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Sechstes Kapitel

Der Bericht lautete folgendermaßen:

Santa Fé, N. M., – April.

Bei meiner Ankunft in Santa Fé erkundigte ich mich sofort, wo ich Herrn Abner Fairbrother sprechen könne. Ich erhielt die Auskunft, daß er in seiner Mine krank darniederliege.

Auf meine Frage, wo sich die Placida befinde, wurde mir mitgeteilt, daß sie in einer Entfernung von etwa fünfzehn Meilen in den Bergen gelegen sei. Ich gab meiner Absicht Ausdruck, mich ohne Verzug dorthin begeben zu wollen. Darauf erhielt ich verschiedene, wie mir schien, sehr überflüssige Anweisungen, und wurde zu einem gewissen Leihstall geführt, wo ich, wie man mir sagte, ein brauchbares Reitpferd und die nötige Ausrüstung erhalten könne.

Ich glaubte zwar, völlig genügend ausgerüstet zu sein, ließ jedoch von meiner Ansicht nichts verlauten und begab mich zu dem Leihstall. Man führte mir ein Pferd vor, das ich sofort mietete. Als ich es eben besteigen wollte, brachte man mir ein Paar Ledergamaschen, die ich zu meiner Ausrüstung unbedingt nötig habe.

Sie werden sie für Ihre Reise gebrauchen, sagte der Mann.

Reise! wiederholte ich erstaunt. Fünfzehn Meilen nennen Sie eine Reise?

Der Leihstallbesitzer, ein Mischling von sehr gefälligen Manieren, lächelte und zuckte mit den Achseln:

Drei Männer, sagte er, die ebenso begierig waren, wie Sie, die Reise zu unternehmen, aber ebensowenig Erfahrung besaßen, haben es letzte Woche versucht. Aber sie kamen alle wieder zurück, ohne ihr Ziel erreicht zu haben. Ihnen wird es wahrscheinlich ebenso ergehen; aber ich möchte Sie so ausrüsten, daß wenigstens nicht der Ausrüstung und daher mir die Schuld am Mißlingen Ihrer Expedition zugeschrieben werden kann.

Aber ich habe doch gehört, daß eine Frau dorthin geritten ist, entgegnete ich. Eine Krankenpflegerin aus dem Spital hat sich letzte Woche nach der »Placida« begeben.

O, Frauen, wissen Sie, die bringen alles fertig, Frauen, die Krankenpflegerinnen sind. Aber sie machen sich auch nicht allein auf den Weg. Sie wollen ja ganz allein reiten!

Gewiß, bemerkte ich grimmig. Zeitungskorrespondenten reisen, wenn es möglich ist, allein.

So, Sie sind Zeitungskorrespondent? Warum wollen denn so viele Zeitungsleute den kranken, alten Mann aufsuchen? Weil er so reich ist?

Wissen Sie es denn nicht? fragte ich erstaunt.

Offenbar wußte er es nicht.

Ich wunderte mich über seine Unwissenheit, klärte ihn jedoch nicht auf.

Folgen Sie dem Pfade und fragen Sie von Zeit zu Zeit nach dem Wege! Die Ziegenhirten wissen alle, wo die »Placidamine« liegt. –

Diese einfache Auskunft erteilte er mir, während er mein Pferd hinausführte. Als ich davonritt, rief er mir noch nach:

Wenn Sie nicht mehr weiter wissen, so überlassen Sie dem Pferde die Führung. Es wird sich besser ausfinden, als Sie!

Mit einer unbestimmten Handbewegung nach Nordwesten kehrte er um und überließ mich der Betrachtung der großartigsten Szenerie, die ich je auf meinen Reisen angetroffen habe.

Fünfzehn Meilen waren es. Aber diese fünfzehn Meilen führten durch das mächtige Gebirge hindurch, dessen Gipfel alle eine Höhe von sechs- bis siebentausend Fuß besitzen. Nach zehn Minuten waren die Stadt und damit alle Anzeichen städtischen Lebens aus meinem Gesichtskreis verschwunden. Nach weiteren fünf Minuten war ich von aller Zivilisation so weit entfernt, als wäre ich hundert Meilen in die Wildnis hineingeritten.

Da mein Pferd munter vorwärts drang und sich selbst den Weg suchte, bald hier, bald dort, manchmal über braunen Boden, der so hart und ausgedörrt war, als sei er in tausend Oefen gebacken worden, dann wieder über Stoppelgras, dessen nadelspitze Stacheln niemals Feuchtigkeit gesehen zu haben schienen, ließ ich meinen Blick über die Gipfel schweifen, die nicht durch näher liegende Hügel vor meiner Aussicht verdeckt waren. Und ich fragte mich, ob ich schon weißeren Schnee gesehen, als den, der ihre Spitzen bedeckte, oder einen blaueren Himmel, als den über mir; die beiden zusammen machten mir einen Eindruck wie eine feingeschnittene weiße Kamee auf dem schönsten blauen Grunde.

Sicherlich kann der Eindruck nicht leicht beschrieben werden, den man von diesen großartigen Bergen erhält, wenn man ohne Vorbereitung von den Straßen und Marktplätzen der ältesten Stadt Amerikas in sie hineinversetzt wird.

Von Zeit zu Zeit stießen wir auf Wasser: es waren enge Wasserläufe, die mein Pferd alle verfolgte, und ferner, was noch interessanter war, Ziegenhirten mit ihren Herden, alles Mexikaner, die kein Wort Englisch zu verstehen schienen, aber sehr malerisch aussahen und bei der außergewöhnlichen Einsamkeit des Wegs eine willkommene Abwechselung für das Auge boten.

Man hatte mir gesagt, daß sie mir als Führer dienen könnten, wenn ich über den Weg Zweifel hegte. In ein oder zwei Fällen erwiesen sie sich auch von Wert. Wenn sie auch nicht Englisch sprachen, so konnten sie sich doch durch Gesten verständlich machen, und wenn ich das Wort »Placida« aussprach, so nickten sie und wiesen mir die Richtung, die ich in den Cannon zu verfolgen hatte. Aber stets schauten sie in die Höhe, wenn sie dies taten, bis ich schließlich auch ihrem Beispiele folgte und in die Höhe blickte. Und als ich, nach einer Reihe von Meilen, die sich durch die Schlangenwindungen des Pfads ins Unbestimmte vermehrten, auf eine Anhöhe gelangte, von der aus eine volle Aussicht auf die gegenüberliegende Gebirgskette möglich war, erblickte ich vor mir an der Flanke eines der fürchterlichen Gipfel, keine zweihundert Fuß unter der Schneelinie, ein dunkles Loch, das, wie ich wußte, den Eingang zu Abner Fairbrothers neuer Mine, der »Placida« vorstellte und völlig unzugänglich zu sein schien.

Es war ein eigenartiger Eindruck. Die Entfernung von meiner Anhöhe bis zu der Mine schien so klein zu sein, daß man glauben mochte, man könne eine Kugel hinüberschießen. Aber der Abgrund dazwischen war erstaunlich. Ich wurde ganz schwindelig, als ich hinunterschaute und den endlosen Zickzackpfad überblickte, den ich noch, Schritt für Schritt, zurücklegen mußte, ehe ich den untersten Punkt des Cannons erreicht hätte. Und dann den ebenso endlosen Zickzackweg auf der gegenüberliegenden Seite, den ich, wieder Schritt für Schritt, hinanklettern mußte, ehe ich hoffen durfte, das Lager zu erreichen, das von meinem Standpunkte aus noch im Bereich meiner Stimme zu liegen schien.

.

Ich habe die Mine als Loch bezeichnet. So kam sie mir beim ersten Anblicke vor: als großes, schwarzes Loch in dem dunkelbraunen Gestein der Bergflanke, von der aus noch ein dunklerer Streifen sich am Hang herunterzog. Aber als ich länger jenen Punkt betrachtete, erkannte ich, daß dem Loch ein kleines Plateau vorgelagert war, das aus dem Felsen vorsprang, und es gelang mir sogar, darauf zwei oder drei Zeltdächer und andere Lebenszeichen zu entdecken, die eine Ermutigung für mich bildeten, als ich daran dachte, daß ich wie eine Fliege an der schrecklichen Bergflanke hinaufklettern müßte.

Jetzt konnte ich es wahrlich verstehen, wie jene drei Männer, wahrscheinlich Zeitungskorrespondenten wie ich selbst, wieder nach Santa Fé zurückgekehrt waren, nachdem sie von meinem gegenwärtigen Standpunkte aus einen Blick hinübergeworfen hatten. Aber trotzdem ich ihre Umkehr verstand, hatte ich nicht die Absicht, ihrem Beispiel zu folgen.

Der Anblick jener Zelte und der Gedanke an den Mann, den eines davon beherbergte, flößten mir wieder neuen Mut ein, ich überließ meinem geduldigen Tiere die Zügel und munterte es zur Fortsetzung der Reise auf.

Kurz darauf überschritten wir die Wasserscheide, und dann begann der Abstieg. Es ging im Zickzack hinunter, wie auch der Weg, aber der Aufstieg war mir lieber gewesen. Dort hatte ich nicht fortwährend die gähnende Leere unter mir, auch hatte mir meine Phantasie keine beängstigenden Gefühle verursacht, wie jetzt: mein Auge hatte auf Bergen geruht, die ich erklimmen sollte, statt auf Tiefen, in die ich hinabstürzen konnte. Ich stürzte indes nicht in die Tiefe.

Der mexikanische Sattel hielt mich mit Sicherheit fest, in welche Ecke ich auch gleiten mochte, und als das Bett des Cannons erreicht war, fand ich, daß ich den Aufstieg an der gegenüberliegenden Seite der Schlucht mit ziemlichem Gleichmut ins Auge zu fassen vermochte. Nur als ich sah, wie steil der Aufstieg sich anließ, war es mir nicht klar, wie ich je wieder herunterkommen könnte. Der Aufstieg war ja möglich, aber der Abstieg –

Da indes im Laufe der Welt was hinauf geht, auch wieder herunter muß, so ließ ich mich durch diese Frage nicht aufhalten. Und so vertraute ich mich der Führung meines Pferdes an, das ich mit ein paar Grasbüscheln aufmunterte, die zwar aussahen und sich anfühlten wie Glasfäden, aber ihm doch ziemlich eßbar vorkamen.

Wie wir an unser Ziel gelangt sind, das muß man dieses gute Tier fragen, das alle Verantwortung auf sich nahm und alle Arbeit selber verrichtete. Ich bestieg es nur, bemüht, das Gleichgewicht zu behalten und zuzeiten, wenn es zum Beispiel um das Ende eines Zickzacks bog, schloß ich sogar die Augen, trotzdem die Aussicht herrlich war. Schließlich schien selbst ihm die Geduld auszugehen; es blieb stehen und zitterte am ganzen Leibe. Aber ehe ich meine Augen öffnen konnte, um in den Abgrund unter uns zu blicken, machte es eine Anstrengung und ging wieder vorwärts. Ich spürte, wie mir ein Zweig über das Gesicht wischte, und, als ich aufblickte, breitete sich vor meinem Auge das kleine Felsplateau mit den Zelten aus, auf das ich von der gegenüberliegenden Hügelkette so sehnsüchtig hinübergeschaut hatte.

Im gleichen Augenblick hörte ich Stimmen und sah einen bärtigen, tiefgebräunten Mann mit ausgesprochen schottischen Gesichtszügen und entschlossenem Benehmen auf mich zukommen.

Sie sind der Arzt! rief ich instinktiv aus, und warf einen Blick auf das kleine Zelt, vor dem er jetzt stand.

Jawohl, ich bin der Arzt, erwiderte er in unerwartet gutem Englisch. Und wer sind Sie? Bringen Sie die Post und die Arzeneien, die ich bestellt habe?

Nein, erwiderte ich, mit einem so liebenswürdigen Lächeln, als ich es bei seinem brüsken, herrischen Benehmen aufbieten konnte, nein, ich komme auf eigene Rechnung. Ich bin der Vertreter des New Yorker – –, und ich hoffe, Sie werden mir eine kurze Unterhaltung mit Herrn Fairbrother nicht abschlagen.

Mit einer Handbewegung, die ich nicht zu deuten wußte, nahm er mein Pferd am Zügel und führte mich ein paar Schritte weiter vor ein großes Zelt, wo er mich absteigen hieß. Dann legte er mir die Hand auf die Schulter und sagte, indem er mir scharf ins Auge blickte:

Sie haben diese Reise gemacht – ich glaube, Sie sagten aus New York? – um Herrn Fairbrother zu sehen. Warum das?

Weil Herr Fairbrother in diesem Augenblick der meistgesuchte Mann in ganz Amerika ist, erwiderte ich kühn. Seine Frau – Sie wissen doch von seiner Frau –

Nein. Was soll ich von seiner Frau wissen? Ich weiß, wieviel Grad Fieber er hat und wie hoch sein Pulsschlag ist. Aber seine Frau? Was gibt's mit seiner Frau? Er weiß augenblicklich gar nichts von seiner Frau und erfährt nichts von ihr, da er keine Briefe lesen darf.

Aber Sie haben doch die Zeitungen gelesen! Sie müssen doch wissen, daß, ehe Sie Santa Fé verließen, Frau Fairbrother auf entsetzliche und geheimnisvolle Art in New York ermordet wurde. Der Mord hat in den letzten zehn Tagen den Gesprächsstoff für zwei Kontinente geliefert. –

Er zuckte mit den Achseln, womit er ausdrücken konnte, was er wollte und beschränkte sich in seiner Antwort auf eine Wiederholung meiner eigenen Aussage.

Frau Fairbrother ist ermordet worden! sagte er mit unterdrückter Stimme und warf dabei einen vorsichtigen Blick hinter sich nach dem Zelte, das meine Aufmerksamkeit bereits erregt hatte. Er darf es nicht erfahren, der arme Mann. Ich könnte nicht für sein Leben einstehen, wenn ihm bei seinem gegenwärtigen kritischen Zustande die geringste Aufregung verursacht würde. Ermordet? Wann?

Vor zehn Tagen, bei einem Ball in New York. Es geschah, nachdem Herr Fairbrother die Stadt verlassen hatte. Man erwartete, daß er alsbald zurückkehren würde, wenn er die Nachricht erhielte, aber er hat sich offenbar streng an seinen Reiseplan gehalten. Er ist mit seiner Frau nicht sehr gut ausgekommen – das heißt, sie haben das letzte Jahr nicht zusammen gelebt. Aber die Nachricht von ihrem Tode hat ihn wohl schwer getroffen; er muß sie irgendwo unterwegs erhalten haben.

Im Delirium hat er nichts gesprochen, was darauf schließen ließe, daß er ihren Tod erfahren hat. Es ist möglich, ja, sehr wohl möglich, daß er die Zeitungen nicht gelesen hat. Er muß schon mehrere Tage, bevor er Santa Fé erreichte, unwohl gewesen sein.

Wann wurden Sie mit seiner Pflege beauftragt?

Gerade die Nacht nach seinem Eintreffen. Man dachte, er würde die Ankunft beim Lager nicht mehr erleben. Aber er besitzt eine ungewöhnlich kräftige Konstitution. Er hielt sich aufrecht, bis sein Fuß dieses Plateau berührte. Dann allerdings unterlag er.

Wenn er so krank war, murmelte ich, warum hatte er dann Santa Fé verlassen? Er mußte doch genau wissen, was es heißen würde, hier krank zu liegen?

Ich glaube nicht, daß er sich dessen bewußt war. Er besucht die Mine zum ersten Male. Offenbar wußte er nichts von den Schwierigkeiten des Weges. Aber auch das hätte ihn nicht aufgehalten. Er war entschlossen, das Lager zu erreichen, sogar, als er es von der gegenüberliegenden Bergseite mit eigenen Augen erblickte. Er erzählte seinen Begleitern, daß er die Sierras einmal mitten im Winter durchquert hatte. Aber damals war er kein kranker Mann!

Man weiß nun nicht, Herr Doktor, bemerkte ich, wer sein Weib ermordet hat.

Er hat es nicht getan! rief der Arzt aus.

Das weiß ich, erklärte ich, aber unter den vorliegenden Verhältnissen ist jeder Umstand, der sich auf das Ereignis beziehen könnte, von ungeheurer Wichtigkeit. Einen Umstand besonders kann nur Herr Fairbrother selber klarlegen. Er ist mit einem einzigen Worte ausgesprochen –

Das Auge des unhöflichen Arztes flammte ärgerlich auf, und so hielt ich inne.

Wenn Sie ein Detektiv wären, abgesandt vom New Yorker Hauptquartier, mit besonderer Vollmacht ausgerüstet, den Kranken auszufragen, selbst dann würde ich noch genau dasselbe sagen, was ich Ihnen jetzt sagen werde. Solange die Temperatur und der Puls Herrn Fairbrothers auf ihrer jetzigen Höhe stehen bleiben, wird ihn niemand sehen und niemand mit ihm sprechen, mit Ausnahme der Pflegerin und meiner selbst.

Ich ließ einen müden enttäuschten Blick nach dem Wege zurückschweifen, den ich eben erst heraufgekommen war. Dann nahm ich wieder das Wort. Drei lange tödliche Stunden, sagte ich, habe ich also auf dem schlechtesten Weg, den je ein Mensch betreten hat, gestöhnt, geseufzt und gezittert, nur um wieder umzukehren und nichts von meiner Reise mitzubringen? Das geht mir doch zu weit. Wo ist der Direktor der Mine?

Der Doktor deutete auf einen Mann, der am Eingang zu der großen Höhle stand, aus der in jenem Augenblick eine Anzahl von Mexikanern herauskam, jeder mit einem Sack auf dem Rücken, den sie vor einem Bauwerk niederwarfen, das aussah wie ein aus Lehm errichteter Ofen.

Dort ist er, sagte der Arzt, Herr Haines aus Philadelphia. Was wünschen Sie von ihm?

Die Erlaubnis, heute nacht hier zu bleiben, antwortete ich. Vielleicht geht es morgen Herrn Fairbrother besser.

Ich werde es nicht erlauben, und hier bin ich der Herr, soweit es meinen Patienten betrifft. Sie könnten doch nicht hier bleiben, ohne zu reden, und reden regt auf, und Aufregung ist gerade das, was wir vermeiden müssen, da er sie nicht aushalten könnte. In einer Woche wollen wir wieder darüber reden – vorausgesetzt, daß sich das Befinden meines Kranken gebessert hat. Ich weiß noch nicht sicher, ob dies geschehen wird.

Lassen Sie mich diese Woche hier bleiben! Ich werde stumm sein, wie das Grab. Vielleicht erlaubt der Direktor, daß ich Säcke tragen helfe.

Warten Sie mal, meinte der Arzt darauf, indem er mich immer mehr von dem Zelt wegdrängte, das er kaum einen Moment aus den Augen ließ. Sie sind ein schlauer Junge. Sie werden etwas zu essen und trinken erhalten, bevor Sie sich wieder auf den Rückweg machen. Aber vor Sonnenuntergang werden Sie sich wieder trollen und zwar mit dieser Botschaft: Kein Vertreter irgend einer Zeitung, von Norden oder Süden, wird hier vorgelassen werden, bevor ich eine blaue Fahne aushänge. Ich sage blau, weil dies die Farbe meiner Leibbinde ist. Sobald mein Patient in der Verfassung ist, das Thema Mord besprechen zu können, werde ich die Flagge auf seinem Zeltdache hissen. Man wird sie von der jenseitigen Berglehne aus sehen können. Wenn Sie dort auf dem Aussichtspunkte kampieren wollen, mir ist es recht. Was die Polizei anbelangt, so ist das etwas anderes. Ich werde sie empfangen, wenn sie sich hierher bemüht, aber sie braucht sich keine Illusionen zu machen, daß sie mit meinem Patienten sprechen kann. Das können Sie im Tale verkünden. Es wird andere davor bewahren, diesen Pfad heraufzuklettern, ohne ihren Zweck zu erreichen!

Sie dürfen sich auf mich verlassen, sagte ich; einem New Yorker dürfen Sie schon zutrauen, daß er zur richtigen Zeit richtig vorzugehen versteht, wenn es sich darum handelt, die andern Jungens fernzuhalten. Aber ich zweifle daran, ob man mir Glauben schenken wird.

In diesem Falle werde ich einfach fünfzig Fuß unterhalb des Plateaus eine Barrikade an der Bergflanke errichten lassen, erwiderte er.

Aber die Post und Ihre Lebensmittel?

Oh, unsere Esel werden schon ihren Weg herfinden. Wir werden nicht darunter leiden.

Sie sind Herr und Meister, das steht fest, bemerkte ich. –

Diese ganze Zeit hatte ich meine Augen wohl gebraucht. Es war nicht viel zu sehen, aber was zu sehen war, war romantisch und interessant. Neben dem Ofen und was drum und dran gehörte, war nicht viel mehr sichtbar, als ein Schlafzelt, ein Kochzelt und jenes kleinere, zu dem ich zuerst gekommen war, und das ohne allen Zweifel den kranken Mann beherbergte. Dieses Zelt war von einer besonderen Bauart und zeigte wie alles in dieser Höhe, einen primitiven Charakter. Es bestand einfach aus Segeltuch, das über ein Ding geworfen war, das aussah wie ein Trapez. Dieses Tuch reichte nicht einmal auf allen Seiten bis zum Boden, sondern endete etwa einen Fuß oberhalb der flachen Rundmauer aus Luftziegeln, die hier in Neumexiko als Boden oder Grundlage für alle Arten von Hütten- oder Zeltbau dient. Die Rückseite des einfachen Zelts ging auf die Bergseite, während der Zugang sich gegen das Tal hin öffnete. Ich fühlte den lebhaften Wunsch, durch diese Oeffnung hineinzublicken; und dieser Wunsch wurde so leidenschaftlich, daß ich einen Versuch wagen wollte, ihn zu befriedigen. Ich suchte in dem entschlossenen Gesicht des Mannes vor mir zu lesen und entdeckte darin zu meiner Befriedigung unter der rauhen Oberfläche beruflicher Kürze Anzeichen von Humor. Daher fragte ich ein wenig betrübt, ob er es über sich brächte, mich so, ohne auch nur einen Blick auf den Mann geworfen zu haben, den zu sehen ich so weit hergereist sei, gehen zu lassen. Ein Blick würde mich jetzt zufrieden stellen, versicherte ich ihn, als ein kaum merkliches Lächeln auf seiner Miene bemerkbar wurde. Sicherlich kann das nicht schaden. Ich werde ihn statt des Abendessens zu mir nehmen. –

Er mußte lächeln, aber sein Lächeln sah nicht ermutigend aus, und ich fühlte mich in der Tat schon recht verzagt, da bewegte sich plötzlich der Teppich, auf den unsere Blicke gerichtet waren, und heraus trat die ruhige Gestalt einer Frau in einfachster Kleidung, die aber in jeder Linie des Gesichts wie ihrer Gestalt eine Mischung von Freundlichkeit und Klugheit verriet. Sie sah sich offenbar nach dem Arzte um, denn sie machte ihm ein Zeichen, als sie ihn erblickte, und kehrte augenblicklich ins Zelt zurück.

Herr Fairbrother ist eben eingeschlafen, erklärte er. Es verstößt zwar gegen die Disziplin, und ich werde Fräulein Serra um Entschuldigung bitten müssen, aber wenn Sie mir versprechen wollen, nicht zu reden, noch den geringsten Lärm zu verursachen, werde ich Sie den einen Blick ins Zelt tun lassen, den Sie dem Abendessen vorziehen.

Ich verspreche es Ihnen, sagte ich darauf. –

Er führte mich zum Eingang des Zeltes, flüsterte der Pflegerin ein Wort ins Ohr und ließ mich dann ins Innere blicken. Der Anblick war einfach, aber er machte einen tiefen Eindruck auf mich. Der Besitzer von Palästen, der Mann, dem Millionen weniger bedeuteten, als einem armen Teufel wie mir ebenso viele Tausende, dieser Mann lag auf einem improvisierten Lager von Immergrün, in eine Pferdedecke gewickelt und mit nichts Besserem unter dem Haupte, als einer zweiten zusammengerollten Pferdedecke. Ihm zur Seite saß seine Pflegerin auf einem Gegenstand, der aussah, wie ein krummer Baumstumpf. Nahe bei ihrer Hand lag ein erträglich flacher Stein, auf dem ich eine Anzahl von Medizinfläschchen und ein paar Gegenstände erblickte, wie sie für eine leidliche Pflege des Kranken unumgänglich nötig waren.

.

Das war alles. Mit diesen wenigen Worten habe ich die ganze Geschichte erzählt. Eines muß ich allerdings noch erwähnen: dieses einfache, dreitausend Fuß oder mehr über der Meeresoberfläche aufgerichtete Zelt des Millionärs besaß einen Vorteil, selbst gegenüber seinem großen Hause in New York: es war die Aussicht. So, wie der Kranke jetzt dalag, das Gesicht dem Tal zugekehrt, brauchte er nur die Augen aufzuschlagen, um von dem Panorama, das vor ihm ausgebreitet war, eine volle Aussicht zu genießen. Es war herrlich, ob es morgens, mittags oder abends betrachtet wurde, herrlich! Aber ich frage mich, ob er es nicht mit Freuden für einen Blick auf die Mauern seines Heims ausgetauscht hätte!

Als ich mich wieder zum Gehen wandte, bewegte er den Kopf ein wenig, so daß das Tuch ein bißchen herabglitt, das er um Kinn und Hals geschlungen trug. Und so konnte ich einen Blick aus das graue Haupt und die hohlen Wangen des großen Finanzmannes werfen. Ja! er war sehr krank. Das konnte selbst ich unterscheiden. Hätte ich die Erlaubnis erlangt, ihm eine der vielen Fragen zu stellen, die mir auf der Zunge brannten, so hätte ich als Antwort nur die Phantasien eines Delirierenden erhalten. Jetzt konnte man nicht durch die Wolken dringen, die seine Intelligenz umschatteten; und ich war dem Doktor nur dankbar, daß er mich davon überzeugt hatte.

Ich sagte ihm das und bedankte mich in warmen Worten, als wir weit genug vom Zelt entfernt waren. Seine Antwort klang recht freundlich, trotzdem er nicht versuchte, seine Ungeduld, mich bald weggehen zu sehen, zu verbergen. Die Blicke, die er zur Sonne warf, waren beredt genug, und da ich nicht die Absicht hatte, ihm länger zur Last zu fallen, dagegen den Platz bald wieder aufzusuchen wünschte, ging ich zu meinem Pferd, um es loszubinden.

Zu meiner Ueberraschung hielt mich der Arzt zurück.

Sie können heute abend nicht mehr weg, sagte er, Ihr Pferd hat sich verletzt.

Der Arzt hatte recht. Es war irgend etwas mit dem linken Vorderfuß des Tieres nicht in Ordnung. Als der Arzt es untersuchte, kam der Direktor dazu. Er war mit dem Doktor einverstanden. Ich konnte heute nacht auf diesem Pferde nicht mehr nach Santa Fé hinunter. Ich brauche wohl nicht zu bemerken, daß mir dieses kleine Unglück eine wahre Erleichterung war. Ich hatte nicht im geringsten den Wunsch, heute noch nach Santa Fé zu gelangen. Doch hatte ich noch keine Ahnung von dem, was mir die Nacht bescheren sollte.

Ich wurde der Sorge des Direktors übergeben, aber nicht ohne eine endgültige Warnung von seiten des Arztes.

Sagen Sie niemandem, schloß er, ein Wort über den Zweck Ihrer Reise. Kein Wort von der New Yorker Tragödie, wenn Ihnen am Leben des Herrn Fairbrother etwas gelegen ist!

Kein Wort, beteuerte ich.

Dann verließ er mich.

Die nächsten fünf Stunden waren für mich außerordentlich interessant, was sie indes dem New Yorker Publikum nicht sein werden. Von einem Plateau aus, das in der Luft zu schweben scheint, die Sonne untergehen und den Mond aufsteigen sehen, das war mir ein neues Schauspiel – aber ich verzichte auf seine Darstellung. Ich habe wichtigere Dinge zu berichten.

Man wies mir einen Platz am äußersten Ende des langen Schlafzelts an. Mit den andern betrat ich es. Ich hatte erwartet, alsbald einzuschlafen, aber als ich entdeckte, daß ich durch einen Spalt im Zelttuch das Krankenzelt von meinem Platze aus bequem beobachten konnte, spürte ich, daß eine seltsame Suggestion von der Möglichkeit, diese verbotene Stelle zu bewachen, ausging, und so kam Mitternacht heran, ohne daß ich ein Auge schloß. Dann verließ mich der Wunsch, einzuschlafen, da der Kranke zu stöhnen und bald darauf zu sprechen begann. Die Stille dieses einsamen Ortes, wozu vielleicht auch die dünne Luft in dieser Höhe beitrug, war ganz ungewöhnlich, so daß es mir verschiedene Male gelang, die Worte zu verstehen. Trotzdem sie nur unzusammenhängend und weit entfernt von einem vernünftigen Sinne waren, erregten sie doch meine Neugierde aufs äußerste; denn war es nicht möglich, daß er irgend etwas vor sich hinphantasierte, das sich auf das Geheimnis beziehen konnte?

Aber sein irrender Geist nährte sich von Ereignissen aus seinem früheren Leben, und das Stammeln, das bis zu meinem Ohre drang, erzählte nur von Goldgräberlagern im Felsengebirge und Pferdediebstählen. Vielleicht hatte ihn mein Pferd, das unruhig an seiner Kandare kaute, gestört. Vielleicht –

Aber als ich in meinen Gedanken eben zu diesem zweiten »Vielleicht« gelangte, hörte ich plötzlich ein Geräusch. Ich fuhr auf und lauschte mit gespannter Aufmerksamkeit, während ich mit weitaufgerissenen Augen auf die paar verkümmerten Bäume starrte, bei denen der Pfad auf der kleinen Plattform landete. Irgend ein Geräusch regte sich dort, das nicht von meinem Pferde herrührte. Ich hörte Laute von nicht mißzuverstehender Herkunft: ein Reiter kam den Pfad herauf.

Leise glitt ich auf mein Lager zurück und blickte nach dem Arzte hinüber, der zwei oder drei Plätze näher bei der Oeffnung lag. Auch er war aufgefahren und einen Augenblick später aus dem Zelte verschwunden. Ich glaube nicht, daß er meine Bewegung beobachtet hatte, da er mir den Rücken zuwandte und es außerdem an meinem Platze stockfinster war. Was die andern anlangt, so schliefen sie genau wie Tote, nur daß sie mehr Lärm machten.

Voll Interesse – auf einer solchen Höhe ist alles interessant – brachte ich meine Augen wieder an mein Ausguckloch und sah bald im sanften Licht des Vollmonds, wie die steifen, kurzen Aeste der Bäume, auf die mein Blick geheftet war, von einem Reiter zurückgebogen wurden.

Heh! grüßte der Arzt flüsternd und hielt die rechte Hand warnend in die Höhe. Stille! Keinen Lärm! Wir haben einen Kranken im Lager, und es ist eine späte Stunde zum Besuch.

Ich weiß es!

Die Antwort klang höflich, aber ernst.

Ich bin der Richter des Distrikts, sagte die gleiche Stimme. Ich habe diesen kranken Mann etwas zu fragen, im Auftrag des New Yorker Polizeichefs, der ein persönlicher Freund von mir ist. Es hängt mit der –

Still! ward er unterbrochen. Der Arzt hatte ihn beim Arm gepackt und vom Krankenzelt weggezogen. Dann sah ich, wie die beiden ihre Köpfe zusammensteckten und miteinander zu verhandeln begannen.

Ich konnte nicht ein Wort von ihrer Unterhaltung erhaschen, aber ihre Gebärden waren beredt genug. Mit meinen Sympathien war ich natürlich auf der Seite des Richters, und ich beobachtete ihn genau, als er dem Arzt einen Brief übergab, den dieser im Mondschein zu lesen sich abmühte. Als er erkannte, daß dies unmöglich sei, wollte er ihn schon dem Richter zurückgeben, da zündete dieser ein Streichholz und damit die Kerze der Laterne an, die am Horn seines Sattels hing. Wieder näherten sich die zwei Köpfe, aber sie fuhren fast ebenso schnell mit allen Zeichen der Uneinigkeit wieder auseinander. Ich wollte mich schon wieder mit dem Gefühle größter Enttäuschung niederlegen, da ertönte ein Laut in der stillen Nacht, der allen Zeugen so unerwartet kam, daß jedes Auge instinktiv das Krankenzelt aufsuchte.

Wasser! Will mir denn niemand Wasser geben? hatte eine Stimme gerufen, die ruhig und ohne alle Anzeichen von Delirium klang, das ihren Ton bisher unnatürlich verändert hatte.

Der Arzt eilte zum Zelte. In seinen Bewegungen lag die Schnelligkeit der Ueberraschung, und die Handbewegung, die er bei seinem Eintritt ins Zelt zum Richter machte, erweckte eine Erwartung in meiner Brust, die mich doppelt auf meiner Hut sein ließ.

Die Vorsehung griff zu unseren Gunsten ein. Ich war nicht erstaunt, den Arzt wieder mit der Krankenpflegerin herauskommen zu sehen, worauf er sie in den Schatten der Bäume zog, wo sie eine kurze Unterredung miteinander hatten. Wenn sie nach dieser Beratung wieder allein das Zelt betrat, so würde ich wissen, daß die Angelegenheit zu Ende sei, und daß der Doktor entschieden hatte, seine Autorität gegen die des Richters aufrecht zu erhalten. Aber sie blieb draußen, und der Richter wurde eingeladen, sich an ihrer Besprechung zu beteiligen. Und als sie den Schatten der Bäume wieder verließen, geschah es, um sich dem Zelt zu nähern.

Der Richter, der den Zug beschloß, ging an der Oeffnung des Zeltes vorüber. Ich hielt mich weit genug im Innern des Zelts, daß er keine Bewegung von mir zu entdecken vermochte, dann benützte ich rasch die Sachlage, um aus meiner Ecke heraus über den Platz zu kriechen, indem ich mich in dem Schatten hielt, den das Zelt im Mondlichte auf den Boden warf.

Nun kauerte ich ganz nahe am Zelte auf dem Boden nieder, legte mein Ohr ans Zelttuch und lauschte.

Ich vernahm die Stimme der Wärterin, die in freundlichen, eindringlichen Tönen redete. Ich stellte sie mir vor, wie sie zu Häupten des Kranken am Boden kniete und ihm ihre Worte leise ins Ohr sprach. Sie lauteten:

Sie haben Freude an Diamanten, Herr Fairbrother. Ich habe es schon öfters beobachtet; Sie betrachten immer so liebevoll den Ring an Ihrer Hand. Aus diesem Grunde ließ ich ihn Ihnen auch, trotzdem ich bisweilen befürchtete, er möchte verloren gehen und über die Mauer und den Felsabsturz hinunterrollen. Ich habe mich nicht getäuscht, nicht wahr?

Jawohl. – Die Antwort erfolgte mit offensichtlicher Mühe, aber sie war trotzdem gut verständlich. – Er besitzt keinen großen Wert. Ich habe ihn gerne, weil – –

Er schien zu schwach zu sein, um den Satz beenden zu können.

Es entstand eine Pause, während der sie sich ihm noch mehr zu nähern schien.

Wir alle besitzen solch kleine Andenken, fuhr sie dann fort. Aber ich hatte nie gedacht, daß der Stein, den Sie da tragen, nicht wertvoll sei. Doch ich vergesse, daß Sie der Besitzer eines sehr großen und berühmten Diamanten sind. Ich habe schon einige Male davon in den Zeitungen gelesen. Wenn Sie natürlich einen solchen Edelstein besitzen, muß Ihnen der da sehr klein und wertlos vorkommen!

Jawohl; der da ist nichts – nichts –

Wie mir schien, wandte er hierbei den Kopf zur Seite.

Herr Fairbrother, fuhr die Pflegerin fort. Entschuldigen Sie, aber ich möchte Ihnen etwas über Ihren großen Diamanten mitteilen. Sie sind krank und konnten deshalb Ihre Korrespondenz nicht durchlesen. Daher wissen Sie noch nicht, daß Ihre Frau mit diesem Diamanten Unannehmlichkeiten gehabt hat. Man hat nämlich behauptet, daß es kein wirklicher Diamant, sondern eine vorzügliche Imitation sei. Darf ich ihr schreiben, daß dies nicht wahr ist? Daß er das sei, als was Sie ihn immer bezeichnet haben, daß es ein ungewöhnlich großer Diamant vom reinsten Wasser sei? –

Ich lauschte verwundert. Gewiß war das eine hinterlistige Weise, die Wahrheit zu erfahren, eine echt weibliche Methode, aber mußte man nicht zugeben, daß es eine weise Methode war, die weiseste vielleicht, deren man sich unter den obwaltenden Umständen bedienen konnte? Was würde er antworten? Würde aus seiner Antwort hervorgehen, daß er vom Tode seiner Frau nichts wußte, wie allgemein angenommen wurde, weder durch seine hiesige Umgebung noch durch seine Bekannten in New York? Oder würde die Frage ihm nur als beleidigender Zweifel an der Echtheit des großen Edelsteins, der sein Stolz gewesen, erscheinen?

Ein Gemurmel – einen andern Ausdruck kann ich dem Laut nicht geben – löste sich von seinen fieberheißen Lippen und erstarb in einem unartikulierten Stöhnen. Dann plötzlich stieß er einen scharfen Schrei aus, einen deutlichen Schrei, und ich vernahm die Worte:

Keine Imitation! Keine Imitation! Er war eine Sonne! eine Pracht! Unübertroffen! Er flammte und brannte! Da sehe ich ihn. Ich sehe –

Dann ließ die Aufregung nach, die Stimme wurde schwach; wieder ein Murmeln, noch eines, und die große Leere der Nacht, die über – ich möchte beinahe sagen: unter uns dahinstrich, war nicht mehr ungestörter oder undurchdringlicher als das Schweigen in dem mondbeschienenen Zelte.

Würde er noch einmal den Mund zum Sprechen öffnen? Ich glaubte es nicht. Würde sie auch nur den Versuch machen, ihn dazu zu bringen? Auch das schien mir undenkbar. Aber ich kannte dieses Weib nicht.

Sanft erhob sich wieder ihre Stimme. In ihrem Tone lag eine befehlende Ausdauer, so liebenswürdig sie war, die Ausdauer eines gesunden Geistes, der einen geschwächten zu bevormunden bestrebt ist.

Dann wissen Sie also nichts von einer Imitation? Sie gaben ihr den echten Diamanten? Sie sind davon überzeugt? Sie wären bereit, es zu beschwören, wenn – Sagen Sie nur ja oder nein, schloß sie in freundlichem Drängen.

Offenbar war er eben im Begriff, wieder in Bewußtlosigkeit zu verfallen, und sie hielt ihn gerade lange genug zurück, damit er das entscheidende Wort aussprechen konnte.

Es kam langsam und mit einer schleppenden Betonung; aber über den aufrichtigen Ton, in dem es ausgesprochen wurde, konnte kein Zweifel herrschen. Es war das eine Wörtlein:

Jawohl.

Dann vernahm ich die Stimme des Arztes und fühlte, daß die Zeltwand sich bewegte, bei der ich kauerte. So rasch ich es vermochte, schlich ich mich an meinen Schlafplatz zurück.

Kaum lag ich dort, so erblickte ich die drei Personen, die ich eben belauscht hatte, im Mondscheine. Sie wechselten noch ein paar Worte miteinander, dann vermischten sich ihre Schatten und trennten sich wieder. Schließlich sah ich, wie die Wärterin wieder ins Zelt zurückschlüpfte, um ihrer Pflicht nachzugehen. Die zwei Männer begaben sich zu der Baumgruppe, wo das Pferd angebunden worden war.

Nach weiteren zehn Minuten lag der Doktor wieder an seinem Platze. War es ein Spiel meiner Einbildungskraft oder berührte er mir wirklich mit der Hand die Schulter, ehe er sich endgültig niederlegte und zu schlafen anschickte? Ich vermag es nicht mit Bestimmtheit zu sagen. Ich weiß nur, daß ich kein Zeichen von mir gab, und daß bald in seiner Richtung kein Laut mehr zu vernehmen war. So konnte ich also meinen Erfolg genießen und mit lebhaftem Interesse den eigentümlichen und undeutlichen Geräuschen folgen, die der Reiter auf seinem Abstieg verursachte. Schließlich verfolgte ich mit einer Spannung, die mich veranlaßte, mich auf die Knie zu erheben, das schwankende Licht, das von seiner am Sattel befestigten Laterne ausging. Es kroch an der gegenüberliegenden Bergseite im endlosen Zickzack hinan und verlor sich schließlich über dem Gipfel in die unsichtbaren Cannons.

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Dann befiel mich endlich die Müdigkeit, und ich versank in einen unruhigen Schlaf, in den aufgeregte Worte vom Krankenzelt herübertönten, aus denen hervorging, daß sich der Kranke in seinen Träumen wieder in Nevada befand, wo er über den Preis eines Pferdes verhandelte, das ihn vor irgend einer drohenden Gefahr davontragen sollte.

Als ich mich am nächsten Morgen zum Abstieg rüstete, ergriff der Doktor meine beiden Hände und blickte mir scharf in die Augen.

Sie haben gelauscht, sagte er.

Wie wissen Sie das? fragte ich.

Wenn ich einen zufriedenen Menschen sehe, kann ich es ihm sagen, brummte er und ließ meine Hände fahren, wobei wieder jenes humoristische Augenzwinkern erschien, das mich von Anfang an ermutigt hatte.

Ich gab keine Antwort mehr, aber ich werde mir die Lehre merken.

Noch eine Einzelheit: Als ich mich auf den Rückweg machte, sah ich auch ein, warum die Gamaschen, mit denen ich versehen worden war, so notwendig sein sollten. Von Reiten war bei der Steilheit des Weges nicht die Rede. Kein Pferd hätte mit einem Reiter auf dem Rücken das Gleichgewicht bewahren können. Ich stieg so gut ich konnte, mehrmals ausgleitend, zu Tal. Mein Pferd machte es ebenso. Und erst unten im Tale kamen wir wieder zusammen.


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