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Elftes Kapitel.
Des Gewissens Stimme

Während sich die kleine Dorfhexe ihrer Versöhnung mit dem lieben Großvater freute und einer süßen Ruhe pflog, schritt droben im herrschaftlichen Schlosse Graf Emanuel schlaf- und ruhelos hin und wider.

Zuweilen trat er an's geöffnete Fenster und ließ die kühle Nachtluft auf sich wirken; berauschender Blumenduft und der Geruch einer frischgemähten Wiese drang herauf in's Gemach des einsamen Mannes. Der Wasserfall im Parke, der die Aussicht nach einer Richtung abschloß, schimmerte im bleichen Mondlichte wie flüssiges Silber an der Felswand. Hie und da durchschnitt ein Nachtvogel im raschen Fluge den Raum.

Sämtliche Schloßbewohner lagen im tiefen Schlafe, die Herrschaft sowohl als die Bediensteten; nur er, dem alles eignete, soweit das Auge reicht, er, dessen Befehle sich alle gehorsam beugten, fand nicht Rast noch Ruhe, und doch schien er dessen so sehr bedürftig!

Heute hatte er eingehend über Seraphinens Zustand mit dem Arzte gesprochen, und dieser ihm aufrichtig erklärt, daß das Leben des jungen Kindes höchstens noch ein paar Jahre gefristet werden könne, wenn keine unverhofften Komplikationen dazu kämen. Menschliche Kunst sei hier vergebens, und wenn man sie an's andere Ende der Welt bringen wollte, fände sie auch dort weder Hilfe noch Gesundheit wieder.

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Mit Seraphine aber legte der arme Vater seine letzte Hoffnung in's Grab; mit ihr gingen alle ehrgeizigen Pläne, alle hochfliegenden Vorsätze unter, hier war das Ende seines Strebens, der widerliche Wurm in der goldenen Frucht, der den Kampfpreis seines Ringens auffraß.

Das Höchste hatte er erreichen wollen, und hiefür weder Mühe noch Arbeit, noch Opfer gescheut. Und wohin hatte ihn dieser Ehrgeiz geführt? Weh' ihm, wenn wahr wäre, was ihm in schweren, einsamen Stunden so bange, so furchtbar auf die Seele fiel! Wenn's wahr wäre, was er zuweilen selbst glaubte, dann wieder mit Gewalt von sich wies? »Nein, nein, ich kann's und will's nicht glauben!« stöhnte er auch jetzt wieder, wie schon so viele Male.

Es war ihm, als sei er wieder zum Knaben geworden, hier im Elternhause; in diesem nämlichen Zimmer hatte er schon damals geschlafen, er und sein älterer Bruder Rudolf, der so schön, so freundlich war und den alle Menschen so zärtlich liebten, viel mehr als ihn! Das kam aber daher, daß Rudolf gerne allen Leuten gefällig war, daß er mit vollen Händen hinwarf an die Armen und daß er der Abgott seiner Mutter war. Auch sahen sie ja alle in ihm schon den künftigen Gebieter – war das allein nicht genügend, um ihm zu schmeicheln? –

»Wenn Graf Rudolf ein Jahr später geboren wäre, als Sie, so würde Ihnen all dieser Besitz und all diese Liebe gehören!« Wer hatte ihm denn dieses Wort zuerst in's Ohr gezischt? Er konnte es nicht wieder vergessen, es stand mit ihm auf und legte sich mit ihm zu Bette, es war wie ein Gespenst, das sich ihm an seine Fersen heftete und das er nicht wieder loskriegen konnte.

Ferdinand, des Försters Sohn hatte es gesprochen, ein schlauer, geriebener Junge, der Gespiele der beiden gräflichen Brüder und namentlich dem Grafen Emanuel auffallend ergeben. Der alte Graf wollte ihm an der Erziehung seiner Söhne Anteil gewähren, aber sein unstäter Geist mochte sich nicht ausdauernd mit ernstem Studium befassen, dagegen nippte und naschte er allenthalben, neigte bald hier, bald dorthin und zog es allem andern vor, wenn er mit seinem jungen Gebieter Emanuel in die weite Welt reisen durfte, als dessen Kammerdiener, in Wahrheit aber als Freund und Vertrauter und Mitwisser, wo nicht Anstifter aller Abenteuer, von denen Graf Hugo nichts erfuhr.

Eines Tages war Rudolf dahintergekommen, daß Ferdinand einen Armen in höchst roher, liebloser Weise abfertigte und das ihm bestimmte Geldgeschenk für seine eigenen Zwecke verwendete, das hatte sein Vertrauen in Ferdinands Ehrlichkeit und Treue ein für allemal erschüttert, und leider hatte er diesen leichtfertigen Charakter nur allzuwahr und richtig beurteilt.

Die Jahre waren hingezogen, die Knaben Jünglinge, und diese blühende, junge Männer geworden. Wie gestern stand es jetzt noch vor des wachenden Grafen Erinnerung, wie sein Vater gestorben und Rudolf Herr der Besitzungen und Güter, sowie auch Stammherr auf Hohenfeldt geworden war. Weshalb ihn das so furchtbar kränkte? Weshalb er mit jedem Tag unzufriedener, unglücklicher wurde? Ferdinand! Grinste nicht in eben diesem Momente sein bleiches, hageres Gesicht zum Fenster herein? Ist's dein Geist, bist du's selbst? Ferdinand, Ferdinand! was hast du aus mir gemacht, was hast du an mir verbrochen! Du bist's gewesen, der fort und fort den Zankapfel des Neides und der Uneinigkeit zwischen mich und Rudolf warf, du, der mich unaufhörlich bedauerte, daß er und nicht ich Herr auf Hohenfeldt geworden, du, der mir zuweilen in weiter Ferne eine schöne Zukunft zeigte mit der Devise: dem Beharrlichen die Krone; du endlich, der sich sogar zwischen mich und meine Mutter drängte, der die edle Frau mir gegenüber der Parteilichkeit zieh. Wie oft hast du mir erzählt, wie schlecht Rudolf auf dem alten Stammgute wirtschafte – und doch hat er's so meisterhaft bestellt! – Wie oft den Zusammensturz der ganzen Herrlichkeit vorhergesagt, und wie so leicht und schnell alles anders wäre, wenn ich der Herr würde, ich, der so viel einsichtsvoller und klüger sei als er.

Dämon von einem Freunde! Du hast eine gute Karte ausgespielt! Langsam wie das Wasser den Felsen höhlt, Tropfen für Tropfen nahmst du Besitz von meiner Seele, und all diese kleinen Schmeicheleien fielen nicht auf unbereitetes Erdreich, sie zehrten und bohrten und fraßen mir am Herzen, das von Natur aus feindselig und mißgünstig veranlagt war. Selbst meiner Gattin wolltest du mich entfremden. Teures, unvergeßlich schönes Bild, zieh' an meiner Erinnerung vorüber, Bild eines kurzen, seligen Glückes, meine Werbung um Mechtilde, unsere Hochzeit, unsere junge Ehe! Und Gott segnete sie mit einem Sohne!«

Ein freundliches Lächeln verklärte bei dieser Erinnerung die gramdurchfurchten Züge des Schloßherrn, er blieb vor dem Ölbilde stehen, das seine Braut im schlichten rosa Seidenkleide, eine einzige Jasminblüte im Haar, darstellte.

»Mechtild!« seufzte er zu dem kunstvoll gemalten Bilde auf, »auch dein Leben hab' ich vergiftet, auch dein Glück hab' ich zerstört, der Fluch, der sich an meine Fersen heftet, traf auch dich!« Er hielt beide Hände vor's Gesicht, als wolle er sich ganz in längst Vergangenes versenken. »Ja, du hast mich geliebt treu und innig, du liebst mich noch, ich weiß es, aber mit dem Scharfblick des liebenden Weibes fühltest du, daß dir mein Herz nicht ganz gehörte, daß du es teilen mußtest mit dem, dessen Sklave ich geworden, und dieser Heuchler stand stets zwischen dir und mir.

Ist's doch, als sei es heute, ich war wie jetzt in Sinnen vertieft, hier oben auf meinem Zimmer, als leise, leise die Thüre aufging und unser Arthur, unser gottgeschenkter Liebling eintrat. ›Die Mutter schickt mich, lieber Vater,‹ sprach der süße Knabe, ›du hast uns beiden wieder heut' gefehlt beim Abendessen, weshalb bliebst du denn fort?‹

›Hat mich mein Arthur vermißt?‹

›O so sehr, mein Vater! Und auch die Mutter that's. Sprich, hast du Kummer?‹

Mein Sohn! Mein teures, heißgeliebtes Kind! Für dich that ich ja alles, was geschehen! Damals aber wußte ich es noch nicht, was dann noch kommen mußte – ich fühlte nur die Schlinge, die sich eng und enger um mich zog und mich an Ferdinand fesselte! – so sagte ich dem Kinde nur ›nein, nein mein Herz, wenigstens keinen Kummer, den ich dir sagen könnte! Sieh', ich habe dich so unaussprechlich lieb, daß ich dir gerne alles schenken möchte und auf den ersten Platz dich setzen, überschüttet mit den Kostbarkeiten der ganzen Welt, ach! – ich kann es nicht!‹

›Ich will es aber auch nicht, mein Vater! Nur dich und deine Liebe und die Mutter, dann bin ich zufrieden!‹

Und dann erschien hinter Arthurs reizendem Gesichtchen die zarte Gestalt meines Weibes. ›Manuel!‹

›Was verlangst du, meine Liebe? Du hast mir den Knaben geschickt, nun kommst du selbst – was quält dich?‹

›Die Sorge um dich, Manuel.‹

›Um mich?‹

›Ja, du bist nicht heiter, nicht zufrieden; ein stiller Gram frißt dir am Herzen. Ferdinand war heute wieder lange mit dir zusammen – er ist nicht dein guter Genius!‹ –

›Laß das, Liebste, Ferdinands Treue ist erprobt, er ist mir mehr als ein Bruder, ein Freund –‹

Ich seh es noch, wie meine Mechtilde bei dieser Antwort seufzte. Ach, daß ich ihr gefolgt hätte! – Und zwei Tage später kam das Schreckliche. Rudolf ist auf einem Spazierritte verunglückt. Welch ein Schmerz für meine arme Mutter, für das junge reizende Wesen, das er vor kaum drei Jahren als seine Gattin heimgeführt hatte! Welche Verwirrung im ganzen Schlosse! Wieder hier auf diesem Zimmer war's, daß mir Ferdinand schreckensbleich die Todesnachricht überbrachte. Und dann trat er näher zu mir heran, und ich hörte ihn flüstern: ›Euer sollte das Erbe sein, nicht den zwei schwachen Frauen!‹ Diese Worte verfolgten mich zur Bahre des einzigen Bruders, ich konnte seinen Tod nicht so tief betrauern, als ich gesollt hätte! –

Erst kurze Tage zuvor war ich auf Besuch zu ihm hierhergekommen – – jetzt lag er aufgebahrt vor mir, der jugendschöne edle Mann! und so viel besser, als ich! Ihm zu Füßen sah ich meine Mutter und Irene, sein Weib. Die kleine Hedwig hatte man fortgetragen, denn sie hatte hell aufgejauchzt, als sie die vielen herrlichen Blumen sah, die bei ihrem Papale schlafen durften – ihre unschuldige Freude zerriß das Herz der beiden Mütter. Und dann – dann ergriff die Mutter meine Hand und schluchzte: ›Mein Emanuel, mein Einziger, der mir noch geblieben!‹ und auf Irene deutend: ›Sei ihr ein guter Bruder! seinem Kinde ein treuer Vater! Willst du es, mein Manuel?‹

Ich nickte. Die Kehle war mir zusammengeschnürt – gewiß nahm es die gute Mutter für Rührung und Schmerz – ›Euer sollte dies Erbe sein, und nicht den zwei schwachen Frauen!‹ Ach weshalb steigen denn diese Gedanken gerade jetzt wieder in mir auf? Wie hab' ich mein Versprechen gehalten? O Gott, erbarme dich! Die Ungewißheit, die Verzweiflung zehrt an meinem Leben! Warum kommt heute jedes Wort so klar, so deutlich vor meine Erinnerung? Schläft denn der Wurm nicht, der ›das Gewissen‹ heißt? und wird er niemals mehr zur Ruhe kommen?«

Der Graf schloß jetzt das Fenster; die Morgenluft wehte bereits kühl zu ihm herein, ihn fröstelte. Ereignis auf Ereignis drängte sich in seinem Gedächtnisse. Er durchlebte die Zeit nochmals, da er als der kleinen Hedwig Vormund und Irenens Berater seinen ständigen Aufenthalt hier im Schlosse nahm, als er schon nach kurzen Wochen Rudolfs arme junge Witwe, dann seine Mutter in die Gruft beisetzen sah, und die kleine elternlose Waise ganz allein auf Frau Mechtilds Liebe und seine Sorge angewiesen blieb. Damals hatte er wieder ein geheimnisvolles Wort vernommen: »Nur noch zwei Augen!« er konnte es nicht vergessen. – Er durchlebte in der heutigen Nacht alle Qualen der Vergangenheit – seine Nerven waren überreizt, die Sorge um Seraphine ließ ihn nicht Ruhe finden – vergebens schloß er die Augen, sich gewaltsam in den Schlaf zu zwingen, der ihn hartnäckig floh – als er sie aber wieder öffnete, hätte er bald laut aufgeschrieen, er stürzte zum Fenster, der ganze Himmel leuchtete in feuerroter Glut – die Morgenröte des anbrechenden Tages; »Feuer« sprach er zu sich selbst, »Feuer!« Ja, das war das Ende gewesen, der fürchterlichste Abschnitt seines Lebens.

Auf dem hiesigen Stammschlosse mußten bauliche Veränderungen vorgenommen werden und Frau Mechtild hatte den Vorschlag gemacht, daß sie mit Arthur, Hedwig und dem jüngsten Töchterlein Seraphine einstweilen Aufenthalt in Hohenfeldt-Rast nehmen wolle. Der Graf sollte möglichst bald folgen, Ferdinand aber vorausgeschickt werden, um alles in Bereitschaft zu setzen. Da war Frau Mechtild noch einmal zu ihm gekommen und hatte ihn gebeten: »Laß diesen Ferdinand hier, mein Manuel, gieb uns den alten Friedrich mit oder sonst einen, nur ihn nicht.«

Er hatte sie aber mit rauhen Worten der Lieblosigkeit geziehen und abgewiesen. Ach hätte er ihr gefolgt! Wieviel Weh wäre ihm erspart geblieben! Er that es nicht. Ferdinand empfing die Reisenden im alten Schlosse, der eine Flügel war für die Gräfin und ihre Kinder hergerichtet worden, den andern Flügel sollte die kleine Hedwig mit ihrer Kinderfrau und sonstiger Dienerschaft bewohnen.

In der zweitfolgenden Nacht brannte dieser Flügel nieder. Aus unaufgeklärter Ursache war dort Feuer ausgebrochen und mochte so vielen Nährstoff gefunden haben, daß nichts zu retten war und sich alle Anstrengung der Löschmannschaften auf die Erhaltung des Hauptgebäudes und des andern Flügels beschränken mußte. Die Wärterin Hedwigs trug man betäubt und wie leblos in's Freie.

Man hatte Ferdinand mit dem Rufe: »Rettet die kleine Gräfin!« die Treppe hinaufstürzen sehen, er war aber später wieder vor der trostlosen Gräfin Mechtilde erschienen und hatte ihr bedeutet, so viel er vor Rauch und Feuer hätte wahrnehmen können, sei das Bettchen der Kleinen leer gewesen, vielleicht habe eine der Dienerinnen sie schon fortgeholt. Alle wurden verhört, keine hatte Hedwig gesehen, man wähnte sie längst gerettet – nochmals drangen einige beherzte Männer bis in's brennende Gemach vor, mußten aber der sengenden Glut und dem erstickenden Rauche weichen und ein donnerähnliches Krachen verkündete alsbald den Einsturz der mit Stukkaturen reich verzierten Decke, welche nun sämtliche Möbel, auch das Bettchen des Kindes unter Schutt und Asche begrub. – War Hedwig verbrannt? – Lag sie zerschmettert unter den Trümmern begraben? Aller Wahrscheinlichkeit nach mußte es so sein – man ließ ihre Überreste suchen, es war kaum möglich, die zarten Gebeine eines zweijährigen Kindes herauszufinden. –

Das strenge eingehende Verhör, das der eilends herbeigerufene Graf Emanuel mit sämtlichen Schloßbewohnern anstellte, blieb ohne jegliches Resultat. – Ferdinand hatte ihm einen reitenden Boten nach Hohenfeldt gesendet, der ihm einen verschlossenen Brief übergab mit den Worten: ›Feuer im Schlosse – schnell kommen – Bote wird mündlich berichten – Komtesse Hedwig verbrannt – der Weg ist frei!‹«

Der einsame Träumer fuhr mit dem Taschentuch über die Stirn, den kalten Schweiß fortzuwischen, der sich in großen Tropfen hervordrängte. – Der Weg war frei – er war der natürliche Erbe – er war Herr auf Hohenfeldt und allen übrigen Gütern geworden, – Reichtum – Ehre – Ansehen für sich und Arthur lag nun vor ihm! Und neben diesen Segen des Himmels lauerte schon der Fluch! – War er nicht zu weit gegangen? War Ferdinand zum Verbrecher geworden aus blinder Ergebung? O nein, nicht aus Ergebung, aus Eigennutz! Jetzt wußte er's, jetzt durchschaute er ihn, er war sein Dämon gewesen, der ihn ganz in seiner Macht hatte, der sich jetzt zu seinem Herrn aufwarf, ihm zu diktieren wagte, wo er zuvor mit kriechender Unterwürfigkeit gebeten hatte! Und er mußte schweigen, damit der andere nicht rede. Würde er diese Qual sein ganzes Leben lang noch ertragen müssen? O, um seine unselige Habsucht, seinen sündigen Ehrgeiz! –

Lange Zeit rang seine Gemahlin infolge dieses erschütternden Ereignisses in schwerer Krankheit mit Tod und Leben, und dann – wenige Jahre später kam Arthurs fürchterliches Ende. Er war auf der Schaukel im Garten hochgeflogen, bis zu den Baumgipfeln hinein, »Papa, Papa,« hatte er jubelnd gerufen und ihm eine Kußhand zugeworfen – dann ein Schrei, der Emanuels Mark durchdrang; der heißgeliebte einzige Sohn lag auf der Erde, der warme rote Blutquell flutete über die grüne Fläche hin – mit ihm entfloh das junge Leben! Er war zehn Jahre alt geworden. –

»O Gott, mein Gott, du strafest schwer!« rief Emanuel und verhüllte sein Gesicht mit beiden Händen. »Hier steh ich nun am Ziele meines Strebens, ein morscher Stamm, ein armer Vater, dem der Sohn, die Hoffnung seines Herzens und sein Stern erblich! Auch in dem nachgeborenen Kinde, in der kleinen Tochter, sah er des Himmels zürnende Hand: Leid und Krankheit standen ihr zur Seite seit dem ersten Jahre ihres Lebens, und weder Geld noch äußerer Glanz vermochten ihr das süße Gut zu erkaufen, dessen sich so mancher Arme freut – die Gesundheit, den frischen, frohen Lebensmut, die ungetrübte Kindheit und Jugend. – Schon gähnte ihm das Grab entgegen, das auch sie aufnehmen würde, und bald wird er ganz verlassen sein. –

Und Ferdinand? der war weit fort in die neue Welt. Ein schweres klingendes Opfer hatte es gekostet seitens seines Gebieters ihn hierzu zu veranlassen – aber er konnte seinen Anblick nimmer ertragen, er zitterte bei dem bloßen Gedanken ihm wieder zu begegnen – von ihm etwas zu hören, was besser ungesagt blieb. Möchte er nie, nie wieder kommen! –


Lange noch blieb Graf Emanuel schlaflos, sein Gewissen war heute gewaltsam aufgerüttelt worden – und jetzt stieg aus tief beklommener Seele das Gebet empor: »Strafe mich, o Herr! nur schütze meines Kindes Leben und nimm dafür mein müdes, wertloses Dasein als Opfer an!«

Heiße Thränen netzten die brennenden Augen – niemand ahnte, was in dieser Nacht mit dem Herrn des Schlosses vorgegangen war, nur schien er andern Tages noch stiller, noch mehr in sich gekehrt, wenn er sich unbeachtet glaubte, und Gräfin Mechtilde wunderte sich über die vielen silberweißen Fäden, die das dunkle Haar ihres Gemahls durchzogen und eine Leidensgeschichte verrieten, die er für sich allein behielt. Die arme engelsgute Frau stand außerhalb seines Vertrauens und hatte solchem Kummer gegenüber nur die Waffe ihres Gebetes.


Als Graf Emanuel endlich, von aller Erinnerung und Seelenpein erschöpft, sein Lager aufsuchte, um noch einer kurzen Ruhe zu pflegen, läutete im Dorfe die Aveglocke. – – –


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