Karl Gutzkow
Hohenschwangau
Karl Gutzkow

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XXV.

Eine der Schaubuden an der Donau war aus Tannenzweigen gebaut, die von so starkem Umfang und so massenhaft verbraucht waren, daß ihre dichte Zusammenstellung hinderte, an die Bretterwände zu gelangen, diese etwa anzubohren oder an ihnen zu lauschen.

Über dem Eingang einer festen, in Angeln hangenden Holztür war aus durchsichtigem Papier, das durch einen Lichtstumpfen abends erleuchtet werden konnte, ein Kometstern befestigt. Blutigrot war des Kometen Schweif. Der Stern selbst schimmerte lichtblau.

Vor der Tür stand ein phantastisch gekleideter Knabe mit einer Krone von Silberzindel und schlug mit der einen Hand eine vor ihm stehende Pauke, mit der andern schüttelte er die Blechbüchse, in die man die Einlaßgebühren werfen sollte.

»Einen Heller –!« war sein unaufhörlicher Ruf. »Komme, wer sein Glück erfragen will –!«

In diese Hütte, die von einer dichtgescharten Menge umlagert, sogar von Rittern und hohen Geistlichen besucht wurde, führte Vittoria ihren wiedergefundenen Freund, nachdem sie in ihrer Herberge, einem bescheidenen Stübchen in der Nähe des Sankt-Emmeranstiftes, einem schmackhaft zubereiteten Nachtimbiß zugesprochen hatten. Zu ihrem Schutz hatten sich Ottheinrich, wie auch Jeronimo und zwei Gehilfen, die sie mitnahmen, bewaffnet, Vittoria ging verschleiert. Noch einen weiteren Schutz hätten Vittoria und Ottheinrich in den beiden Söhnen Argulas finden können, die ihn gerade vor seinem Ausgang besuchten und gern einmal wieder mit ihm für den Abend verkehrt hätten. Er hatte eine Ausrede gebraucht, um sich die jungen Männer gerade für diesen geheimnisvollen Gang, Moritz Hausner wiederzufinden, fern zu halten. Denn die Junker verkehrten in der Regel mit Bayern und Augsburgern.

Bis sie nun, ihrer fünf, vor dem Tannenhäuschen standen, behielt Vittoria, die sich durch ihr wiederfinden des jungen weiland Reisebegleiters in eine glückliche, fast unternehmende Stimmung versetzt fühlte, ihr Geheimnis aufrecht.

Nachdem nun auch er und seine Gefährten die verlangten Heller in die schon ziemlich schwere Büchse geworfen hatten, betraten sie das Innere der Hütte. Es war völlig dunkel. »Wo habt ihr mich hingeführt – ?« flüsterte Ottheinrich seiner nächsten Umgebung zu, indem er sich durch Bänke und eine Menge von Menschen hindurchdrängen mußte, seine Hand streifte an Harnische, an Samt und Seide, auch an manchen groben Wollenrock und Lumpenkittel. Soviel Menschen hier beisammen waren, so hielten sie sich doch still, nur daß einige lachend, einer oder der andere zankend einen Sitz zu gewinnen suchte. Auch für Vittoria wurde es nur mit Mühe möglich, das Ende einer Bank zu gewinnen. Die Stille, die sogleich wieder nach einem Wortwechsel eintrat, stand in seltsamem Gegensatz zu dem wilden Lärmen draußen.

Nachdem sich das Auge an die Dunkelheit etwas gewöhnt hatte, unterschied Ottheinrich an den Wänden manche seltsame Ausschmückung. Fast konnte man glauben, in einer unterirdischen Höhle zu sein. Riesige Gebilde von Knochen, lange, entweder wirkliche oder nachgeahmte Erzstufen, Versteinerungen, Muscheln, Ammonshörner standen ringsum oder hingen von oben bis auf die Köpfe der Stehenden herab. Unwillkürlich kam ihm der Gedanke an das Hohenschwangauer »Grüble«, in dem einst Moritz mit seiner Pflegemutter unter den Resten von Tieren, die dort vor Jahren von Bären mochten verspeist worden sein, gehaust hatte.

Ein qualmiger Dunst, der hinter einer Wand, die wahrscheinlich aufgezogen werden konnte, hervorquoll, wurde durch den von außen hereindringenden Geruch der Tannenzweige gemildert, ja im letzteren lag etwas eigentümlich die Nerven Reizendes und Anregendes.

Hinter dieser Wand, die sich durch ihre Beweglichkeit alsbald in Wahrheit als ein Vorhang erwies, hörte man zuweilen ein Poltern, Laufen, Rennen und von Menschenstimmen ab und zu ein Ächzen, bald ein heiseres herrschendes Befehlen. Ottheinrichs erregte Phantasie glaubte nun gar jenen Fuchssteiner anwesend, der damals vor fünf Jahren in der Augsburger »Finstern Stube« gefangen genommen wurde und seitdem für Ottheinrich verschollen war. Doch trat dies Bild zurück gegen die wirklichen Erscheinungen, die nun bald an den Augen der Zuschauer vorübergeführt werden sollten.

Die Paukenschläge, die am Eingang der Hütte aufgehört hatten, wiederholten sich jetzt hinter dem Vorhang. Dieser ging in die Höhe und ließ eine Bühne erblicken mit einer runden blauen Hinterwand, die von goldenen Sternen durchleuchtet war. Hinter jedem der Sternchen schien eine Lampe zu brennen, deren an sich matter Schimmer durch eine von oben herabfallende stärkere Beleuchtung unterstützt wurde. Noch blieb die kleine Bühne leer.

Endlich erschien der buntgekleidete Knabe, der am Eingang den Pauker beim Einsammeln der Heller unterstützt hatte, an der Hand eines Jünglings, bei dessen Erscheinen Vittoria und Jeronimo den Blick auf ihren Gefährten richteten.

Ottheinrich erkannte die Züge des Klosterflüchtlings. Die Farbe des in langen Locken wallenden Haares war schwarz, die Augen waren braun, Hände und Gesichtszüge zierlich und fast weichlich zu nennen. Ein listiger Ausdruck und ein stetes Lächeln, das schon sonst um die blassen Lippen spielte, hatte sich gegen früher noch gesteigert, was war aus dem unseligen Kinde geworden? Zu welchem Werke rüstete sich da der kecke Schauspieler, der nur halb bekleidet auftrat, eine Korallenkette um den Hals trug, an den nackten Füßen weiße Atlasschuhe, um die Hüften, über ein enganliegendes Wams, einen Gürtel von blinkenden Agatsteinen –?

Moritz Hausner führte den kleinen Knaben bis an die Brüstung der Bühne. Beide verneigten sich.

Mit helldreister Stimme begann Moritz:

»Höchste und Hohe! Ehrbare, Edle und Veste! Meines Meisters Mund befiehlt mir, diesen jungen Gesellen nach etlichen Dingen zu befragen, so ihm auf Zetteln vorgelegt worden, wie solche jeder, der in die Zukunft schauen will, gebeten worden ist uns zu verabfolgen! Habt ihr etwa noch weitere Fragen, so gebt sie geschrieben und würdigt uns der Ehre, die Engel des ewigen, gerechten und allmächtigen Gottes, des Gottes, der Himmel und Erde geschaffen hat, drum zu befragen –! Die guten Engel! Denn ferne sei uns Zauberei, Lug und Trug der höllischen Geister, als welche nicht im Licht der Wahrheit wandeln, sondern nur in der Lüge –!« Von mehreren Seiten wurden aus der Dunkelheit, die sich inzwischen durch die Bühnenbeleuchtung in einiges Zwielicht verwandelt hatte, dem dreisten Sprecher Zettel überreicht, mit denen sein Gesell, der kleine Knabe, für eine Weile hinter dem Sternenhimmel verschwand.

Inzwischen beschäftigte der nicht sichtbare Pauker mit seinen erneuerten Wirbeln und Schlägen die Aufmerksamkeit der Zuschauer.

Moritz Hausner trug einen kleinen Tisch herein, machte sich mancherlei mit sonderbaren Dingen, die darauf standen, mit einem Fläschchen, einem Messer, zu schaffen, ging dann wieder nach innen, um mit einem zinnernen Teller zurückzukehren, auf welchem die vorhin teils als schon vorhanden erwähnten, teils neu hinzugekommenen Zettel lagen.

Auf der andern Seite der Bühne kehrte dann auch wieder das Kind zurück.

Moritz gab ein Zeichen, daß die Paukenwirbel, die nicht minder, wie der Geruch der Tannen die Sinne gefangen nahmen und betäubten, aufhörten, ergriff das auf dem Tisch liegende Messer, nahm die rechte Hand des Knaben, zählte daran die Finger, vom kleinen an gerechnet, ab, hielt am Daumen inne und begann den Nagel mit dem Messer abzuschaben. Hierauf ergriff er das auf dem Tisch stehende Gläschen, schüttete auf den Nagel eine Flüssigkeit, die Öl sein mochte, blickte in die Höhe, sah sich an dem gemalten Sternenhimmel um, wendete des Kindes Antlitz gen Osten und sprach in vollkommen richtig betontem Latein eine Beschwörung.

Hierauf richtete er an das Kind, das unablässig seinen Daumennagel betrachten mußte, die Frage, ob er die Boten Gottes sähe –?

Das Kind nickte.

»Wieviel –?« fragte der Beschwörer.

»Zwei –!« lautete die Antwort.

Moritz wiederholte die lateinische Beschwörung so lange, bis das Kind behauptete, sieben menschlich gestaltete Geister zu sehen. Dann ergriff Hausner vom Tisch einen langen roten Seidenfaden, nahm wieder den Daumen des Kindes und umwickelte ihn unterhalb des Nagel bis zum zweiten Gelenk. Hierauf setzte er die Beschwörung, und zwar in deutscher Sprache, fort:

»Ich beschwöre euch –« er nannte die Geister – »durch diese allerhöchsten Worte und im Namen des Allmächtigen –« wieder nannte er in chaldäischer Sprache die Attribute der Gottheit – »daß ihr diesem gegenwärtigen Kinde macht ein wahrhaft, gründlich und lauter Gesicht, als so wahr als Gott ist das ewige Licht, also wahr und ohne Falschheit sei auch dieses Gesicht, nämlich, wie, wenn und wesgestalt es wahr sei, daß – ein Jüngling – schwarz von Haaren, in dieser Stadt, der um ein Mägdlein – blond von Haaren, freite – ihre Liebe – – gewinnen werde oder nicht –?«

»Ja!« lautete die Antwort, »er muß sie gewinnen. Zum dritten –«

»Zum dritten Geist?« griff Hausner die stockende Rede auf. »Das ist der dritte Monat –!«

»Eine Bewegung im Zuschauerraum ließ annehmen, daß der glückliche Bewerber anwesend war und seiner Freude einen für alle hörbaren Ausdruck gab.

»Ein Dieb,« fuhr Moritz von einem der Zettel abzulesen fort, »hat in dieser Stadt ein Haus geplündert, während der Herr auf Reisen war – Wer ist der Dieb –?«

Der Knabe starrte auf seinen Nagel und sprach nach einer Weile: »Ein Freund –!«

»Wo ist das Gut hingekommen?«

»Ins Wasser –« war die hastig gegebene Antwort.

Wieder konnte man eine Unruhe bemerken, die darauf schließen ließ, daß auch bei dieser Antwort der, der die Frage gegeben, zugegen war. Sein Gut mochte er nun in oder an der Donau aufsuchen.

In dieser Weise gingen die Fragen und Antworten fort. Größtenteils betrafen sie Angelegenheiten des gewöhnlichen Lebens, Privatverhältnisse. Doch auch nach Krieg und Frieden wurde gefragt, nach den Einfällen der Türken, dem Ausgang des Reichstags, sogar nach dem Ergebnis des Religionsgesprächs. Alle hierauf gegebenen Antworten erschienen als die Ergebnisse einer Vision ins Geisterreich. Unverwandt blickte der Knabe auf seinen blinkenden Daumennagel, dessen Hornstreifchen sich ihm riesig vergrößert und in ebenso viele Gestalten verkörpert zu haben schienen.

Als das Kind erschöpft abgetreten war, begannen wieder die Paukenwirbel, von den transparenten Sternen hinten schienen die Lampen fortgenommen. Auch auf der Bühne wurde es dunkel. Die Hörer verhielten sich immer aufgeregter. Die erteilten Antworten gaben zu sprechen, zu bestaunen, zu bezweifeln.

Als dann wieder die Paukenwirbel aufgehört hatten, brach von einer Seite der Szene ein heller Lichtglanz herein. Der Pauker und der Knabe erschienen mit einem seltsamen Gestell Lampen. In der Mitte schwebte, zugleich befestigt und doch beweglich, ein blitzender Gegenstand. Bei näherer Betrachtung war es ein großer Bergkristall, vielkantig von Natur, eckiger noch durch Kunst geschliffen. Von den Lämpchen, die, mit Blenden versehen, an dem Gestell oben und unten befestigt waren, fielen die Lichtstrahlen in dies reine durchsichtige Glas und erzeugten durch ihre Brechungen ein mannigfach wechselndes, schönes Farbenspiel.

Aus dem Geflüster: »Lynkeus! Lynkeus!« entnahm Ottheinrich den Namen, unter welchem Moritz Hausner hier bekannt war. So hatte man ihn nach seiner Sehergabe genannt. Lynkeus, ein griechischer Heroe, konnte mit der Schärfe seiner Augen die Metalle bis unter die Erde hinunter erkennen.

Mit gewandtem Anstand erschien Moritz wieder, neigte sich, trat an den erleuchteten Kristall, blickte gen Himmel, dann nach links und nach rechts, als könnte er die Wirkung der Lichtstrahlen nicht ertragen, warf sich hierauf mit einer gewissen Heftigkeit auf die Knie und sah starren Auges, den Leib dem Zuschauerraum zugewendet, in den Kristall. Für Ottheinrich begann jetzt eine Szene, die ihn den Höhepunkt des Schauders erreichen ließ und ihn bestimmte, dem Beispiel Vittorias zu folgen, die mit der Linken seine Hand ergriffen hatte, diese krampfhaft festhielt und mit der Rechten sich unablässig bekreuzte.

War es ein Spiel des Betrugs oder einer durch eine außerordentliche Einbildungskraft unterstützten Selbsttäuschung, die Wirkung der Worte die Lynkeus sprach, war eine außerordentliche. Er riß die Zuhörer selbst in seine Visionen hinein. Der Kristallseher vertraute dem Eindruck, den er hervorbrachte, und schien von der Teilnahme der Zuschauer selbst mit fortgerissen zu werden. Dabei war seine Ausdrucksweise, wie Ottheinrich schon vorhin gehört hatte, durchaus gebildet, das Latein, das er gesprochen, ebenso korrekt, wie sein Deutsch, nicht mehr so bäuerisch klang wie ehemals. Mit kurzen Sätzen, mit nur hingeworfenen Worten, anfangs unter Erinnerung an die noch unbeantwortet gebliebenen Zettel, deren Wünsche er dem Zauberspiegel vortrug, später unter dem Eindruck der Fragen, die ihm aus dem erregten Zuschauerkreise entgegengeworfen wurden, begleitete er ein fortgesetztes, starres, wie gebanntes Schauen in den Kristall. Die blauen, roten, gelben Lichter, Folgen der prismatischen Strahlenbrechung, schienen jedes eine bestimmte Bedeutung zu haben. Einzelne Risse oder Linsen, eingeschlossene Wassertropfen, vielleicht Tierchen oder auch nur Luftblasen, erhielten durch die Beweglichkeit des ganzen Apparats eine sich abwechselnd verändernde Gestalt. Wenigstens wechselten in den Anschauungen des Sehers Berge und Ströme und Wolken, Sonnenschein und Gewitter, Riesen und Zwerge. Da traten der Sultan auf, die Janitscharen, die Kamele des Großwesirs, der Schah von Persien, die Goldminen des neuentdeckten Amerika. Bischofsmützen, Königskronen, Fahnenwimpel, Harnische, Bücher, Bilder standen leibhaft vor dem Sprecher, der auf solche Art, indem er dreist seine Bilder in Worte übersetzte, vielleicht über Leben und Tod eines Menschen entschied, über Liebe und Freundschaft, Mißgunst oder ein gefahrvolles Vertrauen.

»Euer Glück ist beständig – aber hütet euch vor einem Feinde –! Ihr trefft ihn im Walde – laßt euch raten des Wegs –! Ein Schloß bedroht euch mit einer roten Fahne –! Wo man euch mit Fischen und Wein geehrt hat, da sind eure Neider –! Meidet den nächsten Dreikönigstag – ich sehe einen Mohren – über ihm steht ein Stern, aber der Stern ist rot –! O, die Geldsäcke –! Reihe an Reihe –! Ein Mägdlein sitzt darunter – es erstickt –! Ein Ritter hilft ihm – ein Adler rauscht ihm zur Seite – es ist einer mit zween Köpfen –!«

Wen das nun traf, der mochte sich draus entnehmen, was er wollte.

Letztere Antwort, die wohl einem unglücklichen Bewerber gegeben worden war, schien fast angetan, als wäre sie Ottheinrichs eigenstem Innern entnommen, seinen beschämt entsagenden Gedanken an Gundula Paumgartner – die Freifrau von Völs –

Und als hätte Ottheinrich nach Martinas Schicksal im fernen Flandern gefragt, antwortete Lynkeus auf einen ihm jetzt erst wieder vor allen Leuten zugereichten Zettel:

»Ich sehe sie stehen – im schlichten Gewand – aber eine Krone liegt neben ihr – ein schwarzer Hund bellt die Magd an! Da fliegt die Krone auf den Hund – das Tier bäumt sich – wie ist's so grimmig und so wild –! Aber ein Engel führt das Mägdlein hinweg – seine Flügel sind blau und rot – nun zeigt er auf ein Buch – das nimmt sie, sie drückt's an die Brust und sie liest darin –!«

Das Herz mochte ihm zerspringen. Er sah in dem Buch das Evangelium, Martinas letzten Trost vor dem schwarzen Hunde des Hoflebens –

Näher noch rückte ihm – er wußte nicht, ob des Himmels oder der Hölle Macht.

Aus einem Winkel riefen jetzt zu gleicher Zeit zwei Jünglinge, die Ottheinrich erkannte. Argulas Söhne waren es, die bayerischen Edelknaben, die sich seltsamerweise selbst da eingefunden hatten, wohin er sie mitzunehmen Anstand genommen –

Der eine fragte:

»Saget, wie mag es der Frau ergehen, an die ich jetzt eben denke –!« Der andere:

»Dürfen zween Männer, an die ich denke, hoffen, daß sie ihres Vaters Erbe wiedergewinnen? Und wer hindert sie daran – ?«

Der Kristallseher war schon im Begriff, auf diese Frage zu antworten, und hatte begonnen:

»Ich sehe eine Schlange –! Ihr Haupt trägt einen Bischofshut –«

Da rief eine Stimme aus dem tiefsten Dunkel des Zuschauerraums:

»Das ist der Main! Saget auch mir: Darf ich hoffen, daß der, an den ich denke, seines Vaters Erbe wiedergewinnt –?«

Ein Klirren mit dem Schwert begleitete diese Worte, die von einem in einen Mantel gehüllten Ritter mit langem, wie man im Zwielicht sah, rotblondem Haar gekommen waren. Ottheinrich hatte ihn schon an der Stimme erkannt. Es war Hessel von Grumbach.

Eine unruhige Bewegung ergriff die ganze Versammlung. Jedermann mußte in einer so gleichlautend gestellten Frage den Ausdruck eines feindlichen, von mehreren auf denselben Gegenstand gerichteten Wetteifers erkennen. Die den Fragern Näherstehenden mochten wohl auch die näheren Umstände dieser herausfordernden Begegnung wissen.

Vittoria hatte sich erhoben. Es schien in der Tat ratsam zu sein, sich zu entfernen. Ottheinrich wußte bereits, wie heftig Argulas Söhne mit ihrem aus Friesland gekommenen Vetter aneinander geraten waren. Ein Glück, daß die Nichtanwesenheit des Würzburger Bischofs die Bewerbung um die Gunst des obersten Lehnsherrn nur auf die Umgebungen des Marschalls beschränkt hatte. Grumbach wollte zwischen beiden Parteien die Wagschale der Gerechtigkeit halten. Durch den aufgeregten Hörerkreis jetzt schon hindurchzukommen war unmöglich.

»Die Schlange –,« fuhr Hausner fort, »hat eine bunte Haut, die eine Seite ist rot, die andere schwarz –! Die schwarze – das ist der Tod! Von dem wird aber viel Glück kommen – die Kreuzlein, die ich sehe, haben alle gelbe Spitzen – das ist Gold! So wird es denen werden auf der einen Seite. Und eine Frau sehe ich, die ist fröhlich auf der andern. Doch nicht um Hoffnung ist sie's. Sie ist nicht mehr jung und sie rührt die andere Seite der Schlange an. Da ist Glück ohne den Tod – ohne – doch was rede ich? Nein, nein –« unterbrach sich der verzückte, dem offenbar eine überhitzte Phantasie wirklich ein wildes Heer von Bildern an den Augen vorüberjagte – »Das ist nicht Kobalt, Drachenblut ist's –! Feuer! 's ist Feuer –! Feuer –!«

Darüber hatte sich die ganze Versammlung erhoben. Die Gebärde des Sehers war schreckenerregend, seine Stimme zitterte. Hessel von Grumbach legte die Hand an sein Schwert und stürmte gegen die Brüstung der Bühne vor. Alle hielten ihn zurück.

Ottheinrich war von dem Eindruck, den auch die Vorstellung einer Feuersbrunst auf den offenbar erschöpften Gaukler, den Brandleger am Klinkerturm zu Augsburg, hervorgebracht zu haben schien, in solchem Grade ergriffen, daß er dem Verlangen Vittorias, das Freie zu gewinnen, nachgab und die unheimliche Zauberhütte verließ.

Manche folgten ihrem Beispiel, obschon neuer Lärm der Pauke gleichsam nur einen Zwischenakt, die Vorbereitung auf andern Spuk anzudeuten schien.

Allen mußte das Einatmen der erfrischenden Luft wohltun. Gellte ihnen auch der Lärm anderer Schauspiele von allen Seiten noch ins Ohr, dieser mußte ihnen jetzt wie Musik dünken, da er sie dem Leben, den gefunden Sinnen, der handgreiflichen und erfaßbaren Wirklichkeit wieder zurückgab. Ottheinrich drückte sein Erstaunen aus, wie in einer Zeit, wo man allerorten dem Zauberwesen so nachdrücklich steuerte, hier am Reichstag ein solcher Höllenspuk geduldet werden konnte.

Jeronimo und die deutschen Arbeiter sagten, die Zauberhütte hätte hohe Protektoren.

»Ich weiß jetzt,« begann Vittoria, indem sie sich an Ottheinrichs Arm hängte, »was ihr von diesen Künsten denkt! Mich aber haben sie schon längst bestimmt, die Gemeinschaft mit ihnen zu fliehen. Ich werde nicht wieder die Hütte besuchen und fast möchte ich glauben, daß die christliche Stadt und die heilige Versammlung, die hier tagt, vor allem die Frömmigkeit des Kaisers sie nicht länger dulden werde. Das aber werdet ihr zugeben, der Zauberer, den sie Lynkeus nennen, ist niemand anders als unser Moritz! Mir fiel sein Antlitz an einem Sonntag auf, als ich mich in den Dom zur Messe begab. Mein Bruder fand dieselbe Ähnlichkeit und redete ihn darauf an. Da stutzte er und stellte sich, als verstünde er kein einziges seiner Worte, die ihn freundlichst begrüßten, wenn sie auch nur in eurer schweren Sprache unbeholfen stammelten. Doch sah ich sogleich an seiner Hand den Ring, dessen ihr euch von damals entsinnen werdet. Heute trug er ihn nicht. Mein Bruder begegnete ihm dann wieder, wie er einen alten hinfälligen Mann führte. Zwei Knaben, dieselben, die ihr heute gesehen habt, blieben etwas hinter den andern zurück. An diese trat mein Bruder und fragte nach dem jungen Mann, der den Alten führte, ob er nicht Mauricco hieße. Worauf die Knaben über unser Deutsch zwar lachten, doch verstohlen nickten. Dann gingen sie alle in die Hütte, die wir besucht haben. Ich habe mich schon einmal vor seinen Künsten entsetzt und möchte auch euch raten, ihn seiner Wege ziehen zu lassen. Diese können nur in den Abgrund führen –«

Schon der folgende Tag gab über den Kristallseher eine Aufklärung.

Ottheinrich hatte einige Stunden in des Marschalls Kanzlei allein gearbeitet, als dieser von einem Frühausgange, der fast täglich stattfand, zurückkehrte und mit seinem Schreiber, um sich von anstrengenden und aufregenden Arbeiten zu erholen, ein auf die Neuigkeit des Tages gerichtetes Plaudern begann.

Als Ottheinrich von den bedauernswerten Reibungen unter den jungen Vettern des Ritters, dann von seinem gestrigen Aufenthalt in der Zauberhütte zum Kometenstern und dem dortigen Konflikt erzählte, erfuhr er zu seinem Erstaunen, daß der Ritter längst mit jenen Schaustellungen am Donauufer bekannt war und erst in diesem Augenblick von den Mitgliedern der kleinen Gesellschaft eine Gefahr abgewendet hatte.

»So vertrau' ich es euch insgeheim an,« sagte er lächelnd, »und rechne darauf, daß ihr dessen verschwiegen bleibt. Der Pauker heißt Wilhelm Klebitz. Er kam diesen Morgen in aller Frühe zu meinem Christoph Kretzer und zeigte ihm weinend an, daß die Nacht ihr Meister gestorben, den die Jungen schon seit Jahr und Tag zu erhalten hatten, sie wüßten aber auch, klagte er, daß sie nun ernstlich bedroht würden. Gerade von mir und dem Prinzen, die wir beide öfters die Hütte für uns allein besucht haben, erflehten sie Hilfe. Die habe ich ihnen gegeben. Kretzer hatte gerade, wie ihr wisset, mit Knechten auf Cadolzburg zu reiten. Da hab' ich die Jungen mitgegeben. Den Alten hat diesen Morgen ein Seelweib hinausgenommen ins Siechenhaus Sankt Lazarus – ein undankbarer alter Hund, der auch nichts anderes verdiente, als hinter die Mauer geworfen zu werden!«

Nach des Marschalls Bericht war Lynkeus ein Bergmannsknabe, der schon in seiner ersten Kindheit magische Künste erlernt, später an andern gesehen hätte. Auf diese hätte er sich besonnen, als es gegolten, für seinen Meister Brot zu schaffen. Die Zauberkünste gingen so gut vonstatten, daß Lynkeus wohl noch mehr als nur noch zwei arme Knaben auf ihren Reisen durch Deutschland hätte miterhalten können. Aber die ungezügelte Tyrannei des Magisters hätte niemand mehr auf die Länge bei sich dulden mögen, bis seine Kraft zusammenbrach und er eben in dieser Nacht ausatmete nach dem Beschluß des gestrigen Zauberabends. Ottheinrich begnügte sich, diejenigen Umstände aus Moritz Hausners Vergangenheit hervorzuheben, die wenigstens die Gewißheit herstellten, daß der Kristallseher, den Grumbach in seinen astrologischen Turm von Cadolzburg geschickt hatte, der Knabe war, den er einst bei Kaufbeuren in klösterlichen Kleidern am Wege gefunden hatte.


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