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Zweites Kapitel.
Das herrschaftliche Schloß

Unweit des Dorfes, auf einer mäßig ansteigenden Höhe, stand das Stammschloß des Grafen von Hohenfeldt. Es war im Stile des Mittelalters gebaut, mit Türmchen und Erkerfenster und steinernen Wappentieren über dem Portale.

An der Ostseite senkte sich der Garten terrassenförmig gegen die Fahrstraße hinab, und ein kunstvoll gearbeitetes Eisengitter mit vergoldeten Spitzen bildete den Abschluß des umfangreichen Besitzes.

Rückwärts befanden sich die Wirtschaftsgebäude, Ökonomie, Stallungen und Remisen, wie auch die Wohnungen für die gräfliche Dienerschaft.

Den gleich hinter dem Schlosse befindlichen Wald hatte man auf eine weite Strecke in eine englische Parkanlage umgewandelt, in der auch malerische Felspartieen, ein Weiher, Fontänen, sowie verschiedene romantische Ruheplätzchen nicht mangelten. Die Bewirtschaftung dieses ausgedehnten Besitzes lag in den Händen treu erprobter Beamten und waren sowohl der Schloßinspektor, als auch der Gärtner und Ökonomieverwalter, der Oberförster und Rentamtmann im Dienste der Herrschaften ergraut, oder auch ihr Amt an Kinder und Nachkommen übergegangen. Nun aber waren volle zwölf Jahre hingezogen, ohne daß sich irgend ein Glied der hohen Familie hier im Schlosse zu längerem Aufenthalte hatte blicken lassen, so sah das stattliche Gebäude mit seinen stolzen Reihen geschlossener Fensterladen recht öde und einsam aus. Alljährlich einmal im Frühsommer ließ man Licht und Luft in diese stillen Räume einziehen; dann wurden die Fenster geöffnet, Besen und Bürsten traten in Thätigkeit; man jagte den Staub aus seiner behaglichen Ruhe, aus Winkeln und Ecken auf, rieb die Spiegelscheiben blank, klopfte Möbel und Teppiche, entwickelte mit einem Worte eine ganz merkwürdige rührige Thätigkeit, bis nach wieder einigen Tagen alles in seine vorige Monotonie und Schweigsamkeit zurücksank. Dann war's, als hätte irgend eine gute Fee vorüberschwebend ihren goldnen Stab erhoben und die Langschläfer in dem stillen Hause aus ihren Träumen wachgerufen, um sie nach Ablauf ihrer Zaubermacht wiederum in den alten Zustand zurückfallen zu lassen. Wenn immer aber jene Arbeit im Schlosse begann, setzte es einen endlosen Jubel bei der ganzen Dorfjugend ab. Vom frühen Morgen bis zum späten Abend war dann das Eisengitter von Zuschauern umstellt. Soldatenspiel und Ballschlagen unterblieb, und auf dem Wege zur Schule oder von derselben nach Hause gab's nicht mehr die mindeste Verzögerung – denn jedes der Kinder beeilte sich, um ja keine Minute zu verlieren und alles zu sehen und zu hören, was dort oben vorging. –

Ein anderes, ungleich ernsteres Interesse bewegte die armen Taglöhner des Ortes zu solchen Zeiten, denn die meisten erhofften dann gut bezahlten Verdienst im Schlosse.

Da sie aber diesmal um Arbeit gebeten, und sich beim Herrn Schloßinspektor in dieser Absicht vorgestellt hatten, waren sie auf das Freudigste überrascht worden, als sie vernahmen, man werde für dieses Mal ihrer Dienste länger als sonst bedürfen, weil das Schloß wieder bezogen, und zu diesem Zwecke viele und große Vorbereitungen und Reparaturen vorgenommen würden.

Allerorts wimmelte es jetzt von fleißigen Händen; Hofraum, Garten und Terrassen glichen einem Ameisenhaufen und die Neugierde der Dorfjugend hatte ihren vollen Lauf. Die kühnsten Knaben suchten die Stäbe des Eisengitters zu erklettern, rutschten, nachdem man sie strengstens vermahnt hatte es zu verlassen, wieder herunter, um alsbald den gleichen Versuch nochmals zu unternehmen, um sich wenigstens für kurze Augenblicke einen bequemen Standpunkt und freien Überblick zu erobern. Die Jüngeren quetschten sich Nase und Lippen platt, um möglichst gut durch das Gitterwerk nach dem Innern des Hofes zu gucken und nichts zu versäumen, was dort vorging. Der Schloßgärtner befehligte seine Gehilfen gleich einem Kommandanten kurz und bündig, Terrassen und Rabatten, Wege und Beete wurden der sorgsamsten Neugestaltung unterzogen.

Große Packwagen fuhren durch die weitgeöffneten Thore in den Hofraum ein, und emsige Hände beeilten sich, sie abzuladen.

All diese Dinge, selbst jede Kleinigkeit, schien den jugendlichen Zuschauern wichtig und sehenswert, und es gab abends allerlei zu erzählen, was man gesehen und bewundert hatte.

»Vater, Mutter!« schrie ein kleiner Söldnersjunge, noch ganz begeistert von allem, was er mitteilen wollte, und ließ sich auf etliche Kartoffeln, aus denen sein bescheidenes Nachtmahl bestand, noch etwas kalte Milch gießen, »ich hab heut' einen Spiegel gesehen, der war so hoch, wie unser ganzes Haus.«

»Ja, Mutter, der Xaverl hat schon recht,« fügte die geschwätzige Martha hinzu, »der Spiegel hat einen goldenen Rahmen, so breit wie der Vater, und so schön glänzt er!«

In einem andern Hause plauderte ein kleines Mädchen von prächtigen Möbeln aus Sammt und Seide in roter und goldgelber und kornblumenblauer Farbe, sowie von den gleichfarbigen Vorhängen an den Fenstern, hinter denen wiederum andere niederhingen, so weiß und zart, wie das allerfeinste Spitzengewebe: »Weißt du, Bertha,« behauptete sie mit hochwichtiger Miene, »nicht einmal unser Herr Pfarrer hat so eine Spitze beim Hochamte an seinem Priestergewande.«

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Bertha nickte freundlich zu der lieblichen Plauderin, ihrer kleinen, sechsjährigen Schwester, an der sie seit dem Tode der Eltern Mutterstelle vertritt und die sie mit der Arbeit ihrer fleißigen Hände ernährt. Tag für Tag saß sie über ihre Näherei gebückt hinter den blühenden Nelken und Geranien; auch Rosmarin pflegte sie sorgsam, denn sie bedurfte seiner Zweiglein für ihre Toten, um sie ihnen in die erstarrten Hände zu geben.

In manchen Ortschaften auf dem Lande, namentlich aber in den Gebirgsgegenden, ist es Sitte, daß nicht wie in der Großstadt, die Leichenfrau die Toten in den Sarg bettet, sondern Kinder und Jungfrauen, gleichviel welchen Alters, durch die Ortsnäherin besorgt werden. Selbstverständlich muß dieselbe unbescholtenen Charakters sein und ihr Leben in Gebet und stiller Arbeit geteilt verbringen.

Hier in L. lag diese Aufgabe schon seit acht Jahren in den Händen Berthas. Viele durchsichtige, weiße Kleidchen hatte sie bereits genäht für die unschuldigen Täubchen, die so rasch wieder heimflogen in den Himmel, viele Brautschleier schon über jungfräuliche Stirnen gefaltet, und dabei niemals versäumt, diesen Todesbräutchen, gleichviel ob sie kurz oder lange gelebt, eine lebende oder künstliche Myrthe und Rosmarin auf die Brust zu legen.

Hatte es nun der häufige Umgang mit Verstorbenen verschuldet, oder war's die Majestät des Todes, die ja unwillkürlich zu tiefernster Einkehr in uns selbst Gelegenheit giebt, war's der Abglanz des Friedens, der die Züge der stillen Schläfer verklärte, denen sie noch die letzte Liebe erwiesen und ihr letztes Ruhebett so schön geschmückt hatte – genug – Berthas sanftes, bleiches Gesicht hatte einen ungemein sympathischen Ausdruck, der jeden, der sie sah, für sie einnahm.

Das Lieschen oder »das Spätchen«, wie man sie scherzweise genannt hatte, weil sie so spät noch erschienen war – ihre ältere Schwester zählte damals schon zwanzig Jahre – hing nachgerade mit glühendster Liebe an Bertha, und diese verfehlte nicht, ihr dieselbe mit opferwilligster Hingebung wieder zurückzuerstatten.

Schon in Lieschens drittem Lebensjahre waren beide Eltern gestorben, und nun war die Pflege des Kindes, seine Erziehung und Erhaltung das Lebensziel der braven Näherin. Hiefür hätte sie gedarbt und gehungert, und sich selbst alles versagt, wenn nur ihrem Lieblinge nichts fehlte. – Seitdem Liese zur Schule ging, setzte Bertha ihre besondere Ehre darein, sie besser und geschmackvoller zu kleiden, als die übrigen Kinder, obgleich die allereinfachsten Stoffe dazu verwendet wurden, und schon einige Male war die Kleine weinend nach Hause gekommen, weil man sie die »Zwirnprinzessin« oder die »Schneiderhoffart« genannt hatte.

Die kindischen Thränen versiegten übrigens, sobald Bertha den Flachskopf ihres Lieblings streichelte und ihr beruhigend zusprach: »Weißt du, mein Kind, darnach was die Leute und besonders die Schulkinder über deine Kleider sagen, mußt du gar nicht fragen; so lange du brav und gehorsam bist und keine Lüge sprichst, hat dich Gott und dein Schutzengel lieb, auch dein gutes Mutterle schaut vom Himmel herab und freut sich über ihre brave Tochter, das ist viel mehr wert, als das allerschönste Kleid. Ich ziehe dir an, was ich für dich passend finde, und du trägst es, damit ist's gut.« –

Ja, es war auch schon wieder gut, Lieschen weinte längst nicht mehr, sondern hielt nur Bertha mit beiden Armen umschlungen und beteuerte immer wieder: »O du gute, liebe du!« Dann kam sie wieder auf die Stickereien und kostbaren Stoffe zu sprechen, die man so behutsam geklopft und gebürstet hatte droben im Schlosse.

»Müssen das aber geschickte Hände sein, Bertha, meinst nicht, die so etwas fertig kriegen?«

»Freilich, mein Schatz,« stimmte die Näherin bei, »vielleicht giebt es auch Arbeit für uns, wenn die Herrschaften sich längere Zeit hier aufhalten.«

»Auch für dich?« frug Liesi rasch, »o wie ich das wünschen möchte!« Bertha beugte sich seufzend über ihr Weißzeug und ließ die Nadel doppelt emsig durch dasselbe gleiten, als müsse sie die etlichen versäumten Minuten wieder einbringen, dann sprach sie leise: »Wenn's Gott will, mein Liebling, dann wird's recht werden!« –

Indes sich so die beiden Schwestern im Dachstübchen miteinander unterhielten, berichtete der kleine Sohn des Waldaufsehers seinem Vater von merkwürdigen Dingen, die er geschaut hatte. Die Bedienten hätten Flinten und Säbel, Hirschfänger und Pistolen in den Hof gebracht, und dort auf einem großen Tische blank gerieben. War das eine Pracht und Schönheit! Die metallenen Beschläge funkelten nur so im Sonnenscheine, und eigentlich hätte man fragen mögen, wozu denn all das geputzt werde, nachdem es ohnehin tadellos blank war? Nein wie doch so vornehme Herrschaften alles schön und prächtig haben! – –

Das ganz besondere Entzücken der Dorfjugend bildeten aber die Wagen und Pferde, die eines Tages auf der Bildfläche erschienen und in den Remisen untergebracht wurden, während die Pferdewärter mit sichtlichem Stolze die edlen Tiere einigemale im Hofraume hin- und widerführten, ehe sie sie in die Stallungen geleiteten. Als zuletzt ein Diener ein reizendes Wägelchen auspackte mit himmelblauem Atlas gepolstert, dessen Räder vergoldete Speichen zeigten, da wollte der Jubel der jungen Zuschauer kein Ende nehmen.

»Das ist der Wagen unsrer kleinen Gräfin Seraphine,« erklärte ein halbgewachsener Junge dem Hauspersonale, das bewundernd an dieses Meisterstück des Wagner- und Sattlergewerbes, herantrat, »unsere kleine Herrin lenkt es selbst, wenn es ihr gefällt, darin spazieren zu fahren, und wenn sie sich wohl genug hiezu fühlt. Der alte Kutscher hat die Ponnies dazu eigens einfahren müssen.« Zwei allerliebste, semmelfarbene Ponnies wurden, während er noch sprach, eben nach den Stallungen geführt. »Und du begleitest unsre liebe junge Dame immer bei solchen Ausfahrten, Georgie?« frug die Frau des Gärtners, nicht ohne mütterlichen Stolz den bildhübschen Jungen, den sie bereits mit dem englischen Namen »Georgie« anzurufen sich angewöhnt hatte. Es hatte Mühe genug gekostet ihren lieben gemütlichen Schorschl in einen Georgie umzuwandeln, aber es war von der Herrschaft so befohlen worden, und als er ihr vor einiger Zeit aus Italien sein wohlgetroffenes Bild schickte, auf dem er sich als ihr Erstgeborener in der neuen Livree aus himmelblauem Tuche mit scharlachroter Weste und schwarzen Sammthosen, den spiegelblanken Hut mit breiter Silberborte in der Hand, vorstellte, da gingen ihr die Augen über vor Entzücken! Ja, das war der richtige Jokey eines vornehmen Hauses, nun und nimmer aber der Gärtnerschorschl von ehedem! – Ein deutscher Maler in Genua hatte ebenfalls so großes Wohlgefallen an ihm gefunden, daß er eine Skizze von ihm nahm, und ihm für die freundliche Modellsitzung eine Kopie des Bildes für die Mutter schenkte.

Konnte es nach dem Urteile der Dorfkinder ein beneidenswerteres Geschöpf geben, als diese junge Gräfin, der das prächtige Schloß mit dem Garten, der Wald und Weiher und erst noch die reizende Equipage gehörte, wie man eine solche eigentlich nur im Märchen vom Aschenbrödel für möglich gehalten hätte?

Selbst Willy, des Bürgermeisters Söhnchen mußte sogar im Stillen zugeben, daß er so was Schönes noch nicht gesehen hätte, und daß er sich's doch kaum dürfte träumen lassen, auch einmal mit einem solchen Fuhrwerk beschenkt zu werden, obschon seine stehende Rede gegen die Kameraden prahlerisch genug lautete: »Ich kann alles haben, was ich will, denn meine Eltern schenken mir alles, was ich mir wünsche.« Angesichts solchen Wunsches wurde ihm aber doch ein bischen wuselig, und erachtete er es für vernünftiger, ihn gar nicht zu äußern. Gleichwohl war er ärgerlich, denn der verwöhnte Knabe besaß ein neidisches Gemüt. Zornig stieß er seine Nachbarin, ein Mädchen seines Alters an und sagte: »Ich dächte, diese junge Gräfin könnte auch zu Fuß gehen, wie unsereins, oder sie könnte auch im Wagen mit ihren Eltern fahren.«

»Freilich könnte sie das,« entgegnete das Mädchen ruhig, »aber weißt du vornehme Herrschaften haben halt doch die allerschönsten Sachen, und können sich auch alles kaufen was ihnen gefällt, denn sie sind reich, wir können das nicht.«

»Wir könnten's auch; du freilich nicht,« versetzte Wilhelm und ließ seinen Blick verächtlich an dem ärmlichen Röcklein der Kleinen herabgleiten, »wir sind auch reich, ich möchte aber gar kein solches Fuhrwerk.« –

»Ei ei, kleiner Willy, weißt du nicht, daß einmal ein Füchslein gelebt hat, dem die Trauben zu sauer waren, weil sie ihm zu hoch gehängt sind?« lachte eine helle Stimme hinter dem Knaben! O, er kannte sie nur zu wohl; trotzig sah er um, und bemerkte Rita, die eine Grimasse schnitt, und noch ehe er die rechten Worte für seine Entrüstung fand, bereits um die nächste Ecke biegend, seinen Blicken entschwunden war.


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