Friedrich Gerstäcker
Alle jagen John Mulligan
Friedrich Gerstäcker

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Lloko hatte indessen trotz des trockenen Bodens und darauf verstreuten dürren Laubes die Spuren der beiden Männer rasch aufgefunden und folgte ihnen, ohne sich nach den Weißen auch nur weiter umzusehen. Diese waren indessen durch den größten Teil des letzten Trupps der Polizeisoldaten noch verstärkt worden, da der seeuntüchtig gemachte Schoner den etwa am Strand befindlichen Verbrechern keinen Weg zur Flucht mehr bot, und nur erst, als Lloko an dem Pfad vorbeieilte, der, wie Tolmer recht gut wußte, zu dem Versteck am Torrensberg hinführte, hielt er es für nötig, ihre Führerin darauf aufmerksam zu machen.

Lloko erwiderte aber kein Wort. Mit der ausgestreckten Hand deutete sie auf den Boden vor sich, auf dem die Weißen allerdings auch nicht die geringste Spur mehr entdecken konnten, und schritt weiter. – Folgte doch kein Schweißhund je der Spur eines angeschossenen Wildes sicherer als sie den Fährten des Mannes, der ihren Stamm betrogen und verraten und der es jetzt gewagt hatte, sie zu mißhandeln.

So blieben sie in den Spuren des Räubers, bis der Abend dämmerte und eine weitere Verfolgung unmöglich machte. Das wildeste Dickicht hatten sie dabei zu passieren, Stellen, an denen sich die Weißen in den Känguruhdornen oft nur so Bahn brechen konnten, daß sie sich mit Schulter und Rücken hindurchpreßten. Lloko achtete nicht darauf. Ihren Fellmantel um sich geschlagen und rücksichtslos, ob ihr die Dornen Arme und Füße wund rissen, war sie den Spuren gefolgt, bis sie die Dunkelheit zwang, davon abzustehen, und in der Fährte kauerte sie nieder unter einem Baum, verhüllte ihren Kopf mit dem Opossummantel und weigerte sich, sowohl zu dem bald darauf von den Weißen entzündeten Feuer zu kommen, als irgendeine Nahrung von ihnen anzunehmen.

Tolmer, der Lloko übrigens sich selbst überließ, begriff allerdings noch nicht recht, wohin die beiden Verbrecher geflohen sein könnten, denn daß Gentleman John mit seinem Begleiter nach Point Marsden zurückkehren würde, war ihm nicht wahrscheinlich. Nichtsdestoweniger vertraute er dem Scharfsinn Llokos genug, nicht an ihrer richtigen Führung zu zweifeln, und beschloß, jedenfalls noch bis morgen mittag ihrer Leitung zu folgen.

Am nächsten Morgen waren sie schon vor Sonnenaufgang wieder gerüstet, und sobald nur der dämmernde Tag Licht genug in den Wald warf, die Spuren wieder zu erkennen, folgte ihnen Lloko mit altem Eifer.

Kaum eine Stunde aber war sie darauf hingegangen, als sie plötzlich stehenblieb und die Nase emporhob, wie ein Hund es tut, wenn er das Wild wittert.

»Komm, komm, Lloko«, sagte Borris, der es bemerkte und dem das nicht gefallen mochte, »guck auf den Boden und laß die Faxen. Daß du ein Auge wie ein Falke hast, kann ich bezeugen, denn wo nur irgend der Boden weich war, haben wir die Fährten der beiden Schufte hinter dir gefunden; aber auf das Riechen wollen wir uns doch lieber nicht verlassen.«

»Ich rieche Rauch«, sagte die Frau, ohne die Worte des Fremden zu beachten oder ihn auch nur eines Blickes zu würdigen.

»Das kann wohl möglich sein«, flüsterte Tolmer. »In dem verdammten Dickicht hier haben die verzweifelten Burschen auch nicht bei Nacht und Nebel fortkommen können und sind jedenfalls liegengeblieben. Vielleicht treffen wir sie im Lager.«

Vorsichtig setzten sie ihren Weg fort. Wenn aber auch Lloko den Rauch richtig gespürt hatte, fanden sie nur noch das halb niedergebrannte Feuer. Die beiden Buschranger hatten ihre Flucht wahrscheinlich, wie die Polizisten ihre Verfolgung, mit anbrechendem Tag fortgesetzt. Von hier aus schienen sie aber eine andere Richtung genommen zu haben, und Lloko, die ihr eine Zeitlang folgte, faßte plötzlich Tolmers Arm und flüsterte:

»Das Boot! – Sie wollen sicher zu dem versteckten Boot!«

»Und so wird's auch sein!« rief Tolmer, ärgerlich mit dem Fuße stampfend, »und wir kommen nachher gerade zeitig genug an den Strand, sie in der Ferne absegeln und uns auslachen zu sehen. Daß ich an das verdammte Boot nicht früher gedacht habe und einen von den unseren hierherum geschickt habe, ihre Flucht abzuschneiden.«

»Kommt«, sagte da Lloko, die sich indessen nach allen Seiten umgesehen hatte, als ob sie erkennen wollte, wo sie sei, »kommt mit mir.«

»Hallo, Schwarze«, brummte Borris, als er sah, daß sie links von der Fährte abbog, »dahinaus geht's nicht. Hier im offenen Sand kann ich die Spuren auch erkennen, und die führen dorthin.«

»Kommt«, rief aber die Eingeborene noch einmal, ohne sich an den Widerspruch zu kehren. »Wir treffen ihn, ehe er das Boot besteigt.«

»Die Schwarze ist nicht mit Gold zu bezahlen«, sagte Tolmer, lachend und sich vergnügt die Hände reibend, vor sich hin. – »Was meint Ihr, Bill? Es wäre ein Hauptspaß, wenn wir ihm die Flucht so vor der Nase abschnitten.«

Bill, der frühere Mailführer, der sich bei der Polizei hatte anwerben lassen und die Expedition als Freiwilliger seinem alten Groll gegen den Buschranger zuliebe mitmachte, nickte mit dem Kopf und brummte.

»Bringt mich ihm nur in Sprungnähe, und verdammt will ich sein, wenn er mir diesmal wieder aus den Klauen soll.«

»Dazu kann Rat werden«, rief Tolmer, »aber vorwärts mit Euch, Ihr Leute. Die Schwarze läuft wie der helle Teufel, seit sie nicht mehr nach den Fährten zu sehen braucht.«

Er hatte recht. Lloko glitt wie das Känguruh ihrer Wälder rasch und behend durch das niedere, aber dichte Gestrüpp der Waldung, daß ihr die Weißen wirklich kaum zu folgen vermochten und Tolmer sie mehrmals anrufen mußte, nur so lange wenigstens zu warten, bis sie nachkämen. Eine fieberhafte Ungeduld schien sich Llokos bemächtigt zu haben, die sie nur vorwärts, immer vorwärts drängte, bis sie endlich das Ufer erreichte, wo die niederen Gumbüsche über kurz abgebrochene Felswände bis fast zum Wasser niederhingen.

Eine kleine, dürftige Quelle, deren Lauf Lloko die letzten zehn Minuten gefolgt war, rieselte hier ins Meer, und das Wasser des in der Regenzeit wohl manchmal stark angeschwollenen Baches hatte eine kleine Bucht ausgewaschen, in der Lloko damals, als sie den Fährten des Buschrangers und der unglücklichen Frau nachspürte, das hier versteckte Boot des Gentleman John entdeckt hatte.

Fremd auf der Insel, fand ihr Fuß doch leicht und sicher wieder mit jenem wunderbaren Ortssinn der Australier den Weg dahin zurück, und ein triumphierendes Lächeln zuckte über ihre Züge, als sie, auf einen der vorragenden Felsen springend, das Fahrzeug noch dort entdeckte, wo es der Räuber gelassen hatte; aber kein Laut kam über ihre Lippen.

»Ist es da, Lloko?« rief Tolmer mit unterdrückter Stimme.

»Pst!« warnte die Australierin mit gehobenem Finger, indem ihr jubelnder Blick und der niederdeutende Arm den Fund verkündete. Vorsichtig horchte sie dabei nach der Richtung hin, in der sie die Flüchtigen erwartete. Ihre Augen glühten, ihre ganze Gestalt zitterte, und die angstvoll geöffneten Lippen schienen die Luft einzusaugen, die von dort herüberwehte.

»Sie kommen!« flüsterte Tolmer den ihm nächsten zu, »fort mit Euch – drückt Euch hinter Stein und Busch.«

»Alle Teufel!« brummte Borris und glitt hinter einen der Ufersteine, auf dem er gerade stand. Nur Lloko regte sich nicht.

»Nieder mit dir, Lloko«, flüsterte ihr Tolmer zu, »wenn er dich sieht, ist alles verraten und unsere ganze Arbeit umsonst.«

Lloko antwortete nicht, aber an der Stelle, wo sie bis jetzt gestanden hatte, sank sie in die Knie.

»Zum Henker noch einmal, ich sage dir aber ja, dies muß die Stelle sein«, rief da eine rauhe Stimme ganz in der Nähe, »oder ich habe den Platz versehen und finde den verdammten Ort gar nicht wieder.«

»So weit sind wir aber doch gar nicht mit dem Boot gesegelt«, wandte Bradleys Stimme dagegen ein. »Wir müssen wahrlich noch eine Strecke weiter.«

»Und hier ist der Bach«, rief Gentleman John, nicht zehn Schritte mehr von der Lichtung entfernt, an deren Rand seine Feinde versteckt lagen. »Ich wußte, daß ich recht hatte – und da ist auch die See. Gott sei Dank, daß wir aus den vermaledeiten Dornen endlich heraus sind. Das ist der Platz, ich kenne ihn an den Felsen, hahaha – jetzt mögen sie da drinnen herumkriechen und den Torrens-Berg und dessen Nachbarschaft belagern, wie sie wollen. Bis sie uns auf die Fährte kommen, sind wir drüben in Sicherheit. – Ha, was ist das!«

»Halt!« donnerte ihm Tolmers Stimme entgegen, der mit dem von Rotkopf erhaltenen Gewehr im Anschlag dicht vor ihm wie aus dem Boden herausstieg. »Ergib dich, oder du bist eine Leiche.«

»Ergeben?« rief John, eine Pistole aus seinem Gürtel reißend, »für den Galgen, wie?« In demselben Augenblick traf aber sein Blick auf rechts und links aufspringende Gestalten, und die Pistole aufs Geratewohl mitten hineinfeuernd in die Feinde, wollte er mit flüchtigem Satz das Dickicht wiedergewinnen. Hier aber verrannte ihm Bill, der Kutscher, den Weg.

Mit allem Respekt vor Feuerwaffen, mit denen er selbst nur höchst mittelmäßig umzugehen wußte, bückte er sich allerdings bei dem Schuß, fuhr aber auch in demselben Moment, einer früher erhaltenen Lektion eingedenk, in derselben Stellung auf den Buschranger zu, den er an dem einen Bein erwischte und mit sich zu Boden riß.

Wieder fiel ein Schuß, aber diesmal aus Tolmers Rohr, dem davonspringenden Bradley nach, der einen wilden Schrei ausstieß, seitwärts und willenlos in den Busch hineintaumelte und dort zur Erde stürzte. Tolmer aber, ohne den Verwundeten weiter eines Blickes zu würdigen, sprang jetzt auf den gestürzten Buschranger zu, über den sich schon drei oder vier der anderen Polizeisoldaten geworfen hatten.

Gentleman John machte indessen seinen Gegnern viel zu schaffen, denn mit einem plötzlichen Ruck seinen Arm frei bekommend, hatte er ein breites Messer gezogen, mit dem er rechts und links um sich stieß und seine Feinde zu verwunden suchte. Tolmer sah die Gefahr, in der sich die Seinen befanden, und riß das Gewehr an die Backe, den zur Verzweiflung getriebenen Räuber unschädlich zu machen; im nächsten Moment aber änderte er seinen Plan. Der Lauf des Gewehres hob sich, der Schuß donnerte in die Luft hinein, und das Gewehr umdrehend, hieb er dem wütend um sich Stoßenden mit solcher Gewalt über den Schädel, daß der Schaft in Splittern auseinanderbrach, der Getroffene aber bewußtlos und wie tot in sich zusammensackte.

Im Nu war er jetzt an Händen und Füßen gebunden, seiner Waffen entledigt und ins Boot geworfen, wo zwei der Leute, Bill und noch ein anderer, zu seiner Bewachung blieben. Bradley, der zu Tode getroffen im Busch lag, wurde ebenfalls hineingeworfen, und als die von dem Räuber Verwundeten notdürftig ihre Risse verbunden hatten, wollte Tolmer eben vom Land abstoßen, seine Beute nach Kap Borda hinüberzurudern. Da fiel sein Blick auf Lloko, die bis dahin regungslos dicht am Ufer gekniet hatte.

Jetzt erst, als das Boot zur Abfahrt bereit war, richtete sie sich empor, warf einen flüchtigen Blick auf die Gefangenen und war mit einem Sprung an Tolmers Seite.

»Alle Wetter, das wird zuviel im Boot!« rief Borris, der hinten am Steuer saß und sich eben bemühte, das kleine schwanke Fahrzeug vom Lande freizubringen.

»Laßt sie«, erwiderte aber Tolmer, »der Bursche hat sie ihrem Stamm entführt, und sie mag mit uns, wenn wir die übrige Bande aufgerieben haben, nach Adelaide zurückkehren. – Alles klar da vorn?«

»Alles klar, Sir.«

»Gut, dann stoßt ab, und jetzt so rasch wie möglich diesen Burschen in Sicherheit gebracht; der andere Teil der Bande soll uns dann leichte Beute werden.«


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