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Viertes Kapitel

Beim Anblick des purpurnen Spritzers auf dem weißen Hemd starb meine Liebe für Anson Durand dahin; zum wenigsten kam es mir so vor. In diesem Blutflecken auf der Brust des Mannes, dem ich mein Herz geschenkt, konnte ich nur eins lesen: Schuld, erbarmungslose Schuld, die erst noch verleugnet worden, aber nun in einer Schrift sich verraten hatte, die für jeden Menschen sichtbar und verständlich war. Warum mußte ich auch bei dieser Entdeckung zugegen sein? Hatte mir nicht der Inspektor selbst geraten, wegzugehen?

.

Doch! Aber eine andere Stimme hieß mich verweilen. Gerade, als ich die Türe erreichte, fand Anson Durand seine Stimme wieder, und ich hörte in den vollen und wohltönenden Lauten, die ich so innig liebte, die Worte:

Warte! Ich werde mich nicht in dieser Weise verurteilen lassen. Ich werde eine Erklärung abgeben!

Aber hier fiel der Inspektor ein.

Halten Sie es für weise, einen solchen Versuch ohne den Rat Ihres Rechtsbeistands zu machen, Herr Durand?

Die Empörung, in der sich Herr Durand gegen ihn wandte, fachte wieder eine schwache Hoffnung in mir an.

Großer Gott, jawohl! rief er. Glauben Sie denn, ich lasse Fräulein Van Arsdale eine Minute länger, als nötig ist, in solch schrecklichen Zweifeln? Rita – Fräulein Van Arsdale – Schwäche, und Schwäche allein hat mich in meine gegenwärtige Lage gebracht. Ich habe Frau Fairbrother nicht getötet, noch habe ich wissentlich ihren Diamanten an mich genommen, trotzdem der Schein gegen mich spricht, wie ich sehr bereitwillig eingestehe. Ich bin zu ihr gegangen in den Alkoven, nicht bloß einmal, sondern sogar zweimal; die Gründe dafür sind rasch erzählt. Vor etwa drei Monaten ist ein gewisser, sehr bekannter, enorm reicher Herr zu mir gekommen und hat mich beauftragt, ihm einen Diamanten von hervorragender Schönheit zu verschaffen. Er wollte ihn seiner Frau zum Geschenk machen, und er sprach den Wunsch aus, daß er alle Edelsteine übertreffen sollte, die sich gegenwärtig in New York befinden.

Zu diesem Zwecke sollte ich eine Reise unternehmen, deren Kosten er sich bereit erklärte, auf sich zu nehmen, unter der einzigen Bedingung, daß der Diamant ihn nicht enttäuschen, und daß er sich am 18. März, dem Geburtstage seiner Frau, in seinen Händen befinden würde.

Noch nie hat sich mir eine solch günstige Gelegenheit zum Abschluß eines einträglichen Geschäfts geboten. Natürlicherweise hocherfreut, setzte ich mich sofort mit den bestbekannten Händlern des Westens in Verbindung. Letzte Woche wurde mir ein Diamant zur Verfügung gestellt, der allen Anforderungen zu entsprechen schien. Ich hatte nie einen schöneren Stein gesehen, und ich war demgemäß über meinen Erfolg sehr befriedigt. Da plauderte zufällig jemand – ich weiß nicht mehr, wer es war – in meiner Gegenwart von dem wundervollen Stein, den eine gewisse Frau Fairbrother besitzen sollte, von einem Stein, der so groß, so prächtig in den Farben und so wertvoll war, daß sie ihn nur selten trug, obwohl er den Kennern bekannt war und bei Tiffany einen großen Ruf besaß, zu dem er einmal zu einer Abänderung an der Fassung gesandt worden war. War nun dieser Stein größer und schöner als der, den ich mir mit so vieler Mühe verschafft hatte? Wenn dem so war, so hatten all meine Bemühungen ihren Zweck verfehlt, denn meinem Auftraggeber mußte dieser Diamant bekannt sein, und er wollte einen Diamant haben, der jenen noch überträfe.

Ich war durch diese Möglichkeit so beunruhigt, daß ich beschloß, den Stein auf jeden Fall zu sehen, um die beiden vergleichen zu können. Ich fand einen Freund, der es übernahm, mich bei der Dame einzuführen. Sie empfing mich sehr liebenswürdig, und wir unterhielten uns sehr gut, bis wir auf Diamanten zu sprechen kamen. Da wurde sie augenblicklich in ihrem Benehmen sehr zurückhaltend, und sie gab mir nicht die geringste Gelegenheit, eine diesbezügliche Bitte vorzubringen. Im übrigen war sie indes sehr zugänglich und leutselig, so daß es mir nicht schwierig war, die Bekanntschaft mit ihr fortzusetzen, bis wir schließlich beinahe auf einem freundschaftlichen Fuß miteinander standen. Aber ich habe den Diamanten niemals gesehen, noch gelang es mir, die Rede darauf zu bringen, trotzdem ich sie eines Tages nicht wenig überraschte, als ich vor ihren Augen den Diamanten herauszog, den ich für meinen Auftraggeber erworben hatte, und ihre Aufmerksamkeit darauf lenkte.

Sehr schön, rief sie aus, sehr schön! Aber ich bemerkte an ihrem Benehmen, daß der Stein kein tieferes Interesse bei ihr weckte. Daraus schloß ich, daß er nicht die Eigenschaften besaß, die mir mein reicher Kunde zur Bedingung gestellt hatte. Das war eine schmerzliche Enttäuschung. Da indes Frau Fairbrother ihren Diamanten nie trug, war es trotzdem nicht unmöglich, daß ihn der Diamant, den ich für ihn erworben, dennoch befriedigen würde. Diese Hoffnung veranlaßte mich heute, ihm zu schreiben, er möchte mich morgen früh aufsuchen und sich den Diamanten ansehen. Heute abend war ich zu diesem Ball geladen. Kaum hatte ich den Salon betreten, da hörte ich, daß Frau Fairbrother anwesend sei und ihren berühmten Edelstein trage.

Was sollte ich unter diesen Umständen tun? Selbstverständlich doch, ihn zu sehen versuchen, um eine Antwort auf die Frage meines Auftraggebers zu haben, ob der Stein seinesgleichen in der Stadt habe. Aber um jene Zeit war sie nicht im Salon, und später wurde mein Interesse auf eine andere Weise in Anspruch genommen – bei diesen Worten warf er mir einen Blick zu –, so daß geraume Zeit vorüberging, ehe ich eine Gelegenheit fand, die Dame im sogenannten Alkoven aufzusuchen, wo sie, wie ich bemerkt hatte, ihre Freunde empfing.

Was zwischen uns bei der kurzen Unterhaltung, die wir dort miteinander hatten, vorging, das werde ich, wie Sie sehen werden, erklären, wenn es nötig ist. Das Hauptereignis dabei hatte seine Ursache in einem kurzen Blick, den ich auf ihren wundervollen Diamanten werfen konnte, trotz ihrer Bemühungen, ihn durch allerlei scheinbar natürliche Bewegungen vor mir zu verbergen, sobald sie bemerkte, daß ich meine Aufmerksamkeit von ihrem Gesicht abwenden wollte. Aber jener einzige Blick hatte mir genügt. Der Stein übertraf meine kühnsten Erwartungen. Wie war sie dazu gekommen? Und konnte Herr Smythe erwarten, daß ich ihm einen ebenbürtigen Stein zu verschaffen imstande sei?

In meiner Verwirrung erhob ich mich, um mich zu empfehlen. Aber die Dame schien geneigt, mich zurückzuhalten. Sie begann so lebhaft zu plaudern, daß ich kaum bemerkte, wie sie die ganze Zeit über damit beschäftigt war, ihre Handschuhe auszuziehen. So kam es, daß ich beinahe den Diamanten vergaß – vielleicht, weil sie ihn durch ihre Bewegungen verdeckte. Dies fiel mir erst auf, als sie sich plötzlich vor dem Fenster umwandte, wohin sie mich geführt hatte, um mir das Schneetreiben zu zeigen, und mir ihre Handschuhe mit der koketten Bitte in die Hand drückte, ich solle sie für sie verwahren. Ich erinnere mich, daß ich, als ich die Handschuhe entgegennahm, noch einen zweiten Blick von dem Stein erhaschen wollte, dessen Glanz mich ganz betäubt hatte, aber sie hatte ihren Fächer vor der Brust, so daß ich den Stein nicht sehen konnte. Einen Augenblick später glaubte ich Schritte kommen zu hören und verließ das Gemach. Das war mein erster Besuch. –

Als Herr Durand innehielt, möglicherweise um Atem zu holen, möglicherweise um sich zu versichern, welchen Eindruck seine Aussage auf mich gemacht, ergriff der Inspektor die Gelegenheit, um zu fragen, ob ihm Frau Fairbrother während dieser Zeit einmal den Rücken gekehrt habe. Er bestätigte diese Frage; es war in der Tat der Fall gewesen, als sie am Fenster standen.

Genügte diese Zeit für sie, den Schmuck loszumachen und ihn in die Handschuhe zu stecken, falls sie das beabsichtigte?

Vollständig.

Aber Sie haben nicht bemerkt, daß sie es tat?

Nein.

So nahmen Sie die Handschuhe ohne Argwohn zu sich?

Gewiß.

Und nahmen sie mit?

Unglücklicherweise, ja.

Ohne zu bedenken, daß sie sie vielleicht schon in der nächsten Minute wieder zu haben wünschte?

Ich glaube kaum, daß ich ernsthaft an sie selber dachte. Meine Gedanken weilten bei meiner Enttäuschung.

Haben Sie diese Handschuhe in der Hand behalten, als Sie den Alkoven verließen?

Nein. In meiner Tasche.

So. Und Sie trafen –

Niemand. Das Geräusch, das ich vernommen, muß aus dem Gang hinter dem Gemach gekommen sein.

Es war niemand aus der kleinen Treppe?

Nein. Ein Herr stand unten, neben der Treppe – es war Herr Grey – ein Engländer – aber sein Gesicht war von mir abgekehrt, und es hatte den Anschein, als stehe er seit einigen Minuten schon in derselben Stellung.

Hat dieser Herr – Herr Grey – Sie gesehen?

Ich kann das nicht genau sagen, aber ich bezweifle es. Er schien in Gedanken versunken zu sein. Es waren noch andere Leute in der Nähe, aber niemand, den ich kenne.

Sehr gut. Jetzt erzählen Sie, bitte, Ihren zweiten Besuch, den Sie, wie Sie erklärten, der unglücklichen Dame abgestattet haben! –

Die Stimme des Inspektors klang hart. Ich klammerte mich ein wenig enger an meinen Onkel an. Herr Durand warf mir einen einzigen verzweifelten Blick zu und richtete sich dann auf, als sei er sich bewußt, daß jetzt der ernsteste Teil des Kampfes beginne.

Ich hatte bei meinem übereilten Weggange die Handschuhe ganz vergessen, sagte er. Aber nunmehr erinnerte ich mich daran und geriet bei diesem Gedanken in ein Unbehagen. Es war mir nicht angenehm, das Eigentum dieser Dame bei mir herumzutragen. Eine Stunde zuvor hatte ich mich mit Fräulein Van Arsdale verlobt, und ich war sehr begierig, sie bald wieder zu treffen. Die Handschuhe waren mir lästig, und so beschloß ich schließlich, nach einer kleinen ziellosen Wanderung durch die verschiedenen Räume, zurückzukehren und sie ihrer Besitzerin wieder zurückzugeben. Die Türen zum Speisesaal waren eben geöffnet worden; die Halle war in dem Teile, der in der Nähe des Alkovens lag, verhältnismäßig leer; auf dem gelben Diwan erblickte ich einen Freund mit einer Dame. Da ich wußte, daß er immer zum Necken aufgelegt war, wollte ich ihm gerade jetzt nicht begegnen. Er hatte bereits einen Witz über meine Bewunderung für die Dame mit dem Diamanten gemacht. Daher beschloß ich, sie mittels des anderen Zugangs zum Alkoven aufzusuchen, den die meisten der Anwesenden gar nicht kannten. Ich war schon oft Gast in diesem Hause gewesen; daher war mir dieser Zugang sehr genau bekannt. Eine Türe, die vorübergehend mit Draperien verhängt ist, verbindet, wie Sie vielleicht wissen, diesen Alkoven mit einem Gange, der zu der seitlichen Eingangshalle und den Ankleidezimmern im oberen Stockwerk führt. Daher war es sehr einfach für mich, die Haupttreppe hinaufzugehen und über die Seitentreppe wieder herunterzukommen. Durch einen kleinen gewölbten Gang mußte ich dann zu jener andern Türe gelangen. Wenn keine früh fortgehenden oder spät anlangenden Gäste in der Halle waren, so würde ich überhaupt nur einen Menschen antreffen, den Diener an der Einfahrt. Aber selbst er war um diese günstige Zeit nicht auf seinem Posten, und so erreichte ich die gesuchte Türe, ohne jeden unliebsamen Zwischenfall. Diese Türe ging nach außen, statt nach innen auf – wie ich ebenfalls wußte, als ich diesen unvermuteten Ueberfall plante. Aber als ich sie öffnete und nach dem Vorhang griff, der die Oeffnung völlig verdeckte, fand ich es nicht so leicht, einzudringen, wie ich mir vorgestellt hatte. Die Heimlichkeit meines Vorgehens hielt mir die Hand zurück; dann verrieten mir die scharfen Laute im Innern des Gemachs, daß sie nicht allein war; es fiel mir ein, daß sie vielleicht über meinen unerwarteten Einfall durch eine Türe, die ihr möglicherweise gar nicht bekannt war, sehr ungehalten sein möchte. Ich erzähle Ihnen alle diese Einzelheiten aus dem Grunde, weil – wenn ich zufällig angesichts dieses Vorhanges zögerte, sich Zweifel erheben möchten, die ich gerade zu zerstreuen ängstlich bemüht bin. –

Hier wandte er seinen Blick von mir ab und dem Inspektor zu. –

Ich war natürlich in einer peinlichen Lage, fuhr er fort, das leugne ich nicht; aber ich dachte nicht an solche Aeußerlichkeiten, so sehr war ich darauf aus, meine Absicht zu verwirklichen, der sich plötzlich unerwartete Schwierigkeiten in den Weg stellten. Daß ich lauschte, bevor ich eintrat, war natürlich; ich hörte indes keine eigentliche Stimme, sondern eher einen tiefen Seufzer. Nun wagte ich es, den Vorhang zu lüften, um das Gemach zu betreten. Sie saß, nicht wo ich sie verlassen hatte, sondern auf einem Polstersessel zur Linken des gewöhnlichen Eingangs; sie hatte ihr Gesicht mir zugewandt, und – nun den Rest kennen Sie ja selbst, Herr Inspektor. Es war ihr letzter Seufzer, den ich gehört hatte. Von Entsetzen gepackt – ich hatte nie zuvor dem Tod, geschweige denn einem Verbrechen ins Antlitz geschaut – stürzte ich vorwärts, wohl mit der Absicht, die Treppe hinunterzueilen und um Hilfe zu rufen. Da bemerkte ich plötzlich etwas auf meinem Hemd, etwas Rotes, und ich erkannte, daß ich einen Blutflecken an mir trug. Dies erschreckte und verwirrte mich vollends; es dauerte eine oder zwei Minuten, ehe ich den Mut fand, aufzusehen. Als ich es endlich tat, sah ich, woher der Tropfen gekommen war. Nicht von ihr, trotzdem der rote Strom sich immer noch über die reichen Falten ihres Gewands ergoß, sondern von einem scharfen, nadelspitzen Instrument, das, die Spitze nach unten, in das Gitterwerk einer alten Laterne gesteckt worden war, die nahe bei der Türe hing. Was mir passierte, könnte einem jeden andern Menschen auch widerfahren sein, der zufällig in jenem Augenblicke an dem gleichen Fleck gestanden hätte; aber zu jener Zeit dachte ich nicht daran. Ich bedeckte den Spritzer mit der Hand, eilte zur Türe zurück, durch die ich gekommen war, warf noch einen Blick auf das vom Tod entstellte Gesicht und trat dabei zufällig auf die Porzellanscherben, die auf dem Teppich lagen. Ich dachte nicht an sie, kaum an mich selbst. Ich hatte nur den einen Gedanken, durch das Gemach zu eilen und so insgeheim, wie ich gekommen, zu flüchten, ehe die Portiere, die mich allein von der Haupthalle trennte und geschlossen war, durch irgend einen Neugierigen geöffnet würde. Zum ersten Male war ich in Gegenwart eines Verbrechens, und so kam es, daß ich – die Flucht ergriff. –

Das letzte Wort war von einem schweren Atemzug begleitet. Offenbar hatte ihn die schreckliche Szene tief ergriffen.

Ich schäme mich selbst, fuhr er dann leise fort, aber ich kann mein Verhalten jetzt nicht ungeschehen machen. Ich floh die Gegenwart dieses ermordeten Weibes, als sei ich selbst ihr Mörder. Glücklicherweise erreichte ich die Garderobe, ehe die Aufregung sich über die nächste Nähe des Alkovens verbreitet hatte. Dort fand ich mein Tuch und legte es um. Nur so war es mir möglich, wieder herunterzueilen und mich zu Fräulein Van Arsdale zu begeben, die, wie jemand mir sagte, in Ohnmacht gefallen war. Erst als ich mich in dem entlegenen Winkel beim Speisesaal über sie beugte, dachte ich wieder an die Handschuhe. Was ich tat, als mir dies einfiel, das wissen Sie bereits. Ich hätte mir keine größere Feigheit zuschulden kommen lassen können, selbst wenn ich gewußt hätte, daß der Diamant der Ermordeten darin verborgen sei. Doch ich wußte das nicht; ich vermutete es nicht einmal. Noch kann ich mir jetzt denken, warum sie den Stein darin versteckt hat. Wie kommt es, daß Frau Fairbrother solch ein unschätzbares Juwel der Obhut eines Menschen anzuvertrauen wagte, den sie so wenig kannte wie mich? vollends ohne daß ich darum wußte? Wie leicht hätte ich es aus Unachtsamkeit verlieren können. Befürchtete sie ihre Ermordung für den Fall, daß sie den Diamanten behielte?

Der Inspektor überlegte eine kleine Weile, dann sagte er:

Sie sprachen von Ihrer Befürchtung, daß jemand durch die eine Türe eintreten könnte, ehe Sie Zeit hätten, sich durch die andere zurückzuziehen. Bezieht sie sich auf den Freund, den Sie auf dem jenseits des Vorhangs befindlichen Diwan gesehen hatten?

Nein, mein Freund hatte seinen Platz bereits verlassen. Die Portiere ließ einen genügend breiten Spalt frei, so daß ich dies erkennen konnte. Hätte ich eine Minute länger gewartet, fügte er in bitterem Tone hinzu, so hätte ich durch den üblichen Eingang, ohne beobachtet zu werden, eintreten können und wäre all diesen Unannehmlichkeiten entgangen.

Herr Durand, fuhr der Inspektor fort, ich mache Sie darauf aufmerksam, daß Sie nicht gezwungen sind, meine Fragen zu beantworten. Aber wenn Sie Lust dazu haben, werden Sie mir vielleicht sagen, ob Sie in jenem Augenblick der Furcht an die Gefahr dachten, von außen her durchs Fenster von irgend einem der vielen Kutscher beobachtet zu werden, die auf der Zufahrt fortwährend auf und ab gingen.

Nein, ich dachte nicht einmal an das Fenster – ich weiß nicht warum; aber wenn mich irgend einer der Passanten gesehen hat, so hoffe ich, daß er aufmerksam genug in seiner Beobachtung war, um mir als Zeuge dienen zu können.

Der Inspektor gab keine Entgegnung. Er war offenbar mit seinen Gedanken beschäftigt. Ich erfuhr später, daß die Vorhänge, die früh am Abend zurückgezogen gewesen, wie sich bei der Entdeckung des Verbrechens herausstellte, vollständig die Fenster bedeckten. Hatte er gehofft, Herrn Durand in irgend ein belastendes Geständnis zu verwickeln? Oder suchte er lediglich der Wahrheit auf den Grund zu kommen? Seine Miene verriet seine Gedanken nicht. Herr Durand, der dies bemerkte, setzte mit Würde hinzu:

Ich erwarte nicht, daß Fremde diesen Erklärungen Glauben beimessen. Sie müssen sonderbar und vielleicht widersprechend klingen, angesichts des Beweises, den ich auf meinem Hemde trage, wonach ich mit der Frau zusammen war, nachdem die verhängnisvolle Waffe sie ins Herz traf. Aber wer mich kennt, wer mich genau kennt, der wird sicherlich meiner Erzählung Glauben schenken müssen. Ich erkläre hier, daß sie so wahr ist, als hätte ich sie vor Gericht mit einem heiligen Eide bekräftigt.

Anson! rief ich bei diesen Worten leidenschaftlich aus, indem ich den Arm meines Onkels losließ, an den ich mich bisher krampfhaft geklammert hatte. Mein Vertrauen zu ihm war zurückgekehrt.

Und dann, als ich des Inspektors geschäftsmäßiges Benehmen und den unsicheren Blick und die skeptische Miene meines Onkels bemerkte, fühlte ich, wie mir mein Herz schwoll. Ohne Rücksicht auf äußerliche Formen, eilte ich auf Herrn Durand zu, legte ihm beide Hände in die seinen und rief in leidenschaftlicher Aufwallung:

Ich glaube dir! Nur deine eigenen Worte, nichts anderes auf der Welt, sollen je mein Zutrauen zu deiner Unschuld erschüttern.

Der treue, frohe Blick, den ich erhielt, war für mich die beste Antwort. Nunmehr konnte ich das Zimmer verlassen.

Aber das Haus noch nicht. Ein anderes Ereignis erwartete uns alle, noch ehe dieser an Ereignissen überreiche Abend ein Ende nahm.


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