Friedrich Gerstäcker
Alle jagen John Mulligan
Friedrich Gerstäcker

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Tolmer lachte. Mit der Politik derartiger Buschleute aber durchaus vertraut, kannte er recht gut die Triebfedern, die ihn zum Schweigen brachten, und er lenkte das Gespräch auf etwas anderes, um erst einmal herauszubekommen, mit wem er es hier zu tun habe. War es ein früherer Sträfling, dann ließ sich freilich nicht viel von ihm erwarten, doch sah er ihm zu jung aus, und vorsichtige Fragen konnten das bald aufklären. Tolmer hatte sich auch nicht in seinem Mann geirrt. Jim Riddle war erst vor zwei Jahren mit einem Auswandererschiff als freier Mann nach Australien gekommen, hier sein Glück zu machen – nicht »Damper für alles blutige Gesindel im Busche zu backen«, wie er hinzusetzte, und schien das ganze Land schon so satt zu haben, daß er je eher, je lieber wieder nach Alt-England zurückgekehrt wäre, wenn er eben gewußt hätte, womit.

Einmal darüber im reinen, hatte Tolmer keine Ursache mehr, dem Hutkeeper nicht zu sagen, wer er sei und weshalb er auf die Insel gekommen wäre – diese nämlich von der Plage herumstreifenden Gesindels zu befreien. Er rief dann seine Leute herbei, die der Hutkeeper aber immer noch mißtrauisch betrachtete, denn sie sahen ihm nicht aus wie Polizei, und erst als ihm Tolmer seine Vollmacht vorlegte, die das große Regierungssiegel trug, wurde er überzeugt.

»Dann ist's recht«, sagte er, mit einem kräftigen Hieb die rechte geballte Faust in die linke Hand schlagend, daß der Mehlbrei überall umherspritzte, »dann hab ich nichts dagegen, und ich gönne euch die Gesellschaft des unheimlichen Burschen, der hier seit zwei Tagen herumkriecht, von ganzem Herzen.«

Und nun erzählte er mit einfachen und kurzen Worten, daß vorgestern ein Mann, dessen Beschreibung Tolmer keinen Zweifel ließ, Mulligan sei damit gemeint, zu ihm in die Hütte gekommen wäre und Essen und Tabak verlangt hätte. Der Fremde trug eine Muskete und sah wild und zerfetzt genug aus. Jim Riddle gab ihm beides, um ihn nur loszuwerden. Gestern aber war er wiedergekommen, sich neuen Vorrat zu holen, und hatte ihm mit allem möglichen gedroht, wenn er irgend jemand durch eine Silbe verrate, daß er bei ihm gewesen wäre. Ja noch mehr, er verlangte von dem Hutkeeper – der keine Waffen hatte, sich zu wehren –, daß er ihm von jetzt an einen besonderen Damper backe und diesen mit Fleisch und Tee nicht weit von der Hütte in den Busch bringe. Jim Riddle mußte sogar mit Mulligan dorthin gehen, der ihm die Stelle genau zeigte.

Wahrscheinlich wollte sich der Buschranger nicht wieder der Gefahr aussetzen, eine fremde Hütte zu betreten, in der recht gut Feinde versteckt sein konnten; wußte er ja doch jetzt nicht, ob ihm die Polizei auf der Fährte war oder nicht.

Jim Riddle hatte natürlich den verzweifelten Menschen gefürchtet, dessen Haß und Rache er sich hier nicht allein und hilflos aussetzen mochte. Mit der Polizei zum Schutz war er aber froh, solch einen lästigen Brotverzehrer loszuwerden und vielleicht unschädlich gemacht zu sehen, und er zeigte sich jetzt augenblicklich bereit, Tolmer zu der Stelle zu führen, an der er die Lebensmittel für den Buschranger verbergen sollte.

Rasch hatte er alles Nötige zusammengepackt und wanderte jetzt mit den Polizeileuten in den Busch hinein, etwa vier- oder fünfhundert Schritt von der Hütte, wo eine kleine Lichtung lag. Es standen dort nur wenige Bäume, dicht daran grenzte aber ein Dickicht, und der Platz war insofern vortrefflich ausgesucht, als der Flüchtling, von den Büschen gedeckt, unbemerkt herankommen und leicht übersehen konnte, ob ihm in der Nähe irgendeine Gefahr drohe.

Tolmer beschloß ohne weiteres, auf ihn zu warten, denn es war augenscheinlich, daß der Buschranger hier in der Nähe keine andere Stelle hatte, an der er Nahrungsmittel zu bekommen wußte. Er ließ deshalb die Damper so hinstellen, daß sie der Anschleichende von weitem sehen konnte, und verbarg dann seine Leute hinter Bäumen und Büschen, so gut das irgend gehen wollte. Außerdem gab er ihnen den strikten Auftrag, den Flüchtling erst ganz nahe heranzulassen und nur im äußersten Notfall auf ihn zu schießen, da er ihn lebendig zu fangen wünschte.

Er selbst legte sich hinter die Wurzel eines umgestürzten Gumbaumes, der Stelle gerade gegenüber, die er für den wahrscheinlichsten Wechsel des Räubers hielt, und erwartete nun geduldig dessen Nahen.

Der Hutkeeper war wieder in die Hütte zurückgeschickt worden und sehr zufrieden mit der Aussicht, von einer Nachbarschaft befreit zu werden, die ihm mit der Zeit nur verderblich werden mußte.

Es mochte etwa eine Stunde vergangen sein; er hatte sein Brotbacken lange beendigt, die Laibe auf dem an der Wand stehenden Tisch aufgestellt, seine Hütte notdürftig ein wenig ausgekehrt und lag jetzt auf einer alten wollenen Decke behaglich ausgestreckt am Feuer, das langweilige Buschleben in Australien verwünschend, als er draußen vor der Hütte Schritte hörte.

Haben sie ihn schon? dachte er bei sich, als er rasch den Kopf der Tür zudrehte – draußen stand jemand, aber er öffnete nicht. »Wer ist da?« rief der junge Bursche, von seiner Decke emporspringend, aber er sollte nicht lange im Zweifel gelassen werden, denn schon im nächsten Augenblick ging die Tür auf und der Buschranger stand auf der Schwelle.

»Hallo, Jim, wie geht's?« sagte der Mann, indem er einen gierigen Blick zu dem Brot hinüberwarf. »Habt wieder einen hübschen Vorrat angelegt. Das ist recht – wollte nur noch einmal nachfragen, ob Ihr meinen Wunsch nicht vergessen habt, da die Luft noch rein ist – schaute nur erst einmal durch die Ritzen, ob Ihr allein wäret.«

»Wer soll einen hier in dem blutigen Busch besuchen?« sagte der junge Bursche, der fühlte, daß er erblaßt sein mußte, und sich rasch zum Feuer niederbeugte, seine Bewegung zu verbergen.

»Nun«, sagte der Buschranger lachend, »gelte ich nicht als Besuch? Aber das ist brav – rückt den Teetopf zum Feuer und laßt mich was Warmes haben. Ich bin ein wenig in Eile und möchte wieder fort.«

Er war wieder zur Tür gegangen, neben der er seine Muskete an die Wand lehnte, und sah durch die Spalten ins Freie.

»Doppelte Portionen?« fragte Jim, der sich indessen wieder gesammelt hatte. »Erst laßt Ihr Euch Euer Essen in den Busch tragen, weil's Euch nicht gefällig ist, es hier zu verzehren, und dann kommt Ihr auch noch hierher wegen einer übrigen Mahlzeit. Zum Henker auch, Mate, Ihr wißt doch ebensogut wie ich, daß wir hier im Busch nicht aus dem großen Sack leben, sondern vom Master unsere festgesetzten Rationen bekommen, mit denen wir haushalten müssen. Sind die verzehrt, wo hernehmen und nicht stehlen?«

»Nur nicht hitzig, Mate«, sagte der Buschranger, während er sich ruhig an den Tisch setzte, ein Stück von dem frischen Damper abschnitt und sich den Teller herüberzog, auf dem noch einige Scheiben kaltes Hammelfleisch lagen. »Ihr habt doch nicht heute schon das Brot hinausgeschafft?«

»Gewiß hab ich«, sagte der Hutkeeper. Es liegt an der Stelle, die Ihr mir gestern angegeben habt, und Fleisch dazu und ein Becher Tee.«

»Hm«, meinte der Buschranger, mit vollen Backen dabei kauend.

»Das mit dem Tee ist unbequem. Da, füllt mir einmal das kleine Säckchen mit Tee – einen Becher hab ich selbst, ich werde ihn mir dann lieber draußen kochen. Hier ist auch ein Beutel für Zucker, bin gerade jetzt ein wenig knapp mit Proviant.«

»Und die Portionen im Busch?« fragte Jim Riddle, der unschlüssig die ihm gereichten Leinwandsäckchen in der Hand behielt.

»Die nehme ich auf dem Rückweg mit«, sagte Mulligan völlig ungerührt, »macht Euch keine Sorge deshalb, Mate, gegessen wird's; und ich weiß, Ihr gebt's gern, wenn Ihr auch jetzt ein verdammt albernes Gesicht dazu schneidet. Aber eilt Euch ein wenig, ich habe weder Lust noch Zeit, mich hier eine Stunde zu Euch zu setzen.«

Jim wußte wirklich nicht gleich, was er tun sollte. Draußen lagen die Polizeileute auf der Lauer, und hier saß der Bursche bei ihm in der Hütte so behaglich und wie daheim, als ob er der Stationseigentümer wäre und nur eben einmal, auf Besuch, seine Herden revidieren wolle. Böse durfte er ihn aber auch nicht machen, und wenn er ihm jetzt das Verlangte gab, was tat's? Ging er doch dann hinaus, sich die anderen Lebensmittel abzuholen, und mußte dann jedenfalls der Polizei in die Hände fallen – nachher bekam er alles wieder. Zeit war's aber in der Tat, daß dem frechen Gesellen das Handwerk einmal gelegt würde.

Der Buschranger blieb indessen nicht ruhig am Tisch sitzen, sondern warf dann und wann einen Blick hinaus, ob die Luft noch rein sei, beendete aber nichtsdestoweniger in aller Ruhe seine Mahlzeit, und erst, als Jim ihm das Verlangte in die Leinwandbeutel gegeben hatte, sagte er:

»So, dank Euch, Mate, und zum Beweis, daß ich es gut mit Euch meine, noch eine Warnung. Es sind nämlich von drüben eine Anzahl von Spionen herübergekommen, die sich hier um lauter Sachen kümmern, die sie nichts angehen. Wenn sie hier zu Euch kommen sollten, versteht Ihr mich, so wißt Ihr nicht, daß ich auf der Welt bin. Soll ich Euch deutlicher sagen, was ich meine?«

»Dank Euch, das tut's«, entgegnete mürrisch der junge Bursche.

»Es freut mich, daß Ihr so rasch begreift«, sagte Mulligan. »Ihr seid gefällig gegen mich gewesen, und es wäre mir unangenehm, wenn ich Euch etwas antun müßte. Fangen werden sie mich doch nicht, und wenn sie die Insel wieder verlassen haben, sind wir beide immer noch zusammen.«

Er war wieder aufgestanden, steckte das Erhaltene ohne weiteres vorn in sein Buschhemd, nahm seine Muskete auf und trat in die Tür.

»Merkwürdig schwüle Luft heute«, sagte er, indem er erst nach dem Himmel hinauf und dann auf den Hutkeeper sah. »Ihr seid auch verdammt still heute, Mate. Ich glaube beinahe, Ihr seid krank, denn Ihr seht käseweiß im Gesicht aus.«

»Ich? – Mir fehlt nichts«, erwiderte der Hutkeeper, der um alles in der Welt den Buschranger nicht mochte merken lassen, was in ihm vorging.

»Ich will Euch was sagen, Mate«, bemerkte dieser nach einer kleinen Weile, in der er ihn scharf und mißtrauisch beobachtet hatte, »ein kurzer Spaziergang wird Euch guttun. Wie wär's, wenn Ihr mich ein Stück begleitet, nur bis dorthin, wo das Essen liegt?«

»Ich kann die Hütte nicht verlassen«, rief der junge Bursche, unwillkürlich drehte er sich aber zu dem Buschranger um – hatte dieser Verdacht geschöpft?

John Mulligan fing den Blick auf und fühlte im Nu, daß hier nicht alles in Ordnung sei. Gewohnt aber, jeder Gefahr kaltblütig zu begegnen, und neu gestärkt von der tüchtigen Mahlzeit, ließ er sich nichts merken, sondern sagte nur gleichgültig:

»Ich weiß jetzt wahrhaftig gar nicht mehr, welchen Platz ich Euch für den Proviant bestimmt hatte. Zeigt mir nur die Stelle; daß Ihr für kurze Zeit Eure Hütte verlassen müßt, nehm ich schon auf mich.«

»Ihr habt gut auf Euch nehmen«, brummte Jim.

»Weshalb ist es Euch denn auf einmal so fatal, mit mir zu gehen, he?« fragte da der Buschranger, ihn scharf fixierend.

»Fatal? – Gar nicht«, sagte Jim, anscheinend gleichgültig, denn er durfte den Menschen nicht mißtrauisch machen. »Meinetwegen, wenn Euch ein Gefallen damit geschieht. Aber dann kommt auch, daß ich bald wieder zurück sein kann.«

»Erwartet Ihr Besuch?«

»Ja, den Schäfer und seinen Hund«, brummte Jim, »das ist der ganze blutige Besuch, den man hier in der Wildnis erwarten kann.« Damit griff er nach seinem alten Strohhut und schritt zur Tür, um den Buschranger, wie der es verlangte, zu begleiten.

Jim hatte dabei auch seinen eigenen Plan entworfen. Die Sache mußte bald gefährlich für ihn werden, denn in wenigen Minuten wußte der Räuber, daß er von ihm verraten worden war. Deshalb galt es, ihn jetzt unschädlich zu machen; und selbst von rechter Körperkraft, wenn auch John Mulligan im Einzelkampf vielleicht nicht gewachsen, wollte er jedenfalls das Seine dazu beitragen, ihn unschädlich zu machen. Aus diesem Grunde schritt er dicht neben dem Buschranger hin und wollte ihn fassen, sobald sie den im Hinterhalt liegenden Polizeileuten nahe genug wären. So lange, bis er Hilfe bekam, wußte er recht gut, daß er ihn halten konnte. John Mulligan hatte aber einmal Verdacht geschöpft und ließ sich nicht so leicht überlisten. Als sie ein Stück vom Hause fort waren und sich dem Busch näherten, sagte er:

»Wißt Ihr was, geht Ihr voran. Ihr kennt den Weg besser.«

»Und Ihr mit dem geladenen Gewehr hintendrein?« entgegnete der Hutkeeper, dem der Vorschlag nicht im mindesten gefiel.

»Ich tu Euch nichts, habt keine Angst«, sagte der Buschranger lachend, aber jetzt schon mit vorsichtig gedämpfter Stimme. »Ihr seid ja mein Freund, versteht Ihr, und bis ich nicht Beweise vom Gegenteil erhalte, habt Ihr nichts zu fürchten. Nun! – Wird's bald?«

Jim Riddle mochte sich nicht widersetzen, denn sie waren noch zu weit von Hilfe entfernt. Mürrisch steckte er deshalb die Hände in die Taschen und schlenderte voraus. Aufmerksam aber spähte er dabei überall umher, ob er noch keinen der ausgestellten Posten erkennen könne – sie mußten jetzt in deren Nähe sein.

John Mulligan gebrauchte indessen ebenfalls seine Augen, denn das ganze Benehmen seines Führers fiel ihm auf. Er konnte aber nirgends etwas Verdächtiges oder Außergewöhnliches erkennen – und doch lag einer der Polizisten kaum fünfzig Schritt von ihm entfernt verborgen, horchte den nahenden Schritten und wunderte sich, wer in aller Welt aus dieser Richtung zu ihnen kommen könne.

Jim Riddle sah jetzt den umgestürzten Gumbaum, an dessen Wurzel er den Anführer der Polizei versteckt wußte. Weiter durfte er nicht vor dem geladenen Gewehr des gefährlichen Burschen an die Fremden herangehen, denn wer wußte, ob der ihn nicht gerade aus Wut und Rache zuerst niedergeschossen hätte. Er blieb stehen und sagte, sich halb trotzig, halb mürrisch zu dem Buschranger wendend:

»Da, dort drüben ist der Platz; jetzt könnt Ihr ihn allein finden; überhaupt denk ich, daß Ihr im Busch besser Bescheid wißt als ich.«

»Das könnte sein, mein Bursche«, flüsterte der Buschranger, die Worte aber, die er sprach, kaum beachtend. Sein Blick hing an einem Gumbusch, der so nicht gewachsen war, wie er da halb umgefallen stand, und dicht daneben war ein dunkler Fleck, aus dem er ebenfalls nicht klug werden konnte. So nur den Arm gegen den Hutkeeper ausstreckend, ohne sein Auge von dem verdächtigen Gegenstand abzuwenden, fuhr er fort: »Halt, bleibt einen Augenblick hier, Jimmy. Seht einmal, was ist das dort drüben, Kamerad?«

Jim Riddle warf einen Blick dort hinüber. Der Buschranger hatte Verdacht geschöpft, und das war vielleicht der letzte ihm gegebene Moment, den Verbrecher zu fassen und sich selbst vor seiner Rache zu schützen.

»Wo?« fragte er und trat dicht an den Räuber heran.

»Dort drü...«

Er beendete seine Worte nicht, denn Jim warf sich auf ihn, ergriff mit der Hand die Muskete, mit dem anderen Arm umschlang er den von ihm Abprallenden und stieß dazu ein gellendes Hilfegeschrei aus.


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