Friedrich Gerstäcker
Alle jagen John Mulligan
Friedrich Gerstäcker

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Nur um seinen bisherigen Leutnant zu beruhigen und die kurze Frist zu gewinnen, in der dieser mit der erhaltenen Munition zu den übrigen zurückkehren würde, hatte er sich dazu verstanden, ihm das Verlangte zu überbringen. Durfte er ja doch auch keinem seiner anderen Leute trauen, die, mit Rotkopf allein gelassen, vielleicht gar gemeinschaftliche Sache mit ihm gemacht hätten.

Daß ihm die Polizei schon auf der Fährte sei, ahnte er allerdings nicht, trotzdem näherte er sich nur mit äußerster Vorsicht dem Hause, vor dem er schon aus der Ferne seinen Leutnant erkannte. Er trug sein Gewehr in der Hand und die versprochene Munition in einer umgeschnallten Tasche und hing sich die bereitgehaltene Waffe erst über die Schulter, als er Rotkopf völlig unbewaffnet ihn erwarten sah. Nur daß dieser ruhig vor dem Hause sitzen blieb und ihm nicht entgegenkam, erregte wieder seinen rasch geweckten Verdacht.

»Nun, Kamerad«, rief er ihn an, indem er, etwa fünfzig Schritt vom Haus entfernt, haltmachte, seine Tasche auf den Boden warf und, das Gewehr im Arm, daneben stehenblieb, »da bin ich. Aber Ihr scheint es verdammt kaltblütig zu nehmen. Hier ist Euer Pulver und Blei, das mir schwer genug geworden ist – ich dächte, Ihr könntet's die übrige Strecke selbst tragen.«

»Dank Euch, Kapitän«, rief Rotkopf, der ihn gern näher am Haus gehabt hätte, indem er jetzt von seinem Sitz aufstand und langsam auf ihn zuging, »ich wußte am Anfang gar nicht, ob Ihr's wäret. Aber kommt herein – ich habe ein Feuer drinnen angemacht und ein Stück saftiges Känguruh daran stecken – oder habt Ihr keinen Hunger?«

Gentleman John horchte auf – sein scharfes Ohr hatte das Knacken eines Hahnes – ein ihm nur zu wohlbekannter Laut – gehört, und im Nu erkannte er die Gefahr, in der er sich befand.

»Hunger?« rief er zurück, »gewiß. Ich bin vor dem Frühstück vom Haus fortgegangen, und Euer Känguruh soll mir vortrefflich schmecken. Ist sonst noch jemand bei Euch?«

»Keine Seele«, erwiderte Rotkopf, indem er zu ihm trat und dann langsam auf die am Boden liegende Tasche zuschritt.

»Gut – so nehmt Euer Pulver und Blei mit zum Haus«, sagte der Kapitän, indem er sich so stellte, daß er den Leutnant fortwährend zwischen sich und dem vermuteten Hinterhalt behielt. »Ihr hättet Euch jemanden mitbringen sollen; das Zeug ist verwünscht schwer.«

»Allerdings«, sagte Rotkopf, die Tasche etwas lüftend und dann über die linke Schulter hängend, »doch es ist nicht so weit bis zu unserem Lager, und ich werde sie schon fortbringen.«

»Rotkopf«, sagte da Gentleman John, indem er ihm vertraulich auf die Schulter klopfte, »ich habe Euch nicht umsonst hierher beschieden – ich habe noch ein Geheimnis, das ich Euch anvertrauen möchte – wenn ich eben auf Eure Verschwiegenheit und Treue rechnen könnte.«

»Und das wäre?« rief Rotkopf, indem er überrascht zu seinem Hauptmann aufsah.

»Ich habe hier in der Nähe Geld vergraben«, flüsterte ihm dieser zu, indem er sich wie scheu und vorsichtig dabei umsah.

»Alle Teufel«, rief Rotkopf mit unterdrückter Stimme, »und wo da?«

»Wir wollen zum Haus gehen, dort will ich Euch den Fleck beschreiben.«

»Zum Haus? – Hm«, sagte der Buschranger, »ja – recht gern – aber könnt Ihr es mir nicht hier sagen?«

»Hab ich dich, Bursche?« sagte da John lachend, indem er einen Schritt zurücktrat und sein Gewehr aufgriff, aber dabei noch immer vorsichtig ihn zwischen sich und dem Hause hielt. »Rühr dich jetzt von der Stelle, und du bist -«.

»Teufel!« rief der also überlistete Leutnant, indem er den sich dessen nicht gleich versehenden Buschranger unterlief und mit seinen Armen umschlang, »hierher, zu Hilfe – hierher – verdammt, wenn ich dich nicht – «

»Danke dir«, sagte Gentleman John ruhig. Mit raschem Griff hatte er aber auch in demselben Moment ein Pistol aus seiner Tasche gerissen, und während er es in das Ohr seines Leutnants abdrückte, flog sein Blick schon zu dem Haus hinüber, aus dem jetzt Tolmer mit gespannter Flinte herbeisprang, seinem Verbündeten beizustehen.

Gentleman John wollte rasch sein eigenes Gewehr aufgreifen, Rotkopf aber riß es durch das Gewicht seines stürzenden Körpers mit sich zu Boden nieder, daß sich beide Läufe entluden, und der Buschranger sah jetzt sein Heil gegen den besser bewaffneten Feind nur in rascher Flucht. Den anderen Angreifer hielt er natürlich für einen der im Busch verlassenen Bande, der nicht wagen durfte, ihm weit gegen die Ansiedlung hin zu folgen, und in schnellem Sprung einen Baum zwischen sich und den Verfolger bringend, floh er mit raschen Sätzen den nur hier und da bewaldeten Hang hinauf.

Tolmer feuerte sein Rohr auf ihn ab; das Gestrüpp entzog aber den Flüchtigen gleich darauf seinen Blicken, und es blieb ihm jetzt keine andere Wahl, als so rasch wie möglich seine Leute zu erreichen und den offenen Kampf gegen den Verbrecher und seinen Trupp zu beginnen.

Sein Schuß war aber doch nicht ohne Wirkung geblieben, denn wenn er den Räuber auch nicht in seiner Flucht hemmte, hatte ihn doch ein Schrotkorn in die Seite getroffen. Trotzdem, und den Schmerz verbeißend, gewann der bald die offene Stelle der Ansiedlung und eilte in die Hütte, in der Jenny auf ihn wartete.

Die unglückliche Frau saß am Kamin, das Haupt auf die Lehne des Stuhles gedrückt, auf dem sie ruhte, und regte sich nicht, als er die Tür öffnete.

»Jenny!« rief John, »komm – der Augenblick zur Flucht ist da – mein Schiff liegt bereit, uns aufzunehmen. Komm, Herz, ermanne dich und laß das dumpfe Brüten. – Tot ist tot, und alle Tränen erwecken dein armes Kind doch nicht wieder zum Leben.«

»Tot ist tot«, stöhnte da die arme Frau, indem sie das bleiche Antlitz und die tränenlosen Augen zu ihm erhob. »Sagst du mir das, Mörder meines Kindes?«

»Unsinn, Schatz!« rief der Räuber, in aller Hast seine im Zimmer umhergestreuten wenigen Habseligkeiten und Waffen zusammenraffend. »Was kann ich dafür, daß das schwache Ding die Strapazen unseres Marsches nicht ertragen hat. Hab ich es nicht den halben Tag geschleppt? – Aber eile dich – weiß der Teufel, wie die Kunde so rasch über die Insel gekommen ist; dein Mann, mein Schatz, ist hinter uns her, und wir müssen wahrhaftig machen, daß wir an Bord kommen.«

»Dort liegt es«, rief da plötzlich die Frau, den Arm von sich gestreckt, mit glanzlosem Blick ins Leere starrend, »dort, dort, in seinem armen, kalten Bett – in der harten, erbarmungslosen Erde, die es hält und nimmer, nimmer wiedergeben will – kein warmes Tuch dabei, seine zarten Glieder einzuhüllen – kein Kissen, das kleine, liebe Haupt darauf zu betten – nicht einmal einen kahlen, harten Sarg für das Wesen, für das ich mit Freuden mein Leben hingegeben hätte. Fort – fort von mir!« schrie sie plötzlich, seine nach ihr ausgestreckte Hand mit Abscheu zurückstoßend, »fort, oder beim ewigen Gott da droben, ich schlage meine Zähne in dein Fleisch und würge dich, wie du mein Kind gewürgt hast.«

»Wahnsinnig, bei allem, was da lebt«, brummte der Buschranger vor sich hin, »und der ganze Aufenthalt umsonst. Da bleibt mir freilich nichts anderes übrig, als -«

Die Tür wurde in diesem Augenblick aufgerissen, und Bradleys erschrecktes, totenbleiches Gesicht zeigte sich darin.

»Unke«, rief ihm der Kapitän entgegen, »was bringst du?«

»Der Schoner ist genommen!« rief der Unglücksbote, den Verdacht und sein Aussehen rechtfertigend. »Polizeiboote haben ihn geentert und die Masten gekappt.«

»Die Masten gekappt?« rief John erschrocken.

»Es ist alles vorbei«, sagte der Bursche, »und die Boote rudern schon wieder an Land. Uns bleibt keine andere Zuflucht als der Busch.«

John knirschte die Zähne wild aufeinander, aber das einmal Geschehene ließ sich nicht mehr ändern, die nun abgeschnittene Flucht zu Wasser konnte nach dieser Richtung hin nicht mehr erzwungen, sondern mußte auf andere Weise versucht werden. Deshalb seine Waffen ergreifend, warf er noch einen Blick auf die erstaunt zu ihm aufschauende Frau und winkte dann Bradley, ihm zu folgen.

Wie er nur vor die Hütte trat, sah er schon, daß sein Begleiter die Wahrheit gesprochen hatte. Der Schoner draußen lag als Wrack vor seinem Anker, und während Bewaffnete aus einem schon gelandeten Boot ans Ufer sprangen, eilten andere von dem Hauptstationshaus auf seine Wohnung zu. Kamen sie als Freunde oder Feinde? – Er hatte nicht Lust, ihr Kommen abzuwarten, und flüchtete, von Bradley dicht gefolgt, mit langen Sätzen dem nächsten Dickicht zu.

Schon hatte er dieses erreicht, schon verbargen ihn die nächsten Gumbüsche den Augen der Verfolger, als dicht vor ihm eine dunkle Gestalt sich wie aus dem Boden hob und ihm die Arme bittend entgegenstreckte. Es war Lloko, den Opossummantel locker um die Schulter geschlagen.

»Halt!« rief sie ihm mit mehr drohender als bittender Stimme entgegen, da er fast scheu vor ihr zurückweichen und an ihr vorübereilen wollte, und hielt ihn am Rock fest. »Halt! Falscher weißer Mann – du mußt mich mitnehmen.«

»Ist denn der Teufel heute in die Weiber gefahren?« rief John, mit eiserner Faust die schwache Hand der Frau ergreifend. Aber schon hatte Lloko die andere in seinen Gürtel gekrallt und schrie mit wilder, gellender Stimme: »Teufel – ja, das ist Euer Wort für alles, was bös und schlecht ist – Teufel. Das ist dein Name, Gentleman John!«

»Fort mit dir!« rief der gereizte Räuber, und sein Faustschlag traf die Unglückliche so hart an der Stirn, daß sie den Gürtel losließ und halb bewußtlos zu Boden taumelte. Im nächsten Augenblick waren die beiden Männer auch schon im Busch verschwunden.

Gentleman John hätte übrigens nicht in so großer Eile zu sein brauchen, denn die aus der Station zu ihm Hinüberspringenden waren nur Bloome und dessen Bruder gewesen, die ihr Fahrzeug im ersten Augenblick von Buschrangern überfallen glaubten und den vermeintlichen Kapitän zu Hilfe holen wollten. Nur zu bald sollten sie aber aus solchem Irrtum gerissen werden, denn wenn sie schon die übereilte Flucht des vermeinten Freundes stutzen machte, benahmen ihnen die rasch erkannten Uniformen der Polizeisoldaten den letzten Zweifel.

Tolmer hielt sich jedoch nicht mit langen Erklärungen auf. Er glaubte nämlich sicher, daß sich der entflohene Räuber auch nach dem Tod Rotkopfs ohne weiteres seiner Bande wieder anschließen würde, um mit dieser vereint verzweifelten Widerstand zu leisten. Wußte er doch nicht, daß ihn Gentleman John für einen seiner eigenen Schar gehalten hatte und in jedem den Verräter sehen mußte. Hier nun lag für die kleine Truppe Polizeisoldaten der einzige Vorteil darin, die erste Überraschung der Buschranger zu benutzen, einen entscheidenden Schlag gegen sie zu führen. Einmal zersprengt, würden sie schon zu überwältigen sein.

Kaum im Busch angelangt, trafen sie da auf die noch immer halb betäubte Lloko, an der die Leute, ohne sie weiter zu beachten, rasch vorbeistürmen wollten. Tolmer erkannte aber augenblicklich in ihr das Weib des Räubers, und, der Szene an dem Hause eingedenk, rief er seinen Leuten ein Halt zu, das arme, hilflose Wesen erst wieder zu sich zu bringen. Einer der Konstabler hatte eine Flasche mit Brandy bei sich, und Lloko, als ihr die Schläfe damit gerieben und ein paar Tropfen eingegeben waren, erholte sich bald genug, sich aufzurichten.

Erstaunt sah sie sich inmitten der vielen fremden weißen Männer, und ihr erstes Gefühl war, in den Busch zu fliehen, um ihnen zu entgehen. Tolmer aber trat ihr in den Weg und sagte freundlich:

»Fürchte nichts von uns. Wir wollen das Land nur von denen säubern, die Haß und Feindschaft zwischen schwarzen und weißen Stämmen säen, von Raub leben und von Blut sich nähren. Weißt du, wen ich meine?«

Das Weib sah ihn mit großen, stieren Augen an und rief:

»Ihr sucht Gentleman John!«

»Allerdings«, sagte Tolmer rasch, »weißt du, wo er ist?«

»Fluch ihm!« rief da Lloko, während die Erinnerung an die erlittene Schmach das Blut in ihre dunkle Schläfe jagte, »er hat mich geschlagen, und die Hand möge sein Gott dort oben verdorren lassen, die gegen meine arme Schläfe traf.«

»Das soll unsere Sorge sein, ihm das zu besorgen«, sagte lachend Borris. »Hier auf der Insel haben wir ihn sicher, und er kann uns nicht entgehen.«

»Und wißt Ihr, wo Ihr ihn findet?« fragte da Lloko plötzlich, während ihr Blick rasch und forschend von einem der Männer zum anderen flog.

»Ich denke ja«, erwiderte Tolmer, »er wird wohl wieder zu seinen Freunden am Torrensberg geflohen sein.« »Freunden?« rief Lloko, verächtlich den Kopf zurückwerfend. »Der Verräter hat keinen Freund, seit er Lloko geschlagen. Kommt – kommt!« rief sie plötzlich, sich gewaltsam emporraffend und den Arm Tolmers ergreifend, »ich will Euch führen. Wie ein Dingo auf der Fährte des speergetroffenen Känguruhs, so will ich an seinen Schritten hängen. – Kommt – er hat mich geschlagen – der Kopf brennt mir, wo mich seine Hand traf – wenn der Schmerz nachläßt, hab ich die Rache vielleicht vergessen.«

Ihren Mantel dabei fester um sich schlagend, drückte sie die ihr nächststehenden Männer zurück, dort, wo Gentleman John vorbeigesprungen war, die frischen Spuren wieder aufzufinden.

Borris hielt es nun freilich für bedenklich, der Führung einer Australierin zu vertrauen, die sie ebensogut zum besten haben konnte. Tolmer aber kannte die Australier besser. Er begriff, welche Leidenschaft in diesem Augenblick in dem Herzen dieses Weibes wühlte, und bedachte sich keinen Augenblick, den ihrem Zweck günstigen Moment zu benutzen.


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