Karl Gutzkow
Hohenschwangau
Karl Gutzkow

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VI.

Zwanzig Jahre mochte es her sein, daß sich in einer schlaflosen Nacht eine Frau, geboren im Purpur, die Tochter und die Schwester eines Kaisers, die Gattin eines deutschen Herzogs, Kunigunde von Bayern, elender und bemitleidenswerter fühlte als das ärmste Wesen in der Welt. Über ihr Geschick trauernd, wohnte die vielgeprüfte Frau zu München, seitdem sie Witwe geworden, nicht mehr im herzoglichen Schlosse. An dem leidvollen Tage, wo sie in Münchens Hauptkirche zu Unserer Lieben Frauen ihren Gatten, Herzog Albrecht von Bayern, hatte beisetzen lassen, gebot sie bei der Heimfahrt an der Schwabingerstraßenecke, dem Franziskanerkloster und schloß gegenüber, halt zu machen, allwo ein Regelhaus, ein Franziskanerinnenkloster lag, zum Püttrich genannt. Zum Schrecken ihrer Hofdamen erklärte sie, obschon eine Frau erst im Beginn der Vierziger, Mutter von sechs zu erziehenden Kindern, in diesem Kloster lebenslang bleiben zu wollen. Die Äbtissin – Klara Luther hieß sie – erschien, da man läutete, selbst an der Pforte. Die Herzogin, die ihren Gatten zärtlich geliebt hatte, begehrte eine Zelle, um fortan nur im Kloster zu wohnen, ihrem Schlosse gegenüber, wo sie ihre Kinder im Auge behalten konnte. Sie kam von einem Leichenbegängnis, von begrabenem Glück, von verlorenen Hoffnungen...

Die Sorgen, von denen die Kaiserstochter noch in ihrer schwarzen Ordenstracht heimgesucht wurde, bezogen sich auf die Schicksale ihrer Kinder – ihrer schon in den Kinderschuhen verlobten Töchter, von denen die eine jenen wilden Ulrich von Württemberg, der einen fränkischen Edelmann, Verwandten des Wilhelm von Grumbach, Hans von Hurten, mit eigener Hand erschlagen hatte, worauf er von Land und Leuten vertrieben wurde – eine andere den oft erwähnten Entthroner seines Vaters, Kasimir von Brandenburg, geheiratet hatte – und auf die Schicksale ihrer Söhne, deren sie drei hatte. Bayerns Adel, durch den an sich für den Herzoghut glücklichen Ausgang des sogenannten Löwlerkrieges zwar gebändigt, stand doch in Ober- und Niederbayern immer noch gerüstet, die Herrscheransprüche des Landesfürsten auf ein Maß zurückzuführen, das ihren eigenen Gerechtsamen keinen Abbruch tat. Die Räte der Herzogin, deren Beistand ihr der geliebte Gatte auf dem Sterbebett empfohlen, vor allen der Oberhofmeister, Ritter Hieronymus von Stauff, teilten diesen Parteigeist des Adels. Dennoch mußte die Witwe, nach dem Willen des Vaters, dieser adligen Obhut und Erziehung die Söhne überlassen, vor allem den ältesten, der erst fünfzehn Jahre zählte und sein Nachfolger werden sollte.

Ihre Wehklagen auf dem harten Klosterlager, ihre nächtlichen Tränen und Seufzer galten dem Schmerz, daß ihre allmählich heranwachsenden drei Söhne gegeneinander in feindseligsten Hader und offenen Kampf gerieten. Herzog Wilhelm, der älteste, sollte ihrem verstorbenen Gemahl, dem Vater, im Regiment folgen, seine Brüder Ludwig und Ernst sollten in den geistlichen Stand treten, Bischöfe oder Kardinale werden. Das hatte der Vater vor seinem Tode so gewollt; so hatte es sein Schwager, Kaiser Max, gutgeheißen. Daraufhin war der erste Rat des jungen, neuen Regenten, der Oberhofmeister Hieronymus von Stauff, mit Diensteid verpflichtet. In alten Tagen hatte in dem damals noch engumgrenzten Bayernland im Fall des Ablebens seiner Fürsten und bei größerer Minderzahl derselben die Sitte der Länderteilung geherrscht. Auf diese Sitte hin wollte die Mutter ihre jüngeren Söhne nicht in den geistlichen Stand treten lassen, namentlich nicht den lebensfrohen, tatkräftigen zweitgeborenen, ihren insonders geliebten Ludwig, sie hatte ihren Bruder, den Kaiser, die Stände Bayerns, den Adel zur Erhaltung der alten bayerischen Sitte aufgerufen, die auch für die jüngeren Söhne ein Landgebiet verlangte. Da jedoch ihr ältester Sohn von seinem Erbe nichts abgeben wollte, ja voll Trotz zum Kaiser nach Linz entwichen war, so nahm die ergrimmte Mutter die Fehde auf, ließ den zweitgeborenen schon zu München die Regierung antreten und machte Anstalten, daß auch für ihren dritten Sohn, Ernst, ein Teil des Landes als sein Eigentum bereitgehalten wurde. »Ich habe Herzoge geboren, nicht Bettler!« sagte sie.

Hieronymus von Stauff ließ die Ausartung des Streites in einen förmlichen Bruderkrieg geschehen. Er hatte den Willen des Vaters, die bessere Wohlfahrt eines ungeteilten Landes für sich. Er scheute kein Mittel, die Söhne auseinanderzuhalten und ihnen die eigenmächtigen Handlungen der Mutter zu verdächtigen, sie war eine Österreicherin! Bayern hätte ja, so bekannte Hieronymus von Stauff, gegen keinen Nachbar mißtrauischer zu sein Ursache als gegen Österreich!

In jener Nacht nun, als Kunigunde auf ihrem Lager der Schlaf floh, überkam sie eine Erleuchtung. Bedenkend, daß sie die damals noch nicht sämtlich verheirateten Töchter zu erziehen, ihnen das Bild des Glücks und häuslichen Friedens an niemand mehr, als an den Gliedern ihres eigenen Hauses vorzuführen hatte – war doch schon ihre an den Württemberger verheiratete, älteste Tochter Sabina die unglücklichste der Fürstinnen ihrer Zeit geworden; Ulrich hatte sein Herz an die Tochter eines seiner Dienstmannen gehängt und eben um ihretwillen jenen Mord an Hans von Hütten vollzogen – unterbrach sie, wie durch höhere Eingebung, alle von ihr selbst veranstalteten oder geschürten Feindseligkeiten, schloß sich den vom Kaiser, von einem Teil des Adels betriebenen Versuchen, die Prinzen zu versöhnen, mit aufrichtigem Eifer an und veranstaltete, daß sie alle drei Söhne eines Tages, wider deren Wissen und Wollen, um sich vereinigt hatte. Da lockte sie jeden mit schmeichelnd liebkosendem Mutterwort an ihr Herz, besprach sich mit ihm allein, nahm ihm Versprechungen ab, versöhnte einen mit dem andern und erreichte, daß der älteste dem Rat seines Oheims, des Kaisers, folgte, der dahin ging, wenigstens dem zweiten Bruder einen Teil des Landes abzutreten, während der dritte sich entschließen sollte, die Stufenleiter geistlicher Würden zu erklimmen.

Hieronymus von Stauff wurde ein Opfer dieser Versöhnung. Die Anstrengungen des redlichen Staatsmanns, zum Wohl des Landes den Bund der Herzen wieder zu zerreißen, blieben ohne Erfolg. Die Fürsten, die öffentliche Meinung verließen ihn; die Welt erfreute sich an dem Schauspiel brüderlicher Eintracht, das von einem Kloster aus, wo eine Mutter, eine Fürstin, ewiger Entsagung lebte, seinen Anfang genommen. In wildem Haß die weiteren Pläne des gestürzten Ministers durchkreuzend, ließ Herzog Ludwig, der seine Residenz von München nach Landshut verlegte, den von seinem Vater eingesetzten greisen Ratgeber gefangen nehmen, und schon am siebenten Tage darauf, nach kurzem, durch die Folter befördertem Prozeß, in Ingolstadt auf offenem Markte enthaupten. Der Einspruch des Kaisers, der sich von Augsburg aus für den angesehenen, tatkräftigen, in seinem Leben unbescholtenen Ritter verwandte, kam zu spät. Hieronymus von Stauff wurde beschuldigt, er hätte sich durch die Verhetzung der Brüder an dem jungen Herzogsgeschlecht für die Verluste rächen wollen, die einst in jener blutigen Fehde der bayerischen Fürsten mit ihrem Adel, dem Löwlerkriege, sein eigenes Haus, das alte Geschlecht der Stauffer vom Ehrenfels, betroffen. Diese Anschuldigung wurde nur durch die Anwendung der Folter bestätigt. Allerdings waren die Stauffer durch die Verluste an Hab und Gut, die ihnen die Teilnahme am Löwlerkriege zugezogen, fast zu Grunde gegangen und teilweise vor Kummer und Trauer gestorben. Die Stammburg der Familie, Ehrenfels bei Berezhausen, unfern Regensburg, viele andere Besitzungen und Schlösser des mit den Hohenstaufen verwandten Geschlechts lagen, vom Vater der jungen Herzoge gebrochen, in Schutt und Trümmern. Nichts war der einst so mächtigen, auf blutigen Römerzügen von manchem Lorbeer gekrönten Familie geblieben, als der kleine Ort Berezhausen an der Laber und ein Haus in Regensburg, das noch jetzt allda vorhandene Gasthaus zum grünen Kranz. Lebenslang hatte der ältere Bruder des unglücklichen Hieronymus, Bernhardin von Stauff, einer der gedemütigten Vorkämpfer im Löwlerkrieg, eine Stimmung behalten, als gehörte sein Dasein einer anderen Welt an, nicht mehr dieser schlechten, wo treue Dienste – und deren hatte er den Bayernherzogen mit Gut und Blut genug geleistet – mit Undank belohnt worden. Bernhardin vergrub sich unter Büchern, lebte in alten Heldengeschichten, die ihn in die Zeiten versetzten, wo ihm der erworbene Ruhm seiner Ahnen noch jetzt das stolze Herz im Busen schwellen lassen durfte. Seinen Kindern, die ihm seine Gattin, eine Törring-Seefeld geboren, gab er in der Taufe die Namen der Haimonskinder, die genötigt waren, sich durch die Hilfe der Feen und ihren eigenen tapferen Arm ihre verlorenen Rechte wieder zu gewinnen. Sein ältester Sohn hieß noch aus besserer Zeit wie er selbst Bernhardin, den zweiten nannte er Ferafis, den dritten Grammaflanz, den vierten Marcell. Seine Töchter erhielten die Namen Zormarina, Secundilla, Argula. Vormund dieser Waisen wurde ihr Oheim, sein Bruder Hieronymus von Stauff. Aber auch dieser war durch den Löwlerkrieg nicht minder arm geworden und hatte zur Erhaltung seiner Neffen und Nichten die letzten Güter der Familie nächst dem zerstörten Ehrenfels, Berezhausen und dem Haus in Regensburg, verkaufen müssen. Daß ihn dennoch Herzog Albrecht zum Erzieher seiner Söhne und zum Statthalter seiner Lande machte, war ein Beweis ebenso für die Hochherzigkeit des Fürsten wie für den Wert des Vasallen.

Ferafis, Marcell, Zormarina starben jung, Bernhardin und Grammaflanz heirateten ein Schwesternpaar, die böhmischen Gräfinnen Schlick, deren Bruder, Graf Victorin Schlick, wiederum Secundilla ehelichte. Argula, wie sie wegen der hellen Augen, mit denen sie in die Welt geblickt hatte, der kleine weibliche Argus, getauft wurde, war zurzeit der Hinrichtung ihres Oheims und Vormundes sicher schon im Urteil gereift und mit mancherlei Kenntnissen ausgestattet. Ihr konnte es nur erwiesen sein, daß ihr Oheim ungerecht hatte leiden müssen. Ihr Blick ins Leben wurde früh ein düsterer und ernster.

Über die jähe Gewalttat regte sich bei den jungen Herzogen die Reue. An den Kindern des Hieronynms war nichts wieder gut zu machen. Die Töchter gingen ins Kloster, die Söhne nach Böhmen. Aber die Nichte des Enthaupteten, Argula, ließ die Mutter der jungen Herzöge nach München kommen und gab ihr in ihrem »Frauenzimmer«, dem Hofstaat ihrer Töchter, die dem Püttrich gegenüber im Schlosse wohnten, die Stellung einer Hofdame. Als sich Argula unter Tränen dem ihr etwa gleichalterigen Herzog Wilhelm vorstellte, redete sie dieser mit den Worten an: Sie sollte nicht also weinen, er wollte ihr nicht allein ein gnädiger Landesfürst, sondern auch ihr Vater sein –!

Auf dies wohlgemeinte Versöhnungswort des ehrgeizigen jungen Fürsten, begann für Argula ein inhaltreiches, anregendes Leben. Die in der Einsamkeit und unter Entbehrungen auferzogene Argula mußte von Münchens Lebenslust fortgerissen, von Münchens Prachtliebe geblendet werden.

Bald nach dem endlich in Augsburg vollzogenen glänzenden Beilager Susannas mit dem Markgrafen Kasimir und ein Jahr nach dem Tode des kaiserlichen Bruders, tat auch Kunigunde die müden, vom vielen Weinen halb erblindeten Augen zu. Um diese Zeit war es, daß sich ihre Hofdame vermählte. Argula von Stauff, obschon bereits ans Ende der Zwanziger gerückt, erhielt noch die Bewerbung des Ritters Friedrich von Grumbach, der aus dem Würzburgischen nach Bayern gekommen war und in Argulas Heimat, an der Donau, in der Gegend von Regensburg, das Amt eines Pflegers verwaltete.

Diesem ihren an Jahren weit vorangegangenen Eheherrn gebar Argula noch zwei Söhne. Ihr Wohnsitz war Dietfurt, eine kleine, zwischen Regensburg und Ingolstadt an den Ufern der in die Donau sich ergießenden Flüsse Altmühl und Laber gelegene Stadt. Spurlos würde hier ihr Leben dahingegangen sein, wie das von Millionen, wenn sie nicht durch Luthers Auftreten aus dem Kreise ihrer anspruchslosen weiblichen Wirksamkeit hinausgedrängt worden wäre und für die vielen in ihr liegenden Zündstoffe selbständigen Denkens und Handelns den entflammenden Funken gefunden hätte. Argula hatte keine gelehrte Bildung erhalten, sie wollte nichts anderes sein als »eine deutsche Frau vom Adel«. Aber sie hatte das Leben beobachtet, die Menschen ergründet, die Zeiten erkannt. In ihrer Bibel war sie so heimisch, daß ihr für jedes Lebensverhältnis sofort eine entsprechende Begebenheit im Leben der Patriarchen, der Richter oder Propheten einfiel. Von dieser reichen religiösen Erfahrung, dieser Bibelfestigkeit, von ihrer gesunden Beurteilung menschlicher und göttlicher Dinge überhaupt sollte sie einen Gebrauch machen, der die Aufmerksamkeit ganz Deutschlands auf sie zog, Luther, mit dem sie bald nach ihrer Vermählung in Briefwechsel getreten war, zur Bewunderung ihrer glaubensstarken Gesinnung hinriß, Spalatin, selbst den Kurfürsten von Sachsen, damals Friedrich den Weisen, mit ihr in briefliche Verbindung brachte.

Aber bald zogen düstere Wolken über Argulas Lebenshimmel zusammen. Im Drang ihrer Überzeugung war sie so weit gegangen, ein Sendschreiben an Herzog Wilhelm zu erlassen und ihm mit Beweisführungen aus der Heiligen Schrift das Bild eines ganz anderen Weges zu zeigen, als den der gelehrte Fürst in Sachen der Religion wandeln wollte. Jetzt konnte sie nur der empfindlichsten Ahndung, jedenfalls der Rückwirkung eines so gewagten Schrittes auf ihre gesellschaftliche Stellung gewiß sein. In großer Entrüstung schrieb Herzog Wilhelm an seinen Bruder Ludwig, er möchte den Mann, der seiner Frau erlaubte, so »ungeschickte Schreibereien« zu verfassen, sofort seines Amtes entsetzen, sich auch nicht erbitten lassen, davon abzustehen. Herzog Ludwig antwortete, er wolle dem Bruder willfahren, wolle den Grumbach vorfordern lassen und wie sich gebührt mit ihm handeln.

Argula hatte inzwischen auch noch den Mut gehabt, an den Kurfürsten, den Beschützer Luthers, ein offenes Schreiben zu richten, ein anderes an den Pfalzgrafen Johann von Neuburg. Aber in der Heimat und in ihrem eigenen Hause wankte der Boden unter ihren Füßen. Ihr Gatte wurde vor den Herzog gefordert. Ihr Vetter, der pfalzgräfliche Statthalter, Ritter Adam von Törring-Seefeld, schrieb, schlimmer Ahnungen voll, ihr Mann sollte sie »einmauern« lassen, um sie an fernerem Schreiben zu verhindern. In der Tat war ihr Leben bedroht. Jetzt, wo sich zur Reformation die unselige Genossenschaft des Bauernkrieges, der Bilderstürmer, der Wiedertäuferei gesellte, letztere mit den politisch gefahrvollsten Träumereien über einen neuen Himmel und eine neuzugestaltende Erde, bestieg in Bayern ein Opfer nach dem andern die Blutbühne oder den Scheiterhaufen. Luther, der sich eben damals und hauptsächlich auf Argulas Betrieb vermählt hatte, schrieb ihr, sie sollte bessere Zeiten abwarten, vorab blieb ihr nichts übrig, als zu schweigen, sie brachte ihrem Gatten das Opfer der Selbstüberwindung und hielt ihr Versprechen mit einer Stetigkeit, die man im Hinblick auf die Macht ihres Wahrheitsdranges doppelt hoch anschlagen muß.

Kurz vor dem Reichstag, der 1530 zu Augsburg gehalten wurde, mitten unter den Vorbereitungen zu außerordentlichen Festen, mit denen die Bayernherzöge den aus Italien erwarteten Kaiser empfangen wollten, starb Friedrich von Grumbach. Die Witwe konnte sich nach siebenjährigem geistigen Druck wieder aufrichten.

Nun traf sie mit Luther persönlich zusammen, den sie bald darauf in Koburg besuchte.

Argula kehrte, neugestärkt in ihrem Glauben, nach Bayern zurück. Als sie einige Wochen in Berezhausen bei ihrem Bruder verweilt und die Eindrücke des wunderbar Erlebten unter ihren Gesinnungsgenossen zum Gemeingut gemacht hatte, erhielt sie von den Bayernherzögen, die ihre Reise in Erfahrung gebracht, den Befehl, Bayern für immer zu verlassen. Das Gut Lenting, die Besitzung ihres Gatten, ein bayerisches Lehen, war gefährdet. Sie sicherte es ihren Kindern, indem sie Bayern verließ. Um so mehr tröstete sie sich mit einer dadurch gewonnenen besseren Zukunft, als sie in ihrem Exil zum Besten ihrer Kinder auch noch die Aufgabe lösen konnte, ihnen für die Güter, die ihrem verstorbenen Gatten im Würzburgischen und Bambergischen gehört hatten, die Belohnung zu erhalten. Für den Fall, daß ihre Kinder ausschließlich in Bayern blieben, drohte sie zu erlöschen. So gedachte sie ihr Heil im Würzburgischen und Bambergischen, in der Nähe ihrer reichen Vettern aus der Linie der Grumbach vom Mohren mit den drei Rosen zu versuchen, und vielleicht an die Höfe der geistlichen Fürsten selbst zu gehen, die den Grumbachs der andern, der Estenfeldschen Linie, denen ihr Gatte angehörte (sie führten einen im Grünen dahinfließenden Bach im Wappen), seit Argulas öffentlichem Auftreten wenig freundlich gesinnt sein konnten. Auch mit Johann von Schwarzenberg hatte Argula in Verbindung gestanden. Der edle Bekenner hatte sie oft zum Besuch auf eine seiner stattlichen Burgen am Steigerwald, auf Schwarzenberg oder Hohenlandsberg eingeladen. Nun, wo sie eine Flüchtige und auf dem Wege nach Würzburg zu den Angehörigen der Familie ihres Gatten war, folgte sie schon um deswillen dem freundlichen Wort des treuen, seit einigen Jahren im Grabe ruhenden Gönners, weil sie in Bamberg vernommen, Barbara Schwarzenberg, die ehemalige Priorin, läge auf Schloß Schwarzenberg, der alten Stammburg des Hauses, im Sterben. Sie bestieg die stolze, am Ufer eines in den Main sich ergießenden Flüßchens, der muntern Schwarzach, gelegene Feste. In einem Eckturm giebelreicher Neubauten, die sich über einigen, älterer Zeit angehörenden Rundtürmen wie eine fürstliche Residenz erhoben, und dort in einem durch Vorhänge verdunkelten Zimmer, fand sie die Sterbende in der Pflege einiger Verwandten, eines nicht geringen Dienertrosses und eines jungen Mädchens, in welchem die Tochter des vielmögenden Kanzlers Vogler von Onolzbach zu begrüßen Argula um ihres berühmten Vaters willen besonders wohltat. Jutta Vogler galt für einen Zögling der Priorin. Ihrem strengen Wesen hatte sich Juttas eigene Natur so fest angeschlossen, daß Argula sowohl von Juttas Stellung im Schloß wie von ihrem Benehmen am Sterbelager einen wohltuenden Eindruck mit sich nahm.

Ihr Vetter, Wilhelm von Grumbach, wohnte am häufigsten dicht bei Würzburg auf dem Schlosse Rimpar, einem mächtigen turmreichen Schutz- und Trutzbollwerk, das sich über die Eichen des Gramschatzer Waldes wie eine Mauerkrone erhob. Leider war Hab und Gut des alten Geschlechts mit dem der Bischöfe und des Kapitels von Würzburg so mannigfach örtlich und rechtlich in eins verwachsen, daß schon seit langen Zeiten zwischen dem Würzburger Lehnhofe und den Ahnen Wilhelms und Friedrichs von Grumbach Zwistigkeiten bestanden, die Argulas Vetter, wie sie bald erkannte, nicht der Mann war, zu vereinfachen oder zu seinem Nachteil beilegen zu lassen. Sie sah den jungen Ritter zuerst in Dettelbach, wo Grumbach die Stelle eines würzburgischen Amtmanns bekleidete. In vielen Dingen schien ihr des Vetters Sinn vom Wesen der Ritter ihrer Zeit abzuweichen. Sie besuchte einen Teil der stolzen Festen, die ihm gehörten, wohnte bei ihm in Burggrumbach, in Rimpar, auch auf seinem stattlichen Hof, den er in Würzburg besaß, seine Hausfrau, Anna von Hutten, eine im Wohlleben der bischöflichen Residenzen von Bamberg und Würzburg erzogene, mit körperlicher Anmut ausgestattete Frau, wollte ihr nicht besonders gefallen. Sie erkannte, daß diese anmutige Erscheinung dem jungen Ritter wohl für seine Abenteuerlust und seinen Ehrgeiz, nicht aber für sein Seelenheil von Wert sein konnte. Wilhelm von Grumbach strebte mit mancherlei Plänen über die Grenzen Würzburgs und Frankens hinaus. Sein Amt zu Dettelbach hatte er nur angenommen, um im Würzburger Regiment mitreden, die Kapitelherren sich verpflichten, sie wohl auch gelegentlich meistern zu können. Sein Augenmerk ging vorzugsweise auf die große Welt hinaus, auf die Reichsstädte Nürnberg, Frankfurt, die Markgrafentümer Brandenburg, sogar auf Wien und den Kaiser. Obschon im Besitz einer für die damaligen Zeiten außerordentlich großen Güterrente, strebte er nach Ämtern, die ihm Stellung gaben, sei's im Kriege oder im Frieden.

Ihrem Mann hatte ein Hof gehört in dem kleinen Ort Zeilitzheim, nicht weit vom Main. Auch die Fuchs aus dem Hause Bimbach wohnten allda. Und so schlug sie denn zunächst hier, und um für alle Fälle gesichert zu sein, gelegentlich im benachbarten Schweinfurt, einer Reichsstadt, ihren Wohnsitz auf. Oft war sie unterwegs. In den Klöstern, an denen die geistlichen Fürstentümer so gesegnet waren, gab es Gelegenheiten genug, den schwierigen Übergang ihrer Insassen zum Weltleben zu erleichtern. Eines Tages hatte sie wieder einmal die freundlich gelegene Bischofsstadt Bamberg mit ihren blühenden Gärten und Rebhügeln besucht.

Als Argula in ihre Herberge vor dem Tore der innern Stadt, jenseits der Regnitzbrücke, zurückkehrte, las sie in einem Gäßchen an einem Hause über dem Torweg, durch den man eine im Hof gelegene Tischlerwerkstatt übersah, den Namen »Stauff«.

Gefesselt durch die Namensverwandtschaft blieb sie eine Weile stehen, trat näher, sah sich in dem kleinen, von einem mächtigen Nußbaum beschatteten Hofraum um und betrachtete mit freundlich prüfendem Anteil den namensverwandten Meister, der mit einem Gesellen zu flinker Arbeit den Hobel führte.

Sie wäre alsbald wieder gegangen und hätte schwerlich über den gleichen Namen, den hier zufällig eine uralten Geschlechtern entstammte Edelfrau und ein schlichter Bürgersmann trugen, Worte verloren, wenn sich ihre Aufmerksamkeit nicht auf den Gegenstand gerichtet hätte, an dem sie den Tischler arbeiten sah. Es war ein Beichtstuhl.

Auf ihre Anfrage erfuhr sie, daß dies Kirchengerät für die jenseits der Regnitz liegende Nonnenklausur zum Heiligen Grabe bestimmt war.

Darüber fiel ihr die Priorin ein und Schwarzenbergs Kampf mit den Predigermönchen – diese wohnten am Rathausbrücklein dicht am Wasser. Sie kannte die von Schwarzenberg gerügte »Tyrannei« und deren verfängliche Erholungen in dem schönen Lustgarten ihrer weiblichen Beichtseelen und begann voll Unmut und ohne Scheu:

»Will euer Bischof tun, als wenn die alten Stühle, deren doch schon genug abgeschafft sind, für die Sünden der Welt nicht mehr ausreichten? Oder wer bestellte die neue Arbeit da? Doch nicht die armen geplagten Nonnen selbst?«

Der Meister, befremdet durch so verfängliche Rede blieb die Antwort schuldig.

»Der Herr Abt von den Predigern!« fiel die Meistersfrau ein, die hinzugetreten war und von der stattlichen Dame, die, wie Argula gewohnt blieb, in Trauer ging, die Bestellung vielleicht eines Sarges erwartete.

Argula musterte das schon halbfertige, mit zierlichen, noch unangeleimt auf der Erde liegenden Schnitzereien bedachte Werk und sagte:

»Der Herr Abt von den Predigern? Schade um das schöne Holz! Steht nicht bei Matthäus geschrieben: Kein guter Baum soll arge Früchte tragen?«

Der Meister sah nieder, wandte sich ab und arbeitete, statt Antwort zu geben, weiter.

Zu einem just, wie Argula erfuhr, aus der Schule des Doms kommenden, lockigen, schon reiferen Knaben – an seinem raschen Eintritt in den Hof erkannte sie, daß er sich hier daheim fühlte und der Sohn des Hauses war – sagte sie:

»Er hieße ja Stauff? Ob er wohl von den Stauffern, und zumal von den Hohenstaufern, in seiner lateinischen Schule schon etwas gelernt hätte?«

Der Knabe errötete und schwieg.

»Wie heißt du?« fragte sie ihn.

»Otto Heinrich!« lautete die Antwort.

»Sind das Heiligennamen?«

Der Knabe sagte, daß sein Name von den Kaisern genommen wäre, die Bamberg groß gemacht hätten.

»Nun denn,« fiel Argula ein, »die Stauffer waren Kaiser, die ganz Deutschland groß gemacht haben! Du heißt Stauff und ich heiße Stauff! Meine Ahnen hatten viele Schlösser und vielleicht noch lange, bevor wir auf Adam und Eva zurückkommen, durch die wir freilich dem Staube nach alle Brüder und Schwestern sind, waren unsere Vorfahren verwandt. Jetzt sind wir durch Christi Blut und im Geist Gottes alle Brüder und Schwestern geworden!«

Als eine Edelfrau und des gleichen Namens mit ihnen wuchs die Fremde vor den Handwerkern. Der Meister hielt in seiner Arbeit inne. Er gab der Überraschung, solche Namensverwandtschaft zu finden, einen unbefangenen und freundlichen Ausdruck.

Argula sprach noch einiges von ihrer Familie und wollte gehen.

Als sie sah, daß an dem Nußbaum, dem prächtigen Schmuck des Hofes, die Früchte schon so weit reif waren, um nach alten Klosterregeln in Zucker eingelegt zu werden, sagte sie:

»Brecht mir ein Schock von jenen Nüssen ab! Doch eilt euch damit! Ich wohne in der Herberge zum Rebstock und will noch heute auf Lichtenfels.«

Als die Leute verwundert dreinschauten und auf den Baum sahen, wiederholte sie ihre Aufforderung und fügte hinzu, daß sie damit die Versäumnis der Arbeit, die sie ihnen verursacht hätte, wieder gut machen wollte.

»Wir Leute hier in Bamberg sind allzumal Gärtner!« begann jetzt der Meister. »Draußen auf der Gärtnerei haben wir unsere Obstpflege; dort auch mehr als ein Dutzend solcher Bäume, wollt ihr, so soll euch mein Sohn dorthin geleiten, edle Frau, falls ihr euch die besten Nüsse selbst aussuchen wollt! Hier auf meinem Höfchen möcht' ich für den Herbst die Früchte nicht missen.«

»Mit dem, was man um sich hat blühen und grünen sehen, lebt eins gern fort!« fiel Argula ein. »Da habt ihr recht, ja, ja, Meister, jede Frucht schmeckt am besten im Schatten des Baums, der sie getragen! Das paßt auf eure eichenen geistigen Grabesbretter da auch! Tragt sie wieder hinaus, von wo sie gekommen, in den vielgrünen herrlichen Wald! Lasset die Menschen bei unserm lieben Herrgott da zur Beicht' gehen! Dort oben der grüne Fleck ist nicht von Menschenhänden gemacht, wie es heißt 2. Kor. 5. Doch nichts für ungut, Meister! Ich rede, was ihr nicht gern hört. Behaltet euere Nüsse! Und schon dem Ottheinrich zulieb! Mag er mich aber gern in euere Gärtnerei führen, so will ich mit ihm den Umweg machen, um in den »Rebstock« zu kommen, der meine Herberge.«

Sie dachte weit mehr an ihre Kinder, die gleichfalls so vom Schatten des Baums, auf dem sie gewachsen, entfernt, andern zur Freude und Genuß gereichten, und nahm nun den dazumal etwa fünfzehn Jahre zählenden Ottheinrich an die Hand, sagte ihm, er könnte sein Vesperbrot in einer Stunde nachholen oder es auch unterwegs verzehren, und ließ sich von ihm in den lieblichen Gartengau führen, der die Stadt umgibt.

Ottheinrich führte Argula bereitwillig an einen der südlichen Abhänge des Dombergs, wo man vor Überfülle des lieblichsten Wachstums glauben konnte, in Italien zu sein.

»Du solltest ein Kaufmann werden!« sagte sie, als sie in dem endlich erreichten wohlgepflegten Garten voller Obstbäume und Gemüse auf einer Ruhebank sich niedergelassen und dem emsigen Sammeln der Nüsse zugeschaut hatte. »Du solltest hinaus in die weite Welt! Möchtest du wohl ein Pferd besteigen?«

Ottheinrich hatte zur Kenntnis der freundlichen Dame gebracht, daß er hobeln, sägen, polieren gelernt hätte und ein Tischler wie sein Vater zu werden bestimmt wäre, daß er aber den Drang hätte, viel lieber noch länger in die Domschule zu gehen und noch mehr Latein zu lernen als er schon wußte. Ein Pferd zu besteigen, hatte er noch nicht versucht.

»Das lernt sich, mein Sohn,« erwiderte sie auf seinen Bericht. »Wer die Kaufmannschaft lernen will, muß zuvörderst reiten können! So du dann auch noch eine schöne Handschrift schreibst und zu rechnen verstehst, wollte ich wohl für dein Glück sorgen. Du heißt Stauff und das ist mein eigener freud- und schmerzensreicher Name! Um deines Namens willen verspreche ich dir, dich gen Nürnberg in die Lehre zu schicken in ein großes Haus, sei es zu den Paumgartnern oder zu den Tuchern. Was ich diesen meinen ehrbaren Freunden schreibe und von ihnen erbitte, das gewähren sie mir auch!«

Argula war eine Seelenfischerin. In dieser Art warf sie ihre Netze und wandelte am Galiläischen Meer.

Ottheinrich glühte vor Überraschung. Aus Zerstreuung brach er das Doppelte der begehrten grünen Nüsse, füllte damit den Korb und hob ihn wieder mit seinen kräftigen, von dem scharfen, beizenden Grün gebräunten Händen auf. Die Vorstellung, ein reitender Kaufmannsdiener zu werden, schien ihm schon zu Kopfe gestiegen zu sein. Nicht wie ein Lehrbursche warf er jetzt den Korb auf die Schulter, sondern drückte ihn kräftiglich umspannt an seine schlanke Hüfte und trug ihn so mit gefälligem Anstand.

Vorausschreitend bat er die Dame, ihm auf kürzern Wegen, die er angeben wollte, bis zum »Rebstock« zu folgen.

In mannigfachen Gesprächen ging die Wanderung über die Regnitzarme und vorüber am Sankt-Stephansstift und Sankt-Klarakloster.

In ihrer Herberge gab sie dem freundlichen Begleiter ein volles Dutzend Heller für ihren Ankauf und versprach bei ihm bald wieder vorzusprechen, dann auch zu hören, was die Eltern zu ihrem Plan, ihn nach Nürnberg zu schicken, gesagt hätten. Noch drückte sie ihm, wie ihre Gewohnheit war, ein fliegend Blatt in die Hand, das er lesen und zur Probe seiner Handschrift abschreiben sollte.

Ihre Rückreise führte über Lichtenfels. Die Grumbachschen Reiter, die sie schon von Dettelbach aus als zuverlässige Leute kannte, hatten von ihrem Ritter Aufträge, die ins Thüringer Land gingen, wo die Grafen von Henneberg für einen Teil ihres Besitzes unter würzburger Lehnsherrlichkeit standen.

Argula behielt den Tag von Bamberg in der Erinnerung. Das Bild des freundwilligen Knaben, der sie an ihre eigenen Söhne erinnerte, entschwand ihr nicht. Nach einem halben Jahr war sie zunächst zugunsten ihrer Lehensbriefe wieder in Bamberg, sprach, nachdem sie die lästigen Besuche im Domhofe abgemacht hatte, wieder an Meister Stauffs Hoftor vor und wurde jetzt schon freundlicher und zutraulicher aufgenommen als das erstemal. Sie sagte, als sie eintrat: »Da habt ihr euere alte Muhme wieder!«

Ottheinrich stand zwar heute schon mit einer kleinen Schürze vor der Brust unter dem Nußbaum und hobelte und war Tischler geworden und der Unterricht in der Domschule hatte aufgehört. Aber in freudiger Erregung stellte er sogleich sein Werkzeug beiseite und holte die ihm aufgetragene Arbeit. Das Gebet um Erleuchtung hatte er nicht etwa einmal, sondern ein dutzendmal in allerlei Formen und Formaten abgeschrieben, ja sogar die Anfangsbuchstaben mit bunten Farben gemalt.

Auch seine Zeugnisse aus der Schule holte er herbei, er hatte nicht gewußt, womit alles er seinen guten Willen, seine Dankbarkeit, vorzugsweise freilich auch seine Hoffnung auf die Erlernung der Nürnberger Kaufmannschaft ausdrücken sollte. Denn damit war es ihm Ernst geworden. Die Eltern, die das Geheimnis der Namensverwandtschaft zwar ausgeplaudert und durch die Stiftsherren und die Predigermönche ernste Abmahnungen erhalten hatten, sich mit dieser übelbeleumdeten, aus dem Bayerlande ausgewiesenen Ketzerin einzulassen, waren von Ottheinrichs unbeugsamem Willen zur Zustimmung bewogen worden. Nach Nürnberg zu gehen und dort Kaufmann zu werden, war sein heißestes Verlangen.

Wieder im Rebstock setzte dann Argula all die Briefe auf, die sie dem jungen Mann versprochen hatte, sie fügte sogar, obschon in ihren Mitteln selbst beschränkt, ein Geldgeschenk hinzu. Nur das eine bedingte sie sich, daß ihr junger Schützling gleich nach seiner Ankunft in Nürnberg ihr nach Zeilitzheim schreiben und ab und zu in seinen Mitteilungen über sich und Nürnberg fortfahren sollte. Noch manchen Empfehlungsbrief an hochstehende oder gelehrte und gotterleuchtete Männer versprach sie nachfolgen zu lassen.

Ottheinrich wanderte dann, zwar zum Kummer seiner Eltern, doch durch keine Vorstellung von seinem Plan abzubringen, zu Fuß gen Nürnberg. Eine solche Reise war damals gefahrvoll genug. Glücklicherweise konnte er sich Handwerkern, diesmal Kupferschmieden, anschließen, die nach Baiersdorf zogen, wo sie alle vier Jahre einen großen Gewerkstag hielten. Wirklich nahmen ihn die Tucher in die Lehre. Vier Jahre vergingen auf die kaufmännische Unterweisung, wozu Sonntags auch die Übung in der Reitkunst gehörte. Manche Bekanntschaft wurde ihm zunächst unter den Jüngern Merkurs zuteil, obschon der Ton, der unter ihnen herrschte, seinem Gemüt nicht eben zusagte. Die Fugger, die auch in Nürnberg ein Kontor hielten, beförderten den ihren Umgebungen eigenen schaugeprängesüchtigen Geist. Hier blickte Ottheinrich schon in den Zusammenhang des Handels mit der Politik. Von Nürnberg aus gab es Gesandtschaften an den moskowitischen Hof, Erörterungen über Schutzbriefe, die für den Orient, sogar vom »wütenden Türken«, erbeten wurden, Anleihe und Vorschüsse auf die kaiserlichen Steuern wurden gewährt.

Von seinen Prinzipalen, den Tuchern, wurde Ottheinrich zu seiner weiteren Ausbildung, und da ihm das Erlernen der welschen Sprache, infolge der lateinischen Grundlage besonders gut von statten gegangen war, an das Paumgartnersche Haus zu Augsburg empfohlen, wo man seinen Wert von Tag zu Tag mehr erkannte. Der älteste Sohn des Hauses, Doktor Johannes, widmete ihm eine besondere Teilnahme und führte ihn zuerst bei Frau Felicitas, seiner »Ahne«, ein, die ihn in ihren Hausgarten nahm, wo Ottheinrichs in Bamberg gewonnene Obstpflegekenntnis ihm manchen Dank erwarb und zur Unterstützung der botanischen Forschungen des alten Rupilius in Anspruch genommen wurde.

Lange Zeit war Argula ans Krankenlager gefesselt. Ihre Reisen, die Fruchtlosigkeit so mancher Anstrengungen, auf deren Erfolg sie gerechnet hatte, vor allem der Kummer um die Trennung von ihren Kindern untergruben ihre Kraft. Ihr Haar färbte sich weiß, ihre sonst so sichere, aufrechte Haltung beugte sich, sie empfand Schmerzen, die immer heftiger wiederkehrten. Zuweilen schrieben wohl ihre Söhne, schickten auch Mittel zur Unterhaltung; doch nur Johann Georg, der in Wittenberg erzogene, zeigte die volle Anhänglichkeit an die Überzeugungen der Mutter. Der ältere, Gottfried, war als herzoglicher Edelknabe vom bayerischen Leben zu sehr umsponnen. Immer schwieriger wurde der Stand ihrer Brüder in Regensburg und Berezhausen.

Tiefen Schmerz bereitete Argula auch die Unmöglichkeit, mit ihrem mächtigen jungen Vetter Wilhelm von Grumbach in eine besondere Einigkeit der Gesinnung zu gelangen, sie bemerkte, daß er sie zu meiden anfing. Besuchte sie eines seiner Schlösser, so fand sie ihn nicht daheim, sein Versprechen, sie in Zeilitzheim zu besuchen, wurde nur einmal gehalten. In größter Eile hatte er für ihre bessere Einrichtung gesorgt, ihrem alten, schon aus Dietfurt mitgebrachten, im Frankenland geborenen Kilian Schenk zwei herrliche Rosse, auch Ochsen, Kühe und Schafe in den Stall eingestellt, sich aber dann nicht wieder sehen lassen. Frankenblut steht, wie Argula bald erkannte, unter dem Einfluß des Augenblicks. Leicht rollend, erhitzt vom Wein und zu frohem Lebensgenuß getrieben, war es sich fast bei allen Bewohnern dieser heitern sonnigen Burgen gleich; selbst in den Städten fehlte beharrlicher Sinn. Wo nur Argula hinblickte, erlebte sie Beweise des Wankelmuts. Johann von Schwarzenbergs Sohn, Christoph, der eine Montfort geehelicht, diente den Bayernherzogen; Paulus Schwarzenberg, sein Bruder, wurde Domherr an drei Stiften, Köln, Würzburg, Bamberg zugleich. Sie halfen die geistige Saat, die auch über Frankenland segensreich aufgegangen war, ausreuten.

Die protestantischen Fürsten und Stände waren 1531 in Schmalkalden zu einem Bündnis zusammengetreten, von allen Fürsten und Städten, die dem erneuerten Glauben eine ehrliche Gesinnung trugen, erwartete man für den voraussichtlichen Konflikt mit dem Hause Habsburg den Beitritt zum Bunde. Markgraf Georg blieb aus. Derselbe Fürst, auf dessen Haltung so viel ankam, schloß sich sogar einem Bunde mit den bayerischen Herzögen an und erklärte sich bereit, in den ablaufenden schwäbischen Bund eintreten zu wollen, der von je ein Werkzeug in der Hand Österreichs gewesen –! Um sich seine ungarischen, böhmischen, schlesischen Besitzungen und die Vormundschaft über den Sohn seines Bruders, den künftigen Erben seiner Lande, zu sichern – letzteres schon als Unterpfand seiner eigenen Ruhe – gab Georg in allen andern hohen Aufgaben seiner Machtstellung immer mehr und mehr dem Kaiser nach.

Als Argula erfuhr, daß der Markgraf eins der wichtigsten Oberämter des Landes, das dicht bei Nürnberg gelegene Cadolzburg, der Verwaltung des würzburgischen Ritters und Amtmanns, ihres Vetters Wilhelm von Grumbach, übertragen hatte, drängte es sie nach Windsheim zu reisen und den Freund des seligen Schwarzenberg, Georg Vogler, um Aufschluß anzugehen über diese überraschende Verbindung Würzburgs mit den Brandenburgischen. Vogler, der mit allen Vorkommnissen am Onolzbacher Hofe vertraut geblieben war und in dessen Schicksal man auch unter solchen Umständen, wie sie sich jetzt bei Georg anließen, nur den Lohn seines treuen Beharrens am Evangelium finden konnte, er mußte es wissen, was eine so befremdliche Annäherung zu sagen hatte. In diesem Glauben bestieg sie ihr Roß und ritt, von zwei reisigen Knechten begleitet, nach Windsheim.

Erstaunen mußte sie nun und geradezu einen Fingerzeig von oben darin erblicken, als sie erfuhr, daß sie den seit zwei Jahren nicht gesehenen Vetter heute vielleicht unmittelbar in ihrer Nähe gehabt hatte. Sie hatte sich mit ihrem alten Kilian Schenk und einem ihr von Grumbach gestellten Knecht auf den Weg gemacht, war, um die Berge zu vermeiden, am Mainufer entlang bis nach Kitzingen geritten und nahm von dort quer den Weg über Ippesheim und Uffenheim. An letzterem Orte hatte sie übernachtet. Hier schon versicherten sie ihre Leute, es wären zwei Grumbachsche Reiter, und wie Kilian behauptete, dieselben, die sie schon einmal vor Jahren in Bamberg getroffen, Christoph Kretzer und Jakob Heck, der Odenwälder genannt, in Uffenheim über den Markt dahingesprengt auf Windsheim zu. Sie hätten sie schon an ihren Rossen erkannt. Wären aber dahingebraust, berichteten sie, als hätten sie sich niemand wollen zu erkennen geben. Nun traf sie in Windsheim die auf einen dieser Knechte gerichteten Mitteilungen und Fragen im Strauß. War ihr Vetter auch in der Nähe? Von Christoph Kretzer wußte sie, daß er ihres Vetters Leibknappe war, ein tatkräftiger Gesell, der auf alles, was sich sein Wille vorgesetzt, in der Weise seines Herrn wie ein Jäger aus war, die Hand aufs Rohr gestemmt, die Augen auf das gerichtet, was erlegt werden sollte. Der Odenwälder war Kretzers Vetter. Daß Argula die Spuren der neuen Wirksamkeit Grumbachs in so unmittelbarer Nähe hatte, erhöhte ihren Drang, zum Kanzler zu gelangen.

Während Jutta mit der Vorrichtung eines Abendimbisses beschäftigt war und jetzt keineswegs den Beistand ablehnte, zu dem sich mit lebhafter Teilnahme sofort Anna Maria erboten hatte, überlegte sie, ob man die Freifrau in die Entdeckung einweihen sollte, die ihr jetzt so gut wie feststand, daß morgen im Bannwald bei Lenkersheim der neue Statthalter von Cadolzburg zu einer geheimen Zwiesprache mit ihrem Vater erwartet wurde. Ihr Vater hatte sogleich gesagt:

»Nun seh ich's! Es wird ein Stelldichein, zu dem die Staufferin berufen kommt! Was haben sie in Bamberg oder Würzburg oder Onolzbach vor? Was haben die Gesandten aus Augsburg an kaiserlichen Leimruten mitgebracht? Wozu bedarf der Markgraf gerade diesen Ritter Grumbach bei Nürnberg? Und wozu bedürfen sie alle zusammen meiner?«

Wenn auch Georg Vogler der Frau, die ihn zu besuchen kam, jetzt mit lauter Rede entgegentrat und sein samtenes Hausbarett lüftend sprach: »Seid ihr denn in Wahrheit die Hochbegnadete, die unser Gottesmann zu Wittenberg die Zierde Deutschlands genannt hat?« so trat doch auch bei ihm, dem Vielgewandten, dem immer auf dem Platz Befindlichen und schnell sich Sammelnden, jener Stillstand der Beklemmung ein, der sich erst an die neue und vollends so Ehrfurcht gebietende Erscheinung gewöhnen mußte.


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