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2. Auf der Dschunke.

Der Himmel heitert sich auf. – Im Schlepptau nach Hengchow. – Ein chinesischer Schiffsmeister. – Malija, die Küchenfee. – Ein Rivotorto auf dem Siang-Kiang. – Franziskanische Fröhlichkeit. – Ein energischer Küchendragoner. – Des Schiffsmeisters Bedenken.


Nachdem wir das chinesische Neujahr, das auf den 29. Januar 1930 fiel, in seiner Bedeutung kennen gelernt und zum Teil mitgefeiert hatten, begriffen wir erst, welch verwegenes Unterfangen es gewesen wäre, uns in diesen Tagen auf die Reise zu begeben.

Im günstigsten Falle wären wir irgendwo für ein paar Tage hängen geblieben; denn jeder Handel und jede Arbeit, auch beim Verkehrspersonal, liegt still, ausgenommen das Zechen und Reisschnapstrinken, – und das gehört nicht gerade zu unsern ersten Belangen!

Der Himmel heitert sich auf.

Wir waren also froh, wenigstens unter einem gastlichen Dach warten zu können, bis die Hindernisse behoben würden. Die Schwestern hielten zu diesem Zwecke besondere Betstunden. Und siehe, allmählich heiterte sich der Himmel auf, Wolke um Wolke zerstob.

Die Schneeschmelze mit Tauregen brachte das Wasser des Siangkiang zum Steigen, sodaß in den ersten Februartagen größere Fahrzeuge flottmachten.

Eines Tages meldete uns der Missionsprokurator, es sei sogar ein Dampfer – der erste dieser Jahreszeit – herabgekommen, der aber bei günstigem Pegelstand möglichst rasch zurückfahren wolle. Gegen angemessene Entschädigung sei er bereit, uns ins Schlepptau zu nehmen bis Hengchow.

Wir sagten freudig zu, zumal auch Msgr. Palazzi die günstige Gelegenheit benutzen wollte.

Eine andere frohe Ueberraschung bereitete uns die plötzliche Ankunft des P. Athanasius, den P. Basil von der Stadt Paoking herübergebracht, um uns als erster namens der Tiroler Mission zu begrüßen.

Der arme Pater, wie sah er aus! Unsägliche Trübsale hatten er und seine Mitbrüder durchgemacht. Seit 15 Monaten haben ihn die Soldaten aus seiner Wohnung verjagt, und, von allem entblößt, fristete er in einer chinesischen Hütte ein jämmerliches Dasein.

Erst vor ein paar Wochen wurden, dank des Eingreifens des amerikanischen Konsuls, die Missionsgebäude geräumt und von den amerikanischen Patres bezogen, die einstweilen für den armen Tiroler Mitbruder sorgen. Er meldete uns, daß sämtliche Patres seiner Mission über die Neujahrsfeiertage in Fukiatsung versammelt seien, um ihre geistlichen Uebungen zu halten. Durch Telegramm und Briefe setzte er sie sofort von unserer demnächstigen Ankunft in Kenntnis. –

Im Schlepptau nach Hengchow.

Achtzehn volle Tage hatten wir in Changsha warten müssen. Endlich in der Morgenfrühe des 5. Februar nahmen wir von den freundlichen Schwestern Abschied und eilten zum Fluß hinab, wo unsere Reisesachen, die um eine Kücheneinrichtung bereichert worden waren, von dem P. Prokurator schon verfrachtet waren. In einiger Entfernung vom Ufer lagen zwei Dschunken, d. h. Barken mit Mast und Segel.

Auf einem schmalen schwanken Steg führte ein Kuli jede einzelne von uns hinüber bis auf den engen, hochbordigen Schiffsrand, von wo man behutsam bis vor einen halbrunden Aufbau mit einem viereckigen Eingang gelangte. Ein kühner Sprung ins Halbdunkel, nicht allzutief, und wir waren in unserm schwimmenden Heim: ein Raum von 3 m Länge und 2 m Breite, überdeckt von einem 2 ½ m hohen Tonnengewölbe aus Matten mit einigen Ritzen, die Licht, Luft und – Regen durchließen.

Als Möbel waren an den Wänden schmale Bänke, in der Mitte ein wackeliges Brett, das den Tisch ersetzte. Der Doppelboden diente als Stauraum für Gepäck und Decken.

Das war die erste Klasse, weil die einzige.

Auf dem Vorderteil des Schiffes, in irgendeiner Vertiefung, in der sie von Zeit zu Zeit verschwanden, die wir aber nicht näher besichtigten, wohnten die Bootsleute, der Dschunkenbesitzer und seine Frau. Nach dem Aeußern zu urteilen, waren sie wohl noch mindestens zwei Klassen unter uns.

Zu sieben Schwestern hausten wir also in unserm Abteil, der Wohn-, Speise-, Arbeits- und Schlafraum, alles in einem war, ja sogar als Kapelle diente, in der Msgr. Palazzi, der mit drei Patres und seinem Diener eine noch armseligere Dschunke nebenan bewohnte, allmorgendlich die hl. Messe las.

Wir waren ganz beschämt und baten den Bischof wiederholt, er möge die größere Barke besetzen, aber er wies es beharrlich ab und meinte lachend, er sei selten so behaglich und bequem gereist, es sei ein wahrer Luxus für einen alten Chinamissionar.

Und wir erst!

Malija, die Küchenfee.

Die Schwestern hatten uns in zuvorkommender Weise ihr Küchenmädchen Malija mitgegeben. Ihr Revier umfaßte etwa 3 Quadratmeter und lag auf dem offenen Heck des Schiffes. Diese Küche diente gleichzeitig als Spielplatz für die kleine Iana (Anna), des Schiffsmeisters Töchterlein. Dieser war ein braver Christ, und bevor wir abstießen, kniete er mit seinen Leuten zum Gebete nieder.

Es war etwa 10 Uhr. Die Anker wurden gelichtet, die Segel gespannt und die Ruder in Bewegung gesetzt. Es ging also vorwärts, gegen die Strömung. Wir merkten hie und da durch eine Spalte wie Häuser, Schlote, Masten langsam an uns vorbeizogen.

Aus Angst vor den allerwärts streifenden Soldaten hatte uns der Schiffer empfohlen, uns nicht zu zeigen, und hatte den Eingang zur Kajüte mit Brettern zugestellt. Wir waren wie Gefangene.

Unterdessen arbeitete Malija eifrig in der Küche. Ihr Herd war eine Kohlenpfanne mit Eierbriketts, dazu zwei Aluminiumtöpfe; aber sie brachte doch etwas zusammen. Allerdings war der Wind ihrem Herde weniger günstig als dem Segel. Indes sie verschaffte sich in Form eines Federfächers einen Blasebalg und handhabte ihn mit solchem Erfolge, daß unsere Klause bald einer Rauchkammer glich.

Um 12 Uhr blieb das Tischläuten aus. Um 1 Uhr klopfte es an der Wand: «Essen bereit.» – Ein leiser Schlag aufs nachbarliche Dach des «Bischofspalastes»: der Boy kam herüber und holte das erste Gericht: ein schön verblümtes neues Waschbecken, das heute als Suppenschüssel die ersten Dienste tat. Sämtliche Gerichte wurden durch eine Luke hereingereicht, passierten die Kontrolle unserer Küchenschwester und wanderten dann hinüber auf die bischöfliche Tafel.

Der arme Bursche hatte seine liebe Mühe, mit dem Geschirr von Barke zu Barke zu klettern und sich dabei noch den neugierigen Blicken hungriger Soldaten zu entziehen. Ein Glück, daß der Speisezettel nicht allzuviele Nummern aufwies! Dieselben Gerichte, welche die bischöfliche Tafel geschmückt, erschienen nachher auch in unserm Speisesaal und mundeten um 2 Uhr umsobesser.

Eßgeschirre und Bestecke, die hier Verwendung fanden, werden wohl kaum in irgendeinem Bischofspalast oder einer Klosterküche ihresgleichen haben ...

Wir waren schon einige Stunden gefahren, aber so langsam, daß wir es kaum merkten. Am Nachmittag hörten wir Kettengeklirr: es war der Dampfer, der, wohl aus Vorsicht, vor der Stadt draußen gewartet, und erst jetzt unsern Barken Vorspann lieh. Nun ging's aber in ganz anderm Tempo voran. In unserer Abgeschlossenheit hörten wir nur hie und da den Lärm von andern Fahrzeugen, die wir kreuzten oder überholten. Von Zeit zu Zeit streckte der Kapitän seinen Kopf durch die Luke und sagte leise: «Bu pa, Fürchtet euch nicht!» Wir waren also aus dem Wirrsal des Flußhafens heraus in voller lustiger Fahrt.

Ein Rivotorto auf dem Siang-Kiang.

Auch auf diesem Teil der Reise suchten wir die klösterliche Ordnung innezuhalten, wenn auch mit einem sehr dehnbaren Stundenplan, da wir ja von Malijas Küche, und sie von der Laune des Windes, abhängig waren. Im Scheine einer Stallaterne beteten wir unsere Tagzeiten und hielten Lesung und Betrachtung.

Jeden Abend wanderten Bänke und Möbel aufs Deck, der Schiffsboden wurde zum Schlafsaal, etwa wie in Rivotorto zu Sankt Franziszi Zeiten.

In der Morgenfrühe wurde derselbe Raum mit weißen Tüchern ausgeschlagen und der Altar aufgerichtet. Msgr. Palazzi kam herüber, wärmte sich die Hände über dem Kohlenfeuer – und feierte dann unter Assistenz zweier Priester das hl. Meßopfer, bei dem wir kommunizierten.

Erbauend war es zu sehen, wie auch zwei wetterharte Schiffer außen an die Kapellenwand lehnten, den Rosenkranz in der schwieligen Hand, und dann den Kopf hereinstreckten, um die heilige Kommunion zu empfangen. Wir fühlten uns in dieser Feierstunde glücklich wie in einer Himmelsarche.

Franziskanische Fröhlichkeit.

Dann kam das Alltagsleben wieder, mit kaltem Wind, Regenschauern, Rauchschwaden – und Klosterzucht! ... Nur mit dem Stillschweigen hatte es seine liebe Not. Ich will ja die ganze Wahrheit schreiben, auch unsere Mängel. Bald hier, bald dort entdeckte eine Mitschwester irgendeinen ungewohnten «Luxus», eine neue Franziskusfreude, und raunte sie schalkhaft der andern ins Ohr: daher ein häufiges Kichern und Lachen, besonders wenn es recht hart herging.

Am Nachmittag kam der Bischof auf eine Weile zu uns herüber, um uns über das Missionsleben zu unterhalten. Als einfacher Chinese gekleidet, saß er auf dem einzigen Stuhl des Schiffes, den der brave Kapitän für den hohen Gast vor unsere Eingangspforte stellte.

Als ich dem Hochwürdigsten Herrn mit dem armen Stillschweigen mein Leid klagte, lachte er laut auf: «Bravo! Bravissimo! das sind echte Franziskuskinder, das gibt tüchtige Missionärinnen, wie wir sie besonders in diesen trüben Zeiten benötigen! Ein Missionär, der an jedem Ding die gute Seite sieht und inmitten von Entbehrungen und Enttäuschungen den guten Humor bewahrt, der wird zehnmal mehr leisten als ein nörgelnder, griesgrämiger Schwarzseher. Kopfhänger taugen nicht für die Missionen. Warum sollten wir denn nicht stets fröhlich sein, wir, die Lieblinge der göttlichen Vorsehung! ...»

Er selber gab uns das Beispiel entsagender, heiliger Fröhlichkeit.

«Sie müssen mir unbedingt versprechen,» fügte er am Schluß hinzu, «mir auch eine Kommunität Ihrer Schwestern zu geben für mein Vikariat.» – Schon früher hatte er diesen Wunsch geäußert, aber einstweilen müssen wir entsprechenden Nachwuchs heranbilden.

Ein energischer Küchendragoner.

Wenn es uns auch am gewöhnlichen Komfort, sogar am Notwendigen mangelte, die franziskanische Freude wenigstens fehlte nicht. Wir dachten gar nicht der vergangenen und prophezeiten Gefahren, sollten aber doch einmal dran erinnert werden.

Um sicherer zu fahren, hatten wir uns dem nicht billigen Dampfschiff angeschlossen und wähnten uns schon außerhalb der Gefahrzone. Da, am zweiten Abend, entstand plötzlich ein ungewohntes Poltern und Lärmen auf der Dschunke. Unsere Türe wurde von außen verbarrikadiert:

Was war es?

Auf dem Schlepper vorne hatten sich eine Anzahl Soldaten festgesetzt und suchten nun sich ein Quartier zurechtzumachen. Die angehängten Dschunken schienen ihnen behaglicher als der Dampfer. Also kurz entschlossen hinüber, und wenn es jemanden nicht gefiele, der konnte ja einfach am Ufer entlang marschieren oder ein Flußbad bekommen.

Der Kapitän und seine Leute protestierten, die Dschunken seien schon belegt. Es kam zum Wortgezänk. Der Schiffer verteidigte sein gutes Recht und griff zu der Ruderstange.

Das reizte noch mehr. Die Soldaten waren in der Uebermacht und hatten Waffen. Sie waren ja die Herren.

Er stemmte sich gegen unsere Türe, wehrte sich auf Leben und Tod. Ueber seine Leiche sollten sie schreiten!

Das Gefecht dauerte über eine Viertelstunde, mit steigender Heftigkeit und Gefahr.

Wir bebten und beteten.

Schon hörten wir über unsern Häuptern die Hiebe der Soldaten, die sich dran machten, einfach Dach und Wände zu durchschlagen und in unsere Klause einzubrechen.

Und dann?!

In dieser höchsten Not kam uns plötzlich unerwartete Hilfe. Und zwar von unserer Küchenfee. Das tapfere Mädchen sprang auf, stellte sich aufs Heck, und, den Kochlöffel in der Rechten, fing sie an zu kreischen und zu schreien, immer lauter, immer wütender, und schleuderte mit ihrer grellen Stimme den Eindringlingen einen schauerlichen Hagel der greulichsten Schimpfwörter entgegen.

Die Krieger stutzten, – hielten inne, – wollten antworten, – brachten aber kein Wort an. Sie murmelten sich gegenseitig einige halblaute Bemerkungen zu, nahmen ihre Bündel unter den Arm und zogen ab, beschämt wie begossene Pudel, verfolgt von dem alles übertönenden Verwünschungstrommelfeuer der siegreichen Amazone und dem höhnischen Lächeln der Zuschauer, die aus allen Luken auftauchten.

Wir waren befreit und dankten Gott.

Des Schiffsmeisters Bedenken.

Der Dschunkenmann wischte sich den Schweiß von der Stirne und flüsterte durch eine Fuge: «Bu pa, dsulio! Nur keine Angst mehr, sie sind fort!»

Nach einer Weile kam er wieder, streckte den Kopf herein und sagte: «Bu pa! Fürchtet euch nicht! Ich möchte, bitte, nur fragen, ob eure Köchin auch Nonne werden will.»

«Ich denke ja, sie ist schon lange bei den Schwestern in Changsha.»

«Aber warum interessierst du dich so dafür?»

«Je nun, sie hat ihre Sache recht gut gemacht, indem sie die frechen Halunken verjagte, aber es ist doch besser, daß sie ins Kloster geht, denn,» fügte er schmunzelnd hinzu, «es würde sehr schwer halten, ihr eine ebenbürtige Schwiegermutter zu finden!! ...»

Mali ja aber, die Heldin des Abends, hantierte ruhig weiter, und mit ihrer gewohnten Geduld und Pflichttreue machte sie jeden Tag auch Fortschritte in der Kochkunst, nachdem sie sich in der Kriegskunst so gut bewährt hatte.

So verlief die Reise immer gemütlicher. Wir durften von jetzt an, da die Soldaten brav geworden, auch etwas hinausschauen und uns weiden an der schönen Uferlandschaft mit ihren roten Felsenklüften, zierlichen Palmensträuchern und besonders den herrlichen, dunkelgrünen Orangenhainen, deren goldene Früchte so einladend herüberwinkten.

Nur einmal noch wollten drei Landsknechte, die offenbar von der zerschmetternden Niederlage ihrer Kameraden nichts wußten, einen Besuch auf unserm Schiff machen, aber eine einzige Salve vom Heck her genügte, sie zu einem strategischen Rückzug zu veranlassen.

Gegen etwaige Angriffe der hin und wieder am Strande auftauchenden Banditen hielt der Schiffsmann ständig treue Wacht und bot auch unser rascher Dampfer mitten im Fluß einen guten Schutz.


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