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VIII.

»Haben Sie nichts gefunden?« fragte Staatsanwalt Bolvin, nachdem Benois, der zuerst seine Karte hineingeschickt hatte, sich in einem Fauteuil niedergelassen.

»Gar nichts und ich beginne mich bereits zu fragen, ob ich nicht in einem vollständigen Irrtum befangen bin. Ich glaube, wir müßten unsere Nachforschungen in eine andere Richtung lenken.«

»In eine andere Richtung?« wiederholte Bolvin. »Das habe ich auch bereits getan. Meine Nachforschungen erstreckten sich auf die Provinz, überall wo Bertolles Bekannte oder Kameraden besaß. Man forschte in den Regimentern unter den Personen nach, die die Untergebenen des Rittmeisters waren oder in irgendwelchem Verkehr mit ihm gestanden: doch entdeckte man nicht das geringste Anzeichen, welches als Fingerzeig dienen könnte.«

»Aber auch nicht, was als Bestätigung Ihrer Voraussetzung angesehen werden könnte?« beharrte Benois.

Benois befand sich in einer eigentümlichen seelischen Stimmung. Sein Verstand, seine Rechtlichkeit, seine dem weiblichen Geschlechte entgegengebrachte Achtung empörten sich glücklicherweise bei dem Gedanken, daß Frau Bertolles in irgendeinem, gleichviel ob nahen oder entfernten Kontakt mit dem Tode ihres Gatten stehen könne, und dessenungeachtet erwachte ein instinktives Mißtrauen in ihm, als er Estelle dem Anscheine nach so ruhig vor der noch warmen Leiche des Mannes stehen sah, der vor einigen Stunden erst ihr Gatte geworden.

Er hätte was immer dafür gegeben, wenn er den Schreiber jenes Briefes zu finden und sich die Ueberzeugung von der Grundlosigkeit seines Verdachtes zu verschaffen imstande gewesen wäre. Gleichzeitig wünschte er aber auch beinahe, sich Beweise für die Richtigkeit seiner Mutmaßungen zu sichern. Der Zweifel war über alle Maßen peinlich; er hätte denselben um jeden Preis von sich schütteln mögen und gerade dies war ihm unmöglich gemacht.

»Sie fanden keinerlei Beweise dafür, daß der Inhalt des Briefes tatsächlich der von Ihnen gemutmaßte war?« fragte Benois neuerdings, da Bolvin seine erste Frage unbeantwortet ließ.

»Offen gestanden, nein!« erwiderte der Anwalt, mit düsterer Miene auf das vor ihm liegende weiße Papier blickend. »Nein! Und dessenungeachtet vermochte ich mich von dem Eindrucke nicht loszumachen, welche die außerordentliche Ruhe der Witwe auf mich machte. Dieselbe war nicht natürlich.«

»Sie ist eine Frau, die sich zu beherrschen vermag,« bemerkte Benois einigermaßen gereizt.

»Offenbar!«

Bolvin spielte mit einem Papiermesser aus Elfenbein, dessen Wirbeln den nervös gewordenen jungen Mann ungemein ärgerte. Plötzlich legte der Anwalt den unangenehmen Gegenstand auf den Tisch nieder.

»Sehen Sie,« sagte er dabei, »es gibt Dinge, die, wenn wir sie einmal gelesen oder gehört haben, sich nicht mehr aus unserem Gedächtnisse verwischen lassen. Als Heinrich IV. ermordet wurde – verzeihen Sie diese pedantische historische Kleinkrämerei – bemerkte ein Zeitgenosse ganz kurz von Maria von Medizis: »Der Tod ihres Gatten hatte sie nicht zur Genüge überrascht.« Und diese wenigen Worte werden dem Andenken der Königin für alle Zeiten anhaften.«

»Trotzdem sie vielleicht unschuldig war,« sagte Benois.

»Möglich, ja sogar wahrscheinlich. Als ich Frau Bertolles erblickte, erinnerte sie mich an diesen Ausspruch und seither will er mir nicht mehr aus dem Sinn.«

»Ein wissenschaftliches System ist das nicht,« sagte Benois aufstehend.

»Man hat auf Grundlage ähnlicher Vermutungen schon sehr interessante Entdeckungen gemacht,« erwiderte Bolvin, der sitzen geblieben war. »Bemerken Sie, bitte, daß mir jedweder Gedanke an eine direkte Beschuldigung fernliegt; doch vermag ich mich von der Vorstellung nicht loszureißen, daß Rittmeister Bertolles sich seiner Gattin wegen den Tod gegeben.«

»Dies ist doch kein Grund zu der Annahme, daß die Frau von den Motiven dieses Todes Kenntnis haben sollte,« entgegnete Benois finster.

»Ja, das ist wahr; doch was bedeutet in diesem Falle die Ruhe, welche Sie ebenso überraschte als mich?«

Hierauf wußte Benois keine Antwort zu geben.

»Leben Sie wohl,« sagte er. »Ich gehe. Ich kann Ihnen nichts sagen und Sie mir auch nichts.«

Bolvin stand auf.

»Es tut mir ungemein leid, Herr Benois,« sprach er, »daß ich in diese peinlich geheimnisvolle Angelegenheit kein Licht zu tragen vermag. Verzeihen Sie mir, daß ich keinen Erfolg zu erzielen vermochte.«

»So betrachten Sie die Nachforschungen für abgeschlossen?«

»Vorderhand bin ich dazu gezwungen – – Ja, ich muß Ihnen sogar die Schriftstücke zurückgeben, welche wir in dem Zimmer Ihres unglücklichen Freundes gefunden – Das Bündel ist nicht groß; wollen Sie es mit sich nehmen und es der Person übergeben, deren Eigentum es rechtmäßig bildet?«

»Meinethalben,« sagte Benois unmutig.

Der Anwalt öffnete ein Fach und entnahm demselben ein langes Kuvert, in welchem sich die Briefe und Visitenkarten befanden, welche Raymond zuletzt gelesen. Zu oberst des kleinen Pakets lag der Umschlag mit dem Poststempel von Laval.

Mit größter Aufmerksamkeit, fast mit Bedauern, betrachtete der Anwalt denselben.

»Hierin ruht das Geheimnis,« sagte er, mit dem Finger dagegen tippend. »Doch das Papier ist stumm – – Herr Benois, soll ich einen Rat, nichts wie einen ganz uneigennützigen Rat erteilen? Verwahren Sie diesen Umschlag. Sprechen Sie zu niemandem über denselben. Es ist möglich, daß der daraus fehlende Brief einst noch von selbst in denselben zurückkehren wird und dann werden Sie alles erfahren.«

»Ich soll niemandem etwas darüber sagen, nicht einmal Frau von Montelar?«

»Ganz unnötig. Es unterliegt ja keinem Zweifel, daß uns die arme Frau in nichts behilflich sein kann.«

»Und – – der Witwe?«

»Ich rate Ihnen, niemandem etwas davon zu sagen,« wiederholte der Anwalt mit einem feinen Lächeln.

»Wenn sie aber vielleicht die Schrift erkennt? Wenn –«

»Es ist nicht anzunehmen, daß sie diese Schrift erkennt, die so sehr der Schrift einer jeden Hand gleicht, die nicht zu schreiben pflegt oder sich vom Schreiben entwöhnt hat. Diese Art Handschrift vereitelt jede Anstrengung der Handschriftkundigen. Sie werden Frau Bertolles davon Mitteilung machen können, sobald es die Umstände erfordern werden.«

»Aber – –«

Bolvin tippte mit dem Zeigefinger Benois an die Brust.

»Merken Sie sich,« sagte er dabei, »daß, wenn Frau Bertolles von gar nichts Kenntnis hat, Sie hierdurch ganz zwecklos Argwohn in ihr erregen.«

»Aber sie weiß ja, daß man sie beargwöhnt,« sagte Benois.

»Wer hat ihr das gesagt?«

»Ich in einem ärgerlichen Augenblick – – Sie benahm sich so unnatürlich ruhig und da – –«

»Begingen Sie diesen argen Fehler. Sie wird sich fortan vor Ihnen hüten.«

»Ich glaube eher, daß sie mich hassen wird,« murmelte der junge Mann.

»Eines schließt das andere nicht aus,« bemerkte der Anwalt mit einem spöttischen Lächeln. »Wir kennen uns ja aus dem gesellschaftlichen Leben, Herr Benois, und die Angelegenheit interessiert mich um so mehr, als ich für Ihren verstorbenen Freund warme Sympathie empfand. Darum spreche ich als Privatmann zu Ihnen. Ich stehe Ihnen zur Verfügung, so oft ich Ihnen irgendwie zunutze sein kann, und sei es in der unbedeutendsten Sache. Sie werden mich doch benachrichtigen, sobald Sie etwas in Erfahrung bringen?«

»Natürlich,« erwiderte Benois und verabschiedete sich von dem Anwalt.


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