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V.
Im chinesischen Waldwinkel.

1. Endlich daheim.

Europäische Kochversuche. – Erste Begrüßung. – Wenn die Reisekisten erzählen könnten! – Das «Glücksheim» und der «Engelberg». – Heldengräber im Waldesdüster. – Unsere Brüder, die Bäume. – Die Wasserträgerin. – Der Apostolische Administrator auf Besuch. – Deutsche Predigt im chinesischen Wildwest. – Feierliche Uebergabe und Einführung. – Frohe Bescherung. – Erste Backversuche im chinesischen Busch. – Das Aveglöcklein im Walde.


Es war am 15. Februar 1930, kurz nach 1 Uhr, als wir in unserem neuen Heim Fukiatsung anlangten.

Der gute P. Othmar erging sich in Entschuldigungen, daß nichts zu einem würdigen Empfang vorbereitet sei, wegen der leidigen Postverhältnisse.

Mitte Dezember hatte man uns erwartet; aber hier in Hunan hatte niemand eine Ahnung von den Hindernissen und Gefahren, die sich unserer geplanten Abreise in den Weg stellten.

Zu Weihnachten war die ganze Anstalt im Festgewand. Noch hingen überall Fähnchen, Guirlanden, Inschriften mit Willkommgrüßen, verstaubter und vergilbter Schmuck, der uns indessen bewies, mit welcher Sehnsucht und Freude man unserem Kommen entgegensah.

Nun waren wir da, Gott sei Dank!

Europäische Kochversuche.

Die ganze Bevölkerung der Waldoase geleitete uns von der Kirche zu unserem etwa 150 Schritte weit entfernten neuen Heim, wo die Leiterinnen der Anstalt uns ein Mahl bereitet hatten mit dem sichtlichen Bestreben, sogar unserm europäischen Geschmack entgegenzukommen, den sie zu erraten gesucht.

Wenn es ihnen auch nicht auf der ganzen Linie gelang, so machten wir doch ihrem guten Willen alle Ehre; waren wir ja nicht gekommen, sie zu europäisieren, sondern uns selbst in ihre einheimischen Gewohnheiten einzuleben.

Unsere erste Sorge mußte nun sein, uns wohnlich einzurichten, die neuen Verhältnisse kennen zu lernen, um allmählich die uns von Gott und der hl. Kirche zugedachte Missionsarbeit zu übernehmen.

Das ist das logische Programm, das wir in Kürze unserm Leser vorführen werden, damit er auch hier einen genauen Einblick in das sonst so weltferne Wirken der Missionärinnen gewinne, ja es gleichsam miterlebe, wie auch wir es wochenlang tun durften. –

Erste Begrüßung.

Natürlich interessierten uns die lieben Kinder am meisten. Sie waren, von den Jungfrauen geführt, vollzählig zu einer ersten Begrüßung angetreten, allerdings etwas schüchtern, fast ängstlich, ja sorgenvoll. Sie hatten ja noch nie Europäerinnen gesehen.

Was hätte ich drum gegeben, ihre Gedanken zu lesen, die gegenseitig leise ausgetauschten Bemerkungen zu verstehen! ....

Aber sie müssen es doch gleich herausgefühlt haben, die lieben Kleinen, daß wir sie gern hatten, daß unsere Herzen brannten von heiliger, reinster Mutterliebe für sie, die Lieblinge Jesu. Ihre anfängliche Furcht verschwand zusehends.

O wie gerne wären wir länger bei ihnen geblieben, gleich mit ihnen in ihr Heim gegangen.

Aber wir mußten uns an eine Ordnung halten, schrittweise vorgehen. Es wäre uns ja unangenehm gewesen, und für ihre hochgeschraubten Hoffnungen eine Enttäuschung, hätten wir mit leeren Händen unsern Einzug gehalten. Einige Früchte, die wir ihnen heute boten, waren nur ein Notbehelf für die einstweilige Feststimmung.

Wir mußten uns also trennen, aber nicht weit.

Unser Klösterlein stößt ans Waisenhaus. Auf dem Stockwerk befinden sich unsere Zellen und Wohnräume, die um einen halbrunden Hof liegen und durch eine offene ringsumführende Veranda miteinander verbunden sind.

Im Erdgeschoß sind Küche, Wasch- und Lagerräume. Der Hof wird überschattet durch einige alte Zypressen: alles in allem eine liebe, heimelige Stätte, wie wir sie in dieser abgelegenen Waldwildnis nicht vorausgesetzt hätten.

Im Innern waren auch die notwendigsten Möbel, sodaß es nicht allzulange dauerte, bis wir uns wieder einmal so recht daheim fühlen konnten.

Wenn die Reisekisten erzählen könnten!

An Haushaltungsgegenständen hatten wir selbst das allernotwendigste mitgebracht, und es war für uns eine große Erleichterung, daß unsere Kisten lückenlos schon ein paar Tage vor uns angelangt waren.

Aber welche Püffe und Stöße müssen sie ausgehalten haben; wie oft mögen beutelüsterne Soldaten sie gemustert haben! Wie oft mußten sie gefährliche Zollschranken passieren, wie deren jeder Heerführer und Potentat, einerlei welcher Flagge, zur ehrenhaften Plünderung des Publikums an allen Handelsstraßen errichtet! –

Unser treuer Michel Wang von Hwangshihkang hat sich und die ihm anvertrauten Schätze heldenhaft durchgeschlagen, obwohl er ganze zwei Monate unterwegs war. Schade, daß wir nicht auch den Reiseroman dieses Mannes und seiner Kisten berichten können.

Aber der hl. Antonius, dem wir alles empfohlen, hat das Gut seiner lieben Armen treu beschützt.

Es fehlte nicht an hilfsbereiten Händen zum Auspacken unserer Sachen, zum Aus- und Einräumen unserer Wohnung.

P. Othmar arbeitete mit einem Schreiner mehrere Tage, um Küchenschränke, Krugbänke und anderes Mobiliar fertigzustellen, alles recht primitiv, aber doch hinreichend.

Zu unserer ersten Verproviantierung hatte der Missionsobere Eier, Reis und ein halbes Schwein herübergeschickt, sodaß wir ohne allzugroße Mühe über die Anfangsschwierigkeiten hinwegkamen.

Am folgenden Sonntagmorgen war es in der Kirche wie an großen Tagen, denn die Pfarrkinder waren aus weiter Ferne vollzählig herbeigeströmt, wohl nicht allein um des Gottesdienstes willen ...

Das «Glücksheim» und der «Engelberg».

Am Nachmittag lud uns der Ortsmissionär zu einem Rundgang ein, um uns unsere neue Heimat und ihre Umgebung zu zeigen.

Das Wetter war prächtig, sodaß auch von dieser Seite her der erste Eindruck, der erfahrungsgemäß außerordentlich lange nachwirkt und das Urteil unbewußt tief beeinflußt, ein recht günstiger war.

Fukiatsung, verdeutscht etwa « Glücksheim» (wörtlich: Siedelung, Wohnort der Familie Fu In China gibt es nur etwa 200 Familiennamen, die wohl auf die alten Stammväter ins 3. Jahrtausend vor Christus zurückgehen. Zur Unterscheidung trägt jeder einen Zunamen, daneben oft noch einen auf eine persönliche Eigenheit gegründeten familiären Dorf- oder Rufnamen. Noch heute betrachten sich die Träger desselben Familiennamens, die in die Millionen gehen, als zu einer Sippe gehörig. Wenn auch der Ahnenstammbaum sich in den Jahrtausenden spurlos verliert, so sind doch Ehen zwischen Gatten des gleichen Namens unstatthaft., d. h. Glück) ist kein Dorf, sondern umfaßt lediglich die Missionsanstalten, die aus einer Farm oder einem kleinen Weiler, wie es deren in der Umgegend noch viele gibt, hervorgegangen sind.

Um die Mitte des vorigen Jahrhunderts aus einer Schenkung erstanden, wurde das Waisenhaus in der Boxerverfolgung (1900) eingeäschert, aber in größerem Umfang wieder aufgebaut. Es umfaßt auch die nötigen Oekonomiegebäude und bildet ein großes Viereck mit ausreichendem Platz für 100–200 Kinder.

Die Kirche dient sowohl der Anstalt, als auch den Christen der Umgegend, die von demselben Missionär, dessen Wohnung jenseits der Kirche liegt, betreut werden.

In einiger Entfernung, an einem Abhang, hegt der große Begräbnisplatz des Waisenhauses, wo unter Kamelienbüschen über 6 000 Kinder schlummern, eine ganze Legion von Engelein, die als mächtige Fürsprecher am Throne Gottes beten für die Missionäre und Wohltäter, denen sie ihr ewiges Glück verdanken, und die sicher auch als Schutzengel über die Anstalt wachen.

Nicht mit Unrecht gaben die Umwohner diesem Ort den Namen «Engelberg».

Auf einem gegenüberliegenden Bühel am Waldesrand befindet sich der ummauerte Missionsfriedhof.

Hier beteten wir an vier hohen neuen Grabeshügeln. Es sind die Ruhestätten von Missionären, die in den letzten Jahren rasch nach einander niedersanken – vier von neun! – vor der Zeit erschöpft und gebrochen und zu Tode getroffen im heiligen Kampfe für Gott und die Seelen Es sind dies; P. Stanislaus Foidl († 1926); P. Kolumban Nagele († 19. 9. 27); Msgr. Sebastian Großrubatscher, erster Apost. Präfekt († 29. 11. 27); R. P. Laetus Kovac, Apost. Administrator († 29. 2. 28)..

Heldengräber im Waldesdüster!

Weltverloren, fern, ach, so fern von den Almen der tirolischen Heimat! ... Lange, lange standen wir da, und sannen und sannen ...

Ein Sonntag war's und ein Sonnentag.

Die ersten Blümlein sproßten aus dem Rasen, Symbole der Hoffnung, Zeugen des Allmächtigen, Ewigen.

Einst wird er auch die Menschenblumen wecken, die unverwelklichen, aus dem Moder der Grüfte.

Leise umschweben uns Engelsschwingen. Treu halten sie Wacht und schützen den Schlummer der Auserwählten.

Ruhet sanft! ... Requiem aeternam dona eis, Domine! –

Bald schwinden die Schatten der Grabesnacht: es tagt der große Weltenmorgen. Et lux perpetua luceat eis!

Dann wird die Einöde jauchzen und die Steppe frohlocken und blühen (Is. 35, 1), und eine neue Heimat wird euch werden; Alleluja! Aleluja! – –

Nur ungern verlassen wir die träumerische Stille dieses Waldfriedhofes. Fest stand unser Vorsatz, uns später öfter hier zu ergehen und das Herz zu erheben und die Seele zu weiten im Schauen der ewigen Fernen ...

Unsere Brüder, die Bäume.

In der weitern Umgebung zieht sich, soweit das Auge reicht, ein Gehölz aus Kiefern und Eichen, aber auch vielen bei uns unbekannten, immergrünen Baumarten: Firnis- und Kampferbäume, Zwergpalmen und andere immergrüne Arten. Besonders häufig sind die Kameliensträucher, die im Frühling mit ihren großen weißen Blüten aus dem dunklen welligen Waldgrün hervorschimmern wie Seerosen auf einem wallenden Weiher.

Die Frucht liefert ein gutes Brennöl und bildet mit den am Fuß des Hügels sich dehnenden Reisfeldern einen willkommenen Beitrag zum Unterhalt der Anstalt.

Dort ist auch ein Teich, der zur Berieselung der Felder dient und gespeist wird von einer am Rande sprudelnden Quelle. Sie ist der Brunnen der Missionsstation.

Die Wasserträgerin.

Eine junge Frau schöpft eben von dem köstlichen Naß. Ihr freundlich lächelnder Gruß macht sie als Christin kenntlich. Der Pater stellt sie uns vor als Rosa, die Wasserträgerin. Tag für Tag, jahraus, jahrein schleppt sie in zwei Kübeln, die sie an einem jochähnlichen Holze, bald von den Schultern, bald vom Nacken hängend trägt, den nötigen Wasserbedarf hinauf, eine ziemliche Strecke auf steilem, steinigem Pfade, barfuß und barhaupt, bei Frost und Sturm und Regen und Sonnenbrand.

Ich versuchte später einmal heimlich, die Last zu heben: es war mir schier unmöglich. Und die gute Frau läuft damit bergan, von früh bis spät, bei karger Kost und geringem Lohn, und ist dabei immer zufrieden und heiterer Laune.

Da sie in Zukunft auch die Klostergemeinde mit Wasser versorgen soll, so machten wir sofort einen Vertrag und besserten ihr Gehalt auf. Ihre Dankbarkeit kannte keine Grenzen.

Der Apostolische Administrator auf Besuch.

Als wir gegen 4 Uhr von unserm Spaziergang heimkehrten, herrschte gewaltige Aufregung in der Mission. Was war es? Der Hochwürdigste Herr P. Joh. Damaszen Jesacher, Apostolischer Administrator und Oberer der Präfektur war eben von Yungchow herbeigeeilt zu unserer Begrüßung.

Auch ihm tat es furchtbar leid, daß Post und Telegraph auf der ganzen Linie so glänzend versagt, und uns und noch mehr den Patres soviel Unannehmlichkeiten daraus erwachsen waren.

Doch konnten wir ihn trösten mit dem Hinweis auf die vielen drolligen Abenteuer, die wir gerade diesem postalischen Schlendrian verdankten, deren Romantik, nach glücklicher Ueberwindung der rauhen Wirklichkeit, wir jetzt erst recht kosteten und deren Andenken uns im spätem Leben noch recht oft erfreuen wird.

Nach kurzer Besprechung wurde beschlossen, daß am nächsten Morgen die feierliche Uebergabe des Waisenhauses an die Schwestern erfolgen sollte.

Wir hatten am Abend bis tief in die Nacht hinein noch die Hände voll Arbeit, um die Geschenke für die Kinder zu bereiten. Außer dem üblichen Paketchen Naschwerk wurde für jedes noch ein Kleidungsstück und Taschentuch, sowie Medaillen und Rosenkranz bereitgelegt.

Deutsche Predigt im chinesischen Wildwest. – Feierliche Uebergabe und Einführung.

Da unser Wecker noch tief unten in irgendeiner Kiste schlummerte und in diesem uhren- und glockenlosen Waldidyll kein Wagengerassel, keine Fabriksirene den Schlaf der Gerechten störte, so waren wir, zu unserer Beschämung, am Morgen noch lange nicht die ersten in der Kirche!

Wir kamen aber noch gerade rechtzeitig zur hl. Messe, die der Missionsobere für unsere Kommunität zelebrierte.

Hernach wurden alle Kerzen angezündet, und der Hochw. P. Administrator hielt vom Altar aus eine Anrede an uns Schwestern, wahrscheinlich die erste Predigt in deutscher Sprache, die hier je gehört worden.

«Ich danke euch, liebe Schwestern,» führte er aus, «daß ihr dem Rufe Gottes und der Kirche und auch meiner Einladung gefolgt und zu uns in diese arme Mission gekommen seid.

Eurer Obhut übergebe ich diese Waisenkinder im Namen der Kirche, damit ihr dieselben zu guten Christen erzieht; im Namen des Herzens Jesu, das seine Lieblinge in die Hände treuer Jüngerinnen legen will; im Namen der Schmerzensmutter, der diese Station geweiht ist; im Namen der hl. Schutzengel dieser Kleinen, welche schon lange diesen Tag herbeigesehnt, da sie ihre Schutzarbeit mit irdischen Engeln geteilt sehen wollten und die darum an der heutigen Begrüßung freudig teilnehmen.

Wir haben diese Kinder getauft; euch übergeben wir sie. Der hl. Vater Franziskus möge vom Himmel aus diese Zusammenarbeit von Brüdern und Schwestern segnen.

Herrlich und erhaben ist euer Beruf. Nicht nur könnt ihr, wie die große Missionspatronin Theresia vom Kinde Jesu, Gottes Gnade auf dieses Missionsfeld herabziehen durch stilles Beten und Opfern, sondern sogar selbst mit euren körperlichen und geistigen Kräften an der apostolischen Arbeit direkt teilnehmen und so in Wahrheit unsere geistlichen Schwestern und Helferinnen sein in Christus und für Christus ...» –

Und zu den Kindern und Jungfrauen gewandt, ermahnte er sie, in ihrer Sprache natürlich, sie sollten den von Jesus ihnen zugesandten Müttern vertrauen, gehorchen und Freude bereiten durch ihre Gegenliebe und ihr gutes Betragen, um sie so einigermaßen zu entschädigen für die vielen und großen Opfer, welche die Missionärinnen schon jahrelang für sie gebracht, die nun aber zahllos sein würden in der Betreuung Tag und Nacht, in gesunden und in kranken Tagen.

Stets sollten sie ihre Augen auf sie gerichtet halten und als gelehrige Kinder sie nachahmen im Beten, Arbeiten und Tugendstreben. –

Damit waren die Bande geschlungen, welche in Zukunft die Waldfamilie vereinigen sollten, in trüben und in heiteren Stunden. Es folgte ein feierlicher, sakramentaler Segen, und im Herzen Jesu, dem Zentrum aller Herzen, legten alle, Kinder und Mütter, den Schwur der Treue nieder. Ein dankendes Te Deum bildete den Abschluß und erinnerte uns lebhaft an den Tag unserer hl. Profeß, welche uns schon von ferne den Missionen und dem Dienste der Seele weihte.

Der Waisenvater P. Othmar ließ nun das ganze kleine Volk im Hof des Waisenhauses sich im Halbkreis aufstellen.

Als alles fertig war, wurden wir in unsere neue Familie eingeführt. Jenseits der Mauer hatten die Knechte der Mission Böller und Petarden bereitgestellt und warteten mit Spannung auf unsere Ankunft.

Ein Pfiff! Und nun ging's los: ein Krachen und Knattern, daß die Funken sprühten und ganze Wolken von Pulverdampf durch die Wipfel stiegen und weit und breit der Wald erdröhnte.

Und diesmal nirgends Räuberangst, überall Hochfeststimmung, nicht bloß bei den an Freudenlärm gewohnten Chinesen.

Frohe Bescherung.

Wir waren im Kreise der Kinder, unserer Kinder ...

Sie waren immer noch furchtsam. Als aber der große Stoß von Paketen erschien und wir unsere Schätze auftaten, da wurden sie schon zutraulicher, und die mutigsten von ihnen brachten sogar ein schüchternes « duo sié – vielen Dank!» hervor.

Für heute war in allen Werkstätten des Hauses Feiertag, nur in der Küche war «Doppelschicht» notwendig wegen Hochbetrieb.

Der Apostolische Administrator führte uns hierauf durch sämtliche Räume, wobei mancher Plan auftauchte und besprochen wurde.

In unserm Haus war die Ausstattung schon ärmlich, bei den Kindern fanden wir sie geradezu erbärmlich.

Da waren oben zwei Schlafsäle mit Betten für die Kinder. Und was für Betten! Es sind einfach zwei hölzerne Böcke mit ein paar ungleichen Dielen, über die ein wenig Stroh ausgebreitet ist. Nur hie und da ist es von einer mehr oder weniger zerrissenen Matte überdeckt.

Eine einzige Wattedecke bildet das Bettzeug für zwei und drei Kinder, die sich abends dreinwickeln, sodaß oben und unten die Köpfe herausschauen.

Die Kleider tragen sie Tag und Nacht am Leibe, im Winter sogar ihre ganze Garderobe übereinander, um sich gegen Kälte zu schützen.

Zum Waschen steht in jedem Schlafzimmer ein hölzerner Zuber mit Wasser und einem gemeinsamen Handtuch für je etwa dreißig Kinder.

Kein Wunder, wenn da Augenleiden, Grind, Krätze und andere Hautkrankheiten eine ständige Plage sind. Und welch katastrophale Folgen wären erst zu befürchten, wenn eine ansteckende Seuche ausbrechen würde.

Ein Bett im Krankenzimmer ist leer. Dort starb gestern früh eine arme Auszehrige und wurde schon am Nachmittag zwischen vier rohen Brettern auf den «Engelberg» getragen.

Ihre Mutter, noch Heidin, warf sich auf dem frischen Grabe nieder, stimmte die Totenklage an und brachte eine Menge abergläubischer Brandopfer dar. Dann lief sie schreiend und wehklagend durch den Wald davon.

Unterdessen betet ihr glückliches Kind in den lichten Sphären des Himmels für ihre blinde und unglückliche Mutter, die Tote für die Lebende, daß das ewige Licht der Wahrheit sie erleuchten und ihr Trost und Ruhe in Gott verschaffen möge. –

Ueberall im Waisenhaus starrt uns die bitterste Armut entgegen. In keiner der vielen Missionsanstalten, die wir auf unserer langen Fahrt besichtigten, hatten wir solche Not gefunden.

Es war darum schon vom ersten Tage an unser Entschluß diesem schrecklichen Elend in etwas zu steuern. Zunächst müssen alle Kinder die nötige Kleidung bekommen zum Wechseln, Einzelbettstellen zum Schlafen und die Möglichkeit zum Waschen.

Die Sorge um die Reinlichkeit, Ordnung und Gesundheit verlangt es gebieterisch, trotz aller Armut.

Wir veranlaßten schon gleich, den Wänden, die in ihrem undefinierbaren rauch- und staubfarbigen Grau das Innere des Hauses noch unbehaglicher machten, durch weiße Kalktünche ein gesünderes und freundlicheres Aussehen zu geben.

In der kurzen Zeit hatte sich ein gewaltiges Arbeitsprogramm vor uns entrollt.

Obgleich der Apostol. Administrator aus seiner reichen Erfahrung heraus mit vollem Recht uns immer wieder einschärfte, wir sollten die Kinder in ihrer angewohnten Einfachheit belassen und ihnen um keinen Preis fremde oder über ihren armen Stand hinausgehende Bedürfnisse und Bequemlichkeiten anerziehen, deren Entbehrung sie später unglücklich machen würde, so war er doch einverstanden, daß im oben angegebenen Sinne für das leibliche Wohlergehen der Kinder gesorgt würde.

Bisher hatten hierzu die nötigen Kräfte und Mittel gefehlt, aber wir zählen auf die Vorsehung. –

Eine große Freude für uns war es, daß wir ein Oratorium für den göttlichen Gast unter unserm Dach einrichten durften. So wird unser Nazareth erst recht ein Himmel auf Erden.

Als wir nach unserer Besichtigung durch den Hof zurückkamen, begegneten wir dort einer kleinen Kranken, die in einem Sessel sich sonnte und schon so entkräftet war, daß sie ihr Köpfchen stützen mußte.

Es war eine Schwindsüchtige. Bei unserm Anblick spielte ein wehmütiges Lächeln um ihre bleichen Lippen, das letzte Nicken eines welken Blümchens im Schein des sinkenden Abends.

Armes Kind? – Nein, glückliches Kind!

Bald wirst du verpflanzt auf den Gottesacker, um frisch und herrlich weiterzublühen unter den Strahlen einer andern Sonne, im Lande der ewigen Wonne.–

Wir hatten wenigstens einen kleinen Einblick in unsern neuen Wirkungskreis gewonnen. Trotz der allgemeinen Feststimmung, die uns vielleicht noch mehr wie andere beseelte, hatten wir doch keine Feierzeit, denn es blieb uns noch vieles auszupacken und zu ordnen, doch wir taten es gerne, es war ja «Heimarbeit». –

Erste Backversuche im chinesischen Busch.

Am meisten Mühe, sich den primitiven Verhältnissen anzupassen, hatte wohl unsere gute Küchenschwester Andrea, welche fleißig das Kochbuch studierte, wo es bekanntlich immer heißt: «Man nimmt das und das, soundsoviel,» ohne anzugeben, wo man es hernehmen soll, besonders wenn man tief drinnen in einem chinesischen Buschwald wohnt.

Darum behauptete der Reis, unter verschiedenen Namen und Formen, täglich dreimal den Ehrenplatz auf dem Küchenzettel.

Die arme Schwester versuchte sich sogar in der Bäckereikunst. Mehl und Wasser, Salz und Feuer, die Hauptelemente, waren vorhanden.

Sie brachte auch etwas auf den Tisch, das nach allen Regeln des Küchenbuchs im Zwischenofen gebacken war, also Brot sein mußte. Brot zum essen.

Aber es waren eher alttestamentliche Schaubrote ...

«Je nun,» meinte eine Mitschwester, «wir denken uns an die Luxustafel des reichen Königs Salomon zurückversetzt in die Zeit der ungesäuerten Brote». – Und es schmeckte wirklich «königlich!» ...

Diese Ungesäuertebrotezeit dauerte nicht allzulange, denn wir ließen einen kleinen Backsteinofen bauen und es gelang uns, mittelst künstlicher Hefe, ein echtes Christenbrot zustandezubringen. –

So nahm unser Leben Tag für Tag eine mehr klösterliche Form an. Die Hausordnung wurde straffer, besonders seitdem die Weckeruhren mit ihrem nimmermüden Ticktack und dem schlummerscheuchenden Gerassel wie kleine Despoten ihr ehernes Regiment führten.

Das Aveglöcklein im Walde.

Den Abschluß in unserem klösterlichen Aufbau bildete das Glöcklein, das nach etwa 8 Tagen feierlich aufgehängt wurde, mit der Bestimmung, von nun an zu den gemeinsamen Uebungen zu rufen.

Auch sollte es täglich dreimal den Engelsgruß durch die ganze Missionsstation tragen und ihn hinaussingen in des Waldes stille Dämmerung. Möge nie sein Mund verstummen: Ave, Ave, Ave Maria!


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