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Achtzehntes Kapitel.
Darling

An einem der nächsten Tage gegen die Abendstunden stand Rita wiederholt hinter einer grünen Hecke längs des Weges und wartete auf die Schloßdamen.

Sie blieben aber heute ungewöhnlich lange aus.

Schon bangte sie, es möchten sich am Ende schwere Krankheitssymptome eingestellt und die arme, junge Gräfin auf ihr Zimmer festgebannt haben, als sie sie mit einem Male in Begleitung des jungen Militärs aus der Ferne langsam näher kommen sah.

»Ich bitte dich, Hermann,« sprach Seraphine zu ihrem Begleiter, der eine schmale, hohe Latte trug, »laß diese Stange weg, du kannst mit ihr meinen Darling doch nicht einfangen, sondern ihn nur noch scheuer machen. Der arme Kerl kennt sich eben hier noch gar nicht aus, in Hohenfeldt-Rast wäre es ein leichtes gewesen, ihn wieder herbeizuholen, hier aber fürchte ich, er könnte irgend wohin fliegen, wo er sich nimmer zurecht findet – und dann –« ihre Stimme zitterte.

»Seraphine, du weinst?« rief ihr Vetter erstaunt aus.

»Ja, ich schäme mich fast vor dir, Hermann, dem angehenden Soldaten müssen solche Thränen recht kindisch scheinen, aber weißt du, lieber Vetter,« fügte sie ein bischen leiser hinzu, »ich habe meinen Darling gar so sehr lieb!

Kranke haben ja doch eigentlich recht wenige Freuden und entbehren vieles, wovon gesunde Leute sich nichts träumen lassen. Darling gehörte auch zu meinen wenigen Freuden. Schon so oft hat mich sein lustiger Humor ergötzt, und wenn schon sein Plaudern ganz mechanisch und kunstlos einstudiert scheint, es ist für mich doch köstlich gewesen und hat mich oft Weh und Schmerz vergessen lassen.«

Hermann hatte schon gleich bei Seraphinens erster Warnung die hohe Stange weggelegt, die er sich vorhin aus den Arbeitsgerätschaften des Gärtners genommen hatte, um allenfalls den entflohenen Vogel damit herbei zu treiben. Doch darin täuschte er sich. Darling war leider schon beim allerersten Versuche, ihm nahe zu kommen, weit fort geflogen, tiefer hinein in den Park und schien alles weitern Nachsuchens zu spotten.

»Mir scheint, ich habe meine Sache schlimm gemacht!« jammerte der Fähnrich mit komischem Ernste und schaute in das grüne Geäste über seinem Haupte, ob er nicht irgendwo das herrliche Gefieder von Seraphinens Lieblinge schimmern sähe, vermochte aber nichts zu entdecken.

Seraphine lockte mit den süßesten Schmeichelworten: »Komm doch mein Darling!« aber der Papagei wollte absolut nicht hören.

Graf Emanuel hatte ihn vor vier Jahren gelegentlich einer großen Reise, die er unternommen, käuflich erworben; er war mit einem indischen Handelsschiffe nach Europa gebracht worden und war ein ebenso kluges und gelehriges, als schönes Tier. Sein Gefieder zeigte die herrlichsten Farbentöne, Kopf und Brust waren purpurrot, indes die Flügel metallisch grün, da und dort sogar tiefblau erglänzten. Diese äußerliche Schönheit ist gewöhnlich bei Papageien nicht mit Intelligenz gepaart, sondern sagt man im Gegenteil den schlicht graugefiederten die größte Gelehrigkeit nach. Seraphine aber gab sich alle nur erdenkliche Mühe, ihren »Darling«, wie sie den Vogel nannte, auszubilden, und bald schwatzte er zu ihrem Entzücken hell und deutlich: »Guten Tag, Seraphine!« oder »Kathrine bring' mein Bisquit«, oder auch »Schön' Wetter heute«, »Franz ist ein Spitzbub'« und dergl. mehr. Auch pfeifen und lachen, räuspern und zischen konnte er, dann wieder ächzen, als ob irgend in der Nähe Holz gesägt würde, und nießen nach Herzenslust.

In all den vier Jahren war er nicht wieder aus der Nähe seiner jungen Herrin gekommen, mit Ausnahme der heftigsten Schmerzenswochen, wo ihre große Schwäche seine lebhafte Unterhaltung nicht vertrug; heute nun hatte ihn Franz, der alte Diener, wie gewöhnlich gefüttert und den Käfig gereinigt, dabei aber unvorsichtigerweise das Fenster offen stehen gelassen. Darling hatte das nicht sobald erspäht, als er schon zum raschen Fluge die Flügel breitete und laut kreischend durch die offenstehende Thüre des Käfigs hinauseilte in's Freie.

.

Erschrocken lief Franz zu seiner jungen Komtesse, ihr von dem Unglücke zu berichten, das ihm begegnet wäre, und obschon Seraphine anfangs selbst recht sehr erschrocken und tiefbetrübt erschien über den Verlust ihres Lieblingstieres, wollte sie es doch dem treuen, alten Franz nicht fühlen lassen, wie arg sie diese Flucht schmerzte, im Gegenteile bemühte sie sich in ihrer sanften Güte die Sorge des braven Dieners zu beruhigen und meinte lächelnd: »Unser Darling ist so arg verwöhnt, dem wird es draußen sicherlich nicht gefallen, ich bin gewiß, er kommt schon wieder!« Freilich glaubte sie selbst nicht an diesen Trost und ihre Zuversicht wurde kleiner und kleiner, je mehr Zeit verstrich, ohne den Ausreißer zurückzubringen. Man hatte seinen großen Käfig auf die Veranda hinaus in's Freie gestellt. Darling sollte seine Wohnung erkennen und wieder aufsuchen, aber es mochte ihm merkwürdig gut in der Freiheit behagen, denn er machte nicht entfernt eine Miene in die vorige Gefangenschaft zurückzukehren, und immer ängstlicher wurde der Ausdruck in Seraphinens lieblichem Gesichtchen, immer ärgerlicher schalt Kathrine auf den unvorsichtigen Franz, der das Unglück angestellt hatte; leider wußte auch Hermann keinen vernünftigen Rat.

»Liebes Cousinchen,« sagte er achselzuckend, »ich würde ja gerne deinen Darling herunterholen, wenn ich's vermöchte, aber ich kann doch nimmer klettern wie ein Dorfjunge, und alles Locken, den eigensinnigen Papagei herabzubringen, scheint vergebens.«

Der Gärtner hatte versucht eine Leiter an dem Baume anzulehnen, auf dem Darling sich niedergelassen, um daran hinaufzusteigen; der Vogel aber hatte nicht sobald das fremde, bärtige Gesicht gesehen, als er die Schwingen breitete und sich auf einem andern Baume, noch höher als der erste war, niederließ. Dort putzte er sein Gefieder und riß zum Vergnügen kleine Ästchen ab, es schien, als sei es ihm hier im Park ganz behaglich und wollte sich der böse Bursche vorläufig weder locken noch fangen lassen.

Seraphine schaute mit großer Wehmut nach der Richtung des Flüchtlings, – aber – da war er abermals auf und davon! –

»Ich fürchte, er wird heute Nacht im Freien bleiben,« seufzte sie, »wenn es ihm nur nicht zu kalt wird. Er ist ein echter Warmländer, dem unsere Nebel und Reife gar leicht schaden könnten.«

»Er hat aber dicke Federn,« beschwichtigte die Gräfin, »seine Erkältung fürcht' ich nicht, wenn er nur –«

»Wenn nur was, liebe Mutter?« – fiel Seraphine schnell in's Wort.

»Ich fürchte, daß er von Baum zu Baum fliegend am Ende gar den Park verlassen und im benachbarten Walde Logis nehmen könnte, das wäre fatal. Es wäre alsdann unweit schwieriger ihn zu erreichen.«

Seraphine senkte betrübt das Köpfchen; sie sah wohl die Möglichkeit dieser Vermutung ein, aber im nächsten Augenblicke sagte sie doch liebfreundlich zu ihrer Umgebung: »Hoffentlich wird mein Darling nicht elendig Hungers sterben, er wird wiederkommen, nicht wahr, Mama? Aber wenn er auch nicht mehr käme, der gute Franz soll keinen Vorwurf hören, er ist ohnehin schon so arg betrübt. Jedem aus uns hätte ja dasselbe passieren können und möchte ich nicht, daß ihm noch mehr Kummer daraus entstände, als er sich schon selbst macht.«

Unter diesen Gesprächen waren die Herrschaften langsam, immer nur einige Schritte machend, näher zur Stelle gekommen, wo Rita hinter Gebüsch verborgen lauschte. Unfern von ihrem Standplatze befand sich eine Bank, auf der sich Seraphine gerne ein bischen niederzulassen und auszuruhen die Gepflogenheit hatte. Heute lag dort ein allerliebstes Kränzchen aus grünem Waldmoose und Vogelbeeren geflochten, der stumme Gruß aus stillem Verstecke.

Weshalb Mutter und Tochter heute so auffallend langsam gegangen und immer wieder stille gestanden waren? Vorhin hatte Rita deutlich die sanfte Stimme Seraphinens vernommen und schien es ihr, als hätte sie gerufen, sie konnte aber den Namen nicht verstehen; dann kam der Gärtner mit einer Leiter, die er an einen Baum lehnte, bestieg und alsbald wieder zurücktrug nach dem Schlosse. Sie war zu weit entfernt gestanden, um zu sehen, was er auf dem Baume gesucht hatte. Jetzt aber hörte sie deutlich, wie die Gräfin sagte: – »hat dicke Federn u. s. w.«, da war wohl ein Vogel ausgekommen? etwa der farbige, prächtige Papagei, der bei warmem Wetter auf der Terasse stand im goldblitzenden Käfige und oft ganz ungebärdig laut zu den Dorfkindern herunterschrie, wenn sie ihn neckten oder seine Worte, die er sprechen konnte, nachriefen – und das kranke Mädchen hatte ihn wohl recht sehr lieb gehabt? –

»Ich dächte, liebe Tante, Ihr setztet Euch hierher, damit Seraphine wieder ausruhen kann,« schlug Hermann vor, »ich würde indessen, wenn Ihr es billigt, der Spur unsers Flüchtlings nachgehen. Zur Zeit ist es hauptsächlich notwendig, zu wissen, wo er ist und ihn nicht noch weiter zu jagen, das würde aber unfehlbar geschehen, wenn die Leute vom Schlosse alle anfingen ihn zu verfolgen; er verhält sich jetzt schweigsam, wer weiß, ob er nicht doch schon über die fatale Lage nachdenkt, in die er sich selbst gebracht hat durch seine Flucht?«

»Ei, warum nicht,« gab die Gräfin lächelnd zurück, »sieh nur wie herrlich sein Käfig in der Abendsonnenbeleuchtung von der Veranda herüberblitzt zu uns. Könnte er nicht Lust bekommen, wieder hineinzufliegen?«

Seraphine hatte über die freudige Überraschung beim Anblicke des reizenden Kränzchens für einen kurzen Moment sogar auch ihren Papagei vergessen und rief jetzt ihrer Mutter, der sie das herzige Dingelchen entgegenhielt, zu: »Sieh nur, Mama, ist es nicht allerliebst? Dieses Moos hier, ein Wald im Kleinen, dazu die frischen, roten Beeren, – ob sie giftig sind? Ich denke es nicht, sonst müßten ja die Vöglein dran sterben, und so viele Hunderte ernähren sich den Winter über damit. Ich will dieses Kränzchen zu Füßen meiner Mutter Gottes-Statue legen, die jetzt auf meinem Altare steht, nicht wahr, Maman?«

»Freilich, mein Kind, mach' es nur so, wie du sagst. Ich kann dich versichern, daß mich die Aufmerksamkeit jener geheimnisvollen Blumenbinderin in ihrer rührenden Ausdauer entzückt.«

»Sollte nicht doch eine gewisse Affektation oder eine gemachte Bescheidenheit dahinter stecken?« bemerkte Hermann, »wenn ich jemand eine Freude mache, so thu' ich's mit offenem Visier, nicht immer unter der Tarnkappe.«

Der junge Herr war es gemäß seiner Erziehung nicht anders gewohnt, als mit einer gewissen Eitelkeit für jede nette That, die er vollbracht, den Lohn oder doch wenigstens das Lob in Empfang zu nehmen, und verstand von der Zartheit, mit der das schlichte Dorfkind seine Verehrung zum Ausdruck brachte, so wenig etwas als seine Mutter.

Rita hinwiederum fühlte sich durch Seraphinens herzliche Freude überreich gelohnt, jetzt aber mußte sie um jeden Preis Darling einfangen; wenn sie nur schon gewußt hätte, wo er wäre. Aufmerksam blickte sie in die Höhe und bemerkte endlich den Ausreißer in ziemlich weiter Entfernung von der Bank, auf welcher Mutter und Tochter saßen. Hermann war ebenfalls weggegangen Darling zu suchen.

Hoch oben auf einem Baume im Blätterwerke versteckt saß der prächtige Vogel. Rita hatte nicht umsonst bereits so viele Bäume erklettert; sie wollte es auch mit diesem aufnehmen, seine breiten Äste boten ihr überdies sogar eine gewisse Sicherheit zum klettern; wie aber vermochte sie dem Vogel am besten beizukommen? Wenn er das kleinste Geräusch vernahm, würde er aufschrecken und nochmals die Flucht ergreifen. Er sollte sie nicht sehen, noch hören. Vorsichtig zog sie ihre Schuhe ab und begann zu klettern; langsam und bedächtig rutschte sie von Ast zu Ast, höher und höher, sie mußte ihn von rückwärts überfallen, wenn er sie nicht bemerken sollte. Nun war sie ihm schon ziemlich nahe, sie sah, wie er sich das Köpfchen kraute, da erscholl von der andern Seite her eine Stimme:

»Darling, Darling, komm doch herunter, alter Junge!« es war der Fähnrich, der ebenfalls den Baum mit dem Flüchtlinge aufgefunden hatte und ihn durch Zurufen nochmals herunterlocken wollte, aber o wehe, Freund Darling verstand diese Absicht nicht so, wie sie gemeint war, er that als horchte er nach der Stelle hinunter, breitete dann die Flügel und wollte abermals wegfliegen. Rita zitterte das Herz vor Angst und Ärger, denn sie hatte sich bereits am Ziele geglaubt, der Herr Fähnrich mochte aber auch befürchten, er könnte eine neue Flucht veranlassen, hielt sich jetzt ganz ruhig und ließ nur weder das Tier noch all seine Bewegungen aus dem Auge. Rita konnte er nicht bemerken, sie war vom dichten Laube völlig überdeckt.

Und nochmals war alles stille. Darling hatte sich eines Bessern besonnen und war doch nicht fortgeflogen wie sie gefürchtet hatte, sie wagte sich höher und höher vorwärts – endlich vermochte sie ihre Hand nach dem Papagei auszustrecken und ihn zu haschen. Er ließ das aber nicht ohne arges Geschrei geschehen, sie hielt ihn jedoch mit eisernem Griffe fest und begann abwärts zu klettern so rasch es ging, sie beachtete es nicht, daß dabei ihr Röckchen zerfetzt wurde, sie beachtete es auch nicht, daß sie der Vogel in die Hand hackte, so daß sie selbst die Zähne übereinanderbiß vor Schmerz, sie war nur überglücklich, daß ihr der Fang gelungen, daß der Liebling Seraphinens durch sie gerettet war.

Das Geschrei des Vogels hatte Hermann herbeigelockt. Schon war er gesprungen, um die kleine, geschmeidige Gestalt beim Abrutschen vom Baume in seinen Armen aufzufangen, sie bedurfte aber seiner nicht mehr, mit einem Sprunge war sie bereits auf der Erde und schüttelte das Laub aus ihrem Gelocke; der alte Baum hatte dafür als Gegenpfand einzelne Haare behalten, die jetzt als Goldfäden in seinen Zweigen glänzten.

Mit raschem Griffe entriß ihr Hermann den Papagei und legte ihr dafür ein Goldstück in die Hand. Aber mit blitzenden Augen stand Rita dem jungen Soldaten gegenüber; sie wischte mit ihrer Schürze das Blut ab, das ihr durch die schlanken Finger rann. Das Geld war darüber zu Boden gefallen und vor Hermanns Fuß gekollert. Er bückte sich und hob es auf.

»Hier, nimm's für deine Müh'.«

»Ich will es nicht.«

»Du sollst es aber nehmen.«

»Ich lasse mich nicht bezahlen.«

»Du bist ein stolzes Ding; bist du verwundet?«

»Ich glaube, das Tier hat sich gewehrt, es hat einen scharfen Schnabel.«

»So nimm doch.« Hermann ließ sich so weit herab, daß er es ein letztesmal anbot.

»Nein, ich will aber nicht.«

Und fort war sie, er trug den Vogel im Triumphe zu den Damen, die das wohlbekannte Kreischen bereits vernommen hatten und freudig ihrem Darling entgegen eilten.

»Hier ist er ja! O wie dank' ich dir, Hermann!« rief Seraphine jubelnd; »hast du ihn heruntergeholt?«

»Ihr Militärs seid ja alle so prächtige Turner,« fügte die Tante schnell bei, noch ehe der Jüngling die Frage seiner Cousine beantworten und berichtigen konnte, und jetzt sagte er nicht ohne einige Verlegenheit: »Nicht ich, ein Kind aus dem Dorfe hat ihn herabgeholt, es schien mir übrigens ein hochmütiges, unfreundliches Ding, das mir das Geldstück, das ich ihr gab, vor die Füße warf. Dort läuft sie noch, ja, richtig.«

Beim Ausgange des Parkes konnte man eine kleine, weibliche Gestalt bemerken, die jetzt stehen blieb, um mit einem Mann zu sprechen, der ihr entgegen kam. Gleich darauf war sie aber den Blicken völlig entschwunden. »Ob es Rita ist? Ich kann es zwischen den Bäumen doch nicht klar genug unterscheiden,« sagte Seraphine. Und nun kam Franz, so schnell ihn die alten Füße trugen, herzugelaufen: »Ist's wirklich so, ist Darling eingefangen?« fragte er ehrerbietig, doch fast atemlos vor Freude.

»Ja, ja, guter Franz, hier ist er schon,« und Seraphine streichelte den Liebling und hielt sein weiches Gefieder gegen ihre Wange, so daß sie sein kleines Herzchen laut pochen fühlte; »woher weißt du es?«

»Ich bin einem Mädchen begegnet, das stark an der Hand blutete, und als ich um die Ursache frug, sagte sie, ein Papagei hätte sie gebissen, da vermutete ich gleich, daß er eingefangen wäre.«

»Hast du das Mädchen gekannt, Franz?«

Er nickte.

»Sie ist der verrufenste Wildfang unter der hiesigen Jugend, gnädige Komtesse, aber heute hat sie mir einen großen Dienst erwiesen, darum ist ihr vieles andere verziehen.«

»Sprich Franz, wer war's, der Darling brachte?«

»Gnädige Komtesse, es war die Dorfhexe.«


»Es war unritterlich von dir mein Junge,« haderte die Baronin Julie eine Stunde später mit ihrem Sohne, »daß du nicht selbst den Baum erstiegen und den Papagei heruntergeholt hast. Seraphine hätte dir diesen Dienst hoch angeschlagen.«

»Aber liebe Mama,« entschuldigte sich Hermann, »ich konnte doch um dieses einfältigen Tieres willen meine guten Kleider nicht riskieren.«

»Nicht um des Tieres willen, aber aus Rücksicht für deine Cousine! Ach, daß ihr jungen Leute gar so hart begreifen wollt! Hier hattest du eine Gelegenheit in Händen, dir Seraphine zu verpflichten, – du ließest sie dir entgehen – wer weiß, wann sich so etwas wieder bietet.«

Ungeduldig drehte Hermann an den Spitzen seines dunklen Schnurrbärtchens, das seine Oberlippe beschattete und ihm ein recht hübsches Aussehen verlieh, obschon es erst im Entstehen war.

»Liebe Mama! ich bin meiner Tante sowohl als meiner Cousine gerne zuvorkommend so gut ich vermag, ich habe Darling nicht aus den Augen gelassen und ihn von Baum zu Baum verfolgt, ich war es auch, der die Massenverfolgung durch die Dienerschaft verhinderte, denn daraus wäre sicherlich nichts Gutes erwachsen, dazu war's immer noch Zeit, wenn man bemerkt hätte, daß der Vogel unruhig umherflattere, ich dachte mir aber, man müsse ihn vorerst ausruhen lassen vom ungewohnten Fluge, vielleicht würde er selbst in den Käfig zurückkehren, den man ihm recht sichtlich lockend in's Freie gestellt hatte und ich glaube, ich hätte richtig gerechnet, wenn –«

»Jawohl, wenn nicht das schlaue Bauernkind dir einstweilen zuvorgekommen wäre und den Papagei heruntergeholt, mithin deine Arbeit übernommen hätte,« sprach die Majorin mit unverkennbarem Spotte in ihrer Stimme. »Seraphine wird nun gar nicht erkenntlich genug sein können und das plumpe Ding mit Lobhudelei und Danksagung überschütten.« –

»Hör', liebe Mama, ich muß dir jetzt widersprechen, das bewußte Dorfkind ist nicht nur nicht plump, es ist das graziöseste, zierlichste, junge Wesen, das ich je gesehen habe.«

»Hermann, bist du toll? ein Bauernkind und graziös?«

»Und doch ist es so. Ich war überrascht, mit welcher Leichtigkeit sie vom Baume abstieg, wie anmutig sie die letzte Höhe im Sprunge nahm und mit welcher anmutigen Sicherheit sie den gefangenen Vogel hielt, der sie, nebenbei gesagt, noch tüchtig in die Hand gebissen hat.« –

»Das muß ja ein wahres Weltwunder von einer Bauerndirne sein,« spottete die Majorin hochmütig, »hört man dich, so könnte man meinen, man hätte es zum mindesten mit einer Heldin zu thun!«

»Ob sie eine Heldin ist, das weiß ich nicht, daß aber wenige Kinder ihres Alters, mich selbst in meiner Knabenzeit nicht ausgenommen, den Schmerz einer Bißwunde so tapfer ausgehalten und den eingefangenen Vogel nicht mehr hätten entwischen lassen, ist gewiß. Aber komm jetzt Mama, reich' mir den Arm, Tante Mathilde hat mich gebeten, wir möchten nicht zu spät zu Tische kommen, denn ihre Tochter ist durch die Aufregung doch etwas erschöpft und soll bald schlafen gehen. Siehst du Mütterchen, so etwas ertrage ich nicht recht gut; ich möchte frische, gesunde Menschen um mich haben, und ständig mit einer Leidenden leben zu müssen, um deretwillen ich jedes Lüftchen beachten soll – fände ich unmöglich!«

»Du bist ein thörichter Knabe,« sprach die Majorin, während ihr Auge dennoch wohlgefällig auf der schlanken, kräftigen Gestalt des Sohnes hing, »es lernt sich vieles im Leben.« –

Und sie gingen beide hinab in den Speisesaal, wo man bereits ihrer wartete.


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