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XXVIII.

Benois war durchaus nicht zufrieden mit sich. Die lebhafte Freude, die er darob empfunden, daß er den jungen Leutnant gefordert, schwand vor der Gewißheit dahin, daß es Estelle peinlich berühren werde, wenn sie erfahren wird, daß der Gatte ihrer kleinen Freundin verwundet worden.

Aber wer hätte das ahnen können? Gerade den Mann mußte er angreifen, an dem er jetzt seinen Aerger nicht zu kühlen vermag.

Die Sache war schon viel zu weit gediehen, als daß man dieselbe zu ändern vermocht hätte; doch fühlte Benois auch im übrigen sein Blut kochen, wenn er sich an die Dinge erinnerte, welche der unbesonnene Husarenleutnant von Estelle gesagt.

Der zweite Grund, weshalb Benois mit sich unzufrieden war, lag in dem Grunde des Duells selbst. Der äußerliche, sichtbare Anlaß war so lächerlich, unverständlich, daß das Publikum, ja in erster Linie die Sekundanten selbst, zweifellos bemüht sein werden, durch einen ernsteren Grund eine annehmbare Erklärung zu geben. Und was anfangen, wenn wieder Estelles Name genannt wird? Vergebens suchte er sich zu überzeugen, daß ja dies niemand ahnen könne, daß zu einer solchen Annahme keinerlei Grund vorliege; er war trotz all dieser Gründe unruhig.

Und noch eine zweite Sorge quälte ihn. Estelle darf nicht wissen, daß sie die Veranlassung des Duells gewesen. Wird sie ihn aber nicht für wahnsinnig oder händelsüchtig halten, wenn er einen unbekannten Menschen in solcher Weise zum Duell fordert?

»Als hätte sich das Geschick gegen mich verschworen, daß ich ihr gegenüber nur Torheiten begehen muß!« sagte er sich melancholisch.

Des Morgens kleidete er sich an, um sich in einen Park zu verfügen, welchen einer seiner Freunde den Duellanten mit großer Bereitwilligkeit zur Disposition gestellt. Das Wetter war herrlich. Jener feine Nebel lag über Paris gebreitet, welcher einen schönen Tag verheißt, die scharfen Ecken der Gebäude mildert, das lebhafte Grün der Bäume dämpft und dem ganzen Häusermeer den Anschein der wirklichen Meeresperspektive verleiht.

»Ich kann den Jungen nicht verwunden!« sagte sich Benois wütend, »sonst würde mir seine Gattin böse werden, und auch Estelle könnte die Sache nicht gefallen! Dann soll also ich mir einen Aderlaß geben lassen, wie ein schlechtes Huhn? Meine einzige Hoffnung ist, daß der Mensch nicht zu ungeschickt sein wird, sonst rennt er mir noch gegen seinen Willen den Degen durch den Leib! Eine verteufelt dumme Geschichte das!«

Er dachte an seine Mutter, die sicherlich in diesem Moment die Augen öffnet, um den heiteren Frühlingssonnenschein zu sehen. Er meinte sie dort in ihrem Fenster zu sehen, wie sie sich zu demselben hinausneigt und das sich vor ihr ausbreitende herrliche Tal, die sich längs des Abhanges hinziehenden Rebenstöcke betrachtet, deren kleinere Blätter schon allerorten hervorzusprießen beginnen.

»Meine teure, gute Mutter!!« sprach Benois zu sich selbst. »Würde sie nicht zürnen, wenn sie wüßte, wie blöde und töricht sich ihr Sohn benommen? Und wahrlich, ich würde es verdienen! Bemühen wir uns wenigstens, die Sache so zu gestalten, daß sie nicht noch mit meiner Pflege zu tun haben wird!«

Der junge von Aulmoye langte, von sehr kriegerischen Absichten erfüllt, am Kampfplatze an. Als er gestern von den Vorbereitungen erhitzt nach Hause kam, gewahrte er nicht, daß die Augen seiner Frau ausgeweint seien und ihr ganzes Benehmen große Befangenheit verrate.

Als sich das arme Frauchen von Estelle entfernt hatte, war sie von dem Bewußtsein ihrer Pflicht derart durchdrungen, daß sie ihrem Gatten sofort beichten wollte. Sie bereitete sich mit Aufgebot ihres ganzen Mutes darauf vor, ihm ihren ersten und zweiten Besuch bei Estelle zu gestehen und dabei die Seelengröße ihrer Freundin in die richtige Beleuchtung zu rücken. Sie hoffte, ihren Gatten damit überzeugen und ihn von der Hochherzigkeit der verkannten Frau in Kenntnis setzen zu können, und in ihrer Phantasie sah sie sich schon am Arme ihres Gatten die Treppe des Palais Bertolles emporsteigen, um die junge Witwe von den veränderten Gesinnungen des Husarenoffiziers zu benachrichtigen.

Dieser aber, der auch sonst sehr erregbaren Charakters war, kehrte in der denkbar schlechtesten Laune heim, und da er gleich nach den ersten Worten fühlte, daß er vor seiner kleinen Frau, die er anbetete, nichts geheim zu halten vermöchte, sagte er, daß er dringende Dienstgeschäfte habe.

Gleich nach beendetem Speisen verschloß er sich in sein Zimmer, eine mächtige Mappe mit sich nehmend, die er aus einem Schranke holte, wo sie unter anderen Umständen noch weiter in Frieden hätte schlummern können, und sagte, daß er für das Ministerium etwas arbeite. Er werde während der ganzen Nacht damit beschäftigt sein, da er das Elaborat schon um sechs Uhr morgens seinem Vorgesetzten übergeben müsse.

Odelle fiel die Unwahrscheinlichkeit dieser Erzählung gar nicht auf. Sie war viel zu erregt und befangen, als daß sie es nicht für einen glücklichen Zufall betrachtet hätte, ihre Beichte für später verschieben zu können: zärtlich küßte sie denn ihren Gatten und bat ihn, sich nicht zu sehr anzustrengen.

Obschon nach dieser Seite hin nunmehr vollkommen beruhigt, wütete d'Aulmoye im stillen noch immer gegen den unbekannten Menschen, dessen niederträchtige Händelsucht ihn in diese unangenehme Situation gebracht und in die unausweichlichen Aufregungen eines Duells gestürzt. Er hatte schon wiederholt Zweikämpfe bestanden und faßte die Sache nicht gerade tragisch auf; immerhin nahm er sie aber ernst, und dies erhöhte nur noch seine Uebellaune.

Er hatte sich pflichtgemäß nach der Persönlichkeit des Mannes erkundigt, mit dem er seinen Degen messen wird, und erfahren, daß es nicht nur ein tadellos ritterlicher Mann, sondern auch ein langjähriger Freund des Hauses Bertolles sei.

Leutnant Aulmoye konnte indes keine Erklärung für jenen unerhörten Auftritt am Friedhofe finden, welcher ihn noch jetzt mit Zorn und Wut erfüllte.

Er langte also mit dem festen Entschluß am Kampfplatze an, daß er seinem Widersacher einen gehörigen Denkzettel geben werde.

Man hatte den Degen als Waffe gewählt, und so durfte Benois mit Sicherheit auf ein ziemlich unblutiges Ergebnis rechnen. Daß sein Gegner keine Absicht habe, ihn zu schonen, bemerkte er sofort. Wohl war er viel ärgerlicher, als er es sich selbst gestehen mochte: doch beschränkte er sich trotzdem bloß auf die Defensive und bemühte sich in erster Reihe, seinen hitzigen Gegner nicht zu verwunden, was gerade kein Leichtes war.

Der junge Leutnant beherrschte sich nicht genügend, um die Absichten seines Gegners wahrnehmen zu können, denn dies hätte seine Eitelkeit bitterlich verletzt. Er nahm den Kampf in überaus heftiger Weise auf, so daß er sofort ermüdete und nach wenigen Minuten nicht mehr klar zu sehen vermochte. Ein furchtbarer Stoß, der Benois mitten durchbohrt hätte, ging unter seiner Achsel ins Leere und ritzte nur die Haut des erhobenen Handgelenkes. Zugleich aber war Aulmoye seinem Gegner gänzlich preisgegeben, der sich aber damit begnügte, ihm den Degen aus der Hand zu schlagen, worauf er inne hielt.

Das Duell war zu Ende, als der betäubte Leutnant die Situation begriff. Da er weder dumm noch schlecht war, empfand er ein Gefühl wirklicher Achtung vor einem Manne, der von seiner Seite einem so heftigen Kampfe ausgesetzt gewesen und ihm dennoch großmütig das Leben schenkte. Die beiden Männer reichten sich die Hände, und darauf ging jeder seines Weges.

Der Ritz, welchen Benois erhalten, war vollkommen bedeutungslos. Dessenungeachtet gestattete er doch, daß man ihm einen Verband anlegte, worauf er mit seinen Sekundanten in den Wagen stieg. Einem gemeinsamen Entschlusse Folge leistend, kehrte man nirgend ein, um einen Trunk zu tun, und gar bald war Benois zu Hause, wo er dann ungestört nachdenken konnte.

Es war noch kaum zehn Uhr! Seine Mutter macht jetzt im warmen Sonnenschein ihren gewohnten Rundgang durch die Weinanlagen, und die Sonnenstrahlen vermögen ihr feines, bleiches Nonnengesicht nicht zu bräunen. Mit flinken Schritten eilt sie hin und her, hier und dort stehen bleibend, um die jungen Triebe zu besichtigen und sicherlich auch jetzt an ihren Sohn denkend, den sie mit jeder ihrer Arbeiten in Verbindung zu bringen pflegt.

»Gute Mutter, besichtige nur deine Weinreben. Dein Sohn sendet dir aus der Ferne seinen zärtlichen Gruß. Er ist jetzt mit sich zufrieden; sei auch du zufrieden, auch wenn du nicht weißt, warum. Während des ganzen Tages möge dich seine ernste Seelenfreude umschweben, und wenn du des Abends zur Ruhe gehst und wieder an ihn denkst, so sprich: ›Mein guter, teurer Sohn!‹, denn er hat es verdient.«

Benois war zufrieden mit sich. Er nahm etwas zu sich, streckte sich auf seinem Sofa aus und dachte vergnügt an die Freude, welche die kleine Frau von Aulmoye jetzt empfinden mochte. Er stellte sich die Heimkehr des Leutnants vor; selbstverständlich vermag er nicht zu schweigen, und die junge Gattin wird sofort von allem unterrichtet sein. Der Leutnant ist ein braver Junge und wird daher auch ihm, Benois, Gerechtigkeit widerfahren lassen.

Dieser Gedanke wirkte ungemein beruhigend, und Benois suchte sich mit demselben auch darüber zu trösten, daß er heute und vielleicht auch an dem folgenden Tage nicht zu Estelle gehen könne. Wann wird er sie wiedersehen können?

Estelle wird in zwei oder drei Tagen nach Saumeray abreisen, und obschon sie es ihm nicht verboten, hatte sie ihn doch auch nicht aufgefordert, dahin zu kommen. Ist es aber nicht geradezu unmöglich, sie zu besuchen? Unter welchem Vorwande konnte er sich so fern von Paris bei ihr einführen?

Es werden also Wochen, vielleicht gar Monate vergehen, ohne daß er sie sehen, mit ihr sprechen oder gar an sie schreiben könnte.

Bei diesem Gedanken sprang Benois empor und stand im nächsten Moment vor seinem Schreibtische. Er wird ihr schreiben, sie möge ihm gestatten, sie noch einmal zu besuchen, und so wird Estelle bemüßigt sein, ihm zu antworten. Ist es aber schließlich nicht Wahnsinn, zu denken, daß diese gute, schöne, aller Ehren werte Frau von den gesellschaftlichen Regeln, welche sie verurteilten, zu vollständiger Verbannung verdammt werden sollte?

Die Begeisterung des jungen Mannes wurde sofort gedämpft. Er erinnerte sich der Worte seiner Mutter:

»Sie soll mir als Tochter willkommen sein; nur möge sie beweisen können, daß sie verleumdet worden.«

Beweisen! Doch wie?

Ingrimmiger Zorn erfaßte den jungen Mann bei dem Gedanken, daß sich Estelle schon seit länger denn einem Jahre in dieser Lage befinde. Bislang immer nur von den eigenen Gefühlen in Anspruch genommen, hatte Benois nicht darüber nachgedacht, was diese arme Frau empfinden, was sie leiden mochte. Jetzt aber enthüllte ihm eine plötzliche Eingebung mit einem Schlage das lange Märtyrertum, welches Estelle geduldig trug, die Wunden, die man ihr geschlagen, die Bitternisse, die sie peinigten.

»Und dabei vermag sie noch an andere zu denken!« rief Benois mit lauter Stimme aus. »Und wie gut, wie edel sie ist! Sie findet Entschuldigungen, Verzeihung für andere. O du Heilige, du Süße! Welch jämmerliches Geschöpf bin ich doch neben ihr!«

Er öffnete das geheime Fach seines Schreibtisches und entnahm die Mappe, in welcher er seine wichtigsten Papiere zu verwahren pflegte. In einer besonderen Falte derselben befand sich auch der bewußte Briefumschlag, welchen Benois jetzt hervornahm und mit einer gewissen Aengstlichkeit betrachtete.

Weshalb hatte er ihn so lange bei sich behalten? Oder ist es ein unnützes Stück Papier; wozu es denn also behalten? So oft er dasselbe sehen oder auch nur daran denken wird, wird eine Reihe blutiger Bilder an seiner Phantasie vorüberziehen und seine Ruhe stören. Oder wenn dieser Umschlag tatsächlich der Schlüssel des Geheimnisses ist, so muß sich Estelle im Besitze desselben befinden.

Er wird ihr denselben auch unverzüglich, noch heute übergeben. Wird Estelle in dem Papier keinen Fingerzeig entdecken, so werden sie es vernichten, um niemals wieder daran zu denken. Jetzt war er bereits sicher, so vollkommen sicher, daß ihm Estelle ob seines früheren Mißtrauens verzeihen wird. Sie hatte ihm ja schon früher verziehen, noch ehe sie sein Geständnis vernommen.

In fieberhafter Ungeduld erwartete er den Abend, und gegen neun Uhr ließ er sich denn auch bei Estelle melden.


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