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Fünftes Kapitel.
(Fortsetzung.)

Erschöpft hielt Frau Walburg inne, sie hatte viel ausführlicher erzählt, als sie eigentlich beabsichtigt hatte, und überbot sich jetzt in Entschuldigungen gegenüber der Beschließerin. Diese aber schüttelte ihr herzlich die Hand.

»Wie bin ich Ihnen so dankbar, daß Sie mir all das mitteilten, liebe Frau Inspektorin,« sagte sie, »und wie gerne möchte ich Sie bitten, das Maß Ihrer Liebenswürdigkeit voll zu machen und mich auch noch das Ende wissen zu lassen?«

»Nun gut,« nickte die Befragte, »sind wir schon so weit gekommen, soll auch das Ende bald gesagt sein.

Graf Hugo hatte wirklich mit der Zeit das Vermögen seiner Ahnen, soweit es angreifbar war, leichtsinnig verschwendet und sich um die Achtung aller Edelgesinnten gebracht, seine Gattin dagegen wurde um so höher verehrt und geschätzt, je tiefer ihr Gemahl sank; eines Tages brachte man ihn tot nach Hause. Er sei, so hieß es, auf der Jagd über eine Baumwurzel gestürzt und habe sich die volle Ladung seiner Flinte und damit die eigene Todeswunde beigebracht. Wir wollen nicht richten, dazu ist ein Höherer da, der jedem nach seinen Verdiensten heimzahlt. – Die Gräfin war viel zu wahrheitsliebend, als daß sie einen Schmerz hätte heucheln mögen, den sie in Wirklichkeit nicht empfand, sie trug aber den Todesfall mit ernster Würde und war sich gar wohl der schweren Aufgabe bewußt, die ihre Stellung als Witwe und Mutter zweier erwachsener Söhne nunmehr mit sich brachte. Rudolfs Liebe erleichterte sie dabei in jeder Weise; auch dem jüngeren Bruder gegenüber war er überaus freundlich und zuvorkommend. Emanuel aber konnte es ihm nicht vergessen, daß Rudolf der Erstgeborene und der Erbe der Familiengüter und nicht er selbst es war. Haß und Neid sind leider die beiden Leidenschaften, die unsern gnädigen Herrn beherrschen und schon damals in seinen jungen Jahren Macht über ihn hatten.

Nach vollendetem dreiundzwanzigsten Lebensjahre führte Graf Rudolf eine liebliche Tochter des böhmischen Adels als Gemahlin nach dem Schlosse Hohenfeldt.

Seine geliebte Mutter sollte einen Teil des Schlosses als ihr Wittum bewohnen für Lebenszeit, und sie verlangte es nicht besser. Zwischen ihr und Rudolf hatte ja von jeher die schönste, vollkommenste Harmonie und Gleichheit der Gesinnung geherrscht, und in seiner jungen Gattin Irene schien es fast, als sei die Gräfin Mutter in verjüngter Form wieder auferstanden.

Heiteren, frohen Sinnes, ganz in der Liebe ihres Rudolfs lebend, machte sie ihm auch durch die kindliche Ergebenheit gegen seine angebetete Mutter die größte Freude.

Das war in der That eine glückliche Ehe – und Graf Rudolf verzichtete schmerzlos auf die Vorstellung seiner jungen Gemahlin bei Hof, sowie auf großartige Gastfreiheit hier im Schlosse, er suchte seine ganze Befriedigung inmitten seiner Familie, und unterzog sich verschiedenen kleinen Beschränkungen im Haushalt, die seine treuergebenen Beamten ihm vorzuschlagen wagten, und wodurch er hoffen durfte, seinen zerrütteten Vermögensverhältnissen wieder aufzuhelfen.

Ach, warum ist denn irdisches Glück so sehr vergänglich, und warum schien denn meine geliebte Herrin ausersehen, jeden Sonnenblick ihres Lebens mit bitteren Schmerzen erkaufen zu müssen?

Nachdem sie Witwe geworden war, hatte Graf Emanuel das herrschaftliche Schloß verlassen und das dem zweitgeborenen Sohne bestimmte Gut bezogen. Rudolf hatte den Bruder vergebens zu bleiben gebeten und ihn, nachdem Emanuel ganz bestimmt auf das fernere Zusammenleben verzichtet hatte, herzlich eingeladen, so oft und so lange sein Gast zu sein, als er wollte; dieses Anerbieten wurde nicht zurückgewiesen; Graf Emanuel hat schon damals jenes gewisse Spioniertalent entwickelt, das sich sehr scharf und schnell mit allen Verhältnissen bekannt zu machen weiß, und wollte den alten Stammsitz durchaus nicht dem Bereiche seiner Beobachtungen entziehen.

Rudolfs häusliche Seligkeit war durch die Geburt eines reizenden Mädchens vollkommen geworden. Man gab ihm den Namen Hedwig, und so rasch verstand es sich in das Herz seiner sanften Großmutter einzuschmeicheln, daß wirklich hie und da über das blasse, schwermütige Gesicht der Matrone ein kaum merkliches Lächeln schlich, wie sich zuweilen im November noch ein Sonnenstrahl verirrt und unerwartet hinzuckt über den grauen Wolkenbau des Firmamentes.

Da kam der schreckensvolle Morgen. Die kleine Hedwig war bereits achtzehn Monate alt, ein schönes kräftiges Kind, nicht nur der Abgott, sondern auch das Abbild seines Vaters und seiner schönen goldhaarigen Großmutter! Wie süß war die Kleine, wenn sie auf ihren wackligen Beinen einhertrippelte, oder das liebe Mäulchen öffnete, um alles mögliche zu plaudern, und recht verwundert offen stehen zu bleiben, wenn der Kauderwelsch nicht augenblicklich verstanden wurde! – Ja, Hedi war mit Recht der Liebling aller, und niemand im Schlosse hätte es fertig gebracht, sie nicht zu lieben. Graf Rudolf wollte ausreiten, wie er es täglich zu thun pflegte. In voller Manneskraft, so jugendschön und blühend saß er auf dem edlen Tiere, und schaute, als er den Schloßhof passierte, nochmals zurück nach dem offenen Fenster. Dort stand seine Mutter mit der Enkelin auf dem Arme, das früh ergraute Haupt in ein Spitzentüchlein eingehüllt, rosiger Schimmer auf den bleichen Wangen, an ihre Schulter angeschmiegt, in maienfrischer Schönheit, seine jugendliche Gemahlin Irene. Sie ergreift jetzt das runde Kinderhändchen ihrer Tochter und läßt es einen letzten Gruß hinunterwinken zum lieben, lieben Papa. Der Reiter unten bemerkt das reizende Bild, sein Blick fliegt nochmals glückstrahlend zu den Seinigen zurück und jetzt hebt er auch die Hand zum Abschied. ›Ade Papale! ade!‹ Klein Hedi zappelt vor Vergnügen! – Ein letztes Mal: ade! dann giebt der Graf seinem feurigen Rappen einen leichten Klaps mit der Reitgerte, und dahin fliegt das prächtige Tier mit seinem Reiter, vom aufwirbelnden Staube der Straße bald den Augen der Frauen entrückt; – am Firmamente oben trat plötzlich eine dunkle Wolke vor die hellglänzende Sonnenscheibe – der Himmel verfinsterte sich. –

Eine Stunde später kam das schaumbedeckte Reitpferd nach den Stallungen gerannt, der Sattel war leer, der Bügel hing losgerissen nebst dem Zügel auf die Erde hinab, den Grafen Rudolf aber trugen sie blutüberströmt mit zerschmettertem Haupte nach dem Schlosse zurück; er hat die Seinen so heiß geliebt, und sie bereits zum letzten Male gesehen! Das Pferd hatte plötzlich gescheut und seinen Reiter gegen einen Markstein am Wege geschleudert, so daß die Knochen brachen, und der Ärmste sofort eine Leiche war.

Niemand vermag den Schmerz der jungen Witwe, noch den der alten Mutter zu schildern; er war groß wie ihre Liebe, wie ihr Glück gewesen war!

Wir hatten alle Gräfin Irene kräftig und gesund geglaubt, diesem plötzlichen Schlage aber vermochte selbst ihre Jugend nicht zu widerstehen. Schon wenige Wochen nach Graf Rudolfs Tode bettete man sie neben den Heißgeliebten in die Familiengruft; Gräfin Helene hatte jetzt zwei teuere Gräber mehr. Nicht einmal die mitleidsvolle Liebe zu der armen verlassenen Enkelin vermochte sie hier auf der Welt zurückzuhalten. Allzu mächtig wuchsen die Schwingen ihrer Sehnsucht, allzu innig verlangte sie nach der Wiedervereinigung mit ihren Lieblingen, und endlich stand das müde Herz stille – der Todesengel hatte es einmal zur Nachtzeit leise berührt – niemand hatte sich eines so raschen Endes versehen – als wir sie aber friedlich schlummernd vor uns sahen, die tiefen Linien langgetragenen Leidens weggewischt, den Ausdruck seliger Verklärung in den Zügen, da konnten wir uns beklagen, die wir sie verloren, nicht sie, denn sie war selig bei Gott!«

»Und die kleine verwaiste Hedwig, beste Frau Schloßinspektorin? was ist mit ihr geworden?« frug angstvoll die Beschließerin, wich aber mit wahrhaftem Entsetzen von Frau Walburg zurück, als diese entgegnete: »Unser Hedchen ist ein Engel im Himmel – bei dem fürchterlichen Brande auf Schloß ›Hohenfeldts-Rast‹ wurde sie unter Schutt und Asche begraben. Das war etwa vier Monate nach dem Tode beider Eltern.«


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