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Siebzehntes Kapitel.
Die Dorfhexe stellt Selbstbetrachtungen an

Das Befinden Seraphinens zeigte seit einiger Zeit hocherfreuliche Fortschritte zum Bessern. Wollte der Himmel doch Erbarmen üben, und den Eltern das heißgeliebte Kind erhalten?

Jeden Tag versuchte sie in's Freie zu kommen, und legte bereits kleine Strecken zu Fuße zurück, einzig auf den Arm ihrer Mutter oder den Kathrinens gestützt, ohne des Fahrstuhles zu bedürfen. Allerdings verhielt sich der Arzt zu dieser erfreulichen Besserung ziemlich ruhig, er wollte die große Freude der Familie nicht durch böse Voraussagungen trüben, wagte aber keineswegs die sanguinischen Hoffnungen für Genesung zu teilen. Im Gegenteile stand in seiner Überzeugung die Thatsache unerschütterlich fest, daß zur Zeit allerdings ein günstiger Stillstand des Übels eingetreten, hieran aber durchaus keine Folgerung zu knüpfen sei, im Gegenteil würde einmal der Zusammensturz der Kräfte um so rascher und zerstörender vor sich gehen.

Seraphine freute sich indes als ein echtes, harmloses Kind ihrer Spaziergänge durch die schöne Natur. Ihre fromme, gottliebende Seele erblickte in jedem, auch dem unbedeutendsten Geschöpfe die Allmacht des göttlichen Meisters und fand täglich neues zu bewundern, täglich neues zu betrachten.

Bei diesen kleinen Streifzügen durch den Park hatte sie einigemale das fremde Mädchen wieder gesehen, das ihr zuerst beim Feldkreuze begegnet war, aber kein Winken, kein Zuruf konnte es zum Stehen bringen. Scheu und unfreundlich wich es zurück, sobald man es anrief, ja es flüchtete förmlich vor Seraphine und diese hätte doch so gerne einige liebe Worte mit dem seltsamen Kinde gewechselt.

Hätte übrigens sie selbst oder ihre Begleiterin dasselbe aufmerksamer beobachtet, so hätte sie sehen müssen, wie es mit glühenden Augen hinter einem Baume oder einer Hecke hervor nach Seraphine schaute, so lange und so aufmerksam als es nur konnte, und jeden ihrer Schritte verfolgte.

Ja, die Dorfhexe, wie jener Bauernjunge sie geheißen hatte, konnte weder den lieben Blick, noch die freundlichen Worte von Mutter und Tochter wieder vergessen, war es doch so selten, daß Fremde gut zu ihr sprachen: Sie hatte auch den Großeltern davon erzählt, mochte sich aber nicht dazu verstehen sich artig und verständig den Herrschaften zu nahen, sondern betrieb ihre Verehrung zuerst nur aus der Ferne. Dagegen hatte sie fast jeden Tag eine kleine Überraschung für Seraphine, die sie ihr wie eine stumme Huldigung gleichsam auf irgend eine Weise darzubringen suchte.

Bald war's ein schönes Waldbouquet, dann waren es die ersten reifen Waldbeeren, hochrot und schwarzblauglänzend zum niedlichen Sträußchen zusammengefügt, dann band sie Feldblumen zierlich aneinander, oder machte Kränzchen aus Waldreben und Epheu, die sie sich im Parke holte.

Diese kleinen Gaben suchte sie von jedermann unbemerkt auf den Fahrstuhl oder die Bank zu legen, auf der Seraphine Platz genommen hatte, und wenn sie dann verlegen in der Nähe lauschte, welche Aufnahme ihre duftige Gabe fand, und sah, wie Seraphine sie so freudestrahlend in die Hand nahm, sie eingehend betrachtete und dabei öfters ausrief: »O wie hübsch das ist! Sieh nur, liebe Mama! Sieh nur, Kathrine, wie reizend und mit welch feiner Wahl, mit welch gutem Geschmack das zusammengefügt wurde! Von wem es nur kommt? Wo ist denn das liebe, gute Wesen, das mir fast täglich so große Freude macht, und keinen Dank dafür entgegen nehmen will?« – Dann schlug ihr Herz vor Aufregung und Freude fast hörbar in der Brust, dann hätte sie hervorstürzen und die kleine, feine Hand erfassen und küssen mögen – aber so etwas wagte sie nicht.

»Wie meinst du Mütterchen,« frug dann Seraphine, »ob dies alles nicht gar von der kleinen Rita kommt?«

»O, nicht denkbar!« meinte Kathrine wichtig, ehe noch die Gräfin eine Antwort gefunden hatte, »das sieht der Dorfhexe nicht gleich, sie ist ein störrisches, häßliches Ding und so etwas verrät ein gutes Herz.«

»Und das hat sie auch, ganz gewiß hat sie es, nicht wahr, Mama, du glaubst es auch, sie ist nur ein armes, scheues Vöglein, das niemand mag, und das sich deshalb lieber verbirgt und einsam bleibt, als mit den Menschen zusammen.«

O wie drangen diese Worte in Ritas Herz! Die Glut der Scham färbte ihre Wangen, denn sie war eine ehrliche Natur und jeder Falschheit abgeneigt, und wenn sie jetzt bedachte, wie sie sich einst über das liebe, sanfte Mädchen lustig gemacht, wie sie sie um ihrer Schwäche und Krankheit willen verlacht hatte, so that es ihr in innerster Seele leid. Wieviel besser war Seraphine als sie selbst!

Ja, hatten am Ende die Leute doch recht gehabt, wenn sie sie die Dorfhexe hießen, wenn sie ihre wohlgezogenen Kinder vor dem Umgange mit ihr warnten, weil sie die böse Ansteckung fürchteten?

War sie denn wirklich so böse und war es ein so großes Unrecht, daß sie manchmal eines von denen, die sie nicht leiden mochte, ein bischen neckte? Der fette Mops des Fräulein Scholastika war ja doch nicht gestorben an seinem scharlachroten Bade, und als im vorigen Jahre einmal drei Klatschbasen gerade unter dem Baume standen, auf dem sie saß, und ewig nicht fertig wurden, über den Herrn Pfarrer und seine Haushälterin, über die Schloßverwalters und zuletzt noch über die abwesende Gutsherrschaft zu plauschen und an jedem etwas zu tadeln und auszusetzen wußten, da hatte sie der Zorn übermannt und sie hatte so lebhaft die Zweige geschüttelt, daß ein ganzer Regen von Käfern und Raupen auf die drei bösen Weiblein herabgefallen war und sie laut kreischend auseinander stoben; dazu fochten sie mit den Händen in der Luft, um das ekle Getier loszubringen und schrieen und tobten, und schimpften auf den Unband, die Invalidens Rita, die gottlose Dorfhexe; denn es konnte ganz gewiß niemand sonst so etwas anhaben, als sie, überdies glaubte auch eine der drei, sie hätte kichern gehört.

Rita war aber schon längst davon gelaufen und hatte sich nicht erwischen lassen.

Jetzt noch, als sie wieder daran dachte, schüttelte sie sich vor Lachen. War denn das auch etwas Unrechtes gewesen?

Selbst der Großvater hatte damals zu dem Raupensegen gelacht, der sich über die drei schlimmen Häupter ausgegossen hatte, und es widerstrebte ihm, sie zu zanken, noch mehr, ihr eine Strafe zu diktieren; weniger leicht nahm es die Großmutter. Sie schlug die Hände zusammen und brach in helle Thränen aus über das entsetzliche Kind, dem gar keine Furcht und gar kein Anstand beizubringen waren, und das sich bald im ganzen Orte so verhaßt machen würde, daß niemand mehr von ihm wissen wollte. Dann aber nahm Rita die alte Frau um den Hals, küßte sie auf beide Wangen und sagte: »Großmutterl, hab' nur noch ein bischen Geduld mit mir, ich werde gewiß auch noch einmal brav und ordentlich werden, wie andre Mädchen – oder hat denn der liebe Gott nur allein mir ein schlimmeres Herz gegeben als jenen? Kann ich nicht auch, was sie können? Du wirst schon sehen, daß noch alles recht wird, nur noch ein bischen Mutwillen laß mir! Schau', ich bin halt gar nicht zum Ernste geschaffen, und wenn ich nimmer lustig sein dürfte – dann – Großmutterle, dann möcht' ich schon am allerliebsten gleich auf der Stelle sterben!«

Da aber fuhr die alte Frau mit zitternder Hand über das wirre Krausköpfchen der Enkelin und rief zwischen Lachen und Weinen: »Um Gotteswillen, Kind, sprich nicht so frevelhaft daher, wer wird denn gleich sterben wollen! Bleib' du uns nur froh und gesund – aber treibe nur nicht gar so viel Unfug, hörst du, Mädl? Nur nicht gar so viel Unfug!«

Damit war der häusliche Friede für einige Zeit hergestellt worden, und keine neuen Klagen mehr eingelaufen.

Und noch eins kam ihr in die Erinnerung – da hatte es gleichfalls argen Sturm abgesetzt; und doch wollte es ihr jetzt noch so lustig dünken.

Im Orte nämlich lebte eine alte Person, die hieß man die Nußdörte, weil ihr Häuschen, das sie schuldenfrei von ihren Eltern ererbt hatte, zwischen lauter Nußhecken lag. Wenn jemand nach seiner äußeren Erscheinung den Namen einer Hexe verdiente, so wäre es die Dörte gewesen. Unsauber, ungekämmt, mit nackten Füßen in den Schuhen, das gelbe, faltige Gesicht mit dem feindseligen Ausdrucke, der zahnlose Mund mit der weit vorstehenden Unterlippe, die trüben entzündeten Augen, die lange Nase, die fast bis zum Munde niederhing, so daß man sie mit einem kühnen Schnappen hätte abbeißen können, dazu die vorgebeugte Haltung und die fast immer zur Faust geballten Hände – all das war angethan, die Alte unbeliebt und abstoßend zu machen, und doch wäre das alles nur ihr Äußeres gewesen, und ihr gewiß nicht zum Vorwurfe gemacht worden, wenn sie irgend etwas gethan hätte, worum man sie loben oder bewundern durfte. Aber leider that sie alles, um sich verhaßt zu machen. Mit allen Menschen lag sie im Streit und Unfrieden, gegen niemanden war sie gefällig, von niemanden redete sie Gutes, schürte dagegen den Haß, wo immer sie konnte, und war deshalb so allgemein gefürchtet, daß kein Mensch etwas mit ihr zu schaffen haben mochte.

Nie bekam ein Armer einen Pfennig oder einen Teller warmer Suppe von ihr – nie hatte sie ein Wort des Mitleides für Verunglückte und Kranke – dabei aber fehlte sie bei keiner Andacht in der Kirche, lief mit allen Beerdigungen und that sich überhaupt auf Frömmigkeit viel zu gute.

Diese böse Frau, vor der sich jede Thüre schloß und jede friedliebende Seele auswich, hatte aber in Bezug auf Mein und Dein sehr unklare Begriffe, und fand es ganz wohl mit ihrem Gewissen vereinbar, wenn sie auf ihrem Acker arbeitete, eine Schürze voll Rüben oder Erdäpfel vom Nachbarfelde mit nach Hause zu nehmen.

Diese zunächst an ihr Eigentum angrenzenden Grundstücke aber gehörten dem Invaliden Klaus und seiner Schwester. Beide wußten recht wohl um die erlittene Beschädigung, sie kannten auch die diebische Hand, die ihnen diesen Schaden zufügte, aber sie fürchteten diese so sehr, daß sie um des Friedens willen zu dem Übergriffe in ihr Eigentum stille schwiegen. Darüber war Ritas rechtlich fühlendes Herz höchst empört. Wenn Großvater und Großmutter sich nicht über die alte Dörte trauten, so wollte sie es wagen. Das stand bei ihr fest. Nun hatte sie schon oft gehört, daß die Alte in den Haselnüssen über die Maßen abergläubisch sei, wie das bei all denen der Fall ist, die nichts oder nur Unvollständiges vom lieben Gott und der Kirche wissen; es ist ja eine alte Wahrheit, daß der Aberglaube immer der Genosse des Unglaubens oder auch des unrichtig verstandenen Glaubens ist; deshalb lacht eine jede wirklich fromme Seele zu solchem Geisterspuck und fürchtet nichts als die Sünde.

Nicht so die Dörte; wenn sie morgens aus dem Hause ging und eine schwarze Katze ihr über den Weg lief, dann kehrte sie jammernd wieder um und wagte sich erst, wenn zu Mittag die Aveglocke geläutet hatte, zum zweiten Male über die Schwelle; wenn sie zufällig mit dem linken Fuße zuerst aus dem Bette stieg, so hütete sie sich füglich, an diesem Tage etwas anzufangen; wenn ihr ein Luftzug das Licht ausblies, und sie hatte eben in diesem Augenblicke an irgend jemand gedacht, so war sie überzeugt, derselbe würde innerhalb acht Tagen sterben, dann war sie aber schonungslos genug, es dem Betreffenden mitzuteilen, damit er sich auf den Tod vorbereiten möge. Glücklicherweise waren ihre Prophezeihungen noch niemals eingetroffen und stießen daher auch auf keinen Glauben mehr.

Diese und noch viele ähnliche Dinge nun hatten Rita zu dem Entschlusse gebracht, der diebischen, abergläubischen Alten einen Schabernack zu spielen. Ihre Großmutter Notburga hatte sich, so lange sie noch in der Stadt gelebt, ihre Hauben immer selbst aufgeputzt und zu diesem Zwecke einen Haubenstock benutzt, der eine weibliche Büste darstellte mit derben unschönen Zügen und starren Augen; ihre Wangen hatten mit der Zeit ihre rosige Frische eingebüßt, sie waren blaß und abfärbig geworden, wie auch die schmalen Lippen, die Nase aber hatte eine Quetschung erlitten, wodurch der Ausdruck des Gesichtes ein gar sonderbarer wurde.

Dieser zweifelhaften Schönheit setzte Rita nun die Staatshaube der Großmutter auf, welche dieselbe nur an den höchsten Festtagen zu tragen pflegte und die sich die Schelmin schlauer Weise zu verschaffen gewußt hatte. Die Haube war ein wahres Ungetüm von weißen und schwarzen Spitzen, turmförmig aufeinandergesteckt und in der Mitte mit grellroten Bändern geziert, wodurch das bleiche Gesicht noch bleicher erschien. Um Hals und Schultern legte sie dem Haubenstock ein weißes Wolltuch, und wartete hinter der Haselnußhecke verborgen, auf den richtigen Moment ihrer Rache. Als endlich Dorothea nach Hause gekommen war, ihre Mahlzeit eingenommen und bei einer schwach leuchtenden Lampe sich zum großen Tische inmitten der Stube hingesetzt hatte, – flog plötzlich ein kleines Steinchen gegen die Fensterscheibe. Draußen war es mondhell; Dörte hatte nicht sobald nach der Stelle hingesehen, von woher das Geräusch gekommen war, als sie auch schon mit lautem Schrei wieder auf ihren Stuhl zurücksank und an allen Gliedern zitternd, ganz entsetzt nach dem Fenster starrte.

Hinter den Scheiben vom Monde beleuchtet zeigte sich ihr ein geisterhaftes Gesicht mit todesbleichen Wangen und glühendroten Flammen über der Stirne.

Langsam nickte es hin und her und sprach mit hohler Grabesstimme: »Dörte, Dörte, du bist doch eine ganz hartgesottene Sünderin! Hast oft schon deinem Nachbar die Rüben gestohlen, wenn's Mitternacht schlägt, werd' ich kommen und sie holen.«

Bei dieser Drohung, die sie in's innerste Gewissen traf, stürzte die Alte zum Hause hinaus auf die Straße, die Nachbarsleute herbeizurufen, aber kein Gespenst ließ sich erblicken weit und breit; Dörte wurde verlacht, viele auch gönnten ihr den wohlverdienten Schrecken, man äußerte diese und jene Vermutung, dann ging man wieder seines Wegs, niemand mochte sich mit der unfreundlichen Person tiefer einlassen. Dörte aber blieb in jener Nacht im Pfarrhause, wo man ihr auf dringendes Bitten aus Mitleid eine Schlafstelle gewährt hatte. Sie hatte ganz schauerliche Dinge erzählt von einem Geiste, der ihr erschienen sei, feurige Zungen als Haare gehabt und ihr gesagt habe, er wolle um Mitternacht zu ihr kommen; den Rübendiebstahl verschwieg sie schlauerweise, hievon kam kein Wörtlein unter die Leute, während man doch sonst viel über das geheimnisvolle Gespenst sprach.

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Wohl war der Verdacht gegen Rita laut geworden, aber wenn sie es auch wirklich war, diesmal kam ein richtiger Zorn wider sie nicht auf, im Gegenteile freute sich mancher im stillen, der längst schon gerne einmal ein Hühnchen mit Dörte gepflückt hätte und nicht mutig genug war, sich mit ihr zu verfeinden, daß dies kleine, kecke Mädchen den Weg gefunden hatte, sie in's Bockshorn zu jagen.

Der Herr Pfarrer hielt der Alten eine sehr ernste Strafpredigt über ihre unsinnige Gespensterfurcht und meinte, sie möchte sich doch vielleicht in einer oder der andern Hinsicht nicht ganz vorwurfsfrei im Gewissen gefühlt haben. Und wenn das der Fall wäre, dürfte sie gewiß sein, daß sie überhaupt einen Geist nur in der Einbildung gesehen, und nur ihr schlechtes Gewissen im Verein mit dem geisterhaften Mondlichte ihr diese Schreckbilder vorgespiegelt hätte.

Rita aber hatte noch rechtzeitig, und ehe Dörte Alarm rief, die Flucht ergriffen. Schnell wie ein abgeschossener Pfeil rannte sie dahin, über Wiesen und Felder, den Haubenstock samt Haube und Kragen sorgsam unter ihrer Schürze bergend. Sie hatte ihren Zweck erreicht, die boshafte Alte erschreckt und die Großeltern gerächt; ihre einzige Sorge war jetzt die, sich nicht erwischen zu lassen. Freilich kam schon wenige Tage später Frau Notburga laut jammernd in die Stube und wies ihrem Bruder die arg zerknitterte Staatshaube vor. Wie sah die mitgenommen aus und durch wen war sie so verdorben worden? –

Da hatte Ritas ehrliche Natur ohne Rückhalt den ganzen Vorgang eingestanden, wobei sie selbst sich vor Lachen krümmte.

Die Großmutter aber hatte keineswegs in diesen Spaß eingestimmt. Eine ganze Flut von Zank- und Scheltworten ergoß sich über das ungeratene, übermütige Kind, an dem Hopfen und Malz verloren und gar nichts mehr zu hoffen sei für endliche Besserung.

Die Haube, die Frau Notburga nur zu höchsten Feierlichkeiten getragen hatte, war nächtlicherweile auf einem alten Haubenkopf gesessen, hatte zu Komödie und Unsinn gedient – und wie war sie verdorben und zerknittert! Ordentlich entweiht kam sie ihr vor, und dafür wurden Rita drei Tage strengster Strafe diktiert, während welcher Zeit sie nur einmal in vierundzwanzig Stunden zu essen bekam, auf Frühstück, Vesper- und Abendbrot verzichten mußte.

Der Großvater sah ein, daß es diesmal nutzloses Mühen gewesen wäre, die arg erzürnte Schwester milder zu stimmen, und ließ die verhängte Buße stillschweigend über Rita ergehen. Für das heimliche Eindringen in den Garderobeschrank der Großmutter, sowie für den Mißbrauch ihrer Putzhaube hatte sie Strafe verdient, das mußte er ja selbst zugeben, das übrige – nu – die drei Tage würden wohl auch vorübergehen, und wenn er sich gleich nicht offen gegen Notburga auflehnte, ein bischen mehr Zärtlichkeit während dieser drei Hungertage war der Kleinen wohl zu gönnen, und daran wollte er es auch nicht fehlen lassen.

»Satansmädel,« brummte der alte Soldat und gab Rita einen Klaps auf die Wange, »ein ganzes Buch könnt' ich anfüllen mit all dem Unsinn, den du schon getrieben hast, seitdem du zu uns gekommen bist, du kleiner Nichtsnutz, du goldiger!« –

Ja, so hatte der gute, liebe, alte Großvater damals gesagt, und eben jetzt mußte Rita daran denken und dabei wollte ihr ihre Schuld doch nimmer gar so schlimm scheinen, als sie zuerst in ihrem lebhaften Reuegefühl gemeint hatte!

Und jetzt wollte sie wirklich von Jahr zu Jahr besser und vernünftiger werden. So lange sie so unartig war, durfte sie ja gar nicht daran denken, sich der jungen Gräfin zu nähern, und das Gutwerden ging gar so schwer! Sie wußte eigentlich gar nicht recht, wie sie es anfangen sollte, überall wich man ihr jetzt aus, wie sie selbst es anfangs gethan hatte. Zuerst war sie von allen Kindern weggelaufen, weil sie sich teils als Fremde in Sprache und Sitten, teils zu gut gefühlt hatte für sie, und jetzt war sie ihnen zu schlimm geworden; eigentlich hatte doch ihre Vereinsamung sie zu all diesen Streichen veranlaßt; sie konnte sich niemals mit ihren Altersgenossen so recht von Herzen ausspielen und austoben, da wurde ihr die Zeit zu lang und Langeweile erzeugt böse Gedanken; lustig war sie, lachen wollte sie und andere lachen machen, und weil man nicht lachte zu dem, was sie anfing, so that sie allerhand tolles Zeug, worüber doch wenigstens sie selbst lachen mußte.

Für die Schule war sie auch viel zu unruhig; sie hatte anfangs den Herrn Lehrer um allerlei Dinge gefragt, die ihm nicht in sein vorgeschriebenes Lehrpensum paßten, dafür ward sie dann als naseweis gescholten, aber Aufklärung und Belehrung erhielt sie nicht. Man gestand ihr Talent und Begabung zu, aber niemand gab sich so recht eigentlich mit ihr ab, das verdroß sie, und statt sich auszuzeichnen, that sie nur das Nötigste ohne jeden Fleiß und Ehrgeiz.

Jetzt hätte sie viel, ach viel darum gegeben, wäre sie anders gewesen. Aber vielleicht war's doch noch möglich. Sie wollte wenigstens nichts unversucht lassen, und so lange die Jahreszeit gut war und das Befinden der jungen Gräfin erlaubte, täglich auszugehen, wollte sie auch die stille Huldigung aus der Ferne fortsetzen, wie sie sie begonnen hatte. Daß sich Seraphine darüber freute, wußte sie bereits, und ebenso, daß man schon auf sie als Geberin der holden Blumengrüße gedacht und geraten hatte.

So wollte sie vorläufig noch ferne und verborgen bleiben und glücklich sein, wenn sie die beiden Damen, zu denen ihr kindliches Herz sie so heiß und mächtig zog, nur recht oft sehen durfte. Seitdem die Eltern Seraphinens damals ihrer Bitte, den Park dem allgemeinen Besuche zu öffnen, willfahren hatten, war das ja leicht möglich.


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