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XXIV.

Der Jahrestag des Todes des Rittmeisters Bertolles wurde mit einer Trauermesse und großer Prachtentfaltung in der Kirche der heiligen Klotilde gefeiert. Mit der Hartnäckigkeit der Kranken beharrte Frau von Montelar dabei, jedem ihrer Bekannten Einladungen zukommen zu lassen, und sie selbst wollte gleichfalls bei der Feierlichkeit zugegen sein, so sehr ihre Freunde ihr hierin auch widersprachen.

»Er war mein Neffe, beinahe mein Sohn, und ich bin ihm diesen letzten Beweis meiner Liebe wohl schuldig.«

Und tatsächlich wohnte sie mit ihrer Nichte der Trauermesse bei.

Es berührte sie sehr peinlich, daß so wenig Leute anwesend waren, die Raymond die letzte Ehre erweisen und ihr speziell die Freude bereiten wollten, daß sie ihrer Einladung entsprochen hätten. Ihre gewohnten Besucher, die Lieferanten des Hauses, sowie eine Menge solcher Leute, die bloß die Neugierde herbeigeführt hatte, – hieraus bestand die ganze Trauerversammlung.

Der alte Verwandte, den man anläßlich des Leichenbegängnisses aufgestöbert hatte, war auch jetzt zugegen. Gelangweilten Gesichtes saß er in der ersten Reihe, wie jemand, der zu einer Fronarbeit verurteilt ist.

Von einer geheimen Unruhe erfüllt, beobachtete Benois Haltung und Miene der Anwesenden. In den Reihen der Gleichgültigen wurde eifrig geplaudert, und Benois lauschte angestrengt, um einige Worte aufzufangen, – doch vergebens.

Als die Feierlichkeit zu Ende war, trat Benois auf Frau von Montelar zu, um sie, wenn sie es gestattet, zu ihrem Wagen zu geleiten, während der alte Verwandte in Vertretung der Familie die – eventuellen – Grüße der zum größten Teil bereits aufgelösten Trauerversammlung entgegennehmen sollte.

Die alte Dame dankte für seine Aufmerksamkeit, ließ sich aber nicht von ihm hinausbegleiten, sondern folgte dem Zeremonienmeister und blieb vor dem Haupteingange stehen.

»Liebe Tante,« bat Estelle flehentlich, »gehen wir.«

Frau von Montelar machte eine energisch abwehrende Bewegung und blieb regungslos stehen.

Während die Leute an ihr vorüberzogen, was gar nicht lange währte, stand sie erhobenen Hauptes da, mehr um voll stolzer Bitterkeit die Zahl der Abwesenden, als die der Anwesenden zu konstatieren.

Aller Augen waren auf diese zwei Frauen gerichtet, die so schöne und majestätische Gestalten waren. Ein leises Geflüster wurde ringsumher vernehmbar. Estelle duldete ein wahres Märtyrertum, verriet dies aber mit keiner Miene.

Endlich waren auch die letzten Neugierigen verschwunden, und der alte Verwandte trat zu Frau von Montelar unter die schwarz bezogene Torwölbung hin.

»Ich danke Ihnen, Vetter,« sagte Frau von Montelar.

Ein junges Mädchen aus dem Volke, welches ganz in der Nähe der beiden Frauen stand, fragte in diesem Augenblick eine neben ihr stehende ältliche Person:

»Sag', Mutter, welche hat ihren Herrn erschlagen, die Junge oder die Alte?«

Die Stimme der Fragenden widerhallte von den Steinfliesen gleich einem Glockenschlag. Selbst die Leute, die die Treppen hinabschritten, vernahmen die Worte und drehten sich neugierig zurück.

Grimmig erfaßte Benois den Arm des Mädchens und drängte es mit einigen rauhen Worten zurück. Darauf eilte er zu den beiden Frauen zurück.

Frau von Montelar nahm den Arm des alten Verwandten, und nur Estelle blickte voll unsäglichen Schmerzes auf das törichte kleine Mädchen, welches ihr eine so tödliche Beleidigung zugefügt.

»Nehmen Sie meinen Arm, Madame,« sprach Benois leise.

Und ihr seinen Arm reichend, geleitete er die junge Frau, die ihre Kräfte endgültig zu verlassen drohten, zu ihrem Wagen.

»Steigen Sie ein, Vetter; und Sie auch, Herr Benois,« wandte sich Frau von Montelar zu den beiden Herren.

In dem Wagen herrschte Stille, während man nach Hause fuhr. Uebrigens war der Weg auch nicht lang.

Im Palais angelangt, schritt Frau von Montelar einige Stufen hinauf und begab sich in den im Erdgeschoß liegenden Salon. Hierher führte Benois auch Estelle und ließ sie in einem Fauteuil Platz nehmen.

»Meine Lieben,« sprach die alte Dame, gegen ihre Schwäche ankämpfend, »ich danke euch. Es war ein Unrecht von mir.«

Sie schloß die Augen und verlor das Bewußtsein.

Estelle gewann sofort ihre Kräfte wieder; die wirkliche Gefahr fand sie stets kampfbereit. Man brachte Frau von Montelar sofort zu Bette und suchte sie zu beleben. Ihr Arzt, dem es gar nicht recht gewesen, daß sie in die Kirche gegangen, fand sich zur rechten Zeit ein, um sich zu erkundigen, wie sie die Sache überstanden. Er verordnete Stille und unbedingte Ruhe.

Darauf kehrte Estelle in den Salon zurück, wo die beiden Herren auf sie warteten. Nach einigen landläufigen Abschiedsworten verließ der alte Verwandte das Gemach, und Benois schickte sich an, seinem Beispiele zu folgen.

»Herr Benois,« sprach jetzt Estelle zu ihm, »könnten Sie mir nicht einen Augenblick Gehör schenken?«

»Ich stehe Ihnen vollkommen zur Verfügung, Madame,« gab Benois zur Antwort.

»Dann bitte, folgen Sie mir.«

Estelle schritt voraus und geleitete den jungen Mann in Raymonds Zimmer.

»Hier, wo uns niemand hört und uns niemand stören kann, hier will ich Sie flehend bitten, meine Frage zu beantworten. Nach der Beleidigung, die mir vorhin zuteil geworden, gibt es kein Opfer, vor welchem ich zurückschrecken würde, um die Wahrheit zu erforschen. Sie sind es, mit dem mein Gatte seine letzte Unterredung hatte; ich flehe Sie bei Ihrer Ehre an, mir zu sagen, worüber er damals mit Ihnen sprach.«

Benois runzelte die Augenbrauen. Noch niemals hatte er sich in einer ähnlich peinlichen Lage befunden. Doch angesichts einer derartigen Aufforderung konnte man nichts anderes tun, als gehorchen.

»Da es Ihr ausgesprochener Wunsch ist, gnädige Frau, so muß ich Folge leisten,« erwiderte er. »In jener tatsächlich vertraulichen Unterredung teilte mir mein Freund Raymond mit, welche unsägliche Liebe und Zärtlichkeit ihn für Sie erfülle. Er sprach in Ausdrücken, welche ich nicht zu wiederholen berechtigt bin, die aber für seine unbegrenzte Leidenschaft zeugten.«

Estellens gewöhnlich bleiches Gesicht ward jetzt von flammender Glut übergossen. Ohne den Kopf zu erheben, wartete sie auf die Fortsetzung. Benois verharrte aber schweigend.

»Und dann?« fragte sie, als er noch immer schwieg.

»Dann verlieh er seinem Wunsche Ausdruck, seine Gefühle erwidert zu sehen.«

»Ich war ihm von ganzem Herzen gut,« sagte Estelle.

»Er wußte dies und anerkannte es dankbar; doch hoffte er mit der Zeit ein noch bei weitem stärkeres Gefühl in Ihnen erwecken zu können.«

Die flammende Röte war aus dem Gesichte der jungen Frau verschwunden und hatte der früheren Blässe Platz gemacht.

»Und dann?« fragte sie mit einiger Anstrengung.

»Er sprach dann noch des längeren von seinem Vater, der ein so tragisches und geheimnisvolles Ende genommen,« sagte Benois sichtlich erleichtert. »Raymond schien der unaufgeklärte Tod seines Vaters fortwährend zu beunruhigen, und dies scheint teilweise auch mit ein Grund seines eigenen Todes gewesen zu sein.«

»Glauben Sie?«

»Ich zweifle gar nicht daran. Selbst die Todesart war dieselbe. Beide mitten durch das Herz geschossen. Vielleicht überwältigte ihn der Gedanke derart, daß er ihn des klaren Denkens beraubte.«

Estelle trat näher zu dem Kamin hin.

»Aber mein Bild?« fragte sie in einer Erregung, wie sie Benois noch niemals an ihr wahrgenommen: »mein zerrissenes, geschändetes Bild, gleichwie man mich selbst noch jetzt täglich zerreißt und schändet? Auch bei der Vernichtung meines Bildes soll Raymond einem derartigen geheimnisvollen Eindruck Folge geleistet haben? Oder tat er es aus wildem Haß, aus Wahnsinn oder Eifersucht?«

Estelle hielt plötzlich inne. Das letzte Wort, welches ihren Lippen entschlüpfte, übergoß ihr Antlitz neuerdings mit dunkler Röte, die aber gleich wieder der gewohnten Blässe wich.

Benois war nicht weniger verwirrt, als sie.

»Aus Eifersucht!« nahm Estelle von neuem auf. »Und weshalb hätte er eifersüchtig sein sollen, und auf wen? Im Alter von achtzehn Jahren verließ ich das Kloster. Bis dahin hatte ich außer den Bekannten der Familie Polrey niemanden gesehen, und das waren auch nur Bekannte für die Ferienzeit, welche die Eltern sorgsam für ihre Töchter auswählen, und die keinerlei Eindruck auf die Phantasie der Pensionärinnen ausüben. Und bin ich etwa in unserem gesellschaftlichen Leben einem Manne begegnet, der in mir irgendwelches Interesse zu erregen vermocht hätte? Sie wissen ja, welcher Leitung die heiratsfähigen Mädchen folgen müssen. Man bringt sie nur mit solchen Männern in Verkehr, die eventuell auch als Freier in Betracht kommen können. Und unter allen Männern, mit denen ich in Berührung kam, war Raymond der einzige, der Achtung und Neigung in mir zu erwecken vermochte.«

Noch zögerte und kämpfte Estelle einen Augenblick, bevor sie das Geständnis ablegte, welches Benois so schweren Herzens erwartete:

»Und trotzdem liebte ich ihn nicht. Nein, ich empfand keine Liebe für ihn, sondern bedauerte ihn bloß.«

Sie neigte das herrliche Haupt mit einer gewissen Demut und fuhr fort:

»Ich bedauerte ihn, weil ich ein gewisses dunkles Gefühl hatte, daß ich ihn niemals würde so lieben können, wie er es wünscht. Und das ist wahr,« fügte sie hinzu, indem sie den Kopf emporhob und Benois anblickte, »ich beweinte den Armen, liebte ihn aber nicht.«

Was es wohl war, was Estelle aus den Augen las, die mit solcher Gier jeder Bewegung ihrer Lippen folgten? War es Triumph, Freude oder Flehen?

Estelle verharrte regungslos, von einer wonnigen Empfindung durchströmt, die ihr die Kraft, ja selbst den Wunsch zu sprechen benahm. Sie war betroffen und dennoch überzeugt davon, daß ihr Schicksal eine Wendung genommen und von heute an der Würfel ihres Lebens gefallen sei.

»Gnädige Frau,« sprach jetzt Benois langsam, »Sie verlangten rückhaltslose Offenheit von mir, und ich antwortete Ihnen, wie Sie es wünschten. Gestatten Sie mir nunmehr, gleichfalls an Sie eine Frage zu richten.«

Estelle widersprach nicht und Benois fuhr fort:

»Sie sagten mir einst, daß Sie sich in die Einsamkeit zurückziehen und dort unter Ihrem Mädchennamen weiterleben würden. Ist es die Ehe, die einen derartigen Widerwillen in Ihnen erweckt?«

Estelle gab keine Antwort.

»Glauben Sie nicht, daß ein auf erprobten Gefühlen beruhender echter Bund Ihnen nicht nur eine Stütze bieten, sondern Sie auch glücklich machen würde?«

»O, mein Herr!« rief Estelle mit derselben Erregung aus, welche den jungen Mann schon vorhin überrascht hatte; »kann ich etwa die auf mir ruhende Last mit einem Manne teilen? Und wer würde dieselbe gar übernehmen wollen? Und wenn schon einer sie übernehmen wollte, wäre es nicht feige von mir, das anzunehmen? Selbst der Pöbel auf der Straße beleidigt und schmäht mich, ohne gar meinen Namen zu kennen. Sie waren ja vorhin selbst Zeuge davon. Und ich soll einen wackeren, rechtschaffenen Mann der Gefahr aussetzen, mit solchen Schmähungen überhäuft zu werden, derentwillen er vielleicht sogar Duelle auszukämpfen hätte? O, mein Herr, es genügt, daß ein Mann dafür sterben mußte, daß er mich zur Gattin nahm!«

Estelle wandte das flammende Gesicht hinweg und brach in Tränen aus, die sie aber hastig abtrocknete.

»So lange dieses Geheimnis unaufgeklärt bleibt,« sprach sie sodann, »werde ich die Schmach, die mich unverdient getroffen, allein tragen. Sie haben wie ein Freund mit mir gesprochen; dafür danke ich Ihnen.«

Benois verneigte sich schweigend. Wortlos verließen beide das Zimmer, um sich draußen voneinander zu trennen.


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