Friedrich Gerstäcker
Alle jagen John Mulligan
Friedrich Gerstäcker

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Rasch gab er deshalb seine Befehle, einen kleinen Teil der Vorräte in das versteckte Boot zu schaffen, während er die Schar, auf die er sich am sichersten glaubte verlassen zu können, in die Nähe, hinter eine rasch von heruntergebrochenen Zweigen und herangewälzten Stämmen aufgeworfene Barrikade postierte. Seine ganze Mannschaft teilte er dann in drei Trupps, die das Terrain nach besten Kräften nutzen und einander mit ihren Gewehren decken sollten. Solcherart hoffte er den Überfall, der jeden Augenblick stattfinden konnte, wenigstens so lange aufzuhalten, bis er sein Boot flott und segelfertig hatte, und der breite, hier ziemlich rasch strömende Fluß mochte ihn dann der Freiheit entgegenführen.

Rasch und willig führten die Buschranger die ihnen gegebenen Befehle aus, denn auch ihnen lag weit mehr daran, ihre Haut in Sicherheit zu bringen, als einen langen und ernsthaften Kampf mit den disziplinierten Gegnern zu bestehen. Mit mißtrauischen Blicken betrachteten dagegen die Australier das eilige Instandsetzen des Bootes; denn rasch genug begriffen sie, daß es ihre weißen Bundesgenossen zur Flucht benutzen wollten. Das kleine Fahrzeug konnte aber, schwerbeladen wie es war, kaum diese alle aufnehmen, und was sollte da aus ihnen werden. Der weiße Häuptling, ihrem Stamm durch eine ihrer Töchter verwandt, durfte sie nicht verlassen, und doch traf er dazu jetzt alle Vorbereitungen.

Bukkul, einer der Burkas oder Stammesältesten, der Vater von Lloko, Gentleman Johns Frau, wurde denn auch von seinem Stamm abgesandt, des Weißen Plan zu erfahren, und die erste Frage nur, die er an den schlauen Räuber richtete, warnte diesen vor der neu auftauchenden Gefahr.

»Das Boot, Bukkul?« sagte John, »sollen wir das etwa den Rotjacken überlassen? Und ebenso all das Brot und Fleisch und den Brandy, der hier aufgehäuft liegt? – Wenn wir zurück müssen in den Busch, können wir doch nicht alles auf unseren Schultern tragen, und wenn wir wieder hierherkommen, wollen wir wieder essen und trinken.«

»Und wohin will Johnny mit dem Boote gehen?« fragte der Alte.

»Wohin? – Nirgendshin – nur den Fluß ein Stück hinab, bis dahin, wo uns die Rotjacken nicht im Sumpf und Schilf folgen können.«

»Und du selbst gehst mit hinein?«

»Kann ich ins Boot?« rief der Buschranger, »wo ich uns alle hier verteidigen muß?«

»Gut«, sagte Bukkul, »dann laß die Frauen und Kinder darin den Strom hinabschwimmen, wo sie die Kugeln der TohsToh bedeutet in der Sprache einiger Murraystämme zugleich Teufel und weißer Mann. nicht erreichen können. Lloko mag mit ihnen gehen, und Bukkul wird dafür sorgen, daß das große Kanu gesichert bleibt.«

»Wenn ich dich entbehren könnte, Bukkul«, erwiderte ausweichend John, »aber du allein hast Ansehen bei deinem Stamm, und wenn du fort bist, laufen deine jungen Männer auch in den Busch und lassen Johnny allein hier zurück, das Lager zu verteidigen.«

»Und sollen die Frauen und Kinder in das große Kanu?« fragte Bukkul.

»Nein«, sagte John nach einigem Zögern. »Sie sind sicherer im Busch. Wenn sie im Kanu springen und schaukeln, kentern sie, und alles, was wir darin haben, wäre verloren.«

»Es ist gut«, sagte Bukkul finster und schritt langsam zu den Feuern der Seinen zurück.

John sah ihm mit fest aufeinandergebissenen Lippen nach, aber an anderer Stelle war seine Gegenwart zu nötig, als daß ihm lange Zeit zum Überlegen geblieben wäre.

Unter den Buschrangern hatte sich nämlich ein Streit entsponnen, da ein Teil die ihnen zugewiesenen Plätze nicht behaupten und lieber mit den übrigen in der Nähe des Bootes bleiben wollte. Wer bürgte ihnen dafür, daß die anderen sie nicht im Stich ließen; wußten sie doch recht gut, daß sie an deren Stelle dasselbe getan hätten.

John war aber kaum unter sie getreten, den Streit zu schlichten, als gar nicht weit von dem Lager entfernt ein Schuß fiel, und gleich darauf stürzte einer der Australier, seinen Speer schwingend, zum Lager.

»Wahnsinnige!« schrie da John, den Augenblick nutzend. »Jetzt, wo der Feind im Begriff ist, uns von allen Seiten anzugreifen, streitet Ihr Euch wie Kinder um Euren Platz im Kampf. An Eure Posten, oder, beim Teufel, der erste, der noch ein Wort der Gegenrede über seine Lippen bringt, stirbt von meiner Hand. Fort, Ihr da – hinüber hinter das Verhau – seht Ihr dort hinten die Rotjacken durch die Bäume schimmern? – Die sind ein treffliches Ziel, und an denen laßt Euren Grimm aus, soviel Ihr wollt.«

John hatte recht. Schon konnten sie zwischen den schlanken und hohen Stämmen der Niederung hin die rote Uniform ihrer Feinde hier und da vorschimmern sehen, und da die Buschranger recht gut wußten, daß sie wenigstens den ersten Anprall der Gegner zurückweisen mußten, um freie Hand zu ihrer Flucht zu bekommen, folgten sie jetzt dem Befehl des Anführers, der ihnen mit seinem Beispiel voranging. An den Kampf im Busch gewöhnt, und besonders hier mit jedem Vorteil, den ihnen der Boden gewährte, bekannt, hatten sie auch bald die erste mehr zur Erkundung als zum wirklichen Angriff ausgesandte Abteilung des Militärs in die Flanke gefaßt, und ihre Kugeln trafen und überraschten den Feind von allen Seiten.

 

Durch den Übermut der Buschranger dazu getrieben, dem Unwesen endlich ein Ende zu machen und die Sicherheit des Eigentums in der Kolonie einigermaßen wiederherzustellen, waren in der Tat, wie schon erwähnt, die äußersten Anstrengungen gemacht worden. Hielten doch diese Nachrichten, wenn sie nach Europa drangen, vielleicht zum Auswandern Gewillte davon ab, ihr Leben und Vermögen einer Kolonie anzuvertrauen, wo beides in solchem Grade gefährdet war und, wie es schien, von den Behörden nicht einmal mehr geschützt werden konnte.

Der Oberbefehl war dabei wieder unserem alten Bekannten, Tolmer, übertragen worden, der nicht allein den Busch, sondern auch diesen übermütigen und gefährlichen Räuber sehr genau kannte. Er hatte ihn früher schon einmal eingeliefert, und jetzt hatte er es den nachlässigen Behörden zu danken, daß er aufs neue sein Leben in die Schanze schlagen durfte, den zum Äußersten getriebenen Verbrecher endlich unschädlich zu machen.

Es bedurfte aber auch eines solchen Führers, das mit dem Busch nur wenig vertraute Militär alle die ihm entgegenstehenden Schwierigkeiten überwinden zu lassen, denn von den Siedlern und Schäfern durften sie auf wenig oder gar keine offene Hilfe und Unterstützung rechnen. Diese fürchteten die Buschranger und deren Rache, wenn das Unternehmen mißglücken sollte, mehr, als sie von dem gegen sie unternommenen Zug erhofften.

Nur zu oft war es nämlich schon vorgekommen, daß sich die Siedler hatten verleiten lassen, den gegen die Strauchdiebe ausgesandten Polizeibeamten tätige und offene Hilfe zu leisten, ohne daß die letzteren etwas Wesentliches ausgerichtet hätten. Die Polizei zog sich dann wieder zurück, aber die Siedler blieben auf ihren einsamen Stationen der Rache der gereizten Verbrecher preisgegeben, die dann auch selten säumten, furchtbare Wiedervergeltung zu üben. Mit solchen Erfahrungen hielten es die auf viele Meilen voneinander zerstreut wohnenden Ansiedler für geratener, sich bei späteren Expeditionen, wo das nicht ganz im geheimen geschehen konnte, gar nicht mehr zu beteiligen, ja sie unterstützten die in ihrer Nachbarschaft ihr Wesen treibenden Buschranger wohl noch gar mit Lebensmitteln und Kleidern, wenn sie deren dringend bedurften; sie versuchten damit sich deren guten Willen zu erkaufen und sie abzuhalten, ihre Herden fortzutreiben oder ihre Stationshäuser in Brand zu stecken.

Tolmer brauchte sie nicht; mit ein paar Australiern, die dem am Murray lagernden Stamm feindlich gesonnen waren, hatte er am Abend vorher, ehe der Angriff stattfinden sollte, die Gegend ausgekundschaftet und sich von der Situation des Lagers wie der ungefähren Stärke des Feindes überzeugt. Wäre diese aber auch doppelt so stark gewesen, Tolmer wußte, daß seine Leute siegen würden, denn wenn auch die Verzweiflung einer solchen Schar ihre wackere Hilfe im Kampf ist, wog das Bewußtsein ihrer guten Sache das auch doppelt wieder auf. Von dem im Schilf versteckten Boot hatte er keine Ahnung und deshalb an die andere Seite des Stromes nur einige Scharfschützen postiert, auf solche der Feinde zu feuern, die etwa in einem der erbärmlichen Rindenkanus oder durch Schwimmen das gegenüberliegende Ufer zu erreichen versuchten.

Zwei Freiwillige hatten sich übrigens seinem Zug angeschlossen, und zwar zwei alte Bekannte von uns, Bill, der Kutscher der »Royal Mail«, der dem würdigen Fuhrwerk Valet gesagt hatte, sein Brot auf andere Weise zu verdienen, und jener Siedler, Passagier der geplünderten Postkutsche.

Bill, der auf den Fahrten mit dem lebensgefährlichen Karren wochenlang seinen Hals riskiert hatte, sah auch in dieser Expedition eben nichts Gefährlicheres und wollte, weil für den Augenblick ohne bestimmte Beschäftigung, die Gelegenheit nicht vorübergehen lassen, den verwünschten Buschranger wiederzufinden und Rechenschaft zu fordern für die erlittene Mißhandlung.

Der Siedler kam in einer anderen Hoffnung. Gentleman John hatte ihm nämlich nicht allein seine erst teuer gekauften Waffen, sondern mit der Brieftasche auch sein ganzes Besitztum abgenommen, das er erst wenige Tage vorher zu Geld gemacht hatte. Seine Absicht war gewesen, sich in der Nähe von Adelaide niederzulassen, weshalb er seine Station mit all seinen Herden am Nooratberg verkauft hatte. Jetzt, von allen Mitteln entblößt, blieb ihm fast nichts anderes übrig, als hier einen letzten verzweifelten Versuch zu machen, sein Geld vielleicht wiederzubekommen oder doch wenigstens an dem frechen Räuber Rache zu nehmen.

Tolmer hatte indessen seine ihm untergebene Schar in zwei Gruppen geteilt, von denen er die eine in die Flanke der Bande gesandt hatte, während er mit der anderen gerade vorrückte. Recht gut wußte er dabei, daß die Buschranger an dem dort sehr hohen Ufer des Stromes eine günstige Stellung eingenommen hatten, und sie oder wenigstens einen Teil von ihnen aus ihr herauszulocken, schickte er eine kleine Abteilung Militär voraus, das den strengen Befehl hatte, nur einige Schüsse abzufeuern und sich, sowie der Feind gegen sie anrücke, langsam hinter den Schutz der Bäume zurückzuziehen.

Gentleman John war aber zu schlau, als daß er in diese viel zu offen liegende Falle ginge, und sowie die Soldaten dem scharfen Feuer der Seinen wichen, rief sein Signal die siegesmutigen Räuber wieder hinter ihre Verschanzungen zurück.

Rotkopf, einer der wenigen Buschranger, auf die er sich am besten glaubte verlassen zu dürfen, hatte indessen die Einschiffung der zu einer langen Fahrt notwendigsten Gegenstände besorgt; er hatte insbesondere einige der Australier dazu verwandt, nicht allein den Proviant in das Boot zu packen, sondern auch noch verschiedene kleine Wasserfässer zu füllen, da sie das Wasser den Strom weiter hinab seines Salzgehaltes wegen nicht mehr gebrauchen konnten. Dadurch aber war der Verdacht der Australier zur Gewißheit geworden; denn wenn den Weißen nur daran lag, ihr Boot weiter unten am Strom in ein sicheres Versteck zu bringen, so hätten sie dazu nicht des vielen frischen Wassers bedurft. Gingen sie aber wirklich in See, so war ihr Stamm hier der größten Gefahr ausgesetzt, von den Feinden aufgerieben zu werden.

Tolmer wußte allerdings nichts von dieser Uneinigkeit im Lager der Feinde, er hatte sie aber diesmal zu fest und sicher umstellt, als daß er nicht von einem entschiedenen Angriff seiner ganzen Macht alles erhofft hätte. Über den Fluß konnten die Buschranger nicht, ohne von seinen Schützen drüben empfangen zu werden, der Weg in den Busch war ihnen durch seine Konstabler und berittenen Polizeisoldaten abgeschnitten, und ein Teil der letzteren mit der kleinen ihm mitgegebenen Abteilung regulären Militärs mußte sie jetzt entweder aufreiben oder in das Uferschilf des Murray jagen, wo ihnen zuletzt keine andere Wahl blieb, als sich auf Gnade oder Ungnade zu ergeben.


 << zurück weiter >>