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9. Karitas und Philantropie.

Trostlose heidnische Anschauungen. – Trübe Zisternen und lebendige Quellen. – Der Vater der Lüge am Werke. – Nach berühmten Mustern. – Der Altheiden gesunder Menschenverstand beschämt der Neuheiden blind-wütigen Gotteshaß. – Samaritan und Apostel.


Also auf ganz heidnischem Boden dürfen die Missionärinnen ernten, wöchentlich 30–40 Taufen spenden in drei Asylen für Obdachlose, die durchschnittlich 2000 dieser Aermsten einen Unterschlupf gewähren. Die nicht unbedeutenden Kosten werden von der Gemeinde oder öffentlichen Körperschaften bestritten, die natürlich sämtlich heidnisch, aber fortschrittlich gesinnt sind und wohl auch etwas menschlich Gutes wollen.

Zwei Fragen drängten sich uns auf: erstens, wie die Heiden überhaupt auf den Gedanken kamen, solche Wohltätigkeitsanstalten zu eröffnen; und zweitens, wie sie die katholische Mission frei gewähren lassen, dortselbst Propaganda zu machen.

Wir waren hier am richtigen Orte, um von erfahrenen Kennern des uns in vieler Hinsicht so rätselhaften Volkes über diese und andere Probleme eine zuverlässige Auskunft zu erhalten.

Trostlose heidnische Anschauungen.

Wenn schon das Heidentum im allgemeinen von sich aus kein Herz hat für fremdes Leid, so erst recht gar nicht der kalt berechnende, materialistisch eingestellte Chinese. Vielfach fehlt sogar seiner Sprache der Ausdruck für Barmherzigkeit. Dagegen begegnet man der Anschauung, Armut und körperliche Gebrechen, besonders unheilbare, seien eine Strafe der Götter für vergangene Missetaten, ein Vorspiel zu den noch größeren Züchtigungen in der zukünftigen Welt.

Da ist es ganz folgerichtig, daß man sich solche Verworfene vom Leibe hält, ihnen vorsichtig aus dem Wege geht, sie ihrem Schicksal überläßt, bis Selbstmord oder irgendeine «Medizin» sie und die Gesellschaft von dem Uebel befreit.

Wenn wir trotzdem hie und da auf Wohlfahrtseinrichtungen stoßen, so werden wir bei näherer Prüfung immer finden, daß die Anregung dazu von außen kam, und daß sie, wie wir es hier gesehen, tote, kalte, rein mechanische Nachbildungen sind, ohne Sinn und Seele, eine Verkörperung fremder, unverstandener Ideale. Darauf weist schon der Umstand hin, daß sie spärlich und neueren Datums sind. – Von zwei Seiten kam die Anregung:

Aus trüben Zisternen und lebendigen Quellen!

Durch den Kontakt mit der europäisch-christlichen Kultur, der seit einem Jahrhundert immer intensiver geworden, lernten die Chinesen die öffentliche Wohlfahrtspflege kennen und bewundern, ohne sie in ihrem eigentlichen Wesen zu erfassen. Denn sie wurde ihnen unter falscher Etikette gezeigt, als Errungenschaft des humanitären Fortschrittes und der Zivilisation. Und China will ja im Konzert der Völker mitspielen und als moderner Kulturstaat gelten.

Es war also nicht angängig, das menschliche Elend in seiner grauenhaften Wirklichkeit öffentlich herumschleichen- und liegen zu lassen, namentlich nicht an Plätzen, zu denen Ausländer Zutritt haben. Daher die genannten Kinder- und Obdachlosenheime.

Eine andere, vielleicht mächtigere und sicher ältere Anregung kam von den Missionen, welche das Land mit einem dichten Netz von Karitaswerken überziehen. Denn wo immer das Kreuz aufgepflanzt wurde, da sproßte in seinem Schatten auch bald die Wunderblume der Karitas. Der Predigt des Wortes folgte überall die Predigt der Tat.

«Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!» Matth. 25, 40.), das ist jener schöpferische Paragraph, der das Angesicht der Welt erneuert, der mitten in der trostlos wilden Wüstenei erquickende Oasen hervorzaubert.

Der Vater der Lüge am Werk.

Staunend sahen die Heiden, mit welcher Liebe die Missionäre weggeworfene Kinder, verstoßene Krüppel sammelten, hegten und pflegten, und das ohne jeden sichtlichen Profit. Sie kannten die übernatürlichen Motive des Glaubens nicht, der in jedem Unglücklichen den Bruder in Christo sieht, der sich mit ihm sogar identifiziert: «Was ihr einem dieser Geringsten tut, das habt ihr Mir getan».

Sie verfielen aufs Raten und Argwöhnen und, geblendet vom Geiste der Lüge, ersannen sie die unsinnigsten Hirngespinste. So erklärte z. B. ein weißbärtiger Dorfschulmeister mit sokratischem philosophischem Ernst seinen staunenden Mitbürgern, die Missionäre würden Alteweiberseelen abfangen und an die europäischen Ingenieure verkaufen; diese sperrten dieselben in ihre Dampfkessel, um sich deren Geisterkräfte als Motoren dienstbar zu machen! ...

Diese tollen Phantasien erklärten gleichzeitig die Wundergewalt der fremden Technik und das Fauchen und Pusten der Maschinen, das ja dem schnaubenden Gekreisch zänkischer Xanthippen nicht so ganz unähnlich sein soll. Jedenfalls erschienen diese und ähnliche Deutungen den Heiden immer noch glaubwürdiger und faßbarer, als das übernatürliche Geheimnis uneigennütziger, opferwilliger Karitas, die ja im letzten Grunde die Torheit des Kreuzes ist, vor der schon größere Philosophen stutzig und kopfscheu geworden.

Es war ein leichtes, die blinde Volkswut gegen die vermeintlichen Verbrecherhöhlen aufzuhetzen.

Aber Lügen haben kurze Beine, die Wahrheit hat immer den Endsieg. Die Anstalten stehen und standen bekanntlich jedem ehrlichen Besucher offen. Die von ihnen betreuten Insassen sind die beredtesten Zeugen gegen böswillige Verleumder.

Es fehlte auch nicht an ernsten Beobachtern, welche das selbstlose Wirken der Mission bewunderten und hochachteten, wenn sie auch nicht immer bis zum Urquell, dem wahren Glauben, vordrangen.

Nach berühmtem Muster

Das sind die beiden Hauptquellen, aus denen die Anregung zu gemeinnützigen Fürsorgeanstalten kamen.

Aber wie alle unverstandenen Nachahmungen blieben sie kalte Zerrbilder, ohne Hauch und Leben. – – –

Nicht nur die Bienen, auch die Wespen bauen Waben, doch fehlt der süße Honigseim.

Wie aber erlangte die Mission hier – und auch an andern Orten – Zutritt in diese heidnischen Liebeswerke?

Die Oberin sagte uns, anfänglich sei der Mission jede Propaganda an diesen Stätten verboten gewesen, denn die Herren, die im Ausland gewesen oder ausländische Kulturfragen studiert hatten, wollten nicht, daß die reine Philanthropie durch religiöse Einflüsse gestört würde. Gewissensfreiheit, Denkfreiheit, Freiheit, wie die Loge und ihre tyrannische Lügenlogik sie versteht, sollte herrschen. Man handelte ja nach berühmten Vorbildern hochzivilisierter Länder, wo diese hochheilige Laizität von den Tagesgötzen als unantastbares Gesetz gepriesen und gehandhabt wird, den Leidenden zum Entsetzen, dem Teufel zum Ergötzen.

Indes die christliche Atmosphäre läßt sich doch nicht über Nacht durch Laiengesetze aus ihrem jahrtausendalten, von ihr gemodelten Milieu verbannen. Des Himmels Lichter können wohl verfinstert, aber nicht ausgelöscht werden. Daher dringen doch noch Lichtbündel in die vom Laizismus abgeriegelten Räume religionsloser Wohlfahrtswerke.

Hier im Heidenland ist leider die Umgebung ungünstiger.

Die Schwestern verzagten nicht. Jahrelang beteten und opferten sie, um den Aermsten der Armen wenigstens die letzten Tröstungen der wahren Religion zu verschaffen.

Durch ihre Töchterschule gewannen sie Beziehungen zu besseren Kreisen, ihre aufopfernde Liebestätigkeit im Dispensarium und bei den Hauskrankenbesuchen, die unter ihrer Obhut froh und glücklich emporwachsenden Findelkinder – das alles machte allmählich doch Eindruck auf die Notabeln, die natürlich mit dem den Chinesen eigenen Scharfblick das Wirken der Mission beobachteten.

Da war trotz allen Spürens und Spähens alles lauteres Gold selbstloser Liebe; die Vorurteile fielen, es siegte die gesunde Vernunft, die edleren Instinkte der Menschlichkeit. Sie stellten Vergleiche an mit den Laienwerken, die eisig, öde blieben, weil ihnen die Seele und die Sonne fehlten. Hinfort sollte nichts mehr die Missionärinnen hindern, auch in die finstern Verliese heidnischer Philanthropie Licht, Trost und Wärme christlicher Karitas zu tragen.

So beschämt der Altheiden gesunder Menschenverstand der Neuheiden blindwütigen Gotteshaß.

Man muß es den dortigen Heiden nachrühmen, daß sie Herz und Verständnis genug aufbrachten, das Gute nicht zu verhindern, während so viele «zivilisierte» Machthaber in verbohrtem Wahnwitz, blindem Gotteshasse und stolzer Verstockung nicht nur selbst dem Licht den Rücken kehren, sondern als Handlanger der dunkeln Mächte das Kreuz des Heils zerschlagen und aus der Schule bannen und mit teuflischer Bosheit dem Kind, den Kranken, den Sterbenden, den letzten Rettungsanker entreißen. Das ist echte Neutralität!! –

Im Osten hoffnungsfrohes Morgendämmern des Heiles, der aufgehenden Sonne, die den Tag kündet, im Westen verglimmendes Abendrot einer untergehenden Sonne! Kampf gegen den Heiland und am Ende Nacht und Schrecken. – –

Außer dem Kontrast zwischen Philanthropie und Karitas lernten wir hier noch die hohe Bedeutung der letzteren als stete Begleiterin und oft sogar Wegbereiterin des Evangeliums kennen.

Für wieviele Heiden ist das wunderbare Wirken der Karitas der Anstoß, die christliche Religion näher kennen zu lernen. Der Ausruf der heidnischen Römer: «Seht, wie sie einander lieben!» tönt auch heute noch nach.

Samaritan und Apostel.

Allerdings darf man nicht einseitig sein, sondern muß auch den andern apostolischen Arbeitern ihre Vorrechte lassen.

So willkommen nämlich die unmittelbaren Früchte der Wohltätigkeitsanstalten, wie z. B. die vielen Taufen von Kindern und Sterbenden auch sein mögen, so erfordern diese Werke einesteils meist große finanzielle Opfer und bleiben anderseits doch nur ein Hilfsmittel, ein sehr mächtiges zwar, zur Erreichung des eigentlichen und hauptsächlichsten Missionszieles. Dieses ist und bleibt die direkte Verkündigung der Heilswahrheiten, die Christianisierung der heidnischen Völker, die Einrichtung einer bodenständigen Kirche. Eine solche kann aber nicht aufgebaut werden lediglich aus Findelkindern und Krüppeln, sondern aus der gesunden, normalen Familie.

Nur durch die gründliche Bekehrung der Familien, ihre Organisierung in Gemeinden und Pfarreien, wird die Kirche lebenskräftig und fähig, sich selbst zu erhalten, zu wachsen und den feindlichen Gewalten zu trotzen.

Das erfordert eine lange, geduldige Arbeit, aber eine Arbeit voller Segen nicht nur für die vielen Generationen der durch sie Bekehrten, sondern auch voller Verdienste für den Glaubensboten und alle jene, die an diesem göttlichsten aller Werke irgendwie teilnehmen.

siehe Bildunterschrifr


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