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Drittes Kapitel.
Der arme Franz

So wurde allenthalben von dem alten Stammschlosse und den Schätzen gesprochen, die man aus seinem Innern ans Tageslicht gefördert hatte, und war wohl kaum ein Haus im Orte, das nicht hiervon hatte erzählen können. Selbstverständlich that dabei auch Frau Fantasie das ihrige, so daß selbst geringfügige Dinge in einem gewissen Schimmer erglänzten, der ihnen ungeahnten Reiz verlieh. Mehr und mehr stiegen die Wogen der Aufregung und die Neugierde wuchs, je näher das Ende der Vorbereitungen und die Ankunft der Herrschaften heranrückte.

Obwohl sich der weitaus größte Teil der Arbeiten im Hofe, Park und im Garten vollzog, waren doch auch unsichtbare Hausgeistlein und Heinzelmännchen im Innern des Schlosses rege, und Frau Walburga, die Wittwe des verstorbenen Inspektors, welcher die Sorge für die inneren Angelegenheiten oblag, und die eine peinliche Ordnungsliebe mit der musterhaften Reinlichkeit zu verbinden wußte, hatte den Hafner und Glaser, den Schreiner und den Anstreicher berufen, und ihnen auf die Seele gebunden, daß sie mit genauester Gewissenhaftigkeit alle Wände und Fenster, alle Öfen und Kamine, alle Kammern und Kämmerchen einer gründlichen Untersuchung unterwerfen, und jeden, auch den kleinsten Schaden, ausbessern und alles wieder in denkbar besten Stand versetzen möchten.

Unter den Auserwählten, welche das Vertrauen der Frau Schloßinspektor hatten, war auch Franz, der älteste Sohn des Faßmalers Rider gewesen. Lehrling im Geschäfte seines Vaters, trotz seiner Jugend aber bereits vollkommen darin verlässig und bewandert, hatte er mit freudigem Stolze diese seine Berufung zu den Schloßarbeiten gewissermaßen als Auszeichnung betrachtet und war mit der ganzen Begeisterung seiner fünfzehn Jahre herzugeeilt, dem Vertrauen der hochgeachteten Frau Inspektor zu entsprechen.

Ach, er glaubte sich ja durch sie plötzlich in das Land seiner Sehnsucht, in das Paradies seiner Träume versetzt, denn in den kleinen, armen Verhältnissen seines Elternhauses fühlte er sich namenlos beengt, und sah in seiner Stellung als Ältester einer zahlreichen Familie ein wahrhaftes Martyrium. – Schon seit frühester Kindheit lebte das Verlangen in seiner Seele, ein Künstler zu werden. Die alten Meister Italiens und der Niederlande zu studieren, in ihren Geist sich zu vertiefen, den Schmelz ihrer Farben, die Gewalt ihrer Lichteffekte zu verstehen, und durch Fleiß und Ausdauer einmal einer der ihrigen zu werden, war das Ideal seines Daseins, der Gedanke, der ihn nimmer verließ, und ihm die Arbeit des Vaters in ihrer Unvollkommenheit ekelerregend und täglich verhaßter machte. Ob nicht auch der arme Vater selbst unter der Frohnarbeit ums tägliche Brot seufzte? – Ob nicht auch er dereinst als Jüngling den göttlichen Funken des Genius in sich schlummern fühlte? Und auf den Flügeln seiner Fantasie hingeflogen war zu jenen Bergen der Kunst? Wer konnte es ihm sagen?

Jetzt war hievon wohl längst keine Rede mehr; Tag um Tag mühte und plagte er sich, die Totenkreuze und »Marterln« Es ist eine fromme alte Sitte auf dem Lande und im Gebirge, an den Plätzen, wo sich irgend ein Unglück ereignet oder jemand den Tod gefunden hat, hölzerne, auch eiserne und steinerne Gedenktafeln aufzurichten, auf denen meist in sehr urwüchsiger bunter Ausführung das traurige Ereignis dargestellt ist. Längs des Gemäldes, an der Vorderwand des »Marterls« befindet sich ein dicker Draht mit aufgereihten Holzkugeln. Fromme Seelen schieben eine oder mehrere solcher Kugeln und beten ebenso viele Ave oder Pater noster für die Hingeschiedenen. Wenn auch die Marterln an sich mehr originell als schön sind, so sind sie doch recht gewissenhafte Mahner an Tod und Ewigkeit, die uns oft mitten im blühenden Leben entgegentreten. mit grellen Farben im Geschmacke der Landleute zu bemalen, und war zufrieden, wenn er recht viele Bestellungen und einträglichen Verdienst hatte.

Nun gab es im Schlosse Verschiedenes zu arbeiten und was Franz ganz besonders entzückte – er wurde auch in dem großen Saale beschäftigt, der viele kostbare Gemälde berühmter Meister und auch viele Familienbilder enthielt. Hier waren sie nun vertreten die Könige der Malkunst, ein Tizian und Rafael, ein Guido Reni, ein Rubens, ein Murillo, der fromme Fiesole, Albrecht Dürer u. a. und wie berauscht hingen die Blicke des jungen Anstreichers an den Wänden.

Auch prachtvolle, von Künstlern ersten Ranges gemalte Familienporträts befanden sich hier, und Frau Walburg ließ sich's nicht nehmen, ihre Reinigung vom Staube selbst vorzunehmen, und während dieser Beschäftigung förmlich Zwiesprache mit den alten Herren und Damen zu führen, die da in reichvergoldeten und geschnitzten Rahmen der Reihe nach aufgehängt waren. Da sah der junge Schwärmer Franz feine Damen mit weiß gepuderten Haaren und rosenroten Wangen, ein süßes Lächeln auf den Lippen und in der schlanken, zartgeformten Hand einen Fächer oder wohl auch eine Blume haltend – dann wieder gestrenge Herren in sammtnen Röcken mit Goldborten und Stickereien verziert, gewaltige Perrücken auf dem Haupte und noch Andere, die der zwingenden Mode spottend, das Haar nur leicht gepudert, oder in der natürlichen Farbe trugen.

Hier legte ein alter Herr die Hand auf den Kopf seines schönen Jagdhundes, der mit klugen, treuen Augen zu ihm aufsah – da wieder lächelt ein liebliches Kind zu einer freundlichen Matrone empor, offenbar Enkelin und Großmutter – das lieblichste Bild von allen war aber ohne Zweifel das einer jungen Dame, deren Anmut geradezu unwiderstehlich wirkte. Ihr Haar in natürlichen Locken, das Gesichtchen umrahmend, hatte jenen eigentümlichen Goldschimmer, den wir bei Meister Tizians Frauengestalten so gerne antreffen und bewundern. Der Mund war kindlich, die Augen groß und von unbestimmter Farbe, je nach dem Gefühle, das sie eben beherrschte, mochten sie von hellem Blau in's Schwarze gewechselt haben, schön geschwungene Brauen, und lange seidene Wimpern erhöhten den Ausdruck des Blickes. Wahrhaft reizend nahm sich der Kranz von blauen Kornblumen aus, der auf ihrem Haupte lag.

Viel länger, als es nötig gewesen wäre, verweilte Frau Walburg beim Abstauben dieses Bildes, und ebensowenig konnte auch Franz sein Auge davon abwenden. Traumbefangen hing er an diesen schönen Zügen, die er in solcher Vollendung noch bei keinem weiblichen Wesen gesehen hatte; die Beschließerin, die eben eine Frage hierher nach dem Bildersaale geführt hatte, trat gleichfalls näher heran, um das liebliche Gemälde zu bewundern. »Der Rider Franz ist ja ganz bezaubert von unserer lieben seligen Gräfin,« sagte sie zu Frau Walburg, »sehen Sie nur, er vergißt die Arbeit und alles um sich her.«

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Der Jüngling errötete bis in die Wurzeln seiner Haare – dann wendete er sich schnell zu dem Fensterladen zurück, der ihn beschäftigte, die Schloßinspektorin aber sagte mit freundlicher Wehmut: »Franz ist wohl nicht der erste, dem es unsere liebe Gräfin Helene angethan hat, kann man denn auch ein liebreizenderes Gesicht sehen, als das ihrige? Und doch, wenn ich diese lächelnden Grübchen in Kinn und Wangen, diese strahlenden Augen, diese Farbe der Gesundheit und frischer Jugend schaue, und bedenke, daß auch schwerer Kummer und furchtbare Schicksale es nicht fertig brachten, solche Anmut zu zerstören, und wie viel bittere Thränen geweint werden mußten, bis dieser kindliche Frohsinn vernichtet, dieses edle Herz gebrochen, dann –.«

In diesem Momente wurde Franz durch einen Schloßdiener abgerufen, und konnte leider das Gespräch der beiden Frauen nicht zu Ende hören, aber das Wenige, was er vernommen hatte, hatte in ihm einen ganz gewaltigen Sturm heraufbeschworen.

War's denn möglich, daß auch reiche Leute so viel Kreuz und Elend empfanden? Bisher war für ihn der Gedanke, reich zu sein, Geld zu haben, und mit diesem Gelde die Möglichkeit sich jeden Wunsch zu erfüllen, sich jede Annehmlichkeit zu verschaffen, der Inbegriff seines Strebens gewesen – reich sein und glücklich, war für ihn gleichbedeutend – und wie, hatte nicht die Inspektorin gesagt, jenes schöne liebliche Frauenbild habe bittere Thränen geweint, habe viel Schweres erfahren, wäre mit einem Worte unglücklich gewesen? Ganz in Gedanken versunken kam er nach Hause zu den Seinen – sie saßen bereits beim Abendessen, und auf dem Tische stand die große Schüssel mit der dampfenden Wassersuppe.

Die gute Mutter schöpfte einen Teller nach dem andern voll und sagte zu jedem der vier bausbäckigen Kinder – es waren zwei jüngere Brüder und zwei Schwesterchen des Franz – »Geseg'n Dirs Gott mein Kind –« – das kleinste Büblein aber hob sie auf ihren Schoß und gab ihm voll treuer Sorgfalt mit eigenen Händen zu essen. Der Vater sah zufrieden aus, im Augenblicke hatte er vollauf zu thun, alle waren gesund und herzliche Liebe und Eintracht herrschte unter den braven einfachen Leuten.

»Warum bringst du eine so düstere Stirne zu uns herein, Franz?« frug die Mutter ihren Ältesten besorgt, – ach, es war ja nicht das erstemal, daß sich Unzufriedenheit und Mißvergnügen auf seinem Gesichte zeigte! – »wills doch scheinen als ob plötzlich eine dunkle Wolke über unsre Sonne ginge!«

Franz aber beeilte sich zu antworten: »Liebe Mutter, ich habe soeben im Schlosse drüben das bestätigen gehört, was Sie und der Vater mir auch schon oft gesagt haben, daß Geld und Reichtum nicht alles beschaffen und nicht wirklich glücklich machen können. Ich habe das Bild einer verstorbenen Gräfin gesehen – die ein Engel an Güte und Anmut gewesen sein und furchtbar schwer gelitten haben soll. Ist denn so etwas möglich! Ich kann's nicht fassen! Es scheint mir unbegreiflich.« –

»Thörichter Knabe« sagte der Vater mit gütigem Ernste zu seinem Ältesten; »das ist ja eben der wunderbare, anbetungswürdige Ausgleich, den der liebe Gott in Seiner Gerechtigkeit unter Seinen Geschöpfen trifft. Wir Arme müßten ja sonst wohl verzagen, wenn wir gar nichts hätten, als Leid und Kummer, Not und Entbehrung – so geht aber gar oft das Glück und die Freude an den Palästen der Reichen vorüber, und kehrt ein bischen bei uns Armen ein, und während dann Jenen die köstlichste Speise zum Ekel, der beste Trank zum Gifte wird, würden sie vielleicht gerne all ihr Geld hingeben, um sich damit die Zufriedenheit des schlichten Arbeiters zu erkaufen, womit dieser inmitten seiner braven Familie sein Schwarzbrod verzehrt. Ein zufriedenes Herz ist immer das beste Gut, das uns zu teil wird, und wenn wir nur stets offenen Auges durchs Leben gehen wollten, müßten wir's einsehen, daß wir mit den Großen und Mächtigen der Erde durchaus nicht immer tauschen möchten. Es macht uns nicht glücklich, all unsere Wünsche befriedigen zu können, wir müssen im Gegenteile lernen, auf sie zu verzichten und uns mit wenigem zu begnügen. Du bist noch jung mein Sohn, wirst es aber gewiß dereinst noch erkennen, daß diejenigen, die wir ihrer vornehmen Stellung wegen manchmal beneiden, sehr oft unser Mitleid verdienten, weil sie ein kummerschweres Herz mit sich herumtragen. Wenn du erst älter bist, wird dir diese Wahrheit schon verständlich werden. Und nun zur Ruhe, meine Kinder! Nach gethaner Pflicht schmeckt sie süß, und morgen früh geht's wieder frisch an's Tagewerk! – Auch den Schlaf muß der Reiche oftmals entbehren, wenn er von Genüssen übersättigt krank an Leib und Seele sich ruhelos in seinen Kissen hin und wider wirft; wir, gottlob, haben das nicht zu fürchten.« Hierauf nahm der brave Meister das Weihwasser aus der Schale, segnete Weib und Kinder und begab sich in seine Kammer zur Ruhe! –

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