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Dreiundzwanzigstes Kapitel.
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Die unselige Spazierfahrt hatte das ganze Schloß, ja noch darüber hin ganz Hohenfeldt in Aufregung versetzt.

Besonders war die gräfliche Dienerschaft ernstlich erbost über die Anmaßung des jungen Offiziers und Georgie, der Groom schimpfte gegen seine Eltern rückhaltslos über dessen Leichtsinn. Er kannte seine Pferdchen, er selbst hatte sie eingefahren und zugeschult, ihm folgten sie auf dem bloßen Wink, er bedurfte niemals der Peitsche, um sie in Ordnung zu halten, der fremden Hand jenes Lieutenants aber, noch dazu eines recht heftigen, ungeduldigen Herrn, paßten sie sich keineswegs an. Hätte man nur Georgie fahren lassen! es wäre gewiß nichts passiert!

»Aus dir spricht der Groll, mein Sohn,« bedeutete ihm seine Mutter, die allerdings mit zärtlichstem Stolze zu ihrem Erstgeborenen aufsah, doch aber keineswegs blind war für seine kleine Schwäche der Eitelkeit und Selbstüberhebung.

»Zürne ich nicht mit Recht, Frau Mutter,« frug er sie, »mir blutet das Herz im Leibe, wenn ich daran denke, in welchem Zustande die arme Zuleika und Armida in den Stall zurückkamen, wie erschöpft und schweißtriefend, aufs äußerste abgenutzt! Auch die kostbare Equipage hat durch den gewaltsamen Stoß einige arge Beschädigungen erlitten.«

»Danken wir nur dem Himmel, daß alles noch gut abgelaufen ist, mein Junge!« sagte die alte Frau, »wie leicht hätte man unsre liebe Komtesse sterbend oder gar tot heimbringen können. – Ich bin nie eine Freundin dieser übermütigen Hexe gewesen, aber jetzt hab' ich sie wirklich lieb, denn sie hat sich ebenso mutig als verständig gezeigt.«

»Ja, das geb' ich zu, ein Mann hätte an ihrer Stelle nicht richtiger handeln können, und unsre gnädige Herrschaft ist ihr zu ewigem Danke verpflichtet.«

»Ist sie denn gefährlich verwundet?«

»Soviel ich höre, nicht, ihre Ohnmacht soll mehr durch den furchtbaren Schrecken, die Angst um ihre junge Wohlthäterin, die sie so sehr verehrt und den gewaltsamen Sturz auf das Hinterhaupt verursacht worden sein. Auch sei ihr Arm gebrochen und die Schmerzen daran sehr heftig.«

»Aber der Lieutenant?«

»Er dauert mich, er ist von seiner hochmütigen Mutter nicht gelehrt worden, mit unsereinem freundlich zu sein, aber er scheint doch eine wirklich tiefe Reue zu fühlen, seit gestern schleicht er umher wie ein armer Sünder und fragt wohl zwanzigmal des Tages nach Seraphine; so hat mir Kathrine erzählt, die anfangs außer sich war vor Sorge und den jungen »Obenhinaus«, wie sie ihn nannte, am liebsten durchgeprügelt hätte.«

»Nun es ist ihm eine Lehre, er wird sobald nicht mehr kutschieren wollen, wenn er seiner Sache nicht ganz sicher ist.«

»Mein Gott, er hielt sich ja dafür.«

»Ja, aber er täuschte sich gründlich.«

Den vereinten Bemühungen ihrer Umgebung und des herbeigeeilten Arztes war es bald gelungen, Seraphine aus ihrer tiefen Ohnmacht zu wecken. Sie erklärte, keinen, auch nicht den geringsten, äußerlichen Schaden erlitten zu haben und völlig unverletzt geblieben zu sein. Dennoch bestand der Arzt darauf, daß man sie zu Bette bringe und ordnete äußerste Ruhe und Schonung an. Ihr Nervensystem war furchtbar erschüttert worden und mochten jedenfalls die allerschlimmsten Folgen für ihr krankes Herz und das schwer leidende Rückenmark befürchtet werden.

Diese traten auch wirklich schon nach wenigen Stunden in Form qualvoller Krämpfe und anderer Zufälle auf, und zogen für die armen Eltern und die treue Pflegerin viele traurige Tage des Leidens und ängstlicher Sorge nach sich.

Vor allem verlangte Seraphine über Rita beruhigt zu werden.

»Sie hat mir das Leben gerettet,« sagte sie wiederholt, »wenn sie die Pferde nicht gewaltsam zum Stehen gebracht hätte, läge ich jetzt vielleicht im Wassergrabe.« Sie schauderte bei diesen Worten. So hätte ich nicht sterben mögen, so schnell, so fürchterlich, und ich kann nicht schwimmen; denke nur im Kampfe mit dem rauschenden Wasser, wie entsetzlich!

Gräfin Mechtild suchte sie möglichst zu beruhigen und ihr diese schwarzen Gedanken aus dem Kopfe zu bringen. Gleich am Tage nach der Katastrophe war sie selbst, nachdem Seraphine unter Kathrinens Obhut eingeschlummert war, zu Frau Notburga geeilt und hatte sich nach dem Befinden ihrer Enkelin erkundigt.

Rita saß in Großvaters Lehnstuhle und trug den Arm in der Binde. Sie sah noch bleich und angegriffen aus, auch die Wange war verbunden, für ihre eigene Person aber schien sie vergnügt und guter Dinge und freute sich von ganzem Herzen, daß gerade sie es sein durfte, die die große Gefahr abgewendet und das teure Leben gerettet hatte.

»Du liebes, großmütiges Kind!« sagte die Gräfin und küßte Rita wiederholt, »du hast nicht an die eigene Gefahr gedacht, lediglich uns und sie im Auge gehabt, die unser einziges kostbares Gut ist, wie können wir dir's jemals genug danken?«

Rita war viel zu einfach und natürlich, um auf solchen Ausbruch tiefsten Empfindens die richtige Antwort zu finden.

»Es war ja doch so ganz natürlich, Euer Gnaden, daß ich's that, ich habe ja Seraphine so lieb, so lieb!« –

»Leidest du heftige Schmerzen, mein Kind?«

Sie lächelte und schüttelte den Kopf, aber die Lüge wollte doch nicht über die Lippen und das Einrichten des gebrochenen Armes hatte ihr schon recht sehr wehe gethan, wie sie noch niemals etwas verspürte; die Wunde an der Wange bedeutete nicht viel, sie war im Fleisch und würde bald wieder heilen, freilich hatte ihr der Bader versichert, es bliebe eine Narbe zurück, an der sie wohl ihr ganzes Leben zu tragen hätte.

»Ich bin jetzt ein Invalide,« sagte sie, um die Frage der Gräfin zu umgehen, »und gestern hat man an mir genäht: vier Nadeln auf jeder Seite.«

»O du armes, armes Herz! Hätt' ich doch ein Pflaster für dich, das deine Wunde schneller heilen könnte,« sagte die gütige Dame mitleidig; »hast du gar keinen Wunsch, den ich dir erfüllen könnte?«

Rita wurde bei dieser Frage dunkelrot.

»O, ich hätte schon einen!«

»Nun, und welchen denn?«

»Ich möchte Seraphine gerne sehen.«

»Wie thut es mir leid, dir gerade das versagen zu müssen,« erwiderte die Gräfin betrübt; »aber meine Tochter ist so entsetzlich schwach, daß der Arzt jede Aufregung, auch die kleinste Störung verboten hat. Es würde sie gewiß unendlich freuen, dich zu sehen, aber sie würde auch erschrecken, wenn sie dein armes, verpflastertes Gesichtchen und den eingebundenen Arm sähe, und würde sich alles noch schlimmer ausdenken, als es wirklich ist. Du sollst jeden Tag Nachricht von Seraphine haben, ich verspreche dir's, und sobald wir uns erlauben dürfen, dich zu ihr zu führen, hole ich dich in meinem Wagen ab und bringe dich in's Schloß. Nur jetzt gedulde dich noch.«

Rita schwieg; langsam rollten zwei dicke Thränen aus den schönen, dunklen Augen, die Enttäuschung ihrer sehnsüchtigen Liebe that gar so weh! Zweimal versuchte sie zu reden, zweimal öffnete sie den Mund und schloß ihn wieder –

»Was möchtest du mir noch sagen, mein Kind? Ich seh' dir's an, es liegt dir noch etwas am Herzen?«

Ja, es war wirklich so, aber Rita wußte nicht recht wie sie es vorbringen sollte.

»Was ist's« – begann sie – »ich möchte wissen – wie geht es dem Baron Hermann?« jetzt war sie wie mit Blut übergossen; sie hatten einander immer ein bischen feindselig gegenübergestanden, sollte sich Rita etwa seiner Demütigung freuen, dachte die Gräfin.

»Nimmst du Anteil an meinem Neffen?«

»Er thut mir so leid – er hat's gewiß nicht gerne gethan – wenn es mir passiert wäre, wie ihm, ich glaube, ich ertrüge es nicht!«

»Das ist edel von dir, Rita; du hast wohl Recht, Hermann ist wirklich zu bedauern, der Ärmste hat uns alle wiederholt um Vergebung gebeten, er lauscht fast immer vor dem Schlafzimmer Seraphinens, um zu erfahren wie es ihr geht, und als er sie heute einmal so schmerzlich stöhnen hörte, ward er bleich wie der Tod und stürzte tiefbetrübt auf sein Zimmer. Der Graf und ich haben ihm längst verziehen, und an Seraphine zweifle ich nicht, die ist ja gut für alle.«

Nun wußte Rita alles, was sie wissen wollte und Gräfin Mechtild fuhr, nachdem sie noch ein Weilchen mit Klaus und Frau Notburga geplaudert hatte, wieder nach Hause.

Sie hatte Klaus gesagt, daß sie heute noch ihren Arzt herschicken würde und bat eine Summe hinterlegen zu dürfen, womit die bisherigen Bemühungen des Dorfbaders hinlänglich aufgewogen wurden; »es sei ihr beruhigend,« meinte sie, Rita, die sie wie eine zweite Tochter liebe, von Dr. M. behandelt zu wissen und dieser würde gewiß alle Sorgfalt daran wenden, sie baldigst herzustellen.

Täglich erschien jetzt ein Lakei vom Schlosse bei dem alten Veteranen und brachte allerlei gute, stärkende Dinge für die Patientin; bald ein Hühnchen, bald eine Forelle, kräftiges Obst, stärkenden Wein, feinen Zwieback, zuweilen auch ein schönes Buch zur Unterhaltung, so daß die Großmutter ordentlich den Kopf höher zu tragen anfing und Vater Klaus öfters ausrief: »Die da oben im Schlosse verwöhnen mir das Mädel noch ganz und gar.« Meistens lagen diesen Sendungen einige geschriebene Worte der Gräfin über Seraphine bei, deren Zustand leider noch recht viel zu wünschen übrig ließ. Was aber Rita ganz besonders freute, war, daß am Tage nach dem Besuche der Gräfin, Baron Hermann im kleinen Häuschen erschienen war, um Rita selbst nochmals zu danken und sich von ihrem Befinden zu überzeugen.

Er war wirklich außerordentlich zerknirscht, beklagte seine Cousine auf das Tiefste und legte für ihre Freundin eine fast ritterliche Aufmerksamkeit an Tag. Er war Soldat mit Leib und Seele, und Tapferkeit und Mut gingen ihm über alles, und so war auch die Enkelin des Invaliden ganz bedeutend in seinen Augen an Wert gestiegen.

Nachdem ihr der Verband von der Wange abgenommen war und sie wieder in's Freie gehen durfte, holte er sie täglich ab, um mit ihr in den Park zu gehen, denn mit zartem Takte erriet er, daß dies wohl ihr liebster Spaziergang sein müsse, weil sie sich da ihrer Seraphine nahe wußte und wenigstens doch zu ihren Fenstern hinaufblicken konnte.

Er suchte ihr bestmöglichst Ersatz zu bieten für ihren kranken Arm, den sie noch nicht gebrauchen durfte und leistete ihr jeden kleinen Dienst, der in seiner Macht stund. Zuweilen las er ein bischen mit ihr und indem er, selbst noch jung, den Lehrer machte für die noch jüngere Gefährtin, bot er sein Bestes auf und so zogen beide Nutzen daraus.

Bald freute sich Rita täglich auf die Stunde, da Hermann kam sie abzuholen.

Der Graf und die Gräfin, sowie Kathrine hatten sie schon wiederholt im Parke und der nächsten Umgebung des Schlosses gesehen und begrüßt, nur Baronin Julie wich ihr sichtlich aus und erwiderte, wenn Rita überhaupt dazu kommen konnte, ihr einen Gruß zu geben, denselben so kalt als möglich.

Aber daraus machte sich Rita nichts, sie kannte jetzt viele gute Menschen, die sie leiden mochten und lieb hatten, darüber ließ sich die Zuneigung dieser stolzen Baronin wohl verschmerzen.

Täglich pflückte sie nun wieder ihr Sträußchen für Seraphine und Hermann, half dabei und sorgte dafür, daß es pünktlich in die Hände der Kranken gelegt wurde.

Und eines Tages hatte der Lieutenant gefragt: »Rita, möchtest du wohl Seraphine einmal sehen?«

Bei dieser Frage wäre ihm Rita beinahe um den Hals gefallen vor lauter Jubel.

»Ist's möglich? könnte ich das? Es sind schon drei Wochen, daß ich sie nicht sehen durfte, das ist sehr, sehr lange Zeit!«

»Wenn du mir versprichst, recht ruhig zu sein und dich nicht zu verraten, kann ich's möglich machen, daß du Seraphine wenigstens sehen kannst. Das Empfangszimmer meiner Mutter stößt an das Seraphinens an. Ich weiß, wenn ersteres leer ist, d. h. wenn meine Mutter sich unten im Salon aufhält. Dann kann ich dich da hineinbringen und werde Sorge tragen, daß die Thüre offen bleibt, so daß wir nur die Portiere zurückschieben müssen, um das Bett meiner Cousine zu sehen. Willst du den Versuch wagen?«

»Wenn ich nichts Unrechtes damit thue?« –

»Nein, Rita, ich denke nicht.«

»Also morgen denn? O wie freu' ich mich! Ich komme ganz gewiß. Holen Sie mich ab, Herr Baron?«

»Ich werde dich holen und hierherbringen.«

Rita schloß die ganze Nacht fast kein Auge vor lauter Freude, ihre Seraphine wieder einmal sehen zu dürfen. Erst gegen Morgen schlief sie ein und dann träumte sie aufgeregt und unruhig.

Sie sah Seraphine in ihrem weißen Kleide, das sie bei ihrer ersten heiligen Kommunion getragen hatte, auch den Schleier hatte sie und den Kranz von weißen Rosen auf den Haaren. Sie hob jedoch drohend den Finger in die Höhe und sprach liebevoll ernst zu ihr: »Rita, das war nicht recht, das hättest du nicht thun sollen!« und damit war sie erwacht. Immer wieder mußte sie daran denken. Ah bah, »Träume, Schäume!« sagt der Großvater und es muß wohl auch so sein. Seraphine wußte es ja gar nicht, daß sie kam, auch ihre Mutter nicht, noch Kathrine – gar niemand, nur sie und Hermann.

War das recht? Darin lag ja eben der Stein des Anstoßes für ihr Gewissen.

Nicht lange mehr besann sich das Mädchen, dann hatte sie, wie fast immer das richtige getroffen.

Als Hermann kam, sie abzuholen, war sie zwar willig, ihn nach dem Parke zu begleiten, von dem geheimen Besuch aber sagte sie kein Wort.

»Bist du bereit, mit mir zu gehen, Rita?« frug er.

»Ja, aber nicht zu Seraphine.«

Betroffen trat er einen Schritt zurück.

»Wie – nicht zu meiner Cousine? und ich hatte mir doch diese Freude schon so wunderhübsch ausgemalt. Sage, was hat dich auf andere Gedanken gebracht?«

»Ich finde es nicht recht, so heimlich zu handeln. Die Herrschaften sind immer so liebevoll zu mir gewesen – die Frau Gräfin hat mir aber noch nicht erlaubt ihre Tochter zu sehen, dürfte ich das jetzt ohne ihr Wissen versuchen und könnte ich ihr nach solchem eigenmächtigen Vorgehen noch einmal offen in die Augen schauen? – Ich müßte ihr zum mindesten von unserem Vorhaben sagen.«

»Nein, bei Leibe nicht, sie würde es uns nie erlauben.«

»Eben darin sehe ich das Unrecht. Was die Frau Gräfin nicht erlauben würde, wenn sie davon wüßte, will ich nicht heimlich thun.«

So entschieden sagte sie das, und so unerschütterlich schien ihr Entschluß, daß der junge Offizier gar keinen Versuch mehr machte sie umzustimmen. Aber einigermaßen beschämt fühlte er sich gleichwohl gegenüber diesem schlichten Landkinde, das so strenge Ansichten hatte von Recht und Unrecht und heimlich regte sich etwas wie eine ganz bedeutende Hochachtung vor der kleinen Hexe, die er noch vor kaum drei Monaten verächtlich genug behandelt und von oben herunter beurteilt hatte. Wo war das Pflichtgefühl lebendiger ausgeprägt, bei ihm oder bei ihr? –


»Du machst dich wahrhaft lächerlich mit deiner Verherrlichung dieses einfältigen Bauernkindes, Hermann,« sagte andern Tags die Baronin Julie zu ihrem Sohne und blätterte in einem Modejournal, das sie sich nachschicken ließ aus der Hauptstadt, um hier nicht zu versauern, wie sie sich eben nicht sehr feinfühlig gegen ihre Cousine Hohenfeldt ausdrückte.

»Dieses Bauernkind, liebe Mama, hat ganz am rechten Platze den richtigen Takt und erweckt oftmals eine gewisse Achtung in mir, über die ich staunen muß.«

»Du bist ein Schwärmer. Was du ihren Heroismus nennst, war ihre angeborne Freude, sich mit Pferden herumzubalgen, sonst nichts, und daß es so gut abging –«

»Ich bitte, liebe Mama;« unterbrach Hermann diese Rede, »nimm nicht der Handlung eines halben Kindes ihren schönsten Wert. Rita hätte sich auch für ihre Freundin töten lassen, sie lag ja bereits unter den Hufen der Pferde, ein unrechter Tritt und sie blieb tot am Platze, aber da hörst du nichts von Ruhmrednerei oder Eitelkeit, was sie that hält sie für ihre einfache Pflicht und dankt Gott, daß er ihr dabei half.«

»Ich möchte diese Wagenfahrt überhaupt ausstreichen dürfen aus den Ereignissen auf Hohenfeldt. Zum Ritter wirst du deshalb nicht geschlagen, mein Sohn.«

In Hermanns Wangen wechselte rasches Rot mit Blässe ab; er fühlte nur zu gut, wie weit er gefehlt und in seiner Verwegenheit gegangen sei, doch so groß seine Reue darüber war und so tief er es beklagte, zwei liebe, junge Mädchen krank gemacht und ihren Angehörigen so schwere Sorge bereitet zu haben, es war geschehen und auch verziehen. –

»Ich bitte dich, liebe Maman, laß mich keinen Vorwurf mehr hören, die kurzen Wochen, die wir heuer noch auf diesem Schlosse hier weilen, möchte ich nicht weiter verbittert wissen.«


Rita sollte es übrigens gar nicht bereuen, daß sie der Sehnsucht, Seraphine heimlich zu sehen, widerstanden hatte, denn schon einige Tage später ließ sie die Gräfin selbst auf das Schloß rufen und teilte ihr mit, daß nun eine Gefahr für ihre kranke Tochter nicht mehr bestände und der Arzt gerne ein Wiedersehen der beiden Mädchen gestatten wolle.

Wie dankte Rita dem lieben Gott für diesen seligen Augenblick; wie so leicht hätte es sein können, daß sie beide sich gar nicht wieder sahen! Und wie hätte sie das ertragen? »Nimm dich recht zusammen mein Kind,« bat die Gräfin, »Phinchen ist noch sehr schwach und würde gar schnell angegriffen sein, wenn sie dich so sehen würde.«

.

Rita versprach ihr Bestes. Auf den Zehen schlich sie nach dem Krankenzimmer, in welchem sich Kathrine zu Häupten des Bettes nützlich zu machen bemühte.

Seraphinens Blick aber war dorthin gerichtet, wo die Ersehnte eintreten mußte, und als die Portiere endlich zurückgeschlagen und Ritas Gestalt sichtbar wurde, als Maman Mechtild sie bei der Hand ihrer Tochter zuführte: »Hier mein Kind, bring ich dir die liebe Freundin!« da streckten sich ihr zwei magere, durchsichtige Händchen entgegen, während ein bebendes Stimmchen ausrief: »O komme doch, komme nur schnell, damit ich dich umarme, was wäre denn mit mir geschehen, wenn du nicht gewesen wärest. Ich danke dir mein Leben, Rita!«

»Bst, bst,« beschwichtigte diese, dem gegebenen Worte treu, die Leidende. Sie mußte sich in der That fest zusammennehmen, nicht in ein lautes Schluchzen auszubrechen, wenn sie sah, wie das Leiden in den letzten vier Wochen in den geliebten Zügen gewütet hatte, und war nicht im stande, mit Seraphine zu sprechen, aber sie kniete am Bette nieder, hielt ihre niederhängende Hand zärtlich gegen ihre Wange und streichelte und liebkoste sie, während Thräne auf Thräne ihren Augen entstürzten.

Kathrine fuhr jetzt freundlich über Ritas Wange und sagte, um dem Ernste des Augenblickes einige Heiterkeit abzuringen: »Du hast jetzt einen Feldzug mitgemacht, Kind. Welch' eine blutrote Narbe du trägst!«

»Ich bin ja die Enkelin des alten Klaus,« entgegnete Rita scherzend, »und hab' auch was vom Krieg abbekommen, bin ordentlich stolz darauf!«

»Arme Kleine!« klagte Seraphine sanft, »auch diese für mich!« –

»I bewahre, Schatz, die thut meiner Schönheit gar keinen Eintrag, sagt die Großmutter, und da kann man auch nicht mehr irre werden, wenn man mich einmal suchen will, das ist ein bleibendes Kennzeichen für's ganze Leben.«

»Schmerzt dein Arm noch?«

»O nein, er schmerzt gar nicht mehr, aber ruhen muß er noch ein bischen, und nun, du kennst ja meinen fürchterlichen Abscheu vor dem Strickstrumpf, brr, vor dem bin ich glücklich verschont geblieben in diesen letzten vier Wochen.«

So scherzte Rita mit der Kranken, und hatte die Genugthuung, daß sich ihr Gesichtchen erhellte und ein heiterer Ausdruck daselbst Platz ergriff, wo er lange gefehlt hatte.

»Nun kommst du wieder jeden Tag zu mir, nicht wahr? Ich probiere vielleicht morgen schon aufzustehen, da mußt du dann auch dabei sein und Hermann führt mich beim warmen Sonnenschein im Garten auf und ab, du gehst mit und begleitest uns?«

»Natürlich, Liebste! Ich bin ja so froh, wenn du mich wieder haben willst.«

»Und noch eins, Rita,« sie zog die Freundin ganz nahe zu sich heran, so daß sie ihre Lippen an ihr Ohr zu bringen im stande war, »bist du nimmer böse auf Hermann, gar nimmer?« und nachdem Rita energisch verneinte, fuhr sie sichtlich erheitert fort: »das ist recht von dir, nun bin ich ganz beruhigt.«

Die Gräfin und Kathrine drängten jetzt zum Abschiede, denn sie glaubten, ihre kleine Patientin möchte allzusehr angestrengt werden. Noch ein Kuß, ein Händedruck: »leb' wohl, meine Seraphine!« »addio, meine Rita!«

Die Kinder trennten sich, aber heute mit dem frohen Bewußtsein, sich morgen wiederzusehen.


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