Friedrich Gerstäcker
Alle jagen John Mulligan
Friedrich Gerstäcker

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Der Schoner ging mit Ballast; angeblich sollte er Wolle abholen und nach irgendeinem der australischen Hauptstapelplätze, Sydney, Adelaide oder Melbourne, hinüberschaffen.

Borris hatte übrigens seinen hiesigen Aufenthalt vortrefflich angewandt, sich mit allen Schleichwegen im benachbarten Busch genau bekannt zu machen. Von Lindsay dabei nur mit dessen Erlaubnis auf Urlaub fortgegangen, konnte es natürlich nicht auffallen, daß er die Gelegenheit benutzt hatte, mit diesem Schoner zu seiner Station zurückzukehren. Er trat auch, sowie das kleine Fahrzeug landete, augenblicklich wieder in seine Stelle ein und verabredete sich nur vorher mit Tolmer, diesen wieder an Bord zu sprechen, wobei er sorgen wolle, daß Mr. Lindsay ebenfalls hinüberkäme.

Borris hatte Lindsay, ohne sich selbst dabei zu verraten, als einen durchaus rechtlichen und tätigen Mann kennengelernt, von dem sie nicht zu fürchten brauchten, daß er sie verraten würde. Besser blieb es aber immer, daß er so spät wie irgend möglich in ihren Plan eingeweiht wurde, und die Zeit war jetzt gekommen.

Der Schoner ankerte gerade der Stelle gegenüber, an der Lindsays Station lag, und Tolmer, ebenfalls in Matrosenkleidung und mit glattrasiertem Gesicht, um sich möglichst unkenntlich zu machen, fuhr an Land, ließ sich bei Mr. Lindsay melden und fragte an, ob der Gentleman seine Wolle vielleicht auf dem Schoner nach Adelaide verladen möchte.

Lindsay, der ihn nicht mehr kannte, nahm ihn mit in das Haus, und hier entdeckte sich ihm Tolmer, erklärte ihm, daß er gedenke, die Insel von allem Gesindel zu befreien, und bat ihn um seine Hilfe.

Der Siedler schien erst keine rechte Lust zu haben, darauf einzugehen, denn mißlang der Versuch und wurde es bekannt, daß er die Polizei unterstützt hatte, so durfte er sich darauf verlassen, daß die Buschranger sich an ihm rächten. Tolmer aber überredete ihn leicht, diese unnötige Besorgnis schwinden zu lassen, und Lindsay versprach wenigstens, ihn gegen Abend auf seinem Schoner zu besuchen, dort – völlig sicher vor jedem Horcher – alles Weitere zu besprechen. Borris wollte er dann mitbringen.

Das geschah. Lindsay hatte ein eigenes Boot und ließ sich von Borris hinüberrudern, angeblich, etwas Tabak und einige andere Kleinigkeiten zu kaufen, die im Busch gebraucht wurden. Von seinen Leuten gehörte allerdings keiner zu den Buschrangern oder würde sich ihnen angeschlossen haben. Sie alle wußten aber, wo jene lagerten, und hätten sie nur den geringsten Verdacht geschöpft, daß das kleine Handelsfahrzeug da draußen von Polizei bemannt war, so wären die Kameraden im Busch augenblicklich gewarnt worden.

Das Nähere, was Tolmer jetzt über die hier versteckten Verbrecher erfuhr, war, daß sie nicht mehr in einem Trupp zusammen waren, sondern sich vor etwa acht Tagen infolge eines Streites getrennt hätten. Mulligan – Lindsay kannte den Namen genau – hauste in einer kleinen Rindenhütte, etwa vier oder fünf englische Meilen von Lindsays Station entfernt, und die übrigen, wie Lindsay meinte und auch Borris bestätigte, »buschten« – das heißt, sie hatten ihr Lager bei dem schönen Wetter mitten im Busch und unfern von einem kleinen Bach aufgeschlagen, da sie noch unentschieden sein mochten, welcher Richtung sie sich zuwenden sollten.

Borris wußte nur von fünf, Lindsay behauptete aber, daß es im ganzen sieben wären, John Mulligan mit zweien seiner Anhänger in der Rindenhütte und die vier anderen, die draußen im Walde lagerten.

Diese Trennung der Schar mußte ihrem Plan nur förderlich sein, denn sieben entschlossene und zur Verzweiflung getriebene Menschen konnten einem so kleinen Trupp Polizei schon einen gefährlichen Widerstand entgegensetzen, noch dazu, da sie alle gut bewaffnet waren. In zwei verschiedenen Trupps ließen sie sich aber weit leichter bewältigen, und die Männer beschlossen, am nächsten Morgen vor allen Dingen der Rindenhütte einen Besuch abzustatten, um gleich am Anfang den gefährlichsten von ihnen, John Mulligan, unschädlich zu machen.

Zu diesem Zweck mußte der Schoner aber wieder vor Tag unter Segel gehen, damit die Besatzung nicht in Sicht der Station zu landen brauchte. Lindsay bezeichnete ihnen weiter gen Osten ein kleines Vorgebirge, wo sie wieder anlegen konnten. Dort befanden sie sich nur höchstens anderthalb englische Meilen von John Mulligans Hütte, und Borris sollte sie an der Stelle erwarten, während Lindsay zu Pferde sie später im Busch selber traf. Je früher sie dabei aufbrachen, desto besser, denn um so viel sicherer durften sie erwarten, die Hüttenbewohner noch alle zu Hause zu finden.

Nachdem dies verabredet war, fuhr Lindsay wieder mit Borris an Land zurück.

Am nächsten Morgen war der Schoner von seinem Landungsplatz verschwunden, ohne daß irgend jemand Notiz davon genommen hätte. Derartige Fahrzeuge kamen oft an die Küste und hielten sich nie länger an einem Ort auf, als sie hoffen durften, ein Geschäft zu machen.

Borris hatte noch am Abend zum Schein von Lindsay den Auftrag bekommen, mit einem Brief nach einer benachbarten Station hinüberzugehen, und Mr. Lindsay ließ sich, wie er das gewöhnlich tat, morgens in aller Frühe sein Pferd satteln und ritt in den Busch. Dem Koch sagte er, daß er zum Frühstück zurück sein werde.

Verabredungsgemäß traf Tolmer mit Borris an der besprochenen Stelle zusammen und schlug sich dann rasch mit seiner kleinen, bis an die Zähne bewaffneten Schar in den Busch, wo ihnen Mr. Lindsay begegnete.

Nach kurzem Marsch erreichten sie die Gegend, in welcher die Hütte stand. Zu weiterer Führung wollte sich aber der Siedler nicht verstehen.

»Ihr wißt nicht«, sagte er, »was für ein verzweifelter Mensch dieser Mulligan ist, und fangt ihr ihn nicht, so fahrt ihr nachher wieder ruhig nach Adelaide hinüber, und wir haben die Geschichte hier auszubaden. Ich kann auch mein Pferd hier nicht anbinden, und nähme ich es mit, hörten sie uns schon von weitem. Dort gleich hinter jenem Dickicht liegt die Hütte – ich selbst will nach Cooleys Station hinüberreiten – Ihr wißt, wo das ist, Borris. Habt ihr den Mulligan, so kommt und laßt mich's wissen.« – Und damit wandte er sein Pferd und ritt langsam quer durch den Busch in der Richtung, in der er die Straße erreichen mußte.

Tolmer murmelte einen Fluch zwischen den Zähnen. Fest entschlossen aber, das einmal Begonnene auch durchzuführen, ob mit oder ohne fremde Hilfe, gab er seiner kleinen Schar die nötigen Befehle und rückte jetzt langsam und vorsichtig mit ihnen weiter, bis sie in Sicht der Hütte kamen.

Diese, wie tausend ähnliche im Busch, bestand nur aus einem leichten Gestell von Pfosten, mit Latten übernagelt und mit breiten Stücken Rinde des Stringybark-Baumes gedeckt. Ebensolche Rindentafeln bildeten die Wände, und rauh genug sah solch ein Wohnhaus aus. Im Busch werden aber keine Ansprüche an Bequemlichkeit gemacht; Schutz gegen Wind und Wetter gewährte sie, und was weiter konnte man hier von einer Wohnung verlangen?

Sie lag dabei mitten im Dickicht und war von dem benachbarten Stationshalter erbaut worden, einem Schäfer Unterkommen zu bieten. Die Schafe vermehrten sich aber nicht so rasch, wie der Stationshalter geglaubt hatte. Die Hütte wurde nicht benutzt, und John Mulligan, der sie auf seinen Streifzügen durch den Busch entdeckt hatte, fand sie passend, ihm zum Aufenthalt zu dienen – wenigstens eine Zeitlang dort zu leben.

Tolmer war vorangekrochen, vor allen Dingen die Gelegenheit zu erspähen, und ein Blick auf die Hütte verriet ihm, daß sie ihren Weg hierher nicht umsonst genommen hatten. Zwischen den Rindenstücken, die das Dach bildeten, wirbelte der blaue Rauch hervor, die Insassen mußten also daheim sein.

Rasch war jetzt sein Plan getroffen, und die kleine Schar wurde so verteilt, daß aus der Hütte niemand mehr entkommen konnte, ohne wenigstens ihrem Kreuzfeuer ausgesetzt zu sein. So vorsichtig aber schlichen sie an, daß sie von denen in der Hütte nicht bemerkt wurden, und wie sie erst die Tür besetzt und die übrigen Wände umstellt hielten, wußten sie sich ihrer Beute sicher.

Tolmer spähte jetzt durch einen schmalen Ritz der einen Seitenwand, konnte aber nur eine Person im Innern erkennen. Es war das ein Mann, der vor dem Kamin auf einer dort liegenden wollenen Decke saß und sich gerade eine kleine Tonpfeife stopfte. Außerdem schien er auch das Frühstück zu bewachen, denn eine Teekanne stand auf den Kohlen, und die zusammengescharrte Asche verriet, daß ein Brot darunter backe.

Sonst war die Hütte leer – das kleine enge Gemach ließ sich leicht genug überschauen, da in der einen Wand – als Fenster – zwei große Rindenstücke fehlten. War das nun Mulligan? Hatten ihn seine beiden anderen Gefährten auch verlassen, und war er hier allein zurückgeblieben? Jedenfalls mußten sie sich seiner so rasch wie möglich bemächtigen, und Tolmer sah sich nur noch nach Waffen um. Er konnte nichts erkennen als eine einzelne Muskete, die in der Ecke lehnte.

Der Mann am Feuer war dabei so in seine Pfeife vertieft, daß er keine Ahnung von der ihm drohenden Gefahr hatte. Der Tür drehte er gerade den Rücken zu, und da diese halb geöffnet war, glitten Tolmer, Borris und einer ihrer Leute hinein und warfen sich – um zu verhindern, daß der Überfallene zu der Muskete springen könne – plötzlich und geräuschlos auf den Buschranger.

»Na, zum Donnerwetter«, rief dieser, der gar nicht Miene machte, emporzuspringen, »ihr werdet mir die Pfeife zerbrechen. Prächtiges Stück Arbeit nachher, und keine andere wiederzukriegen in dem verdammten Busch.«

»Hallo, der nimmt's kaltblütig.« Borris lachte.

»Bindet ihm nur die Arme auf den Rücken«, sagte Tolmer ruhig, »wenn er glaubt, daß er uns sicher machen will, irrt er sich.«

»Nur nicht ängstlich, alter Junge«, sagte der Mann, in dem sich der Matrose nicht schwer verkennen ließ. »Halt da, Mate, schnürt mir die Arme nicht in Stücke.«

»Und was zum Henker machst du hier, Kamerad?« sagte Tolmer, der mit seinem Fang nicht besonders zufrieden schien, denn der Mann betrug sich nicht wie ein ertappter Verbrecher, und das Gesicht war ihm völlig fremd.

»Was ich mache?« fragte der Seemann kaltblütig. »Ich passe auf, daß der blutige steinharte Damper da in der Asche nicht zum Teufel geht und hätte jetzt meine Pfeife geraucht, wenn ihr nicht wie die Wilden über einen hergefallen wäret. Steck sie mir einmal einer von euch ins Gesicht und leg eine Kohle darauf.«

»Wie heißt Ihr?« fragte Tolmer, während ihm Borris lachend willfahrte und der Gefangene indessen an der Pfeife sog.

»Bill – dank Euch, Mate«, lautete die Antwort. »Weshalb, zum Henker, habt Ihr mir die Finnen hinten festgeschnürt? Mit den Füßen kann ich den Damper nicht aus der Asche nehmen.«

»Was treibt Ihr hier im Busch?« fragte aber Tolmer weiter, ohne seinen Einwand zu berücksichtigen.

»Verdammt wenig«, brummte der Bursche. »Koch, wie ihr seht – Hutkeeper, Hüttenwächter, glaub ich, nennen's die Burschen hier im Land.«

»Das ist keiner von den Birds«, flüsterte Borris seinem Vorgesetzten ins Ohr.

»Ich glaub es auch nicht«, sagte dieser ebenso leise zurück und setzte dann laut hinzu: »Wer wohnt hier noch mit Euch?«

»Zwei andere.«

»Und wo sind die jetzt?«

»Ausgegangen, ein Känguruh zu schießen – wenn sie das nicht bekommen können, bringen sie ein Schaf mit.«

»So? – Haben sie eine eigene Herde?«

Der Matrose lachte und sah still vor sich nieder.

»Wie lange seid Ihr schon auf der Insel?« fragte Tolmer.

»Drei Wochen«, lautete die Antwort.

»Und wo kommt Ihr her?«

»Hm«, brummte der Mann, der hier nicht recht mit der Sprache heraus mochte, »gehört Ihr zur Wasserpolizei?«

»Nein.«

»Gut, dann geht's Euch nichts an.«

»Von einem Schiff weggelaufen?« fragte Tolmer.

Der Matrose schwieg und sog an seiner Pfeife.

»Hört einmal, Kamerad«, sagte Tolmer, der jetzt keinen Augenblick mehr zweifelte, daß er es bloß mit einem weggelaufenen Matrosen zu tun hatte. »Seid Ihr nur einem Schiff ausgekniffen, so hab ich damit allerdings nichts zu tun, und es wird Euch nichts geschehen, aber wir müssen die beiden anderen Burschen fangen. Wollt Ihr uns dabei helfen? Denn ich kann mir nicht denken, daß Ihr mit den Verbrechern weiteren Verkehr gehabt habt.«

»Mit gebundenen Armen soll ich Euch helfen.«

Tolmer löste ohne weitere Antwort seine Bande, und Bill fühlte seine Arme kaum frei, als er vor allen Dingen seine Pfeife etwas fester stopfte.

»Daß es mit den beiden nicht ganz richtig sei«, sagte er dabei, ohne seine Stellung zu verändern, »hab ich mir schon gedacht. – Hol sie der Henker, ich bin froh, daß ich mit guter Manier von ihnen fortkomme.«

»Wie bald können sie zurück sein?«

»Jeden Augenblick. Das beste ist dann, ihr stellt euch hier im Innern der Hütte auf, denn ich weiß nicht, von welcher Seite sie kommen.«

»Ist die Muskete Euer?«

»Nein – sie gehört dem einen, John nennt er sich.«

»John Mulligan?«

»Was weiß ich, wie sein ganzer Name ist; John genügt, um ihn zum Essen zu rufen.«

»Da kommt einer!« flüsterte in diesem Augenblick Borris rasch, der inzwischen Wachen ausgestellt hatte. Die Rinde war an unzähligen Stellen gesprungen, und man konnte überall hindurchsehen.

»Ist das John?« fragte Tolmer, der dem Matrosen winkte, den Ankommenden zu beobachten. Dieser schüttelte den Kopf.

»Nein«, sagte er, »das ist der Lahme Tom – hat richtig ein Schaf erwischt – wird sich unendlich freuen, wenn er hier so angenehme Gesellschaft findet.«

»Und wo ist der andere?«

»Weiß nicht – sind beide zusammen fortgegangen.«

»Pst – er kommt – ruhig jetzt!« warnte Tolmer, und schweigend sammelten sich die Polizeileute im Innern der Hütte an beiden Seiten des Eingangs, auf den der Buschranger, ohne Ahnung dessen, was ihn erwartete, langsam zuschritt.


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