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Fünfundzwanzigstes Kapitel.
Die Bescherung

Weihnacht kam näher und näher; in vielen Häusern schlugen junge Herzen ungestüm dem frohen, seltenen Feste entgegen, und wie die Kinder vom Christbaume und den übrigen Herrlichkeiten träumten, so fühlten die Eltern sich hochgeehrt über die Berufung ihrer Kleinen in's herrschaftliche Schloß. Jede fleißige Mutter setzte für das Töchterchen das beste Kleid in Bereitschaft und richtete den Buben den Sonntagsstaat zurecht, die sauber gebürstete Tuchjacke und das kurze, bis an die Waden reichende Höschen. Wo immer Vater- oder mutterlose Kleine, oder auch Doppelwaislein waren, oder dort, wo an eine Weihnachtsbescherung nicht gedacht werden konnte, war eine Einladung ergangen, und etwa 24 Kinder hierzu in Aussicht genommen. Anfangs hatte man vorgehabt, den Kindern einen einzigen großen Christbaum zu schenken, bei näherer Überlegung jedoch hatte man sich dafür entschieden, daß für jedes Kind ein kleines Bäumchen geputzt werden solle, welches es dann mitnehmen durfte nach Hause. Die Freude würde hierdurch um vieles größer sein.

»Wir stellen Seraphinens große Tanne inmitten des Saales,« meinte Rita, »und an der Seite längs der Wand die kleinen Bäumchen. So wird es herrlich sein!«

Es gab viel zu thun. Seraphine fand eine große Freude daran, die Nüsse in Schaumgold zu tauchen, die Äpfel mit silbernen und goldenen Bäckchen zu verschönern, die kleinen Körblein aus Silberdraht einzufüllen mit Chokolad' und Quittenzeltchen, oder auch mit farbigen Zuckersteinchen. In der Schloßküche duftete es nach süßem Weihnachtsgebäck, nach Bretzeln und Ringeln, Zimtsternen und Mandellaibchen. Aus Nürnberg war eine große Kiste angelangt mit braunen und weißen Lebkuchen – mit Lebkuchenreitern und Spinnereien, auch gab es Kaminkehrer dabei und Christkindleins von Engelchen gefahren, aus Marzipan, und noch viele schöne, gute Dinge. Vom Luxus der jetzigen Konditorwaren, der Pralinen und russischen Marzipans, den feinen Bonbons und kandierten Früchten wußte man damals noch nichts und würde die verständige Gräfin wohl auch nicht erlaubt haben, daß man hierfür so schwere Ausgaben gemacht hätte. – Bei jedem mit Äpfeln und Nüssen und obengenannten Süßigkeiten aufgeputzten Bäumchen lagen die Geschenke, nützliche und angenehme, je nach Bedarf und Wunsch, Wäsche, Kleider, Schuhe, auch Bücher, Lernsachen und Strickkörblein mit Wolle und Nadeln; für die Kleinen gab es Spielzeug, Kochgeschirr und Puppen für die Mädchen, Pferde, Wagen und Soldaten für die Buben – es sah allerliebst aus, und die junge Komtesse war seit langem nimmer so heiter und froh gewesen, als in diesen paar Wochen, die dem heiligen Feste vorangingen.

»Es giebt doch wahrlich keine lieblichere Zeit, als Weihnachten,« sagte sie oft, »und wenn schon Ostern den großartigen Sieg des Lebens über den Tod, wenn Pfingsten die Sommerglut der göttlichen Liebe wunderbar und anbetungswürdig zur Darstellung bringt, am freundlichsten ist doch die Erinnerung an jene kleine Krippe mit der Jungfrau und dem Handwerksmanne beim Mensch gewordenen Gotteskindlein mit den armen Hirten als Opfernde, und dem geöffneten Himmel mit seinen Milliarden von Sternen und lobsingenden Engeln!« –

»Ja, du hast recht mein Schatz,« antwortete Rita, »ich weiß nur gar nicht, woher du immer all' die schönen Vergleiche nimmst; unsereins empfindet vielleicht ganz ähnliches, aber es kommt nicht so hübsch zur Sprache, – wie bringst du es nur fertig?«

»Ei, ei, was ihr gesunde Menschen doch für Egoisten seid! Sollen denn wir Kranken garnichts vor euch voraus haben? Schau mein Lieb, das, was du eben erwähnst, ist ein kleines Vorrecht derer, die viel allein sind. Wenig zerstreut und nicht durch andere Dinge abgezogen, halten wir fleißiger Einkehr in uns selber und gewinnen dabei, wie ein Bienlein den Honig gewinnt aus dem bittern Thymian, so aus den bittern Stunden unserer Leiden und Schmerzen Nutzen für unser Seelenleben.« –

.

Wenn immer Seraphine derartige Reden führte, schüttelte Kathrine still besorgt den Kopf und sprach, indem sie sich die Augen trocknete: »Viel zu klug für solch' ein Kind! Viel zu gut für diese Welt!« und Gräfin Mechtild sowohl als Rita gab ihr vollkommen Recht.


Der heilige Christabend war angebrochen.

Der Saal in den untern Räumen des Schlosses schien fast in ein Tannenwäldchen umgewandelt, denn rings um die bis zur Decke ragende große Tanne standen in langen Reihen die einzelnen kleinen Christbäumchen und die Geschenktischchen trugen Zettel mit den Namen der Kinder bezeichnet. Unter der großen Mitteltanne war eine Krippe aufgebaut, und als die Flügelthüren sich öffneten und die eingeladenen Kleinen in den Saal traten, führte sie Rita zur Krippe. Der gleichfalls geladene Lehrer setzte sich an's Klavier und die hellen Stimmchen sangen jetzt das liebe alte Lied: »Stille Nacht, heilige Nacht« recht schön und andächtig. Hierauf hielt ihnen der greise Pfarrherr eine kurze, aber innige Ansprache, er sagte ihnen, daß die gütige Herrschaft ihnen eine recht große Freude zugedacht, und deshalb Christkindchen eingeladen habe, sich hier in ihrer Mitte niederzulassen, denn es liebe ja alle Kleinen und sei aus Liebe für sie ihr Brüderchen geworden. So hätte es ihnen heute auch viele schönen Gaben mitgebracht, die sie dankbar und freudig annehmen dürften, aber nicht, ohne dem lieben kleinen Jesus zu versprechen, daß sie recht brave Kinder sein und bleiben, und die große Liebe der gnädigen Herrschaft verdienen wollten mehr und mehr. Mit einem lauten, kräftigen »Ja, wir versprechen es,« wozu der Herr Pfarrer zuletzt die Kinder aufgefordert hatte, war die Anrede geschlossen, und wurden den überglücklichen Kleinen ihre Geschenke angewiesen. War das ein Jubel und eine Seligkeit! Keines konnte sich satt sehen an den schönen Gaben. Jedes wollte auch das besichtigen, was die andern bekommen hatten, und die Freude fand kein Ende.

Die Gräfin und ihre Tochter, wie auch Kathrine und Rita plauderten mit den Kindern, ließen sich von ihnen erzählen, führten sie ein bischen umher, um ihnen allerlei hübsche Dinge im Schlosse zu zeigen. Die Kleinen, die noch niemals über ihr Dorf hinaus gekommen waren, wurden nicht müde, das alles zu bewundern.

Der Chinese in Seraphinens Zimmer, der zu allem »Ja« nickte, gefiel ihnen ganz besonders gut, auch andere schöne Nippsachen erregten ihr Erstaunen, u. a. eine Uhr, die einen goldnen Vogel vorstellte, der die schönsten Lieder zu singen vermochte. Mit offenen Augen und Mäulchen standen die Kinder umher und lauschten. Ein vierjähriger Knabe meinte: »Das schöne Vogerl lebt, sonst könnte es ja nicht singen«; seine sechsjährige Nachbarin aber belehrte ihn klüglich: »Ich denk' mir, in dem goldenen Vogel drinnen steckt noch einer, der wirklich singen kann?« Die Umstehenden lachten sie aus, Gräfin Mechtild aber erklärte ihnen die Sache so gut sie imstande waren, sie zu begreifen. Außerordentliche Freude rief der Papagei bei den Buben hervor. Sie kannten ihn schon aus der Ferne und waren glücklich, ihn jetzt ganz in der Nähe zu besichtigen. Im Sommer stand sein goldglänzender Messingkäfig häufig auf der Veranda, oder doch am offenen Fenster, und dann hatte Darling oft sehr erzürnt zu den Schlingels hinuntergerufen, wenn sie ihn neckten oder die einzelnen Worte, die er sprechen konnte, zu ihm hinauf schrieen. Es waren unter den Knaben mehrere aus den Rekruten des alten Klaus, und Rita, die sie kannte, hütete sie gewissermaßen, daß ihr Mutwille nicht ausarte. Master Darling aber war ein sehr verwöhnter Kamerad, der sich nur in der allerfeinsten Gesellschaft zu benehmen gewohnt war, er schaute daher diese kleinen Dorfjungen ziemlich verächtlich an, drückte ein Auge zu und blinzelte von der Seite zu ihnen hinüber, alles Rufen und Schmeicheln vermochte den halsstarrigen Vogel absolut nicht zum Sprechen zu bewegen.

Endlich erschien Franz im Saale, der für die Kinder Erfrischungen brachte; bei seinem Anblicke rief Darling: »Franz du bist ein Spitzbube,« worüber die Knaben in schallendes Gelächter ausbrachen, der Papagei jedoch so unangenehm hiervon berührt schien, daß er pustete und räusperte und einen Pelz machte, als sei er in übelster Laune. Nun ging seine junge Herrin selbst zum Käfige: »Darling, mein Bübchen,« lockte sie, »was hat uns denn den Humor verdorben?«

»Darling will Bisquit haben,« bettelte er, zum Entzücken der Kinder, und dann wieder rief er: »Guten Abend, Seraphine! gieb Darling Bisquit!« – Freude und Staunen wollten kein Ende finden, und erst, als er wiederholten Versuchen, ihn freundlich zu stimmen, widerstand, ließ man ihn in Ruhe.

Lischen hatte sich gar bald bei Seraphine eingeschmeichelt, denn sie hielt meistens Ritas Hand umfaßt und wollte sich nicht von ihr trennen, den ganzen Abend durch.

»Hast du denn diese böse Rita so lieb?« scherzte die Komtesse.

Lischen errötete und sah befremdet zu jener auf. »Rita ist nicht böse,« sprach sie leise, denn lauten Widerspruch wagte sie nicht.

»Freilich, Lischen, sie ist ja einmal eine Dorfhexe gewesen.«

Diese Rede versetzte das Kind in grenzenlose Verlegenheit, sie verbarg ihr Köpfchen in Ritas Rockfalten und fing zu weinen an.

Erschrocken darüber beugte sich Seraphine zu ihr nieder: »Weinst du, Kindchen? Hat dich mein Scherz beleidigt?«

»Nein, aber es thut der Rita weh, wenn man sie so nennt.«

»Weißt du das?«

»Ja, sie hat mir's selbst gesagt.«

»Und du nennst sie nicht so?«

»O nein, nie mehr! Sie hat einmal einen so schönen Kranz für unser Mutterle gebunden auf dem Kirchhof draußen, und dann hat sie mich zum Christkind eingeladen, und für meine Bertha Arbeit gebracht – sie ist so gut, ich habe sie recht lieb!«

»Das ist schön mein Kind! Sieh', es geht dir gerade so wie mir,« lächelte Seraphine, und fuhr liebkosend über Lischens blonden Scheitel, »mir hat diese gute Rita hier das Leben gerettet, siehst du die Narben auf ihrer Wange? Die bekam sie um meinetwillen! Verstehst du jetzt, daß ich sie ebenfalls recht lieb habe?« Lischen nickte. Nach einer Weile streckte sie sich auf die Zehen und flüsterte Rita etwas in die Ohren.

Laut lachend gab diese zur Antwort: »Ei du kleines Gänschen du, das wäre mir aber eine Ehre, wenn ich hier hängen dürfte, unter dieser vornehmen Gesellschaft! Mein Gott, die arme kleine Dorfhexe unter diesen hohen Damen!«

»Wovon sprichst du, Rita?« frug Seraphine.

»Lischen hat sich die schönen Bilder hier im Saale besehen, und mir eben ganz heimlich gesagt, die Dame dort mit den Kornblumen im Haare, sei keine andere, als ich selbst. Ist das nicht köstlich?«

»Allerdings, denn dann wärst du ja meine Großmama. Übrigens hat das Kind nicht so unrecht, ich finde wirklich, daß du dem Bilde ähnlich bist; noch ein Grund mehr, um dich zu lieben.«

Und zärtlich zog sie die junge Freundin an ihr Herz.


Die Kinder aber verließen reichbeschenkt und hochbeglückt das Schloß, und gedachten wohl ihr ganzes Leben lang mit seliger Lust des ersten schönen Weihnachtsfestes in Hohenfeldt.


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