verkehrs mit Argula ermöglichten. Ein Kaufmann daselbst, Heinz Rückert, bezog mit Erzeugnissen mancherlei Gewerbgeschicklichkeit, worin die Stadt mit Nürnberg wetteiferte, die Messen. Schon auf die nächste Ostermesse nahm derselbe den ihm Empfohlenen, der nur ein Probeverhältnis gewünscht hatte, mit nach Frankfurt. Für Würzburg gab ihm Argula einen Brief an ihren Vetter mit.

Ottheinrich war an seine Reisegefährten gebunden. Die Kaufleute reisten, der Sicherheit wegen, in größerer Zahl. Nur einen einzigen Ausflug nach schloß Rimpar konnte er machen, dessen Ausdehnung und Pracht nicht wenig von ihm bewundert wurde. Das Schloß war wie neu und mußte in seiner Herstellung Tausende gekostet haben. Schon der Aufgang, wenn auch an schwunghaft betriebenen Mühlen vorüber, hatte etwas Fürstliches. Sieben Türme, von denen der eine riesig emporragte, wurden durch fenster- und erkerreiche Fronten verbunden. Der Eingang in den Hof, linker Hand die zu wahrhaften Prunkgemächern aufsteigende Freitreppe, alles war im Einklang mit der Bestimmung, weniger der Verteidigung, als dem Behagen des Landerbförsters zu dienen. Als Ottheinrich in diesem Schlosse, das beängstigend wirken konnte, eine kurze Zeit verweilt hatte, war es gerade nicht von Menschen und Festlichkeiten belebt. Die Burgfrau und der glücklicherweise anwesende Burgherr konnten sich ihm da teilnehmend widmen und erhielten von seiner Persönlichkeit einen bleibenden Eindruck. Kleidung und Benehmen standen ihm. Hatte er doch auch die Welt gesehen, kannte Italien, das mächtige Augsburg, das Leben der Fugger und der Paumgartner. Selbst von einer Unterredung mit Königin Maria durfte er – wenn auch nur mit Zurückhaltung und Verlegenheit – Bericht erstatten. Da war es kein Wunder, daß der Ritter, als er dann noch zufällig beim Aufzeichnen einiger für Argula bestimmten Notizen die gefällige Handschrift des jungen Mannes wahrnahm, ihm vorschlug, in seine Dienste zu treten.

Fürs erste konnte deshalb von Annahme keine Rede sein, weil ihn schon die eingegangene Verpflichtung band.

In Frankfurt am Main traf Ottheinrich eine Lebhaftigkeit, wie sie daselbst zur Meßzeit noch über den Verkehr Augsburgs ging. Die Frankfurter Messe lockte von allen Himmelsgegenden Käufer und Verkäufer an. Hier traf Ottheinrich Augsburger, die ihm teilweise persönlich bekannt waren und ihm manches zu erzählen wußten. Zunächst vom »Paffenkehraus«. Sogar im Dom wurde evangelisch gepredigt. Die Heiraten wurden einfach so gehalten, wie Luther geheiratet hatte – durch Verspruch bei einem Mahl, durch Gelöbnis vor einigen guten Freunden als Zeugen. Unerschrocken trat die Stadt dem Schmalkaldischen Bunde bei. Um diesen Schritt beim Kaiser wieder gut zu machen, hatte sie ihm, erzählte man, als Türkenhilfe ein Fähnlein Fußknechte und sechzig Tonnen Pulver geschickt.

Aus seinem engeren Interessenkreise erfuhr Ottheinrich manches Überraschende. Die Italiener, die sich den Mordanfall auf Anton Paumgartner hatten zuschulden kommen lassen, hatte man nach einigen Wochen wieder freigelassen. Das Gerücht sagte, auf Bürgschaft des kaiserlichen Rates selbst. Unmittelbar darauf hätte Johannes Anna von Stadion geheiratet. Ottheinrich durfte sich sagen: Das war der Preis für die Freiheit und das Leben der Brüder Vittorias –! Die Szene, wo des Vaters grausames: Entweder werden deine welschen Vaganten geköpft oder du heiratest Anna von Stadion –! sicher Johannes um allen Willen gebracht hatte, er sah sie mit Augen, hörte sie mit allen Nebenumständen ... Von Vittoria und dem ferneren Verbleib der Italiener wußte man nichts, als daß sie nach München gegangen wären.

Reginas Tod hätte jetzt Antoni Paumgartner erlauben können, sein Trugversprechen als Graf Traversi an Vittoria wahrzumachen. Doch gab es keine Kunde, daß solches geschehen.

Als sie nach Schweinfurt zurückgekehrt waren, unterstützte Heinz Rückert den ihm von Argula, die das Anerbieten ihres Vetters in Rimpar entschieden bekämpfte, gemachten Vorschlag, Ottheinrich sollte sich dem Meister Lindemann zum Halten seiner gelehrten Schule anschließen. Erziehung und Unterricht schien die einzig sichere Grundlage der Verbreitung des evangelischen Glaubens zu werden. Melanchthons Schulordnung war vor kurzem im nahen Kitzingen eingeführt worden und auf Schweinfurt schien vor einigen Jahren ein besonderer Strahl der Musengunst gefallen zu sein. Ein dort abgehaltener Fürstentag hatte den jungen Johann Friedrich von Sachsen, den späteren Kurfürsten, dorthin geführt und in seiner Begleitung Luthers Freund, den sächsischen Hofprediger Spalatin. Die Zahl der Zuhörer war so groß, daß die Kirche nicht ausreichte, sie zu fassen. Spalatin mußte auf die Straße hinaustreten und von der äußeren Stiege, die zum Chor der Frauenkirche führte, herab sprechen. Immer enger wurde der Kreis der alten Kirche zu Schweinfurt. Lindemann, ein Bote Spalatins, konnte zwar noch keine Kanzel gewinnen, aber die Schule kam in seine Hand. Ein Karmeliter, Johann Neßmann, legte sein Ordenskleid ab und unterstützte ihn. Ein dritter Priester, Lorenz Heunisch, zögerte noch, ihm zu folgen. Bis dahin sprang Ottheinrich für ihn ein und offenbarte Gaben für den Lehrerberuf, die ihm den Beifall aller Bürger sicherten.

Immer weiter wuchs der Umfang seines Wissens. Er las fertig Latein und lernte sogar griechisch. Nicht die Jahre seines Alters, deren Zahl sich allerdings mehrte, schreckten ihn von der Universität ab; der Entschluß selbst, die Selbstbestimmung, die Erhebung fehlte. Hatte sich doch bei aller Bewährung seines Willens und seines Talents etwas auf ihn niedergesenkt, das als eine Mattigkeit, eine Schwere des Geistes, des Körpers zugleich, erscheinen durfte. Diese auffallende Erscheinung war teils eine Folge seiner Gewöhnung, sich überhaupt in die Ratschlüsse Gottes zu ergeben, teils der noch immer nachwirkende Eindruck des so demütigend in Augsburg Erlebten. Selbst Argulas Zuspruch, ihre Versicherung, daß sein heroisches Bekenntnis im Fuggerhause eine erlaubte und ohne Zweifel nicht ohne gute Folgen gebliebene Tat war, konnte ihn nicht abbringen von dem Grübeln, daß er sein Glück, seine wahre Bestimmung in der Hand gehabt und nur durch eigene Schuld verloren hätte. Stundenlang konnte er da, wenn er, erschöpft von seinem Lehramt, ausruhte, an stillen Abenden, Sonntagen, den Blick gen Süden oder Westen richten und sich in die Welt, die Gundula, in die, die Martina umgaben, versenken ...

So dürftig die Verbindung der Städte, die »Zeitigung« alles Neugeschehenden war, das erfuhr Ottheinrich doch: Der Übergang Hohenschwangaus an die Paumgartner hatte sich vollzogen –! Die beiden letzten Schwangauer, Heinrich und Georg, waren schnell hintereinander gestorben. In Augsburg hatte sich außerdem die Staatsaktion begeben, daß man neununddreißig angesehene Familien in den alten »Geschlechterstand« erhob, der auszusterben oder von Augsburg wegzuziehen drohte. Es war die letzte sich aufraffende Kraftanstrengung der alten, durch die Kirchenreform zum Absterben gebrachten Zustände. Hörbrot und sein Anhang hatte alles getan, diesen Akt künstlicher Erschaffung einer Aristokratie zu hintertreiben. Doch kam die neue Gliederung zustande. Da erst sind die Fugger von der Kaufmannsstube zur Geschlechterstube gekommen. Auch Rat Paumgartner wurde erst jetzt »Geschlechter« genannt, während zugleich in den Zeitungen sein neuer Glanz als Reichsfreiherr hervorgehoben wurde. Nicht minder erfuhr Ottheinrich einen Verlust, der seinen Prinzipal betroffen hatte. Die Häuser um den Sankt-Ulrich gehörten beinahe alle, auch die Ketzergasse, den Paumgartnern; man nannte das ganze Viertel die Paumgartnerei. Ein großer Brand zerstörte in einem der nächsten Sommer eine ansehnliche Zahl dieser Häuser. Sein Geschäft mußte der Rat ganz aufgegeben haben. Denn bald darauf hieß es in einem Briefe, den ein in Schweinfurt lebender Augsburger empfing, daß die Kaufleute Augsburgs ein neues Zunfthaus erstanden hätten, eine Börse nach welschem Brauch, dazu hätte man das Kontor Hans Paumgartners angekauft auf dem Jüdenberg. Um viertausendfünfhundert Goldgulden. So lag denn also von Hohenschwangau aus die Staffel hinweggestoßen, auf der jene Höhe erstiegen war –! Das Bild des aufgelösten großen Geschäfts, der in alle Winde zerstreuten Beziehungen, des auseinandergegangenen Personals konnte Ottheinrich tagelang beschäftigen. Er sah im Geist seinen Platz, wo er glückliche Jahre hindurch gearbeitet hatte – Alles war eingerissen und verändert –! Ob wohl noch die Großmutter lebte?

Auf dem Gebiete jener kleinen Reichsstadt, wo Ottheinrich gleichsam nur provisorisch wohnte, bereiteten sich Entscheidungen vor, ähnlich denen, die bis jetzt in Augsburg glücklich abgelaufen waren. Hörbrots Überstürzung wurde dort von Franz Welser, Georg Frölich und andern kraftvoll im Zügel gehalten. Aber aus Schweinfurt wollten die Geistlichen nicht weichen. Die Johanniskirche behauptete mit einer Anzahl anderer Priester ein Doktor Feigenbaum. Ein Kaplan hielt fort und fort in der Kilianskirche vor den Toren Messen, Vespern, ganz in alter Weise mit Altartüchern, Fahnen, Kerzen, bunten Chorröcken. Sicher war es eine Brandlegung, die eines Nachts diese Kilianskirche zerstörte. Nun gab es nach dieser Einäscherung vom Würzburger Stift Drohungen, Untersuchungen. Der hennebergische Vogt, der in Schweinfurt Ordnung halten sollte, war mit dem hennebergischen Verwalter im Amt Mainberg nicht im Einklang. Die Bürgerschaft sehnte sich ohnehin nach einem stärkeren Schutz. Unzuverlässig war der »fromme« Georg von Brandenburg; eher wurde der feurige Philipp von Hessen begehrt. Boten gingen zwischen Kassel und Schweinfurt hin und her. Da hieß es plötzlich: Der Henneberger verkauft seinen Stützpunkt, das feste Mainberg an Würzburg! Nun muß ein Kampf zwischen dem hessischen und würzburgischen Einfluß entbrennen! Wie wird alles das für die Stadt enden –!

Mitten in die Aufregung über die immer weiter schreitende Verhandlung der Stadt mit Hessen fiel der Tod Konrads III. von Würzburg. Die Erwählung Konrads IV., Argulas hoffnungsvoll gewährter Anteil daran, der Brief, den Anna von Grumbach an sie gerichtet hatte, ihre Antwort und die Sendung Ottheinrichs, alles das trug dazu bei, Ottheinrich endlich aus einer idyllischen Welt, in der er traumbefangen und gebunden lag, aufzuwecken. Argula selbst hatte ein Erlaubnis, das auch ihr ein zu langes Verweilen in ihrer kleinen und nächsten Welt gefahrvoll erscheinen lassen mußte. In die Belehnungsfrage ihrer Kinder war eine Spaltung gekommen, die ihren Anteil vorzugsweise aufregen und ausschließlich fesseln mußte ... Die Linie, der Argula angehörte, hatte sich nach Bayern, eine andere nach dem äußersten Norden Deutschlands verloren. Ein anderer Wilhelm von Grumbach war es, der sich in jungen Jahren nach den Niederlanden begeben hatte. Die östliche Provinz der Niederlande, Westfriesland, stand unter der Botmäßigkeit des Reiches, eines Erbstatthalters, der seither aus den sächsischen Fürsten genommen wurde, zuerst in der Person Albrechts »des Beherzten«. Ein Mitglied dieser Statthalterei war ein tapferer Friese, ein Edelmann, Hessel Martena genannt. Dieser verheiratete seine Tochter Luzia an den vom Main gekommenen, dem Kaiser und dem Statthalter dienenden Ritter von Grumbach. Vier Kinder entstammten dieser Ehe, Karl, Sixtus, Hessel und Maria von Grumbach. Vor kurzem war er gestorben. Seine Kinder wollten nach Franken zurück. Maria hatte sich mit einem Schwarzenberg verlobt. Sie machten Ansprüche auf ihr Erbe, das in Zehnten, Zinsen, Nutzungen, Kemenatengerechtigkeiten auf den Grumbachschen Gütern bestand.

Schon in einer anregenden und wahrhaft erhebenden Stunde, die zu Kitzingen (wohin Ottheinrich mit dem Doktor Sinapius und seinem Reisegefährten, dem jungen Studenten Andreas Grünthler, von Würzburg geritten waren und Argula angetroffen hatten) eine Begrüßung und ein Abschied zugleich gewesen, hatten sich die Teilnehmer dahin ausgesprochen, daß Argulas Söhne gut tun würden, des Vetters Rat zu befolgen und nicht nur in Regensburg, sondern später auch in Würzburg selbst persönlich zu erscheinen. Argula sah, daß sich ihre Söhne mit Hessel, Sixt und Karl von Grumbach in einen Wettstreit zu versetzen haben würden. Wenn es diesen gelang, vor ihren Kindern, Gottfried und Johann Georg, beim Lehnshof und bei den Verwandten den Vorsprung zu gewinnen –! Ottheinrich hatte sie sogleich mit dem Wort begrüßt: »Ich gehe mit dem Ritter nach Regensburg –! Um eurer Brüder und eurer Söhne willen –!«

Jener Tag in Kitzingen war für Ottheinrich ein wahrer Festtag geworden. Er sprach manches begeisterte Wort über Italien. Wie gerne wäre er wieder mit hinausgezogen! Sinapius erzählte von Padua und Ferrara. Den Meister Muschler, an den Ottheinrich erinnert hatte, kannte auch Sinapius und schilderte ihn als das Prototyp deutscher stubenhockerischer Magister, die voll Kenntnisse stecken, aber kriechend und zugleich eingebildet, unzuverlässig, wetterwendisch, reizbar und der Gegenstand des allgemeinen Spottes sind. In Ferrara, wohin sich Muschler nach Veröffentlichung seiner Schriften gegen die Paumgartner gewendet hatte, ginge er jetzt sogar, erzählte Sinapius, auf Freiersfüßen und hätte sich schon eine artige Tracht Körbe geholt.

Als nach einem mit Herzlichkeit vollzogenen Abschied und nach Argulas Wiederholung aller Aufträge und Grüße diese mit Ottheinrich heimritt, wehte recht der stille Gottesfriede um sie her, der ihre Herzen für diese und jene Welt vereinigt hielt. Die Buchenwälder, durch die sie ritten, standen im Sonnenlicht so verklärt, daß sich die Herzen erweitern und die Freuden des Daseins nur in dem großen Geist der Liebe finden lassen mußten, der die Natur zur geborenen Gegnerin aller Vorurteile macht. Warum sollte Argula leugnen, daß es ihr wohltat, sich so treu verehrt, so sich bei jedem Wunsch, den sie aussprach, erhört zu sehen –! Alles was unterwegs in Herbergen, beim Bedienen der Rosse, beim Begegnen zweideutigen Gesindels im einsamen Walde von ihm an Aufmerksamkeit der mütterlichen Gefährtin gewidmet wurde, kam fürsorgend vom Herzen. Wenn sie dafür ihrem Gefährten am Abend, als sie daheim waren, dankbar die Hand drückte, wenn sie scherzend von den gefallsamen Jungfrauen sprach, die ihm noch in Schweinfurt für so viel Verdienste, die er sich schon um weibliche Wesen erworben, endlich durch eine beglückende Liebe lohnen müßten, so wußte sie allerdings, daß sie einen Schein zu vermeiden, ja für ihr Streicheln und Trocknen seiner schweißbedeckten Stirn keinen hämischen Zeugen zu wünschen hatte. Doch vermochte sie für das, was ihr nun einmal dieser dritte Sohn geworden war, keinen anderen Ausdruck zu finden, als den der mütterlichen Zärtlichkeit.

Jetzt widersprach sie auch nicht länger seiner Absicht, Wilhelm von Grumbach auf den Reichstag zu begleiten. Unablässig hatte Ottheinrich die Vorteile hervorgehoben, die für seine Wohltäterin entstehen würden, wenn er dem Ritter nahe bleiben und mit ihren Söhnen in Regensburg zusammentreffen könnte. Sie selbst durfte nicht wagen, sich ihm anzuschließen. Zwar hatten die Brüder das »Staufferhaus« zum Sammelplatz der Evangelischen gemacht, sogar einen Geistlichen für einen Hausgottesdienst angenommen, der Regensburger Rat aber wie der Bischof lehnten sich noch in allem an die Wünsche, die Bayern aussprach. Nur die eine Bedingung machte Argula für ihre Zustimmung zur Reise, daß Ottheinrich seine wahren Ziele, die Schule und den geistlichen Beruf, nicht aus den Augen verlor. Sein Schreiberdienst bei Grumbach sollte nur für die Zeit des Reichstags dauern.

»Ich werde auch euch bei den Würzburgern nützen!« sprach Ottheinrich zum Rektor seiner Schule, als er sich von diesem für längere Zeit einen Urlaub erbat. Diese Zusicherung mußte glaubhaft erscheinen. Denn Grumbach wurde in der Tat der Hofmeister und Marschall des neuen Bischofs und behielt nicht nur die Amtmannschaft von Dettelbach, sondern nahm auch noch, zur Mehrung seiner Einkünfte, die von Schwarzach hinzu, wodurch er Schweinfurt unmittelbar nahe rückte. Sein Verband mit Cadolzburg und dem Hof von Onolzbach mußte freilich lockerer werden. Doch löste er sich noch nicht ganz. Sollte im Grunde doch erst jetzt die Saat aufgehen, die gestreut worden war, als im Bannwald bei Windsheim die Begegnung mit dem geheimnisvollen Unbekannten stattfand.

Ottheinrich schrieb an Grumbach und erwartete gespannt die Antwort, die der Marschall auf seine Zusage geben würde.

Von Argula und den tonangebenden Männern Schweinfurts wußte Ottheinrich, daß sich größtenteils die Besorgnisse, die man über den Eintritt des Markgrafen Georg in den im Namen der Jungfrau Maria und des heiligen Georg geschlossenen sogenannten kaiserlichen Bund gehegt, nicht erfüllt hatten. Diesem Bunde hatte der reisende kaiserliche Vizekanzler Held nicht ganz die Spitze zu geben vermocht, die man gewünscht. Auch entschieden protestantische Städte, wie Nürnberg, Kaufbeuren, Hall, Gemünd waren hinzugetreten. Man hatte sich dabei die Freiheit der Religionsübung bedungen und im übrigen den Bund als einen Ersatz für den zerfallenen »Schwäbischen Bund« betrachtet, der wenigstens in Sachen des gemeinen Landfriedens für die schwächeren Mitglieder einen Schutz der Stärkern geboten. Da riet Vogler sogar den Windsheimern an, beizutreten. Manche schwäbische und fränkische Ritterburg war noch immer ein Schlupfwinkel der Räuberei.

In Onolzbach verdrängte bei Hofe ein Name den andern. Diesen Wechsel der Personen sah Vogler mit Schadenfreude. Dabei wurde die Welt um ihn her wieder jung – er ließ mit Georg um die Wette taufen. Auch Markgräfin Amelia, deren Vater, Herzog Heinrich, soeben Herr von Leipzig, Freiberg und Dresden geworden war, schenkte Georg endlich einen Sohn. Die Freude darüber war groß.

Für Albrecht, den jungen Prinzen, der nunmehr, wo Georg einen Erben hatte, nur die Hälfte des Markgrafentums erben konnte, brach jetzt eine Zeit an, wo ihm die Hofmeister, die ihm seine Vormünder gegeben, nicht mehr unparteiische Berater seiner Hoffnungen und Rechte erschienen. Jetzt mußte Gerhard von Bodeck Wilhelm von Grumbach weichen. Dieser führte den Prinzen beim kaiserlichen Hofe in Brüssel ein. Vogler erlebte den Triumph, auf den sein zähes Abwarten gerechnet hatte. Wie vor vier Jahren durch Grumbach die Einladung Voglers nach Frankfurt an der Oder erfolgte, so erfolgte jetzt die Einladung beider Markgrafen, Georgs und des jungen Albrecht, er sollte auch den Reichstag zu Regensburg mit ihnen besuchen. Friede konnte Vogler drum mit Georg nicht halten. Gleich nachdem er sich damals auf den Heimritt von Frankfurt an der Oder nach Wittenberg begeben hatte, war der alte Streit zwischen beiden wieder ausgebrochen. Um siebenunddreißig Gulden zankten sie sich aufs heftigste –! Vogler hatte den Ausflug nach Wittenberg mit auf jene Gesamtrechnung seines Anteils am Frankfurter Erbeinigungstage gesetzt, die in Onolzbach berichtigt werden sollte. Georg strich die Mehrausgabe. »Hast du Luther und Melanchthon sehen wollen, so hab' es aus deinem Beutel getan –!«

Um jene siebenunddreißig Gulden begann ein Briefwechsel zwischen Windsheim und Onolzbach, wie er den Markgrafen immer aufs äußerste zu reizen pflegte.

Georg blieb über die siebenunddreißig Gulden in einer Stimmung, daß er Vogler die weitere Zahlung seiner Pension verweigerte. Er sollte wieder in Dienste treten und amtieren. Er schlug ihm zu dem Ende eine Amtmannsstelle in Windsbach an der Rezat vor, wo adlige Herren amtiert hatten, vor kurzem ein Simon von Zedwitz. Vogler bedankte sich. Er hatte höhere Ziele im Auge. Der Königsberger Herzog schrieb ihm, er sollte Geduld mit seinem Bruder haben. In seiner unerschöpflichen Güte für Vogler schickte er ihm sein eigenes Leibpferd zum Geschenk und ermahnte ihn, »sich nicht von jedem rauschenden Wind bewegen zu lassen«. Zur Hochzeit ließ er ihm aus Nürnberg einen vergoldeten Becher senden.

Sein neugeschlossener Ehebund hatte Vogler wie verjüngt. Eine liebende Hand räumte ihm jetzt alles aus dem Wege, was ihm Verdruß machen konnte, entgegengesetzt Jutta, die früher ein Gefallen daran gefunden hatte, nur das Verdrießliche zu erörtern und gerade das recht fühlbar zu machen. Die neugewonnene Häuslichkeit beglückte Vogler in so hohem Grade, daß er sogar mit widerstreben an die sich allmählich herausstellende Aufgabe ging, Georg und dessen Räten zu sagen: Ihr habt den Prinzen seit Jahren übervorteilt! Der wahre Stand der Erbteilung zwischen euch beiden ist der –!

Aber des älteren Albrechts Sterne erbleichten in den Erblanden, die des jüngeren glänzten immer heller auf. Mochten die Onolzbacher »Hofheuchler« Voglers Briefe ungelesen zurückschicken oder die Briefe, die er nach Königsberg schickte oder von dorther empfing, erbrechen lassen (der Herzog schickte ihm ein Präservativ gegen Brieferbrechung –) Vogler hielten jetzt Grumbach und der junge Markgraf. Letzterer holte ihn im Triumph nach Onolzbach ein. Zwölf Reiter, geführt von seinem Leibknecht Bartel Hartung, gaben dem Altkanzler, der den Kitzinger Hutten und wen nicht alles auf der Landstraße fürchtete, das Geleit. In Onolzbach waren zwei Edelleute aus Albrechts Gefolge seine ständige Begleitung, um ihn vor jedem Angriff zu schützen. Voll Mißmut blickte Vogler auf seinen schönen, einst den Heilbronner Mönchen abgekauften Hof, den man ihm wieder genommen hatte. Er wohnte am Wall im Hause seines Schwagers Clauß. Anna Maria, bereits einige Male Mutter geworden, begleitete ihn. Vogler hatte die Kämpfe seiner drei Fürsten von Herzen satt. Durch die neue Ehe war Ruhe in sein Gemüt gekommen. Weit wohler tat ihm, mit den Männern des Evangeliums zu verkehren. Des jungen Albrecht papistische Gesinnung war ihm geradezu ein Greuel. Im Wettstreit um die Gunst eines solchen Herrn erlahmend, willfahrte er auch nicht der Aufforderung, mit ihm den Reichstag von Regensburg zu besuchen.

Dieser junge Fürst war eine seltsame Erscheinung. Lang und hager von Statur hatte er edle Gesichtszüge, tiefliegende Augen, blasse Gesichtsfarbe, rotblondes Haar. Noch nicht zwanzig Jahre alt, hatte er schon Furchen auf der Stirn. Sein Gang war schwer, trotzig, von einem Gleichmut, als könnte ihm der Herrschaft der Welt nicht fehlen. Wilde Ausgelassenheit im Trinken und im Verkehr mit den Frauen wechselte mit Unmut und verdrießlicher Reizbarkeit. Man konnte zuweilen glauben, ein Ekel nicht nur an seiner eigenen Lebensweise, sondern am ganzen Dasein erfüllte ihn. Dabei gefiel ihm die Weise der norddeutschen Junker, die er in Kölln an der Spree und Frankfurt an der Oder kennen gelernt hatte, besser als die der fränkischen Adligen. Nur mit seinem Vetter, dem Grafen Christoph von Leuchtenberg, stand er im Verhältnis voller Vertraulichkeit. Der Dritte im Bunde war sein Reitknecht Bartel Hartung, der bei dem Prinzen bis an dessen Ende geblieben ist.

Als die Teilung des Markgrafentums vollzogen war, blieb es dem Lose überlassen, ob Albrecht Bayreuth oder Onolzbach erhielt. Der Zufall ließ ihn die erstere Hälfte ziehen. Er wählte aber drum nicht das rauhe Plassenburger Schloß, wo er so trübe Kindheitstage zugebracht und Geister gesehen hatte, zu seiner Residenz, sondern den südlichsten und Onolzbach am nächsten gelegenen Punkt seines Anteils, den Witwensitz seiner Mutter, Neustadt an der Aisch, dicht bei Windsheim. Dort wollte er sich in einem alten, halb verfallenen Jagdschloß seine fürstliche Hofstatt einrichten. Die Einrichtung des Hofstaates, die Wahl der geeigneten Personen war Grumbachs und Voglers Werk. Letzterer hatte die Ruhe liebgewonnen. Er verzichtete beim jungen Markgrafen auf jeden Posten. Eine Stellung außerhalb der Dienstabhängigkeit schien ihm noch vorläufig einflußreicher.

Grumbach, der ebenfalls zu gleicher Zeit mit dem neuen Bischof die würzburgischen Lande bereiste und ihn die Huldigung einnehmen ließ, wurde von Ottheinrichs Antrag aufs angenehmste berührt. Er bestimmte ihm Ritzingen, wo er sich zu einer bestimmten Stunde einfinden sollte. Der Abritt des großartigen Gefolges, dem sich Ottheinrich anzuschließen hatte, war auf die ersten Tage des Monats März 1541 festgesetzt.


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