Karl Gutzkow
Hohenschwangau
Karl Gutzkow

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XXXI.

Zu Ottheinrichs innerstem Ohr schien jetzt alles ein Lebewohl für immer zu sprechen. Diese zu neuem Leben erwachende herrliche Natur sollte er zum letzten Male gesehen haben –!

Sie war seine zweite Heimat geworden. Die Gegend, die Menschen, die Sitten kannte er, als wäre er unter und mit ihnen geboren. Noch einmal ließ er das Atmen des Alls um sich her tief in seine Brust überströmen. Was er seit Jahren hier erlebt, es stand und lag vor ihm wie eingeprägt auf Berg und Wald, geschrieben auf die Welle, auf die Luft sogar, die in ihren Wolkenbildern bei manchen Menschen fast immer dieselben Erinnerungen zurückruft, die zum erstenmal an ihre Gestaltung angeknüpft wurden. Dieser blaue, gewölbte Himmel mit einigen rosigen Wölkchen an den Schneerändern der Alpen, wie er heute auf ihn niederlachte, rief Ottheinrich regelmäßig den Tod seines Vaters in Erinnerung, weil er die Nachricht vom Absterben des braven wohlversorgten Pfründners zu Allerheiligen in Bamberg vor Jahren just an einem solchen schönen Maientage empfangen hatte.

Als es ihn nun endlich aus dem wüsten Lärm um Füssen fortgetrieben, da vermochte er von seinem unbedeckten Wagen aus, auf dem seine liebsten Sachen verpackt lagen, kaum noch länger aufzublicken. Die Bilder taten ihm zu weh. Das Schloß da oben über Füssen – was hatte er nicht alles in ihm erlebt, seitdem er da zum ersten Male mit Regina eingeritten war, als diese aus Venedig entfloh –! Jetzt hauste nun dort ein Priester voll Unduldsamkeit und Selbstgefühl...

Der lustige Gesang seiner Reisebegleiter, die Lerchenwirbel auf dem Felde hätten Ottheinrich die allzu trüben Vorstellungen verjagen sollen. Rückwärts vermochte er nicht mehr zu blicken – nicht mehr auf die wonnevoll und wunderblau sich färbende Kette des Gebirges –! Nicht mehr auf die Bergterrassen mit ihren entzückenden Fernsichten – nicht mehr auf die Gründe, in denen die Waldbäche donnerten, an deren Rändern er so oft emporgeklommen war, sich nur an Blumen, an Moos, an jungen Fichtensprößlingen hielt, als hätte das, was ausgerissen in seiner Hand blieb, Kraft zum Steigen geben können, nicht die frische Schwungkraft seines Körpers. Aber so oft er auch die Augen schloß – er sah sich doch, wie er auf einem Brückenstege stand und hinunterschaute in die Tiefe. Das »Grüble« am Ilgenmoos starrte ihn an. Das hatte er so oft besucht, so oft war er den Degelberg hinauf bis zum Branterschroffen gestiegen. Der schmelzende Winterschnee manches Jahres hatte noch nicht alle Asche, die hier vom Kochherd jenes mutigen Weibes zurückgeblieben war, das Rache am Hause Habsburg brütete und sich nur selbst darüber verzehrte, aus der mächtigen Felsenmulde mit hinweggenommen. Wie oft hatte er am Grüble gestanden und sich von Walpurga aus dem Munde der alten Senner und Steinbrecher erzählen lassen, die ihn begleiteten, wenn er Grenzsteine mit dem eingehauenen Bilde des Schwanen setzte –! An den hinterlassenen »Schatz« der Gaismayrin glaubten hier noch alle, doch hatte man gut danach suchen –! Die meisten sagten, sie hätte ihr Gold in den Alpsee geworfen, darum glitzerte der auch so prächtig selbst ohne die Mittagssonne... Dann wieder – wie lagen die Waldirrpfade, die so oft mit Gundula gewandelten, vor seinem geschlossenen Auge –! Sie waren wie von jenem Alpenglühen erleuchtet, das sie zuweilen bei ihren Wanderungen überraschte. Die Höhe des Kniepaß war dann wohl überschritten, und sie standen plötzlich an einer einsamen Sennerhütte. Ringsumher war alles von Abendnebel und Dämmerung wie im Nu überfallen. Nur auf dem mächtigen Rücken des Sayling blieb noch der Widerschein der sinkenden Sonne und schien der beiden Lustverlorenen zu spotten. Um Mitternacht kehrten sie dann erst wieder heim zum Schlosse, furchtlos vor dem »gartenden« Landsknecht, dem wegelagernden Zigeuner, dem nächtlich schleichenden Wildschützen. Nur vielleicht vor der Eule hatten sie Furcht, die seitab am Wege mit funkelnden Augen hockte und die Geheimnisse – des Gewissens zu bewachen schien.

Allmählich ließen sich die Reisegefährten in fröhlichster Laune gehen. Die Eindrücke des gestrigen Tages und der wild durchzechten Nacht wirkten nun nach. Die Spanier wurden gehechelt, der ganze Haß der Deutschen gegen die übermütigen Fremdlinge gab sich kund. Mit den Nachbarn ringsum herrschte fast Kriegszustand. Ottheinrich hatte sich selbst jahrelang die größte Mühe gegeben, den Zwistigkeiten vorzubeugen. Schon war es nur noch die Mäßigung des alten Herrn, daß es nicht dicht an einer Mühle bei Waltenhofen, der sogenannten Forgenmühle, die dem Bischof gehörte, zur Anlegung einer zweiten kam, die der alten das zufließende Lechwasser nehmen sollte. Mit den Amtleuten Bayerns hatte es ebenfalls um die Gerichtsbarkeit des Ortes Trauchgau Händel, Repressalien, Erhebungen von Geiseln gegeben. Dort zur Rechten lagen eben die Burgen Freyberg und Eisenberg, wo so manche Angelegenheit, die dem strengen Vater verschwiegen bleiben sollte, von den Söhnen besprochen wurde –! Eberhard von Freyberg, Davids Schwiegervater, verdankte seinen neuen Verwandten manch gut Ämtlein zu seinem Kesselgrafentum hinzu. Sonst saß der Adel ringsum tief im Verfall. Der Bauernkrieg hatte gerade hier, wo die Erhebung durch den Fuchssteiner am nachdrücklichsten geordnet gewesen, den nachhaltigsten Erfolg gehabt. Eine große Zahl von Fronleistungen war in Wegfall gekommen. Der Adel hatte in solchem Grade an Halt verloren, daß ein Freund der Freyberge und der Pienzenauer, Ritter Schweickhard von Westerried, sogar aufs Falschmünzen geraten konnte und sein Leben verwirkt hätte, wenn ihn nicht die äußersten Anstrengungen des Adels gerettet hätten.

Ottheinrich suchte, um sich zu zerstreuen, die Papiere, die zu seiner in Kempten zu lösenden Ausgabe der Einleitung für die Ausübung des Münzregals gehörten.

Auch die Stadt Kempten, die am Schmalkaldener Kriege teilgenommen hatte, lag tief gedemütigt. An Kriegssteuern und Strafen hatte sie unerhörte Summen gezahlt. In eine Kommission, die auch hier die Ordnung des Gemeindewesens ändern, die Zunftregierung abschaffen müßte, hatte der Kaiser die Paumgartner berufen. Da machte sich der Ankauf der Münze und des Münzrechtes leicht. Die Stadt mußte auf neue Hilfsmittel bedacht sein.

Münzmeister Kaspar Seeler von Augsburg wartete in Kempten auf Verhaltungsmaßregeln aus Hohenschwangau. Daß der Hauptgeschäftsführer der Paumgartner nun selbst kam, durfte ihm um so willkommener sein. Sein Gutachten bestätigte die Geschicklichkeit des seitherigen Münzwardeins, der zufälligerweise selbst Wilhelm Paumgartner hieß und vielleicht dem alten Familienstamm seiner jetzigen Prinzipale angehörte. Er machte an die Reichsfreiherren nichts geltend, als das Verlangen nach einer gewissen Freiheit der Bewegung, Vertrauen, hinlängliche Vorräte an Silberkorn und »Pagamenten«, wie die schmelzbaren Geräte genannt wurden. Münzmeister und -gesellen hatten wie alle derartige Spezialitäten der Gewerbe damals und im Mittelalter, eigene Bräuche, besondere Freiheiten, sogar einen eigenen Gerichtsstand. So manche Erinnerung aus seinem Verkehr mit dem alten Obersteiger der Fugger, Matthias Grenitzer, der wohl schon lange seine letzte Schicht im Leben gemacht hatte, wurde da wieder durch die Verhandlungen mit Seeler und Paumgartner bei Ottheinrich rege, an die Münze von Ofen, an den Stempelschneider Pisani, an dessen schöne Tochter Beatrice.

Ottheinrich hatte mit Wilhelm Paumgartner, mit Münzmeister Seeler und den Behörden der Stadt die nähere Rücksprache über die baldige Wiederaufnahme des Kemptener Münzens begonnen, hatte Anordnungen für einige Neubauten getroffen, hatte das Asylrecht der Münzstätte erneuern lassen – Darüber vergingen einige Wochen, von Hohenschwangau kam keine Botschaft. Nur über Innsbruck erfuhr man, daß es in Tirol hoch hergehen sollte. Der Kaiser, der noch in Augsburg weilte, wurde erwartet.

Kaspar Seeler, war in der Lage, manche Frage des Schwangauer Bevollmächtigten, die Würzburg betraf, zu beantworten. Grumbach hatte sich auch auf diesem Reichstag wieder in Augsburg eingefunden und war vielleicht noch allda. Seine Stellung war die eines obersten Statthalters bei Albrecht von Brandenburg. Öfter nahm er demzufolge in Kulmbach, auf der Plassenburg oder auf dem markgräflichen Schlosse zu Bayreuth Aufenthalt, als auf seinen Gütern im Würzburgischen, die ihm verhaßt waren, nachdem seine Stellung als Hofmeister des Fürstbischofs Konrad IV. nur so kurze Zeit gedauert hatte. Diese Wendung des Geschicks kannte Ottheinrich schon aus den Briefen Argulas, die selten, aber immer inhaltreich eintrafen. Gleich nach dem jammervollen Totschlag ihres Sohnes und nach Kretzers öffentlich verkündigter Strafloshaltung war über ganz Frankenland die Pest in solchem Grade ausgebrochen, daß die Menschen wie die Schatten dahinwankten, ganze Ortschaften entvölkert wurden, Hunger und Elend länger als zwei Jahre dauerten. Schon im vierten Jahr seines Regiments starb Konrad von Bibra. Für die Bibra und die Hutten war das ein harter Schlag. Grumbach hatte manche Entwürfe gehabt. Die Stiftsverfassung, das Lehnswesen sollte erneuert, die Kirchenfrage in einem Mittelwege entschieden werden. Da stand er nun plötzlich machtlos und gab auch den Kampf um die verlorene Stellung ganz auf, als er riet, in Gottes Namen Zobel von Giebelstadt zu wählen. Dieser versprach ihm, eine Schenkung von achttausend Gulden anzuerkennen, welche der verstorbene Oheim an seine Nichte, Grumbachs Gattin, testiert hatte. Katharina Werlerin, die jetzt von Kretzer geehelicht wurde, sollte neunhundert Gulden erben. Schon vorher hatte Grumbach vom verstorbenen Bischof zehntausend Gulden als Geschenk erhalten. Nun verlangte der neue Bischof Melchior alles zurück.

Grumbach, ohnehin damals durch den Tod seiner beiden Töchter Elisabeth und Anna, die fast zu gleicher Zeit mit dem Bischof starben, tiefgebeugt, hatte sich in das beinahe schon Erwartete gefügt. »Er wird sich im Dienst der Brandenburger erholen –!« hatte damals Argula geschrieben. Und gern auch wäre Grumbach, um seinen Mißmut zu zerstreuen, sofort nach Neustadt an der Aisch aufgebrochen oder auf die Plassenburg, wo ihn die Sternennächte lockten und Tags der fröhliche Sonnenschein. Aber der junge Albrecht war gerade damals schon zum zweitenmal zum Kaiser in die Niederlande geritten und hatte fast den ganzen streitbaren jungen Adel Frankens mit in den Krieg gegen die Franzosen geführt, zur höchsten Freude Karls, der ein junges, gefügigeres deutsches Fürstengeschlecht aufzuziehen gedachte. Damals schloß sich der junge Markgraf aufs innigste dem ihm gleichalterigen Moritz von Sachsen an, der ebenfalls mit einer stattlichen Schar dem Kaiser zugezogen war, zum Verdruß seines Schwiegervaters, des Landgrafen von Hessen, der des Kaisers und der Königin Maria Buhlen um die Gunst der jüngeren Fürstengeneration Deutschlands mit begründetem Mißtrauen sah. Immer mehr bildete sich in Albrecht eine gewalttätige Lebensgesinnung und Weltauffassung aus, die verächtlich auf die Menschen und die gegebenen Verhältnisse herabsah, ja »seine Sache« völlig »auf Nichts« stellte. In der Gunst des Kaisers sich sonnend, in vollen Zügen die Üppigkeit des burgundischen Lebens genießend, machte er sich das, was ihm das Bequeme war, zum System zurecht. Vogler in Windsheim hatte sich von dem jungen unheimlichen Mann schon lange zurückgezogen, ja seine unmittelbare Nähe ganz durch eine Übersiedelung nach Rotenburg an der Tauber vermieden. Damit war auch zwischen Vogler und Grumbach der seitherige Verkehr gehemmt. In dem schmerzlichen Leid, das Argula dem Marschall von Würzburg durch seinen Diener Kretzer verdankte, hatte Vogler nur die Partei der unglücklichen Mutter nehmen können. Die Haltung seiner Tochter in Würzburg konnte nicht ganz das Glück aufheben, das ihm für seine letzten Lebenstage seine zweite Ehe gewährte.

Um so näher rückten sich wieder der junge Markgraf und Grumbach, als jener aus dem Kriege heimkehrte und eine Stimmung mitbrachte, die ihm das Bedürfnis gab, gewichtigeren Rat zu hören, als den er im Kreise seiner Zechgesellen finden konnte. Markgraf Georg der Fromme war 1543 zu Onolzbach gestorben. Dem Kulmbacher Neffen hatte er seinen Sohn nicht überlassen wollen. Darob ergrimmte dieser in Wut, verwarf das Testament, ging an den Kaiser, erhob diejenigen Ansprüche auf Vormundschaft, die ihm nach alten Hausgesetzen gebühren sollten, und brachte darüber seine ganze Stellung zur protestantischen Sache in Gefahr. Einen tödlichen Haß warf er auf jene Fürsten, denen er nur Verehrung und Nacheiferung hätte zollen sollen.

Mit zauberhafter Schnelle ließ Albrecht, man sagt um zween Tonnen Goldes, dem Kaiser Soldaten in allen Gauen Deutschlands vom Böhmerwald bis zu den Ardennen werben. Grumbach riß sich aus seinem dumpfen Brüten um Rache an Bischof Melchior, aus seinem Wetteifer um die Mächte, die in Würzburg regieren wollten, Pfaffen und Weiber, aus seinen astrologischen Träumereien auf und entwickelte eine Kunst, die Werbetrommel zu rühren, die den Kaiser mit wahrer Wonne erfüllte, als Markgraf Albrecht Tausende von Reitern und Fußknechten wie aus der Erde stampfte und des Markgrafen »Leutnant« – so hieß der Ritter von Rimpar – vom Rhein her, wo Grumbach Standquartier genommen, noch anfragen ließ, was er mit seinen ferneren viertausend Reitern beginnen sollte? Da jauchzte Karls Herz ob so menschenreicher Allemagna und lachte der sattelfesten deutschen »Rittmeister«, die nur zu pfeifen brauchten und alles kam über Berg und Strom, Wald und Flur und stellte sich zu Fuß und zu Roß kriegerisch in Reih und in Glied! Joachim von Zitzewitz, Hessel Grumbach, manche landfahrende Stegreifritter, alle waren sie jetzt dem Kaiser willkommen, trotz des Kammergerichts und ewigen Landfriedens.

Während Ottheinrich durch Schertlins Siege in seiner nächsten Nähe die evangelische Sache im Triumph glaubte, erlebte Argula deren traurigste Niederlage. Zaudern, Unentschlossenheit, Rückgang, Ergebung überall. Die Onolzbacher Lande wurden mit Besatzungen belegt, Knobelsdorf entfloh nach Schlesien, Fritz Schwarzenberg, der sich zu den Schmalkaldenern gehalten hatte, wurde geächtet, seine Burgen verschenkte der Kaiser an Albrecht –! Das war eine wilde Mordbrennerei im Steigerwald. Kretzer, der blutige Mörder, wurde Befehlshaber auf Hohenlandsberg, dem festesten Schloß des Schwarzenbergers. Argula entfloh nach Schweinfurt. Als auch dort die Spanier wüteten, die Frauen geschändet wurden, in der Kirche zu Sankt Johannes die evangelischen Altäre zertrümmert, da ging sie unter dem Schutz der Fuchse und Castells mit schwerem Herzen sogar nach Würzburg. Denn dort war es seltsam still geblieben. Grumbach hatte mit dankenswerter Selbstverleugnung die Durchmärsche der kaiserlichen Truppen, die nach damaligem Kriegsgebrauch selbst in Freundesland sich ihren Weg nur mit Brand und Plünderung bahnten, von seinem engeren Vaterlande abgewendet, ja sogar eine brandenburgische Salvaguardia aufgestellt, um den Kampf, der sich nach Norden gezogen hatte, vom Frankenlande fern zu halten. Zur Belohnung dafür hatte er auf Erlaß der Summe gerechnet, die er dem Stift noch schuldete. Melchior Zobel sicherte ihm diesen Erlaß mit Freuden zu. Sein Mund floß über von Dankbarkeit, so er für ewige Zeiten dem Ritter schuldig wäre.

Aber Argula hatte dann auch in der Nähe und Ottheinrich aus der Ferne Gelegenheit, die an Albrecht und seinem Anhang sich offenbarende Nemesis kennen zu lernen. Gleich zu Anfang des Krieges warf den jungen Markgrafen die Ruhr auf den Tod darnieder.

Als sich Albrecht erholt hatte und Herzog Moritz mitten im Winter von 1546 auf 1547 in seinen eigenen Erblanden vom Kurfürsten Johann Friedrich bedrängt wurde, dabei sein Volk gegen sich und nichts mehr zur Seite hatte als die zähe Ausdauer seines allerdings behilfreichen Rates Carlowitz und die Ungetüme von »Hussaren«, die ihm König Ferdinand über Böhmen aus Ungarn zu Hilfe geschickt hatte, Schreckgestalten für seine eigenen Untertanen, da konnte, als der Kaiser den Brandenburger als Vorhut seiner eigenen Armada mit einem aufs neue von Grumbachs Werbekünsten zusammengebrachten Heer Moritz zu Hilfe schickte, das protestantische Deutschland über den »lustigen Possen« lachen, welchen dem Brandenburger und seinen Reisigen eine fürstliche Frau, Philipps von Hessen Schwester, zu Rochlitz an der Mulde in Sachsen aufspielte. Weiberlist hatte die ganze, von Kulmbach und der Plassenburg über Hof durch die waldigen Schluchten des Vogtlandes nach Sachsen geschickte Vorhut zersprengt und richtig gezählt eintausendundneunzig der »freydigsten« Reiter in den Wellen der Mulde begraben.

»Was hätte es dem so wohlgetan, Jesum Christum einige Zeit lang erkennen zu lernen hinter Schloß und Riegel!« – hatte Argula an Ottheinrich geschrieben, als schon die unglückliche Wendung des Schmalkaldener Krieges, des Kaisers und Herzog Albas Heraufkunft nach Sachsen und die Schlacht von Mühlberg dem Markgrafen und seinen Gefährten nach zwei Monaten wieder die Freiheit gegeben. Statt seiner wurden der Kurfürst und der Landgraf von Hessen Gefangene.

Als Albrecht erledigt war, ging er erst auf seine Plassenburg, nahm dann die Pflege Koburg, das Amt Königsberg, welche beide Gebiete ihm Sachsen hatte abtreten müssen, in Besitz, rechnete mit Grumbach, der sich durch seine Rüstungen und Werbungen in die größte Schuldenlast gestürzt hatte, und ging hierauf wohlgemut zum Reichstag nach Augsburg, wo sich Moritz den Kurhut, Albrecht die kaiserliche Bestätigung seines Umsturzes des Markgraf Georgschen Testamentes, Geld und Versprechungen für die Zukunft holte.

Ottheinrich hatte in dieser für ihn so trüben Zeit auf Hohenschwangau so vielerlei zu überwachen, so sehr die Herren zu ersetzen, die schon während des Krieges im Lager des Kaisers die Unterhändler mit den oberländischen Städten, Augsburg, Ulm, Kempten gemacht hatten, daß er dem Reichstag nur auf wenige Tage beiwohnen konnte. Wie wenig war auch diese Versammlung geeignet, ein vaterländisch fühlendes Herz anzuziehen und zu zerstreuen –! Niemals ist das deutsche Volk, niemals sind die deutschen Fürsten so gedemütigt worden, wie damals von dem siegenden Hause Habsburg. Sogar für Ferdinand, der als Herr von Österreich und künftiger Kaiser sich gewöhnt hatte, an deutscher Art und Weise Anteil zu nehmen, ging es zu weit, wie Karl seinen Sieg ausbeutete. Königin Maria unterstützte den kaiserlichen Bruder. Auch sie nahm Partei gegen die Deutschen. Sie hatte ihn unter dem Trotz, den ihm die verbundenen Fürsten gezeigt hatten, zu sehr leiden sehen.

Die Demütigung der Fürsten, auch derer, die unverstrickt und ledig blieben, war wie das kaudinische Joch der Römer. Wer den Schmalkaldenern auch nur eine Beihilfe geboten hatte, mußte sich mit den schwersten Opfern an Geld von Leibes- und Freiheitsstrafen freikaufen. Wie fühlten sich die katholisch gebliebenen Familien Augsburgs –! Der neue Kardinal-Bischof Otto Truchseß von Waldburg obenan –! Die Fugger, die rechtgläubige Linie der Welser –! Wie bekamen sie geschmeichelt um ihr Geld, ihre Gastereien, ihre Einladungen, ihren Einfluß bei Kaiser, König und den beiden Granvella –! Wie waren die Söhne Merkurs hinter allen her und wußten gleich wieder aus der Not eine Tugend zu machen und profitierten an dem Unglück ebenso wie am Glück –! Die überwundenen Fürsten mußten ja borgen. Es kostete Geld über Geld, bis man wieder zu Gnaden angenommen und zum Fußfall beim Kaiser vorgelassen wurde. Bei seinem kaiserlichen Rat, der aus dem vertrautesten Verkehr mit Granvella nicht herauskam, sah Ottheinrich recht den Übermut der Sieger und das Elend der Besiegten.

Von den Augsburger Frauen hatte der Reichstag, mit wenigen Ausnahmen, nur Üppigkeit und Sinnenlust zu berichten. Die Huldigung der großen Herren schmeichelte den eiteln Kaufmannsweibern und Kaufmannstöchtern über alles. Und daß sie nicht wieder das Schicksal einer Agnes Bernauerin erlebten, Fürstenliebe und doch nur Schande und den Tod gewannen, dafür hielten sie sich im Preise, wie Philippine Welser tat. Philippine hatte das ruhiger wallende Blut der Blondinen. Jakobina Jung, »der schwarze Teufel«, wie sie schon als Kind scherzweise genannt wurde, wußte sich weniger zu mäßigen. Auch waren ihre Verehrer, Moritz, Albrecht, Naturen ohne einen Funken von Schwärmerei. Als Moritz seinen Kurhut hatte, verschwand er vom Reichstag. Albrecht ging auf die Jagd, trank und spielte wieder und verwirrte vollends den Kopf eines Mädchens, das von ihm nichts begehrte als ein wenig Treue. Jakobina wollte kein Gold, kein Geschmeide, sie weinte um den damals Fünfundzwanzigjährigen, dem schon die Rosen der Schwindsucht auf seinen zuweilen feierlich ernsten, edelgeformten Wangen standen. Mit düsterer, fieberhafter Glut hatte er Jakobina oft betrachten und ihr Namen geben können, als verstünde er, was eine begrabene Welt der Unschuld, der verlorene Himmel der Ehre und der Hoffnung eines Mädchens ist. Ottheinrich wußte durch Kunigunde, daß er ihr oft gesprochen: »Mädchen, ich könnte dir meine Hand reichen, wie meinem Eheweib! Denn nie werde ich fürstlich Beilager halten, nie die Polackinnen heiraten, die mir schon in Krakau versprochen wurden, auch nicht die Pfalzgräfinnen, die mir Maria von Ungarn unter ihrer Schürze hütet –! Ich tauge nicht zur Ehe und mag den Stamm nicht fortpflanzen, auf dem der Fluch meines Großvaters ruht –! Aber,« hatte er dann hinzugefügt, »was sollst auch du hinuntersteigen in den Schlangenturm meines Lebens –! Da ist nichts traulich, nichts verlockend. Da liegen nur Molche auf dem Grunde, Skorpionen und das ewige Nagen des Unglücks, der Gewissensangst und des Hasses –! Ich hasse Vater und Mutter, ich hasse Gott und sein heilig Wort –! Ich glaube nicht an Erlösung und ewiges Gericht –! Die ganze Welt ist mir ein Schattenspiel an der Wand – ein Vergnügen des Teufels, dem allein diese Erde gehört. Oder wie würde denn ein allgütiger Gott, wenn es einen solchen gäbe, all das Unglück dulden, all dies Feuer, das zerstört, Wasser, das verheert, Erdbeben und Vulkane –! Was wir denken und treiben, bläst uns die helle Not an. Wer Krallen hat, der gebraucht sie. Wer keine hat, der unterliegt. Großmut, Gnade, Tugend –! Haha! Den möchte ich sehen, der bei seinen guten Handlungen nicht auch seine Rechnung gefunden hätte. Die Heiligen – die belohnte eben der köstliche Geruch der Heiligkeit –!«

So konnte der junge Fürst den glücklichen Augenblick zerpflücken, die Blumen des Lebens zertreten. Sah dann eines der zertretenen Veilchen mit bittendem Blick zu ihm auf und entlockte ihm wohl gar eine Träne, so half er sich gegen die Rührung durch einen zynischen Einfall oder suchte nach einer Ursache zum Zorn.

Hätte Jakobina Jung Tiefe des Gemüts besessen, so würde sie bei ihrem Umgang mit diesen jungen Fürsten unsäglich gelitten haben. Sie litt aber nur darunter, daß sie die Achtung der Welt verlor und keinen Ersatz dafür in einem wahren Glück der Liebe, nicht in der Stetigkeit und Treue dessen fand, dem sie vorzugsweise alles geopfert hatte.

Grumbach befand sich auf diesem Reichstag, wie Kaspar Seeler erzählte, in erbittertster Stimmung. Der reichste Ritter Frankens war verarmt. Die Ursache seiner Bedrängnis wollte er nur in Bischof Melchior Zobel finden, schon durch Argula, die noch immer in Würzburg um so lieber verweilte, als nunmehr wirklich der edle Sinapius als fürstbischöflicher Leibarzt in seine Heimat zurückberufen worden war (er hatte Argula in seine Häuslichkeit aufgenommen, zu deren Herrin er, seinem Schüler Grünthler das Beispiel gebend, ebenfalls eine Italienerin, Franziska Bucyroni, erwählt hatte) – schon durch Argula hatte Ottheinrich erfahren, daß Grumbach kurz nach seiner Rückkehr von jenem preußischen Festzug mit dem Bischof in neuen Hader geraten war. Ja man hatte ihn sogar eine kurze Zeit gefangen gehalten.

In Kaufbeuren, wohin sich Ottheinrich hierauf begeben hatte, war die Erklärung des kaiserlichen Rats, er wollte auf jede Entschädigung verzichten, überraschend genug gekommen.

»Geschenkt? Das ist teuer!« sagte sogar Georg Frölich und deutete damit an, der Rat und seine Söhne würden sich am Vermögen der Stadt in anderer Weise erholen.

»O glaubt doch das nicht!« sprach dagegen Georg Hörmann von Guttenberg. »Es bleibt ein Rest unauslöschlicher Liebe zur Vaterstadt in jedem, der innerhalb der Mauern einer solchen hochherrlichen Pflanzstätte deutschen Bürgertums geboren ist! Mit Verachtung scheint euch der alte Paumgartner auf Augsburg herabzublicken? Nein, nein, sage ich, er besitzt zu viel Einsicht, um das in Wahrheit zu können. Nur für seine Söhne und deren Anhang fürchte ich den vaterlandsverräterischen Sinn des Coriolanus –«

Auf dem Guttenberghof, einem stattlichen Anwesen dicht bei Kaufbeuren (Georg Hörmann hatte es von Hans Honold erkauft) umarmte Ottheinrich seinen alten Schweinfurter Schüler und Lehrer Andreas Grünthler und lernte dessen Gemahlin, Olympia Fulvia Morata, kennen. Jenen fand er männlich gereift, voll edelsten Wissens, in seiner evangelischen Überzeugung unerschüttert. Seine Gemahlin voll Feinheit und Grazie, eine Frauenerscheinung, wie sie in deutschen Landen nicht zu finden war. Alle Voraussetzungen einer Bildung, wie sie diese junge, fast noch mädchenhafte Frau besaß, fehlten da noch. Vierundzwanzig Jahre alt, hatte sie die geistige Luft geatmet, in der einst Tasso so glücklich und später so unglücklich werden sollte. Beider Ziel war Würzburg oder Schweinfurt, wohin sie demnächst abzureisen gedachten. Die Briefe des Sinapius drückten die lebhafteste Sehnsucht nach ihnen aus. Hier erfuhr Ottheinrich, daß Argula jetzt wagen wollte, wieder nach ihrem stillen Zeilitzheim zurückzukehren.

In diesem Kreise herrschte nur eine Gesinnung. Selbst die Schwangauerin, die ihren alten Freund Ottheinrich Stauff nie wiedersehen konnte, ohne gleichsam einen Jodler durch das ganze Allgäu zu schlagen, sagte:

»Nun, das soll ja neulich hoch hergegangen sein in euerm neuen Schlößlein da oben –! Mich aber bringen keine zehn Gäul' dahin, mir eures Meisters, des neuen Gestrengen, prachtierenden Bau anzusehen! Heiliger Sankt Coloman, den ich noch immer einmal anrufe von wegen meines lieben Kirchleins in der Wiese bei Schwangau –! Was ist da Geld unnütz auf die Straße geworfen worden! War denn mein alt Haus ob dem Pöllat wirklich schon so verfallen, daß man's den Mäusen überlassen mußte, wie mir der unverschämte Bube, der alte Rothhut, an jedem gottgeschaffenen Zinstag sagt! Hat nicht da oben das christlich Blut mit seinem guten Eheweib, der selige Johannes, annehmlichst gehauset trotz seines Hustens und bösen Spanns auf der Brust? Soll ich euch etwas aufrichtig sagen? Der Hans ist mir noch der liebste gewesen von der ganzen kaiserlichen Sippe, der wir unsern Stolz, unsern Ehrenschild, die Schwanenburg, geradezu um einen Bettelpfennig verkauft haben, wenn ich die Preise bedenke, wie jetzund Grund und Boden auf dem Markte stehen –!«

Von den Zeitläuften äußerte sie:

»Im heiligen deutschen Reich ist's nie so hergegangen wie allweil! Hab' doch auch den Peutinger gekannt und manchen weisen und klugen Mann, der die alten Bücher gelesen hat. Aber derlei Schmach, daß man auf drei Schritte in Deutschland nicht mehr seine gute alte Muttersprache gebrauchen konnte, war noch nicht erhört.«

Der Druck der Zeit lag schwer auf diesen in gleicher Gesinnung verbundenen Gemütern. Alle aber belebte die Hoffnung, daß ein solcher Zustand des Vaterlandes, wie der gegenwärtige, nicht länger dauern konnte. Der Übermut des Kaisers und seiner Spanier ginge zu weit.

Auch darüber schien man einig zu sein, daß irgendetwas in der Luft stecken müßte, was wie eine plötzliche Erlösung von solcher Knechtschaft herauskommen würde. Ob dies nun kommen sollte von jenem Zwiespalt, der zwischen dem Kaiser und seinem Bruder wegen Begünstigung Philipps vor Maximilian zur Kaiserkrone ausgebrochen war, oder von einigen leidlich noch ungebrochen dastehenden norddeutschen Fürsten, dem Herzog in Preußen, dem Herzog von Mecklenburg, dem Holsteiner, der Dänemarks König geworden war, oder von dem neuen König von Frankreich Heinrich II. – oder wohl gar von Moritz und Albrecht, die als Achtvollstrecker vor Magdeburg lagen und die Stadt vielleicht nur zum Schein, um Gelegenheit zu haben, ihre Kriegsvölker beisammen zu halten, belagerten – darüber konnte noch nichts Sicheres festgestellt werden. Aber die wiederholte Erinnerung an Philipp von Hessen, der zu Mecheln in Brabant im engsten Gewahrsam lag unter unmittelbarer Obhut der Königin Maria und ihres neuen Ministers, jenes Viglius, dem vor vierzehn Jahren Ottheinrich als Dozenten in Padua ein Geschenk des kaiserlichen Rats von Augsburg überbracht hatte, und die Sehnsucht, gerade den Landgrafen, den rüstigsten Streiter des Herrn, aus seinen Banden befreit zu sehen, das waren Regungen, die aufs neue den vollen Glutenstrom einer wie überirdischen Mahnung durch Ottheinrichs Adern wallen lassen konnten.

In der Tat bedurfte es nur noch eines zu den bereits vorhandenen Stimmungen neu hinzutretenden Funkens, um bei ihm einen Entschluß fürs Leben zu zeitigen. Mit Hohenschwangau, mit den Paumgartnern, mit seinem bisherigen ganzen Leben glaubte er brechen zu müssen. Aber es trieb ihn weiter, trieb ihn zu einer Sühne seiner Schuld, sicher erwartend, daß für das, was er wählen sollte, Gottes Fingerzeig nicht ausbleiben würde, reiste er nach Augsburg.

Von Grünthler und dessen Gattin hatte er noch nicht Abschied genommen. Auf ihrer Reise nach Würzburg mußten sie über Augsburg gehen, wo er denn erwarten konnte, dem in treuester Liebe verbundenen, Geist und Gemüt der Freunde zugleich anregenden Paar noch einmal zu begegnen.


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