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III.
Weiterfahrt ins Herz Chinas.

Nach Hunan! das war von Anfang unsere Losung, war schon drei Jahre unser Reiseziel gewesen, das wir nie aus dem Auge verloren. Allein wie einst die Israeliten an den Grenzen Kanaans hin- und herzogen, um eine günstige Gelegenheit zu erspähen, in das Land der Verheißungen vorzudringen, 40 Jahre lang, so wurden auch wir immer wieder in unsern Hoffnungen getäuscht; Hunan, das Land unserer Sehnsucht, blieb uns verschlossen.

Wenn wir in Hwangshihkang auch von Gefahren umgeben waren, so hatten wir doch den Vorteil, nicht in einer wasser- und brotlosen Wüste umherirren zu müssen, sondern wir waren in einem trauten und lieben Heim, inmitten treusorgender Mitschwestern, sodaß wir fast mit dem hl. Petrus hätten ausrufen mögen: «Herr, hier ist gut sein!».

Aber wir waren ja nicht gekommen, um es gut zu haben ...

Nach der Banditengefahr hemmten uns die ungewöhnlich widrigen Wetterverhältnisse, mit denen man beim Reisen hier rechnen muß. Mit ihren Stoffschuhen sind die Chinesen einfach nicht zu bewegen, über die schlüpferigen Lehmpfade zu marschieren, und mancher Ausländer, der diese weise Sitte mißachtete, mußte teures Buß- und Lehrgeld zahlen.

Weil unser Weg durch gefährliche und ganz unbekannte Gegenden ging, so sollten wir unter Führung zweier amerikanischer Patres, deren Ziel gleichfalls in Hunan lag, die Reise machen.

1. Die Abreise von Hwangshihkang.

Mit Fahrplan, Kalender und Uhr. – Nur immer hübsch langsam. – Die Haupttugend in der Mission. – Eile mit Weile! – Im Laufschritt unter Fröscheknallen. – Endlich auf dem Dampfer. – Auf dem Sampan zur Dreistadt.


Wir hatten noch gut tausend Kilometer zu durchwandern, und diesmal sollten wir mit der ganzen Romantik chinesischer Reisemethoden bekannt werden in einem fortwährenden Crescendo, – oder Descrescendo, wie man will, – vom modernen Passagierdampfer bis hinab zum primitiven Tragstuhl und des Schusters Rappen.

Fahrplanmäßig hätten wir in spätestens einer Woche am Ziele sein können, da eine bedeutende Strecke des Weges mit modernen Verkehrsmitteln ausgerüstet ist.

Mit Fahrplan, Kalender und Uhr.

In unserer europäischen Einfalt hatten wir Tag um Tag, Stunde um Stunde ausgerechnet, sogar mit weitherzigen Zwischenpausen, wie man eben in der Heimat eine mehrtägige Reise vorbereitet mit Fahrplan, Kalender und Uhr.

Alles klappte wunderbar – auf dem Papier.

Nur eine Kleinigkeit war übersehen worden, eine unbekannte Größe, wie die Mathematiker sagen, die sich aber zu einem ungeheuern Rechenfehler auswuchs. Diese unbekannte Größe steht zwar in keinem Rechenbuch, ist aber den Chinesen von Jugend auf bekannt und spielt in ihrem täglichen Leben eine so wichtige Rolle, daß ihre Nichtbeachtung das größte mathematische Genie aus dem Gleichgewicht bringen kann.

Nur immer hübsch langsam!

Diese unbekannte und unberechenbare Gewalt heißt: Maen maendi, d. i. Nur hübsch langsam! nur immer sachte! nur nicht zu schnell!

Mit seinem «Maen maendi» trotzt der Chinese wie aus einer Feste von Daunenkissen den Zornesblitzen des draufgängerischen Europäers, und folgt behaglich dem ringelnden Rauch seines Pfeifchens und träumt seelenruhig von der kommenden Weltherrschaft der Rasse mit den stärksten Nerven. Maen maendi! – – –

Die Haupttugend in der Mission.

Wer also in China friedlich wohnen, fruchtbar wirken und fröhlich wandern will, der darf beileibe nicht unterlassen, sich mit einem dreifachen Panzer von Geduld zu wappnen.

Wir hatten schon einige Wochen an dieser Missionshaupttugend studiert, mußten aber noch viel dazu lernen.

Unsere Hunangruppe war reisefertig. –

Ein Telegramm berief uns für den 14. Januar nach Wuchang. Gewöhnlich fahren jeden Abend 3-4 Dampfer vorbei. Nur heute nicht. Reisekoffer und -körbe lagen am Ufer. P. Leo und seine Leute hielten wachsamen Ausguck nach dem Schiff, dessen Kommen durch Wimpel und Lichter am Semaphor (Signalmast) vorausverkündet wird. Doch nichts regte sich. Nur drinnen im Klösterlein herrschte hochgradiges Reisefieber.

Alle Schwestern versammelten sich zum letzenmale. Eine eigentümlich wehmütige Stimmung lag auf jeglichem Gemüte. Hier im fremden Land, wo ringsum Gefahren lauern, werden die Familienbande schwesterlicher Liebe viel inniger und fester. Der einen Leid ist aller Leid, der einen Freud ist aller Freud: ein Verbundensein auf Leben und Tod. Jetzt kommt die Trennung, nach menschlichem Ermessen eine Trennung auf Nimmerwiedersehen in diesem Leben.

Welches Opfer war größer, das der Bleibenden oder das der Scheidenden? Gott allein weiß es. Obwohl heimlich manche Träne floß, so bemühten sich doch alle, recht großmütig zu sein und der letzte Abend verlief franziskanisch froh.

Eile mit Weile!

Immer noch kein Schiff. Mitternacht fand uns in der Kapelle. Um 1 Uhr hl. Messe. Um 2 Uhr vom Strande her der Ruf: «Dampfer in Sicht!»

Noch hatten nicht alle das Haus verlassen, da winkte P. Leo zurück: «Es ist nur ein Cargoboot (Frachtschiff).»

Also Kehrt! Diesmal waren die Nachzüglerinnen im Vorteil.

Um 7 Uhr wieder hl. Messe. Dann an die Arbeit, oder zur verspäteten Ruhe; denn fahrplanmäßig war vor dem Abend kein Schiff mehr zu erwarten.

Und, – vielleicht eben deswegen, – kam es doch! Kurz vor 10 Uhr scholl ein Kommando durchs Haus, das alle Zellen öffnete: «Zum Fluß!»

Im Laufschritt unter Fröscheknallen!

Der Abschied war kurz. Was laufen konnte lief mit, unter dem Abbrennen der unvermeidlichen Knallfrösche.

Unser Gepäck war schon auf der Barke, und bald ruderten wir gegen die Mitte des Stromes an den Dampfer «Nanking» hinan. Kaum waren wir oben, so setzte auch schon das Poltern der Maschinen ein, sodaß zwei Missionsdiener, die etwas zu «maen maendi» gewesen, nicht mehr hinabsteigen konnten und wohl oder übel mitreisen mußten. Für den Angelsachsen ist Zeit Geld – «Time is money». –

Auf dem Schiff war es behaglich warm, sowohl im Salon als in den Kabinen, was uns nach dem wochenlangen Aufenthalt in dem feuchtkalten, feuerlosen Klösterlein sehr willkommen war.

Die Fahrt führte durch einförmiges Flachland. Nur hie und da lag ein Lehmdorf zwischen den abgeernteten Feldern, oder erhoben sich einsame gewölbte Hütten, wie große Bienenkörbe. Das sind die Wohnungen der armen Bauern und Pächter und Fischer, nicht selten auch der Missionäre, die unter diesen armen Leuten wirken.

Wegen einer wandernden Sandbank konnte unser Schiff an jenem Abend nicht mehr am Flußdamm anlegen, und wir verbrachten die Nacht an Bord, wo es ja nicht unbequem und dazu noch kostenfrei war.

Aber am Morgen hatten wir Eile, mittels Sampans an den Strand zu gelangen. Wir waren in Hankow.


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