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Achtundzwanzigstes Kapitel.
Eröffnungen

Bei der Beerdigungsfeier des armen Ferdinands fanden sich viele Leute auf dem Kirchhofe ein, denn manche Dorf- sowohl als Schloßbewohner aus früheren Zeiten her erinnerten sich seiner, ohne daß aber diese Erinnerung eine besonders schöne oder erhebende gewesen wäre; aber nun war der Tod als Versöhner aufgetreten und man gedachte nunmehr nur noch seiner guten Eigenschaften – und deren hat ja ein jeder aus uns aufzuweisen – und deckte die schlimmen mit dem Mantel christlicher Liebe zu.

Auf seinen Wunsch war der Verstorbene in das Grab seiner Eltern zu liegen gekommen, und hatte der Graf Sorge getragen, daß alles schön und würdig vor sich gehe, und auch das Grab des Blumenschmuckes nicht entbehre.

Noch am selben Abende aber, nachdem die irdische Hülle der Erde wieder zurückgegeben war, verfügte sich der Graf zum Ortspfarrer und trug ihm kurz und bündig, natürlich unter dem Siegel größter Verschwiegenheit, das wichtige Geheimnis vor, das seine Familie und die Auffindung der verschollenen Erbin betraf. Selbstverständlich faßte der Pfarrer den Sachverhalt also auf, der jüngst Verstorbene habe aus Habsucht und um selbst zu einem gewissen Reichtum zu gelangen, auf dem glaubwürdigen Wege des Schloßbrandes die kleine Erbin auf die Seite geschafft und seinem Gönner und Freunde, dem Grafen Emanuel, zu dem großen Erbe verholfen. Später sei die Reue in ihm erwacht und nun hatte er sich kurz vor seinem Tode aufgemacht, das Kind gesucht, um es ihren Verwandten wieder zurückzubringen. Sein Vorhaben war jedoch nur halb gelungen, und die Unruhe und Aufregung des Grafen dadurch heftig gesteigert worden. Wo konnte er seine Nichte finden? In welchem Winkel der Erde? Unter welchem Namen?

»Es ist ein eigentümlicher Gedanke, gnädigster Herr!« nahm der alte Pfarrer das Wort, »der mir mit einem Male durch den Sinn fährt, wenn sich aber Euer Gnaden zu dem alten Klaus begeben und ihn genau nach der Herkunft seiner Enkelin fragen wollten?«

»Wie, zu der jungen Rita?«

»Ja, gnädigster Herr.«

»Das ist vergebene Mühe, ich habe erst unlängst mit dem Veteranen über seine Enkelin gesprochen und nichts, aber auch gar nichts erfahren, was irgend Anlaß geben könnte, nur entfernt solche Vermutung zu hegen.«

»Wenn Euer Gnaden doch etwa nachfragen wollten, ob die alten Leute keine Papiere besitzen, die von Wert sein möchten und Aufschluß bieten könnten?«

»Nun gut, ich will's thun, aber ich gestehe Ihnen, Hochwürdigster Herr, daß ich mit der vollkommensten Überzeugung, einen Fehlgang zu machen, hingehe. Doch soll nichts, auch nicht das Unwahrscheinlichste unversucht bleiben.«

So schieden die Männer.

Gräfin Mechtild hatte nur weniges von Ferdinand gehört und sich auch gehütet, ihm nachzufragen, die Verstimmung, noch mehr die Aufregung ihres Gatten gelegentlich seiner Zusammenkunft mit ihm schien so groß, daß sie keine Steigerung herbeiführen mochte, Seraphine aber stand jenem Verstorbenen völlig ferne und wußte nicht das Geringste über seine Vergangenheit.

Andern Tags verfügte sich der Graf zu Klaus und bat ihn, ob nicht er oder Frau Notburga irgend eine Aufschreibung oder sonst ein Papier besäßen, welches ihre Enkelin beträfe.

.

Die alte Frau brachte einen Brief zum Vorschein, den sie aufbewahrt hatte als letztes Vermächtnis ihrer Tochter Margaretha.

»Oft schon wollt' ich ihn verbrennen,« sagte sie einfach zu ihrem hohen Besuche, »aber ich that's nicht, weil es die letzten Zeilen meines armen Kindes sind, das ferne von mir sterben mußte, und dessen Bild noch immer lebhaft vor meinem geistigen Auge steht. Kann Euer Gnaden etwas darin finden, steht das Papier zu Ihrer Verfügung.«

Die gute Frau ahnte es nicht, um was es sich bei der Einsicht des Briefes handelte.

Als Graf Emanuel zu Hause und auf seinem Zimmer angekommen war, schloß er sorgfältig die Thüre, warf sich dann vor dem großen Christusbilde, das die Wand seines Schlafzimmers schmückte, auf die Knie und betete: »Gieb Licht, o Herr, in dieser schweren Angelegenheit und verschaffe endlich der gerechten Sache den Sieg, mir aber, mir ärmsten, elendesten Sünder schenke Verzeihung und das Glück, wenigstens teilweise wieder gut zu machen, was ich gefehlt habe!« –

Lange lag er auf seinen Knieen, die Gnade des Himmels erflehend, endlich erhob er sich, entnahm der verschlossenen Lade seines Schreibtisches die Brieftasche des verstorbenen Ferdinand und öffnete gleichzeitig den Brief, den Frau Notburga ihm übergeben hatte; er las diesen zuerst.

»Geliebte Mutter!« hieß es dort, nach anderen, für ihn wertlosen Mitteilungen, »ich muß jetzt auf eine letzte, inständige Bitte an dich zurückkommen; sie betrifft unser Pflegetöchterchen Rita. Wie sie zu uns kam, weißt du ja. Unser neues Wohnhaus liegt nur wenige Schritte vom Laden entfernt, wir waren – es sind heute just sechs Jahre – mitsammen vom Geschäfte fort und heimgegangen, als wir auf der zweiten Treppenstufe ein schlafendes Kind bemerkten. Es mochte beiläufig zwei Jahre zählen und sah lieblich und gesund aus. Weit und breit war niemand zu erblicken, mein Mann ging sogar noch die beiden nächstliegenden Straßen entlang, konnte aber kein lebendes Wesen dort entdecken.

Sofort hegte ich den Wunsch, dieses arme Findelkind zu mir zu nehmen; mein Mann hat auch das Gericht veranlaßt, Erkundigungen über ein ausgesetztes oder gestohlenes Kind einzuziehen, diese Erkundigungen waren jedoch erfolglos.

Doch das weißt du ja alles schon längst aus meinen früheren Briefen. Genug, Rita blieb bei uns und wir liebten und hielten sie beide, mein Mann sowohl als ich, wie unser eigen Fleisch und Blut.

Oft schon machte mir ihre große Lebhaftigkeit, die fast an Wildheit grenzt, bange, Rita ist von Natur edel und großmütig, bis zur Rücksichtslosigkeit wahr und offen, aber auch zornig und eigenwillig. Ich fühle, daß ich nicht lange mehr leben werde, und denke blutenden Herzens an die Zukunft unseres Lieblings.

Wem könnte ich sie lieber und besser anvertrauen, als dir, meine teure Mutter! Ich bitte dich, stoße das arme Waislein nicht von dir. Wer weiß, was seine Mutter veranlaßt hat, es zu verleugnen und fort zu geben – vielleicht wurde es den eigenen Eltern gestohlen – jedenfalls verliert die arme Kleine mit meinem Tode zum zweiten Male ihre Mutter und würde es gewiß recht schwer empfinden, lieblos behandelt zu werden. Mit Liebe allein ist sie auch zu leiten, der Gewalt widersetzt sie sich.

Ich habe dir ja schon oft gesagt, wie sehr ich das begabte Kind liebe, wie viele Freude es uns macht und wie ich die schönsten Hoffnungen für sein späteres Leben hegte. So laß denn meine letzte Bitte nicht vergebens sein und nimm Rita bei dir auf!

Mein Mann ist so trostlos, wenn ich davon rede, ihn und das Kind zu verlassen, daß ich es vermeide, so gut ich kann, nur bin ich gewiß, er wird nach meinem Ableben nimmer hier bleiben, sondern in die Fremde ziehn.« –

Hier hatte Notburgas Hand ein Kreuzlein in dem Briefe eingezeichnet und außen am Rande die Bemerkung: »Er ist nach Amerika gegangen und nach zwei Jahren in New-York gestorben.«

Der Brief endete mit der Bitte um Notburgas mütterlichen Segen. – Ganz unten stand des weiteren vermerkt: Sollte je einmal um Rita gefragt werden, was aber sehr unwahrscheinlich ist, so setze ich hier noch alles her, was ich von ihr weiß, es ist leider nur wenig.

Als wir sie fanden, war's ein Mittwoch und der achte August. Der Tag war schön und warm gewesen, doch dämmerte es bereits und konnte man nichts mehr genau unterscheiden, daß ein Kind auf der Treppe lag. Es schlief und sah wohlgenährt aus, erwies sich auch später als gesundes und kräftiges Mädchen. Seine Kleider und Wäsche waren einfach, aber gut, sie schienen neu gekauft, die Wäsche zeigte keinerlei Namenszug. Nach meinem Urteile und Ritas nachmaliger Entwickelung hielten wir sie für eine zweijährige. Sprechen konnte sie noch gar nichts, nur nach ihrer Maman rief sie anfangs oft.

Das ist alles, was ich über unser Pflegetöchterlein Rita oder Margaretha zu berichten wüßte.«

Vor Ungeduld zitternd holte Graf Emanuel jetzt aus der Brieftasche Ferdinands Notizen herbei. Sie lauteten:

»Vor dem gerechten und allwissenden Gott, vor dessen Richterstuhle ich vielleicht schon bald zu erscheinen habe, bestätige ich hier auf Ehre und Gewissen die Wahrheit nachfolgender Aufschreibung.«

Nun folgte die genaue Mitteilung alles dessen was Graf Emanuel aus dem Munde des jüngst Hingeschiedenen bereits vernommen hatte.

Später unten hieß es dann: »Mein Stummer hatte meinen Auftrag pünktlich vollzogen; es sind seitdem zwölf Jahre hinübergegangen. Von ihm erfuhr ich auch damals den Namen des Städtchens in Böhmen; das neugebaute Haus trug die Nummer fünf und stand auf dem Hauptplatze. Hier legte er auf der zweiten Treppenstufe die kleine Gräfin Hedwig von Hohenfeldt, die Tochter des Grafen Rudolf und der Gräfin Irene nieder. Sie war damals zwei Jahre alt und konnte noch nicht sprechen. Sie schlief fest infolge eines unschuldigen Schlafmittels, das ich ihr verabreicht habe. Es war damals der achte August und ein Mittwoch.« –

Ferner lag ein Zeitungsblatt den geschriebenen Notizen bei. Es hieß da: Am obigen Dienstag, dem siebenten August brannte ein Flügel des in Böhmen gelegenen Schlosses Hohenfeldt-Rast fast vollständig nieder. Bei arg stürmischen Wetter war spät abends in den Gemächern der kleinen Gräfin Hedwig von Hohenfeldt Feuer ausgebrochen und gleich so heftig aufgetreten, daß an eine Rettung des Kindes nicht mehr gedacht werden konnte, obschon mehrere der im Schlosse anwesenden Diener und Beamte, darunter auch namentlich der vertraute Freund und Begleiter der beiden gräflichen Brüder, Herr Ferdinand Henke mit eigener Lebensgefahr wiederholt einzudringen versucht hatte. So erübrigt nur die höchst bedauerliche aber unbestrittene sichere Annahme, daß das zweijährige Kind in den Flammen den Tod und unter den rauchenden Trümmern sein frühes Grab gefunden habe.

Graf Emanuel, der jüngere Bruder des höchstseligen Grafen Rudolf tritt nunmehr nach dem Tode seiner Nichte und Mündel, der jungen Gräfin Hedwig, das Erbe sämtlicher Güter und Hinterlassenschaften an und somit in die Reihen des ersten und höchstbegüterten Adels des Landes. – So der Zeitungsbericht. –

Ferdinand aber erzählte weiter, wie es ihn endlich nach zwölf Jahren wieder zur Heimat zurückzog, wie er unter großen Mühseligkeiten und durch seine unheilbare Krankheit oftmals in einem Krankenhause aufgehalten, endlich das besagte Städtchen erreichte, ohne aber das Kind zu finden. »So verlasse ich mich einzig und allein auf den allbarmherzigen und allwissenden Lenker unserer Schicksale, er wird die Spur zeigen, er wird die Verlorene wieder finden lassen.«

Damit endeten die Notizen, sie sagten nicht viel mehr, als der Graf bereits aus dem Munde des Sterbenden selbst gehört und waren nur für den Fall niedergeschrieben worden, daß jener Hohenfeldt nicht mehr lebend erreichen würde. Das Couvert trug die Adresse des Grafen Emanuel von Hohenfeldt und war zu dessen eigener Hand dirigiert. –

Nachdem dieser den Brief Notburgas sowohl, als auch den seines einstigen Freundes und schlimmen Beraters gelesen und alles genau und eingehend verglichen und geprüft hatte, nachdem er gesehen, daß alle Daten und alle Notizen genau übereinstimmten, verharrte er eine Zeitlang in regungslosem Schweigen. Zu mächtig war's, was jetzt in dieser Stunde auf ihn einwirkte, die Furcht, die Gewissensbisse, die Zweifel vieler Jahre waren jetzt auf einmal gehoben; was er auch an seinem Mündel gesündigt hatte, was er ihr entzogen und vorenthalten in zwölf langen Jahren, es sank unter in dem einen seligen Bewußtsein: Sie lebt – ich bin nicht schuld an ihrem Tode – noch kann alles wieder gut werden!«

Und das wollte er auch, und zwar sofort, sobald als möglich. Nicht eine Stunde länger sollte er im Besitze unrechten Gutes, noch Rita in ihrer bescheidenen Stellung bleiben, sie hatte seiner Tochter das Leben gerettet, die Beiden waren einander in herzlichster Liebe zugethan, durfte er von dieser Freundschaft nicht auch für sich auf Nachsicht und Vergebung hoffen? Konnte sie aber denn verzeihen? Daß man mit ihr so arg gespielt, daß man sie um die schönsten Jahre ihres Lebens, um ihre goldne Kindheit, um all' die Genüsse des Reichtums und der Unabhängigkeit gebracht hatte? Konnte, würde sie es verzeihen? Vielleicht that sie es um Mechtildens, um seines kranken Kindes willen.

Für dieses allein zitterte er ja jetzt. Wie, wenn sich die Betrogene mit Abscheu von ihm abwenden, wenn sie ihm die Thüre weisen würde – und sie konnte es, sie war hierzu berechtigt – wenn er dann fortziehen mußte mit den Seinen nach Hohenfeldt-Rast, mit seiner zarten Seraphine in das ungleich rauhere Klima Böhmens, es wäre ihr Tod.

Emanuel wischte sich die feuchte Stirne und doch lief ein kalter Schauer durch seine Glieder. Endlich sank er nochmals auf die Knie, hob Hände und Augen gegen Himmel und sprach: »ich danke dir o Gott, du bist allzugnädig mit mir verfahren, komme, was da wolle, ich will es mit Ergebung hinnehmen, als wohlverdiente Strafe, als gerechte Buße.«

Dann stand er rasch auf und zog die Glocke. Ein Diener erschien.

»Ich lasse den Herrn Pfarrer höflich bitten, sich möglichst bald hierher zu uns zu bemühen; auf dem Rückwege vom Pfarrhause bittest du den alten Invaliden und seine Frau Schwester gleichfalls zu mir zu kommen.«

Der Diener entfernte sich. Eine halbe Stunde peinlichster Unruhe verging, sie dünkte dem Wartenden eine Ewigkeit, und dennoch wollte er weder seine Gemahlin, noch seine Tochter benachrichtigen, daß ihnen eine große Eröffnung bevorstehe.

Endlich trafen die Gebetenen im Schlosse ein und wurden nach dem großen Saale beschieden.

Mit Staunen hatten die drei Damen vernommen, daß man auch ihr Erscheinen daselbst erbitte, und als der Diener nochmals Meldung machte, sämtliche vom Grafen Befohlenen seien bereit, ihn zu sehen, seufzte er tief auf, und stieg wankenden Schrittes die Treppe hinunter, sie zu begrüßen.

Mit größter Spannung wartete die Gräfin und ihre Tochter, was der nächste Moment bringen werde, denn daß man vor einem großen Ereignisse stände, mußte man denken, wenn man das todblasse Gesicht, die zitternde Gestalt des Grafen betrachtete; der Pfarrer stund natürlich nach dem gestrigen Besuche des Schloßherrn der Lösung der Frage am nächsten.

Klaus und Notburga blickten neugierig, doch aber völlig unbefangen in's Leere, Rita war fast ein wenig erzürnt, daß man ihrer schwachen Seraphine mit dieser Zusammenkunft eine Aufregung verursacht hatte; gewiß würde sie dieselbe wieder Tage lang nachempfinden, denn es ging ihr eben jetzt so wenig gut, und nur selten kamen kurze Sonnenblicke, wo man wieder zu hoffen begann.

Nun ließ der Graf seine Augen über die um ihn Versammelten hinschweifen und begann:

»Vor einigen Tagen ist ein Mann begraben worden, der in seiner Jugend viel mit mir und meinem seligen Bruder verkehrte; besonders wurde er mein unzertrennlicher Gefährte auf allen meinen Reisen, er verleitete mich aber auch zum Spiele, und regte die Habsucht und das glühende Verlangen nach Gold und Reichtum, das ihn total beseelte, auch in mir an.

Er ist nun tot und hat vor seinem Hinscheiden noch meine Verzeihung erbeten und erlangt.

Der Herr Pfarrer hat ihn auf seine Bitte besucht, hat ihm Trost und Stärkung gegeben für die dunkle Reise in die Ewigkeit – durfte ich da minder gut, minder milde sein, ich, der selbst der Erbarmung Gottes so sehr bedarf? –« Er hielt tief bewegt inne und fuhr dann fort. »Dieser Verstorbene hat einst aus falscher, sündiger Liebe für mich ein großes Verbrechen begangen; vor zwölf Jahren war auf einem unsrer Schlösser in Böhmen Feuer ausgekommen und der eine Flügel des Baues verbrannt, mit ihm verunglückte auch meine kleine Nichte und Mündel Hedwig, die verwaiste Tochter meines Bruders Rudolf und die Erbin und Eigentümerin des großen Familienbesitzes. Das Kind war zwei Jahre alt gewesen und wurde unter dem Schutte begraben, so sagte man, so berichtete mir jener Ferdinand und hatte sogar die Verwegenheit mir mit grinsendem Hohnlachen zu sagen: »Ein kleiner Engel im Himmel, für Sie, Herr Graf aber das letzte Hindernis zum großen Erbe.« –

So tief war ich gesunken, daß ich freudigen Herzens Besitz nahm von dem Erbe meiner kleinen, armen Nichte, um es dereinst Arthur dem Kinde meines Herzens, dem einzigen Sohne überlassen zu können. Ich selbst hatte ja diesen Tod nicht herbeigeführt, weshalb sollte ich mich des so rasch erlangten Glückes nicht freuen? – Und doch, Tag und Nacht sah ich die Leiche des Kindes vor mir, Tag und Nacht verfolgte mich sein Bild, Ruhe und Friede war dahin. Auch mein Familienglück schien zu wanken, ich verlor den einzigen Sohn, den süßen Liebling mußte ich in's Grab legen, Seraphinens vielfach kränkelnde Kindheit erhielt mich in steter Sorge, ich wußte wie meine Gemahlin litt, und konnte sie nicht trösten, ach, ich war ja ungleich trostbedürftiger als sie! –

Und nun kam das Ärgste. Jener Ferdinand kam zurück aus fernen Landen, um hier zu sterben, und gestand mir, daß das Kind nicht verbrannt, sondern von ihm nur beseitigt worden sei, um mir im Bedürfnisfalle Geld abzuzwingen, er habe es in eine Stadt in Böhmen gebracht, – welch' ein Schrecken für mich. –

Aber Gottes heilige Engel haben über der kleinen Unschuld gewacht, – brave, wohlhabende Leute haben sich des Findlings angenommen und ihn als ihr eigen Kind erzogen, nach dem Tode der Mutter kam es hierher – nochmals in den Schutz braver, alter Geschwister, und jetzt, nachdem alle darauf bezüglichen Papiere geprüft sind und kein Zweifel daran aufkommen kann, jetzt ist es meine Pflicht die solange um ihren Besitz Geschädigte wieder einzusetzen in ihr volles Recht und hier vor Zeugen und im Angesichte Gottes zu erklären: ›Meine Mündel Hedwig lebt und ist von dieser Stunde an die rechtmäßige Erbin von Hohenfeldt!‹«

Er schwieg, Gräfin Mechtild war kaum mehr im stande zu atmen, alles Blut war ihr nach dem Herzen zurückgewichen, die Augen traten fast aus ihren Höhlen als sie ganz vorne übergebeugt an den Lippen ihres Gatten hing und zu flehen schien: »Bitte, erbarme dich, quäle uns nicht länger, wo weilt mein verlorner Liebling, wo ist unsre Hedwig?«

Und jetzt ergriff Graf Emanuel Ritas Hand, neigte sich ritterlich zu ihr, küßte ihre Stirne und sprach langsam und feierlich: »Hier unsere liebe Rita, die Freundin unserer Seraphine, die Enkelin Frau Notburgas und des braven Klaus ist meine Mündel und Nichte, die Gräfin Hedwig und Herrin von Hohenfeldt.«


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