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Zwanzigstes Kapitel

Sind Sie jetzt befriedigt? Haben Sie erreicht, was Sie wollten? fragte Sweetwater, als sie sich aus dem Bereich der Küste genügend entfernt hatten, und die Stimme, die noch einige Male von der Zufahrt her ertönt war, sich nicht mehr hören ließ.

Jawohl. Sie sind ein tüchtiger Kerl. Man hätte es nicht besser machen können. – Dann fuhr er fort, nach einer Pause, die viel zu lange und gedankenvoll war, um Sweetwaters Gefallen zu erregen, der vor Neugier, vielleicht noch einem tieferen Gefühl brannte: Was war denn das für ein Licht, das Sie anzündeten? Ein Streichholz? –

Sweetwater antwortete nicht. Er wagte es nicht. Er konnte doch nicht von seiner elektrischen Taschenlaterne sprechen, die er als Detektiv bei sich trug. So durfte er sich nicht verraten. Daher überhörte er scheinbar diese Worte und stellte rasch selber eine Frage:

Sind Sie jetzt bereit, zurückzufahren? fragte er. Ist unsere Arbeit hier erledigt? –

Er hatte den Blick scharf nach vorne gerichtet und lauschte angestrengt, während er dies sagte. Das unterbrochene Abenteuer war noch nicht zu Ende, ob ihre eigene Arbeit nun erledigt war oder nicht.

Herr Grey zögerte mit der Antwort; seine Blicke folgten denen Sweetwaters.

Wir wollen abwarten, sagte er schließlich in einem Tone, der Sweetwater überraschte. Wenn er auf Flucht sinnt, muß ich mit ihm reden, bevor er die Barkasse erreicht. Auf jeden Fall! fügte er nach einer kurzen Ueberlegung hinzu.

Wie Sie befehlen! Wie schlagen Sie vor, daß – –

Sweetwater wurde durch einen schrillen Pfiff vom Ufer her unterbrochen. Augenblicklich, als hätten sie dieses Zeichen erwartet, tauchten die zwei Männer im Ruderboot vor ihnen ihre Ruder ins Wasser und fuhren auf die Küste zu, in der Richtung nach der Fabrik.

Sweetwater machte keine Bemerkung, aber er hielt sich bereit.

Herr Grey schwieg ebenfalls, doch die Linien seines Gesichts schienen sich im Mondscheine zu vertiefen, als das Boot rasch durch das Wasser glitt, auf ein halb Dutzend Bootslängen an ihnen vorbeifuhr und in dem Einfahrtsbogen unter dem Gebäude verschwand.

Jetzt vorwärts! rief er. Und zwar zur Barkasse. Wir wollen ihnen die Rückfahrt abschneiden! –

Sweetwater, der bereits im Vorgenuß des Kommenden schwelgte, folgte dem Befehl. Das Boot flog mit ihnen hinaus, und in wenigen Minuten schon waren sie weit in der Bucht draußen.

Sie kommen! flüsterte Sweetwater scharf, als er bemerkte, wie Herr Grey unruhig zurückblickte. Wie weit soll ich noch zufahren?

Soweit, daß wir die Barkasse eben anrufen können! –

Sweetwater, der die Entfernung auf einen Blick hin abschätzte, stoppte am richtigen Ort und blieb, die Hände auf den Rudern, ruhig sitzen.

Aber seine Gedanken waren nicht so unbeschäftigt. Er erkannte, daß er im Begriffe stand, Zeuge einer Unterredung zu werden, deren Wichtigkeit er wohl erfaßte. Wieviel würde er davon vernehmen? Wie würde sie enden, und wie mußte er seiner Pflicht gemäß dabei handeln? Er wußte, daß die New Yorker Polizei diesen Wellgood suchte, aber er hatte keinen Haftbefehl gegen ihn, wenn er auch in der Lage war, ihn festzunehmen. Etwas mehr als ich mir versprochen habe, dachte er bei sich.

Aber ich wollte ja Aufregung; jetzt habe ich sie. Wenn ich nur den Kopf auf dem Hals behalte, so kann ich daraus etwas machen, wenn ich nicht gar alles herauskriege! – –

Mittlerweile hatte sich das dritte Boot ihnen wieder genähert. Er erkannte genau die drei Gestalten, und konnte Wellgoods Haupt von denen der anderen unterscheiden. Es trug einen entschlossenen Ausdruck; das Gesicht, auf dem, zu seinem sichtlichen Unbehagen, der volle Mondschein ruhte, verriet, daß er weder ein Patentmedizinfabrikant, noch ein harmloser Kellner sei – – davon war der Detektiv überzeugt – – sondern ein entschlossener, verschlagener, kraftvoller Mensch, kurzum, kein anderer, als der, dem er im Fairbrotherschen Haus begegnet war, und dessen unheilvollen, beinahe mörderischen Fähigkeiten er selber fast am eigenen Leib erfahren hätte.

Trotzdem er diese Entdeckung nicht erwartet hatte, verminderte sie nicht das Bewußtsein, wie wenig Bewegungsfreiheit er selbst hatte. Er konnte wohl Zeuge der in Aussicht stehenden Szene werden, aber die Hände waren ihm gebunden. Er mußte Herrn Greys Anordnungen befolgen, ohne selbst eingreifen zu können. Der Detektiv mußte sich auch weiterhin im Diener verbergen, so schwer ihm dies fiel, und so sehr sich der selbstbewußte junge Mann seiner Stellung als Diener schämte.

Mittlerweile hatte Wellgood sie erblickt und seinen Ruderern zugerufen, zu stoppen.

Platz da, rief er. Wir wollen nach der Barkasse und haben Eile.

Es ist jemand hier, der Sie zu sprechen wünscht, Herr Wellgood, rief Sweetwater zurück, so höflich er konnte. Soll ich Ihren Namen angeben? fragte er leise Herrn Grey.

Nein. Ich besorge das selbst! – Dann erhob er seine Stimme und rief dem anderen zu: Mein Name ist Sir Percival Grey von Darlington Manor, England. Ich möchte ein Wort mit Ihnen reden, ehe Sie sich einschiffen.

Eine Veränderung, rasch wie ein Blitz und fast ebenso gefährlich, ging auf dem Gesichte vor sich, das Sweetwater mit peinlicher Aufmerksamkeit beobachtete; aber als der andere nichts zu seinen Worten hinzufügte und nur auf eine Antwort zu warten schien, zuckte Wellgood mit den Achseln und befahl seinen Ruderern mit unterdrückter Stimme, weiterzufahren.

Im nächsten Augenblick stießen die zwei kleinen Boote zusammen.

Infolge eines gewandten kleinen Kniffs der Wellgoodschen Leute kam sein Boot so zu stehen, daß Wellgood den Mond im Rücken hatte.

Herr Grey beugte sich zu Wellgood hinüber, und so kam auch sein Gesicht in den Schatten.

Donnerwetter, dachte der Detektiv. Das hätte ich bedenken sollen! Aber wenn ich auch nichts sehen kann, werde ich wenigstens hören.

Aber darin hatte er sich getäuscht. Die beiden Männer redeten in so leisem Flüstertöne miteinander, daß nur ihre Spannung erkennbar wurde. Kein einziges Wort gelangte bis zu Sweetwaters Ohr.

Donnerwetter, dachte er wieder; das ist schlimm!

Aber es blieb ihm keine Zeit übrig, über seine Enttäuschung nachzudenken. Denn jetzt hatten sich, wie es schien, diese zwei Männer, die so verschieden in ihrem Bildungsstand, ihrer Stellung und ihrer äußeren Erscheinung waren, geeinigt. Wellgood, der bisher die Arme auf der Brust gekreuzt hatte, fuhr mit den Händen in die Taschen, suchte darin herum und zog dann etwas heraus, das er Herrn Grey übergab.

Das veranlaßte Sweetwater, seine Aufmerksamkeit noch zu steigern; zu seinem Erstaunen beugten sich beide nach vorn über ihre Knie und taten etwas Seltsames, das er in keiner Weise zu erraten vermochte, bis sie wieder beide die Hände einander zustreckten. In diesem Augenblick sah er ein Papier schimmern und erkannte, daß sie offenbar Briefe oder Notizen ausgetauscht hatten.

Diese mußten wichtige Mitteilungen enthalten, denn beide suchten augenblicklich ihren Zettel zu entziffern, indem sie ihn ins Mondlicht hielten.

Daß beide davon befriedigt waren, ging aus ihren darauffolgenden Bewegungen hervor. Wellgood steckte seinen Zettel in die Tasche und befahl seinen Leuten, weiterzufahren.

Uebermorgen mittag! rief Herr Grey zu dem anderen Boote hinüber. Jawohl, antwortete Wellgood in mürrischem Tone. Vorwärts!

Die Ruderer gehorchten, und eine silberne Linie im Wasser bezeichnete bald darauf den Weg, den ihr Boot genommen hatte. Herr Grey dagegen hielt den Zettel in der Hand und schien zu träumen. Aber sein Auge war nach der Küste gerichtet, und er wandte sich nicht einmal um, als man die Barkasse abdampfen hörte.

Sweetwater griff in die Ruder und fuhr sachte auf jenen Punkt der Bucht zu, wo ein kleines, flackerndes Licht die Lage des Bootshauses verriet.

Er hielt die Augen unverwandt auf das Papier gerichtet und hoffte, Herr Grey würde sprechen und er möchte irgend einen Anhaltspunkt entdecken, um die Gedanken seines Herrn zu erraten. Aber der Engländer blieb stumm wie ein Bildwerk sitzen. Er bewegte sich erst, als ein Windstoß, der vom Meer hereinwehte, ihm plötzlich das Papier ans der Hand riß und es über Sweetwater hinwegblies. Dieser versuchte vergebens, den Zettel zu fassen, als er in das Wasser flatterte. Einen Augenblick schaukelte das Papier auf den Wellen, um dann zu verschwinden.

Sweetwater entfuhr ein Ausruf, ebenso Herrn Grey.

Ist das Papier wertvoll? fragte der Detektiv, indem er sich über den Bootsrand beugte und mit dem Ruder darnach fischte.

Jawohl; aber wenn es verloren ist, schadet es auch nichts, erwiderte der andere etwas betreten. Wie leichtsinnig von mir – wirklich, zu dumm ... aber ich dachte eben an – –

Er unterbrach sich. Seine Aufregung war offenkundig, aber er ermutigte Sweetwater zu keinem weiteren Versuch, den verlorenen Zettel wiederzufinden.

Ein solcher Versuch hätte auch keine Aussicht auf Erfolg gehabt; das Papier war verschwunden, und es blieb ihnen nichts anderes übrig, als ihren Weg fortzusetzen. Hierbei wäre es schwer gewesen, zu sagen, in wessen Brust der Kummer größer war. Sweetwater hatte eine Gelegenheit verpaßt, wie sie sich nie wieder bieten würde, und Herr Grey – wer konnte wissen, was er verloren hatte?

Er verharrte in seinem Schweigen und war jetzt, wie aus seinem veränderten Benehmen klar hervorging, sehr begierig, rasch zu landen und dem zweifelhaften Abenteuer ein Ende zu machen.

Als sie das Bootshaus erreichten, überließ es Herr Grey seinem Diener, die Mietgebühr für das Boot zu entrichten, und bestieg sofort den Einspänner, den sie hier zurückgelassen hatten.

Der Vermieter hielt das Boot an der Kette und schickte sich an, es auf das dafür bestimmte Brett heraufzuziehen. Als Sweetwater sich ihm zuwandte, um ihm sein Geld zu geben, sah er zufällig eine der Bootsseiten, die vom Mondlicht hell beleuchtet war. Da fuhr er auf, eilte auf das Boot zu und löste von dem triefenden Kiel ein kleines Stück Papier ab. Zwar zerriß es bei dieser Bemühung, und einen Teil davon konnte er nicht losbekommen, aber den Rest verbarg er vorsichtig in der Linken, bestieg dann das Gefährt und lenkte es in scharfem Trab ins Hotel.

Im Büro des Hotels entnahm Herr Grey seiner Brieftasche eine Banknote und übergab sie dem Detektiv, der den feuchten und vielleicht unleserlichen Zettel immer noch in der Linken verborgen hielt.

Hier ist Ihr Lohn, sagte Herr Grey. Ich bin sehr froh, daß ich Ihnen begegnet bin. Sie haben mir wirklich ausgezeichnete Dienste geleistet. –

In seinem Gesichte lag eine Ungeduld und eine Hast in seinen Bewegungen, die Sweetwater auffiel.

Soll das heißen, daß Sie meine Dienste nicht mehr benötigen? fragte Sweetwater. Daß Sie mich entlassen?

Jawohl, ich danke Ihnen, erwiderte der Herr. Ich werde den Nachtzug nehmen. Ich sehe, daß ich noch Zeit dazu habe.

Sweetwater war wie umgewandelt, als sich Herr Grey entfernt hatte. Er stürmte auf sein Zimmer, drehte das Gas an und begann das Stückchen Papier zu glätten, das in seiner Hand langsam getrocknet war. Würde es ein unbeschriebenes Stück sein? War gerade der beschriebene Teil von den Fluten verschlungen worden? Wie oft hatte er solche Enttäuschungen erlebt!

Aber dieses Mal sollte ihm das Glück weniger ungünstig gesinnt sein.

Allerdings war der größere Teil der beschriebenen Partie verschwunden, aber auf seinem Zettel stand noch ein Wort. Kaum hatte er es gelesen, so fuhr er eilig auf und rüstete sich, mit demselben Zug nach New York zu fahren, wie Herr Grey.

Das Wort lautete nämlich: Diamant.


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