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Zehntes Kapitel.
Rita rächt sich

Es war Rita nicht schwer geworden, ihrem Großvater Klaus ihre Unschuld zu beteuern, denn nicht nur liebte er die Kleine über alles, er wußte auch und hatte sich sattsam hiervon überzeugt, daß sie nicht im stande sei, eine ernste Lüge auszusprechen und etwas Unrichtiges zu behaupten.

»Unsere Kleine ist ausgelassen, wie eine wilde Hummel,« hatte er oft zu seiner Schwester gesagt, »aber sie hat doch ein goldenes Herz, sie vergißt keine Wohlthat, und spricht keine Unwahrheit, das ist viel wert; mehr wert sollt ich denken, als glatte Formen und geschmeidige Manieren.«

Frau Notburga gab ihm recht, auch sie war sich ja, was Ritas Erziehung betraf, einer großen Schwäche bewußt und manchmal, wenn sie ihrer verstorbenen Tochter gedachte, frug sie sich unwillkürlich, ob dieselbe wohl ganz einverstanden wäre mit dem, was die zwei alten Leute aus ihrem Pflegekinde großgezogen hätten? Sie hatte sicherlich etwas anderes mit ihr im Sinne gehabt, aber leider hatte ihr früher, unvorhergesehener Tod all ihren Plänen und Vorsätzen ein Ziel gesetzt, und die Kleine selbst war doch noch viel zu jung, alle Ermahnungen ihrer guten Pflegemutter festzuhalten, an denen diese es wirklich niemals hatte fehlen lassen.

Der Gedanke jedoch an das Dasein eines allwissenden und allsehenden Gottes und der lebhafteste Abscheu vor jeder Lüge und Unwahrheit, diese beiden Grundpfeiler einer guten und religiösen Erziehung hatten in der zarten Kindesseele bereits Wurzel gefaßt, und schon dann und wann einen erfreulichen Trieb gezeigt.

Rita war gestern abends bald zu Bette geschickt worden und hatte sich auch keineswegs dagegen gesträubt, hatte doch der Nachmittag und Abend der abwechselnden Ereignisse mehr als genügend mit sich geführt – wenn aber die Großeltern meinten, mit dem gesunden, kräftigen Schlafe, der ihr Enkelkind heute Nacht erquickt hatte, hätte sie auch allen Zorn und Unmut verschlafen und vergessen, so war hiervon nicht entfernt die Rede. Sogar in ihren Traum hatte sich der Wunsch hineingewoben, Fräulein Scholastika samt ihrem Möpslein einen Schabernack zu spielen, und wenn schon sie gestern niedergedrückt und betrübt heimgekommen war, so schaute jetzt schon wieder Schelmerei und Übermut aus jedem Grübchen ihrer Wangen, zuckte in den Mundwinkeln und blitzte aus ihren Augen, just wie damals auf der Gemeindewiese, wo sie die Buben zum Großvater gebracht hatte, daß er sie exerzieren lehre.

Nach eingenommenem Frühstücke bot sie den Großeltern die Hand, richtete ihre Schulsachen zusammen, nahm dann einen Augenblick ihre vierfüßige Freundin »Flunkerl« auf den Schoß, küßte sie auf das sammetweiche, säuberlich geleckte Fellchen und flüsterte ihr heimlich in's Ohr: »Flunkerl, heut stellen wir zwei was an! Heut geht's über das Fräulein Scholastika und ihren Musje Mucki.« Was sie wollte, wußte sie zwar selbst noch nicht, so viel aber war gewiß, die gestrige Mißhandlung erheischte Rache, und diese Rache sollte heute verübt werden! – – –

Und fort war sie, wie der Wirbelwind zur Thüre draußen.

Es war noch früh an der Zeit und kein einziges Kind auf dem Schulwege sichtbar. Dieser Weg führte Rita an dem weinbewachsenen Häuschen vorüber; die Vorhänge der Parterrezimmer waren herabgelassen, die Fenster des oberen Stockwerkes jedoch weit geöffnet, und das war ein sicheres Zeichen, daß die Eigentümerin, wie sie gewöhnlich zu thun pflegte, alle Zimmer und Gelasse pünktlichst in Ordnung gebracht und wohl gelüftet, sodann gefrühstückt und sich zur Kirche begeben hatte. – Mucki sonnte sich vor der verschlossenen Hausthüre und hielt sein zweites Morgenschläfchen. Der Kirchweg war der einzige, wohin er seine Herrin nicht begleitete. Links von Fräulein Scholastikas Wohnung stand das bescheidene Haus eines Schönfärbers Namens Krum, und vor demselben meistenteils ein Bottich mit frisch zubereiteter Farbe zum Auskühlen.

Auch heute harrte wieder eine Masse roter Farbe in einem ziemlich umfangreichen Behälter auf der Straße vor dem Färberhause ihrer weiteren Verwendung.

Kaum hatte diese Flüssigkeit Rita entgegengeleuchtet, als ein schrecklicher Gedanke blitzschnell ihr Gehirn durchfuhr. Rasch tauchte sie den Finger in's Schaff, um sich zu überzeugen, daß die Farbe nimmer heiß sei, dann griff sie eilends nach dem ahnungslosen Mucki, packte ihn bei seinen beiden Vorderpfoten und stieß ihn mit rascher Bewegung tief hinab in die schaurige Flut, um ihn schon in nächster Sekunde wieder auf die kurzen Beine zu stellen und seinem weiteren Schicksale zu überlassen. Obwohl das fettglänzende Fell des Tieres gar zu glatt schien, um Farbe anzunehmen, hatte sich doch hinreichend viel Färbestoff an ihn angeheftet, so daß sein Leib zu drei Vierteilen damit bedeckt war.

.

Der seltsame Vorgang war so schnell gethan, daß Mucki wohl kaum wußte, wie ihm geschah; glücklich, sich nur wieder befreit und auf sicherem Boden gestellt zu wissen, freilich ahnungslos über die mit ihm vorgegangene Wandlung, suchte er abermals die Thürschwelle auf, um im Strahle der Morgensonne das unterbrochene Schläfchen wieder aufzunehmen, doch es wollte nicht recht gehen, die Flüssigkeit tropfte und floß von allen Seiten an ihm herunter, beim ersten Versuche aber, sie abzulecken, hatte sie so schlecht geschmeckt, daß er nicht versucht war, sich ferner damit zu befassen; so ging seine Schlaflosigkeit alsbald in Aufregung und Sorge über und gab sich in kläglichem Winseln kund.

Rita aber wollte sich halbtot lachen vor Vergnügen über den so wohlgelungenen Spaß. Ihre kühne That hatte noch dazu keinen Zeugen gehabt, und so fiel auch die Möglichkeit einer Anklage gegen sie fort; welch ein Gesicht würde Fräulein Scholastika machen beim Anblick ihres Lieblings! Himmel, wenn ihr heute der süße Mucki im scharlachroten Röcklein entgegenwatschelt!

In bester Laune kam die Schelmin in der Schule an und war heute so wohl aufgelegt und aufmerksam beim Lernen, daß der Lehrer die seltene Ausnahme machte und sie sogar öffentlich belobte: »Rita,« sagte er mit feierlichem Ernste, »du könntest mit Leichtigkeit der Stern unserer Schule sein, wenn du nur ein bischen zahmer werden und nicht gar so bubenhaft ausgelassen sein wolltest.«

Solche Rede liebte Ritas Herz; sie besaß Ehrgeiz und Wißbegierde in Fülle, wenn nur der Kobold nicht gewesen wäre! Sie hatte sich auf die Güte des Lehrers hin wirklich vorgenommen, ihm keinen Verdruß mehr zu machen; nach Beendigung der Schule aber traf sie mit den beiden Jungen zusammen, die sie gestern auf der Landstraße angesichts des Herrn Grafen so abscheulich verspottet hatten. Ratsch saß dem einen eine Schelle im Gesicht, während das kleine Händchen so arg in den dicken zottigen Haarwuchs seines Kameraden eingriff, daß es sich ordentlich darin verwickelte und den Missethäter nach Herzenslust schopfen und zerren konnte. –

Natürlich trug ihr diese eigenmächtige Justiz abermals eine strenge Rüge vom Lehrer ein, sie mußte nachsitzen und hatte damit den ganzen guten Eindruck wieder verdorben, den kurz zuvor ihre Belobung erweckt hatte. –

Wäre übrigens Rita mit den andern Schulkindern nach Hause gegangen, so hätte sie gesehen, wie sich ein wahrer Volksauflauf vor dem schönen Häuschen des Fräulein Scholastika abspielte, wie eine Masse Frauen um sie her beisammen standen und sie selbst in dem Liebsten, was sie besaß, in ihrem Mucki so schwer Beleidigte, weinend und schluchzend das arme phlegmatische Tier im Arme hielt und mit den süßesten Kosenamen überhäufte, obgleich Mucki selbst schon lange aufgehört hatte, unter seiner Metamorphose zu leiden, und erst bei Ankunft des heiß ersehnten Dorfbaders, den man gerufen hatte, das Unheil wieder gut zu machen, mißtrauisch nach diesem schnappen wollte.

Fräulein Scholastika war arglos von der Kirche heimgekehrt und hatte mit einer Bekannten plaudernd nicht sogleich nach dem Hunde gesehen, der freudig bellend an ihr aufzuspringen versuchte, so gut es ging, als sie plötzlich der Ausruf ihrer Begleiterin erschreckte: »Gerechter Himmel, was hat denn das Hunderl?«

Jetzt erst fiel ihr Blick auf den Mops, der an den zwei Vorderpfoten, Kopf und Hals der alte, im übrigen aber total verändert schien, schauerlich wie in Blut getaucht, das in schweren Tropfen an ihm niederrieselte.

»Zehn gegen eins,« schrie Fräulein Scholastika auf, »das Tier ist verwundet, es schwimmt ja im Blut!« – – –

»Na guteste Frau,« beruhigte ein alter Mann, der seit kurzem erst mit der Schloßherrschaft hierhergezogen kam und zufällig des Weges ging, »das Tierchen ist nit verwundet, das ist keen Blut niche, nur Farbe, rote Farbe!« –

»So ist mein armes, armes Mucki das Opfer einer Bosheit geworden!« jammerte Fräulein Scholastika trostlos und schwere Thränen kugelten aus den glotzenden Augen die hageren Wangen herab, »mein Mucki wird daran sterben, ach, ich überleb's nicht, ich überleb's nicht!« – –

»Er wird nicht sterben,« beruhigte der Färber das jammernde Frauenzimmer, »die Farbe hält zum Glück gar keinen Giftstoff, und kann also nicht tötlich sein. Aber hier kommt ja auch schon der Bader.« Dieser ging mit hochwichtiger Miene sofort an die Untersuchung und that sich dabei nicht wenig auf das bischen Chemie zu gut, das er einmal vor langen Jahren im Hörsale eines berühmten Chemikers in sich aufgenommen und durch fleißiges Selbststudium ausgebildet hatte. Ganz gebrochen folgte ihm Scholastika mit Mucki in's Innere des Hauses und schloß die Thüre hinter sich ab. Trotzdem verharrte die Menge in höchster Spannung, als müßten die Worte des Dorfbaders die Wände durchdringen und neue Mitteilungen herausgelangen zu denen, die voll Freude und Begierde über das ungewohnte Ereignis sich nichts davon entgehen lassen wollten. Der Bader verordnete lauwarme Milch für Muckis Getränk und außerdem ein Bad mit verschiedenen Farben zerstörenden Kräutlein und Medikamenten. Wäre das erste noch nicht wirksam genug, so müßte ein zweites und drittes angewendet werden, bis die letzte Spur der Röte beseitigt wäre.

Indes gesellte sich zu dem draußen vor dem Häuschen wartenden Publikum auch noch die liebe Schuljugend, die, auf dem Heimwege begriffen, den merkwürdigen Vorgang erfuhr und nur noch die Zahl derer vermehrte, die horchten, um eigentlich nichts zu hören, schauten, um schließlich nichts zu sehen. Denn der Bader war, von Fräulein Scholastika bis zur Thür begleitet, wieder fortgegangen, und Mucki, das interessante Wundertier, »der feuerrote Mops« wie er fortan hieß, zeigte sich heute nicht mehr in freier Luft. Da das Bad Feuchtigkeit erzeugte und das liebe alte Hunderl zu Gicht und Rheumatismus geneigt war, hielt es seine zärtliche Herrin für geboten, ihn keinem Luftzuge preiszugeben, auf daß nicht die zweite Gefahr noch größer würde denn die erste. Nur ein Gedanke beschäftigte sie unaufhörlich, den Missethäter herauszukriegen und exemplarisch zu bestrafen.

Raschen Blickes überflog sie sämtliche Schulkinder, ob nicht eins oder das andere Reue oder Verlegenheit zeige, fand sie aber alle harmlos fröhlich. Plötzlich rief sie unter die Menge hinein: »Rita, die Dorfhexe, wo ist die Dorfhexe? Sie ist nicht da, sie weicht mir aus; sie und keine andere ist die Verbrecherin!«

Viele der Anwesenden nickten ihr beifällig zu. Ja, das war wieder einmal einer ihrer Streiche, wie sie so viele schon verübt hat, wie sie zum Beispiel unlängst dem kleinen Mohren vor dem Laden des Krämers Elmann eine Schlafhaube von ihrer Großmutter aufgesetzt und statt seiner Tabakspfeife ein Strickzeug in die Hand gegeben hat; das war ein Lachen und Lärmen den ganzen Vormittag von den Schulkindern bei solchem Übermute!

»Ja ja, die Rita war's und sonst keine, und daß sie jetzt hier durch ihre Abwesenheit glänzt, beweist mir, daß sie kein gutes Gewissen hat und mir nicht vor die Augen treten will,« beteuerte Fräulein Scholastika.

Da erscholl aus der Mitte der Schulkinder eine Stimme: »Die Rita kann ja nicht da sein, sie hat heute in der Schule nachsitzen müssen, weil sie gerauft hat.« –

Soweit wäre also ihr Wegbleiben wohl erklärt gewesen. Die schwer beleidigte Mopsbesitzerin aber ruhte nicht eher, als bis sie Großvater Klaus und seine Schwester selbst besuchte, ihnen den Vorfall erzählte und sie ernstlich gebeten hatte, die Bosheit ihrer Enkelin ordonnanzmäßig zu bestrafen. Das versprachen die beiden alten Leute; Rita sollte diesmal ihren Mutwillen schwerer büßen als gewöhnlich, denn wenn schon der Invalide fast einen heimlichen Spaß an der Geschichte hatte, durfte er doch nicht gestatten, daß man sich an fremdem Eigentume vergreife und es beschädige.

Ganz vergnügt kam sie mittags von der Schule nach Hause, ward aber nur von der zürnenden Großmutter empfangen. Diese hielt ihr denn ihr ganzes Unrecht vor, und wie schrecklich betrübt Fräulein Scholastika sei und wie sie die Überzeugung hätte, daß niemand sonst als Rita den armen Mucki so zurichten konnte.

»Ist der Mucki tot, Großmutter?« frug Rita rasch, und aus der Frage ließ sich die versteckte Angst sehr deutlich heraushören.

»Nein, es ist ihm weiter nichts geschehen; aber denk' nur, das arme Tier –«

Rita schlug jetzt ein helles Gelächter auf. »Nein, Großmutter, du mußt nicht bös sein, es war aber gar zu drollig! Wenn du ihn nur gesehen hättest, wie der dicke plumpe Kerl aussah! Halb rot und halb braun, nein es war wirklich gar zu nett!« und sie wollte nicht aufhören zu lachen.

»So gestehst du also deine Schuld ein, Rita,« versetzte Frau Notburga ernst; »endlich einmal solltest du doch begreifen, daß man sich nicht nur damit belustigt, seinem Nebenmenschen Schaden und Verdruß zu verursachen!«

»Ich thue keinem etwas zu leide, der gut ist, Großmutter,« beteuerte jetzt Rita mit plötzlichem Ernste, »aber Fräulein Scholastika mag niemand im ganzen Orte, und ihren Mops auch nicht, und gestern hat sie mich geschlagen wegen dem dummen, dicken Mucki, der ihre Blumentöpfe zerbrochen hat, und ich hab' mich rächen müssen – ich laß mich nicht unschuldig schlagen, und von der alten Scholastika schon gar nicht!« –

»Genug, genug,« befahl die alte Frau betrübt, »du mußt heute und morgen auf deiner Stube essen und darfst dem Großvater gar nicht unter die Augen kommen; er will ein so böses, boshaftes Kind nicht sehen.« –

Damit schritt sie zur Thüre hinaus, Rita aber verharrte eine Weile im trotzigen Schweigen. Von dem Mittagessen rührte sie nichts an; aller Appetit war ihr vergangen, seitdem sie ihr Urteil gehört hatte. Hätte sie hungern müssen bei Wasser und Brot, hätte sie Schläge bekommen oder sonst eine Züchtigung – alles hätte sie lieber ertragen, als verbannt sein vom Großvater. Das war ihr bitterer als alles.

Unbeweglich saß sie, die Hände im Schoße, die Augen in's Leere gerichtet, stumm und thränenlos, man hätte meinen können, sie sei aus Stein gehauen, selbst »Flunkerl«, die sie zärtlich anschaute und ihr Köpfchen gegen ihr Knie zu reiben versuchte, blieb unbeachtet; dann ward es dämmerig im Stübchen und endlich Nacht. Durch das Dachfenster sah man die Mondscheibe groß und golden und die Sterne schauten wie zwinkernde Äuglein herein, als frügen sie: »Was ist's denn heute mit der Rita?«


Unten im Hause hörte man sprechen und hin und wider gehen, das war des alten Invaliden Stimme, jetzt sprach Frau Notburga zu ihm – und jetzt schlug deutlich die Thüre ihrer Schlafkammer zu; sie war zur Ruhe gegangen, ob wohl auch er? Eine Weile horchte die Kleine mit größter Spannung auf jedes Geräusch, dann sprang sie plötzlich auf die Füße, strich sich das Haar aus der Stirne und schlich behutsam, damit sie keinen Lärm verursache, an die Kammerthüre des alten Klaus.

»Großvater, schläfst du schon?« – Keine Antwort. – »Großvater, hörst du mich?«

Jetzt hörte man entgegen fragen: »Wer ist draußen?«

»Ich bin's, deine Rita. Darf ich kommen?« –

»Nein.« –

»Großvater, ich bitte dich, laß mich zu dir hinein, ich kann nicht schlafen, ich halt' es nicht aus ohne dich; Großvater, laß mich ein, ich will alles thun, was du sagst, nur sehen laß mich dich, nur dies eine Mal noch, ich kann's ja nicht aushalten, wenn ich dich nimmer sehen darf.«

Da vernahm sie den schwer aufschlagenden Stock, auf dem sich der Großvater beim Gehen zu stützen pflegte, und ihr kleines Herz pochte ungestüm, als sich die Thür öffnend, Einlaß gewährte.

»Großvater!« jubelte Rita und umschlang den alten Kriegsmann, der sichtlich mit seiner Rührung kämpfte, »verstoße mich nicht aus deiner Nähe, meinen Gutenachtkuß muß ich haben, gieb ihn mir, ich bitte dich, dann bin ich zufrieden.«

Klaus nahm die zarte, bebende Gestalt in seine Arme und drückte einen langen, zärtlichen Kuß auf Ritas Stirne.

»Hexe,« zankte er, und seine Stimme zitterte, »was hast du wieder angefangen?« Rita wußte ganz wohl, daß jetzt ihre Sache gewonnen war, das heißt, daß der alte Herr nicht mehr zürnte; nun war gleich wieder der Kobold oben auf.

»Nichts hab' ich verbrochen, Großväterchen,« lächelte sie, »nur dem Mucki wollt' ich einmal zu einem roten Röcklein verhelfen, und da hab' ich ihn –«

»Weiß schon, weiß schon,« drohte Klaus mit erhobenem Finger; »wenn ich dir wieder gut sein soll, gehst du morgen früh zu Fräulein Scholastika und bittest sie um ihre Verzeihung.«

»Nein, nein, das nicht, nur das nicht, ich kann nicht, sie hat mich ungerecht geschlagen!« rief Rita heftig.

»Nun gut, dann bleibt es bei deiner Strafe, und morgen geht nicht nochmals diese Thüre auf zum gewohnten Kuß – merk' es wohl!« –

Erbleichend schaute die kleine Sünderin in Großvaters strenge Züge, dann sagte sie ruhig: »Großvater, ich thu's, dir zu liebe! Dann bekomm ich aber meinen Kuß?« –

»Ja, Wettermädel,« versetzte der Alte, »zwei für einen; aber jetzt gute Nacht.«

In den darauffolgenden Stunden schlief Rita süß, wie lange nicht, es war ihr nicht einmal bange in dem Gedanken an Scholastika; weil nur Großväterchen wieder versöhnt war!


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