Friedrich Gerstäcker
Alle jagen John Mulligan
Friedrich Gerstäcker

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

3. Kapitel

Die Poststraße zwischen der Hauptstadt der jetzigen Kolonie Viktoria, Melbourne, und der von Süd-Australien, Adelaide, war damals noch gar nicht so lange eröffnet, und einmal wöchentlich fuhr in jener ersten Zeit ein zweirädriger Karren (der eine Anzahl von Passagieren tragen konnte), mit den Postbeuteln betraut, die lange, öde, durch den dichten Busch nur notdürftig ausgeschlagene Bahn. Die Fahrt selbst war eine Marter für den Reisenden, und auf Bequemlichkeiten unterwegs durfte er ebensowenig rechnen. Nichtsdestoweniger wurde diese »Royal Mail« doch stark benutzt, da sie die einzige zu einer bestimmten Zeit abgehende und eintreffende Verbindung zwischen den schon recht bedeutenden Städten des australischen Kontinents bildete. Dampfschiffahrt war nämlich noch nicht eingerichtet, und die Passage auf einem gelegentlich abgehenden Segelschiff war viel zu ungewiß und langweilig, als daß man sich ihrer zur Personenbeförderung gern bedient hätte.

Wie aber die Straße rauh und die Postkutsche nur ein höchst primitives Fuhrwerk war, so diente außerdem die Unsicherheit der Gegend dazu, das »Romantische« einer solchen Fahrt zu erhöhen. Gar nicht etwa so selten kam es vor, daß die Reisenden von Sträflingen angefallen und geplündert wurden, die in den Busch geflohen waren. Doch galt es dabei als Tatsache, daß die Reisenden für ihr Leben nichts zu fürchten hatten, sobald sie sich gutwillig dem Unvermeidlichen fügten und – keine Waffen bei sich führten. Die Buschranger nahmen ihnen dann eben ab, was sie brauchen konnten, untersuchten die Postfelleisen nach Geld oder Geldeswert und ließen die Passagiere meist ungehindert ziehen.

Nur wenn diese bewaffnet waren oder gar Widerstand leisteten, war es vorgekommen, daß der so verübte Raub auch in einen Raubmord ausartete, und es blieb bald kein Geheimnis mehr, daß der berüchtigte Führer dieser Schar niemand anders sei als Gentleman John.

So verwegen diese Bande aber auch sein mochte, so lehrten sie doch endlich zahlreiche gegen sie ausgesandte Patrouillen, daß sie einer disziplinierten und bewaffneten Macht nicht gewachsen waren, und wenn alle diese Expeditionen auch nicht von besonderem Erfolg gekrönt wurden, trieben sie die Strauchdiebe doch weiter in das Innere zurück und deckten einigermaßen die stark bedrohte Straße.

Es war im April, daß die »Royal Mail« an einem rauhen und unfreundlichen Herbsttag, ungewöhnlich stark mit Passagieren besetzt, die vom Regen aufgeweichte Straße entlangrasselte, während die wettermürrischen Reisenden, in ihre Mäntel gehüllt und von dem unbeholfenen Fuhrwerk schlammbespritzt und durchgerüttelt, erst wieder anfingen aufzutauen, als sie eine der seltsamen Stationen erreichten, auf denen ihnen eine halbe Stunde Rast für ein flüchtiges Mittagsmahl gegönnt wurde.

Das Gebäude war kaum mehr als eine Rindenhütte mit einer Art von Anbau, der zugleich als Küche und Vorratskammer diente, und lag an einer der ödesten Stellen der Straße. Trotzdem enthielt es aber weit mehr Bequemlichkeit und Genüsse, als sein etwas rauhes, ungelecktes Äußere versprach, und die Passagiere befanden sich bald, zu ihrer höchst angenehmen Überraschung, an einem reinlich gedeckten Tisch, von dem ihnen ein sorgfältig hergerichtetes Mahl entgegenduftete. Auch die Getränke waren vortrefflich und in größter Auswahl vorhanden, und die Wirtin, eine echt englische Matrone, einfach, aber sauber und nett gekleidet, präsidierte an der Tafel.

Der Wirt hatte sich noch nicht sehen lassen, denn er hatte draußen noch mit dem Kutscher zu tun und frische Pferde zu besorgen.

Die Reisegesellschaft bestand aus lauter Männern, da sich Damen diesem rauhen Beförderungsmittel nur im höchsten Notfall, und dann auch nur auf kurze Strecken, von einer Station zur andern, anvertrauten. Allerdings mußten sie in dem Fall, wenn sie für solche Fahrt die Post benutzen wollten, warten, bis sich ein Platz für sie fand, da die Postverwaltung nicht daran dachte, einen Beiwagen zu geben, selbst wenn sich genug Passagiere gefunden hätten. Was dem einmal vorhandenen Karren von Reisenden aufgepackt werden konnte, wurde geladen, die übrigen mußten abwarten, ob sie vielleicht in der nächsten Woche mitgenommen werden konnten.

Wie aber nun in Australien die Bevölkerung höchst wunderlich gemischt ist, so schien auch auf dieser Post fast jede Schicht der Einwohnerschaft vertreten. Eine höchst anständig aussehende Persönlichkeit in schwarzen Tuchkleidern mit schwerer goldener Kette, weißer Wäsche und Glacéhandschuhen, die eigentlich nicht recht in die ganze Umgebung zu passen schien, repräsentierte den Kaufmannsstand der Kolonien. Es war ein Mr. Warrel aus Melbourne, der mit der Post nach Adelaide wollte, um eine kurz vorher von Melbourne per Segelschiff expedierte Ladung an Ort und Stelle zu verkaufen.

Die zweite ansehnliche Persönlichkeit war ein Siedler aus dem Adelaide-Distrikt, mit vollem Bart, einen Kohlpalmenhut auf, mit Rock, Hose und Weste aus sogenanntem englischen Lederzeug, mit derben Buschschuhen und einem rotseidenen Halstuch, das, um den schneeweißen Hemdkragen geschlagen, den sonnverbrannten kräftigen Hals entblößt ließ.

Ganz gegen den Gebrauch der übrigen Passagiere schien es dieser aber zu verschmähen, sich waffenlos der Gnade oder Ungnade des etwa dort umherstreifenden räuberischen Gesindels zu übergeben. In dem breiten um den Leib geschnallten Gürtel, der ein kurzes Buschmesser trug, staken ein paar feingearbeitete Pistolen, und außerdem führte er auch noch eine, wie er sagte, stets mit Rehposten geladene englische Doppelflinte bei sich, die er unterwegs zwischen den Knien und ziemlich trotzig zum Gebrauch stets in Bereitschaft hielt.

Seinen Platz hatte er vorn auf dem Bock, und der dritte Passagier, der zwischen ihm und dem Kutscher eingeklemmt saß, war ein dürres, kleines, bleiches Männchen, ebenfalls ein Engländer, der in ziemlich schäbigen Kleidern, mit einem alten, abgetragenen Hut, bis dahin trotz seiner offensichtlichen Armut die entsetzlichste Angst vor einem möglichen Überfall gezeigt und besonders seinen schwerbewaffneten Nachbar fortwährend mit mißtrauischen Blicken betrachtet hatte.

Die Post hatte nur zwei Sitzbänke – die eine war die, auf welcher der Kutscher saß, und die neben ihm befindlichen Passagiere hatten die Aussicht nach vorn über die Pferde hin. Auf der zweiten, notdürftig gepolsterten und mit Leder überzogenen Bank saßen die übrigen Reisenden, jedoch mit dem Rücken nach vorn, und die niedere eiserne Lehne diente weit weniger zu ihrer Bequemlichkeit, als sich daran festzuklammern, wenn der Wagen einen steilen Hang hinaufgerissen wurde. Versäumten sie es, so wären sie rettungslos aus der Kutsche herausgestürzt.

Auf dieser hinteren Bank saß der schon vorher erwähnte Kaufmann aus Melbourne dicht hinter dem Kutscher. Den Mittelsitz nahm schon von Melbourne her ein etwas ruppig aussehendes Individuum ein. Es war dies dem Anschein nach einer der gewöhnlichen Arbeiter, in ordinären, aber trotzdem reinlich gehaltenen Kleidern und mit hoffentlich besseren Empfehlungen und Zeugnissen in der Tasche, als ihm das Gesicht gewähren konnte. Der Bursche, der die ganze Fahrt hindurch verdrossen und störrisch auf seinem unbequemen Sitz kauerte und ununterbrochen Tabak kaute, hatte mit seinen Mitpassagieren kaum drei Worte gewechselt und alle an ihn gerichteten Fragen – wenn überhaupt – mit »Ja«, »Nein« oder »Weiß nicht« beantwortet.

Auf dem dritten Platz neben ihm und Rücken an Rücken mit dem Siedler, saß ein Mittelding zwischen Siedler und Arbeiter. Es war ein vierschrötiger, kräftiger Geselle mit sonnverbrannten, nicht häßlichen Zügen und etwas Keckem, Drolligem in seinem ganzen Wesen. Er war erst in Wanebat, bis wohin ein anderer Passagier mitgefahren war, aufgestiegen und bis jetzt eigentlich der einzige gewesen, der durch seinen Humor trotz Wetter und schlechtem Fuhrwerk einiges Leben in die träge Unterhaltung gebracht hatte. Dem letzten Regenguß hatte freilich auch er schweigend und mürrisch die Wetterseite geboten. Jetzt aber, im Trockenen, mit einer Flasche Sherry an der einen und einem Becher Porter an der anderen Seite, taute er rasch wieder auf, und es gelang ihm auch wirklich, seine sonst recht schweigsamen Reisegefährten zu einer lebendigen Unterhaltung zu bringen.

Stoff hierzu gab es vor allem durch den kleinen ängstlichen Passagier, der unterwegs zwischen dem Kutscher und dem Siedler saß und an jedem Halteplatz neue und meist immer entsetzliche Nachrichten über kürzlich erst verübte Greueltaten der Buschranger sammelte. Auch hier hatte er nichts Eiligeres zu tun gehabt, als sich mit seinen Erkundigungen an eine Art von Hausknecht zu wenden, der die angekommenen Pferde eben abschirrte, damit sie frei im Busch weiden konnten.

Dieser aber, ein verschmitzter Ire, und jedenfalls auch nur ein mit einem Ticket of leave freigegebener Sträfling, sah bald, mit welcher Art von Menschen er es hier zu tun habe, und erzählte dem ihm ängstlich und bestürzt Zuhörenden in aller Geschwindigkeit ein paar so entsetzliche und schauererregende Mordgeschichten, daß der kleine Mann mit bleichem Antlitz in das Passagierzimmer stürzte, seine furchtbaren Neuigkeiten so rasch wie möglich den übrigen mitzuteilen.

»Lügen, nichts als Lügen«, parierte übrigens Mr. Warrel, der sich eben mit den anderen an der gut besetzten Tafel niedergesetzt hatte, kaltblütig die schrecklichen Nachrichten. »Von wem habt Ihr Euch diese Geschichten aufbinden lassen?«

»Von wem?« rief der kleine Mann entrüstet, »von dem Burschen, der die Pferde versorgt.«

»Von Tom, dem Iren«, sagte aber jetzt selbst die Matrone lachend, die gerade im Begriff war, ein saftiges Roastbeef zu zerlegen, »ja, mein lieber Herr, den dürft Ihr über so etwas nicht fragen, denn wenn er merkt, daß sich jemand vor Buschrangern fürchtet, erzählt er ihm die gräßlichsten Geschichten, die ihm nur einfallen.«

»Was heißt fürchten?« fragte kopfschüttelnd der Kleine, »wer hat ihm gesagt, daß ich mich fürchte? Wovor fürchten? Meine Kleider sind alt und schlecht genug, und meine Haut können sie nicht gebrauchen. Weiter hab ich nichts bei mir auf der Gotteswelt als vierzehn Schilling bar Geld für die Reisespesen.«

»Nun, so gleichgültig wäre mir's gerade nicht«, brummte der Siedler, eben mit einem saftigen Stück Fleisch beschäftigt, finster in den Bart, »und den blutigen Kanaillen möchte ich diesmal gerade nicht in die Hände fallen. Aber – hol sie der Teufel, ehe sie mein Geld bekommen, sollen sie erst mit meinem Pulver und Blei Bekanntschaft machen, und ich denke, ich habe genug von dem bei mir, ihnen zu dem anderen den Appetit zu versalzen.«

»Sie sind allerdings kein Mann für die Buschranger, bester Herr«, sagte da lachend der Passagier von Wanebat, der sich Mr. Bush nannte, »denn von oben bis unten mit Stahl und Eisen gespickt, dürften sich die armen Teufel bei ihnen wohl mehr Schläge als Geld holen; unser Freund in Schwarz dagegen, den ich zugleich herzlich ersuchen möchte, mir einmal die Sherryflasche herüberzuschieben, scheint ihnen freundlicher gesinnt zu sein, denn er trägt kein solches Mordgewehr, dafür aber Gold genug zur Schau, ihnen den Mund danach wässerig zu machen.«

»Gott soll mir helfen, wenn's nicht wahr ist«, stimmte diesem der Kleine in etwas verkehrter Beteuerung bei. »Ich wüßte 'nen besseren Platz, goldene Kettchen und Uhren zur Firma zu tragen, als die Buschstraße zwischen Melbourne und Adelaide.«

Der Kaufmann lachte und aß eine Weile ruhig weiter; endlich aber sagte er noch immer schmunzelnd:

»Freut mich, daß Ihr mich für so grün haltet, mit solchem Firlefanz hier paradieren zu wollen. Werden wir aber wirklich von Buschrangern überfallen, so gönne ich ihnen die ganze Bescherung von Herzen. An Geld hab ich nur ein paar Pfund Sterling bei mir, und wenn sie mir die und den Plunder abgenommen haben, sind sie seelenglücklich und bedanken sich am Ende noch gar bei mir.«

»Tät da ein silbernes Kettchen nicht dieselben Dienste?« meinte aber der Kleine. »Wozu den Halunken das gute Gold in die Zähne werfen.«

»Gold!« Der Kaufmann lachte mit einem verschmitzten Blick zu Mr. Bush hinüber. »Die Uhr mit Kette kostet mich in Melbourne gerade zwölf Schilling – das Zeug hier ist Tombak und das Werk selbst keine Sixpence wert.«

»Ha, ha, ha, ha«, lachte Mr. Bush, »das ist vortrefflich, und der Plan ist ganz ausgezeichnet. Wenn die Strauchdiebe Uhr und Börse von einem Gentleman erbeutet haben, visitieren sie ihn nachher nicht einmal weiter.«

»Und wenn sie mich durchsuchen«, sagte Warrel lachend, »ich trage nichts auf der Gotteswelt weiter bei mir. Komm ich dann auch ausgeplündert nach Adelaide, so ist die Handschrift des alten Warrel bekannt genug an der Bank, mir Kredit zu verschaffen.«

»Mr. Warrel, in der Tat?« sagte Bush, ihn rasch und ehrfurchtsvoll grüßend. »Ah, das glaub ich, daß Ihr weder in Adelaide noch in Melbourne vierundzwanzig Stunden ohne Geld zu sein braucht. Da muß unser Freund hier seine Barschaft sorgfältiger verstecken!«

»Ich?« rief der kleine Mann erschrocken und ließ die eben aufgenommenen Messer und Gabel klirrend auf den Teller zurückfallen. »wo soll ich Barschaft versteckt haben? – Etwa in den Täschchen hier oder in den zerrissenen Stiefelchen? Ich weiß ja kaum, wovon ich die erste Woche meine Kost in Adelaide zahlen soll, die so schrecklich teuer ist in den Gasthöfen.«

»Nun, nun«, sagte Bush, »mir ist's ja recht, und ich brauche nicht dafür zu sorgen. Übrigens haben wir keinesfalls etwas zu fürchten, denn mein wohlbewaffneter Nachbar hier wird uns das Gesindel schon vom Leibe halten. Eure Pistolen sind doch hoffentlich geladen, und nicht auch nur ein falsches Aushängeschild wie Uhr und Kette von Mr. Warrel?«


 << zurück weiter >>