Friedrich de la Motte Fouqué
Die Saga von dem Gunlaugur genannt Drachenzunge und Rafn dem Skalden
Friedrich de la Motte Fouqué

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Vier und zwanzigstes Kapitel.

Die Anverwandten der zürnenden Jünglinge hatten deren Handschlag und Scheidegruß wohlbeachtet, und faßten gemeinsamlich einen Beschluß, den Frieden unter beyden Geschlechtern und den zwey raschen Kämpfern dennoch zu behüthen. Deßhalben brachten sie Tages nachher auf der Dingstätte Wahlfeld ein Gesetz in Vorschlag, man solle den Zweykampf vor Gericht ganz und gar abschaffen, und allen Zweykampf überhaupt für widerrechtlich erklären. Weil nun Alles, was friedlich klingt und freundlich, den Leuten billig angenehm vorkommt, versäumen sie oft sehr unbilligerweise, zu untersuchen, ob auch unter solchen Klängen der wirkliche Frieden und die echte Freundlichkeit wohne, oder nur ein trüglich verschleyerter Wechselbalg. Auf Island 166 machten sie es dasmahl eben so, und dazu kam noch, daß Thorstein der Myramanne und Illugi der Schwarze, wie auch Oenundur, der priesterliche Vater Rafn des Skalden, für die angesehensten und mächtigsten Hausväter auf Island mit vollem Rechte galten.

Das Gesetz ward erlassen, und dessen Urheber schieden in großen Freuden von der Dingstätte, vermeinend, etwas gar Schönes und Treffliches für sich und Alle ausgerichtet zu haben. Gunlaugur und Rafn aber sahen einander mit Blicken an, welche deutlich verkündeten: »Wir finden uns dennoch.«

Um so vorsichtiger beschloß dagegen sämmtliche Sippschaft, die Zweye zu beobachten und auseinanderzuhalten.

Auf der Rückfahrt von der Dingstätte nach Gilsbacka war Eines von Illugi's Saumrossen stark vom Sattel gedrückt worden. Als man daheim über dessen Heilung rathschlagte, sprach Gunlaugur: »Man muß nur trachten, daß die Wunde sich recht bald schließe; wo möglich in den nächsten Stunden schon. Dann ist des guten Thieres Rücken alsbald wieder so glatt wie zuvor.« Voll unwilligen Staunens entgegnete Illugi: »Und dazu kann ein Reitersmann rathen, 167 wie Du einer bist, o Gunlaugur? Da müßte ja der Wunden-Eiter das arme Geschöpf im Innern ganz zu Schanden nagen, ob seine Haut auch gänzlich eben aussähe und glatt wie ein Spiegel!« »So?« erwiederte Gunlaugur auf gleichgültige Weise. »Nun, wohl bekomm' unserm edlen Inselvolk die Heilung, mit welcher Ihr Weisen Euch allzumahl an ihm auf der letzten Dingstätte versucht habt. Es ist Ein und dasselbe Kunststücklein, und mir bekommt es einstweilen sehr schlecht. So viel kann ich Euch versichern.«

Damit begab er sich in seine Kammer, und kam fortan nur sehr selten von da heraus, sich weder um Waffen noch Rosse noch Jagd noch Ackerbau mehr kümmernd, ganz in sein schmerzdurchbohrtes Innere versunken, starr und stumm.

Das konnte sein Lieblingsbruder Hermundur endlich nicht länger ertragen. In einer recht sonnenhellen Abendstunde trat er zu ihm in die Kammer, und sprach:

»Mein Gunlaugur, ich möchte gern des Vaters junge Rosse im Auxar-Flusse baden. Wolltest Du mir nicht dabey zur Hand gehen?«

»Hättet Ihr es Euch nicht allzumahl in den Kopf gesetzt,« entgegnete Gunlaugur düster, 168 »dem Rafn und mir auf dem Auxar-Holm zur Hand zu gehen, oder vielmehr uns die Hände zu binden, da stände jetzt Alles besser. Nun lastet ein unausgefochtner Zweykampf mir auf der Seele, und das benimmt einem ehrbaren Manne die beste Lust an Rossen, wie an Waffen. Doch will ich Dir einstweilen recht gern behülflich seyn, Du Herzensbruder. Du kannst ohnehin am wenigsten dafür. Du trugest mir ja meinen schönen, blanken Schild so freudiglich nach, damahls, indem die junge Morgensonne –«

Er verstummte, und hüllte sein Antlitz in den Mantel. Es war fast, als ob er weine. Doch sprang er gleich darauf hellen Auges frank und frisch empor, und rief nach den Rossen.

Die zwey Brüder ritten mitsammen hinunter an den Flusses-Strand, und badeten die edlen Thiere in der lauteren Fluth.

Doch da war abermahl der schlimme Geist des Trübsinnes schwer über Gunlaugur gekommen, so daß er zwar ganz rüstig that, was seines übernommenen Amtes war, dabey indessen sein gesenktes Auge nur kaum vom Stromgefluth und von den Füßen der Rosse emporhub.

Das konnte wiederum Hermundur nicht ertragen. Als er nun am jenseitigen Ufer ein 169 siegreich anmuthiges Licht aufleuchten sah – denn Schön-Helga wandelte dort einsam im nachdenklichen Schweigen, die wunderholden Blicke, ähnlich dem armen Gunlaugur, tief gegen den Boden gesenkt – da dachte der gute Hermundur bey sich:

»Sey Leben auch ein herber Schmerz,
Doch besser ist ein glühend Erz,
Als ein im Gram erstarrend Herz!«

Und somit rief er seinen Bruder an: »Siehest Du denn nicht, wer dort am jenseitigen Ufer wandelt?«

Gunlaugur erhob sanftlächelnd seine stolzen Augen, und sang:

»Meinst du, ich seh' sie nicht,
Weil sich mein Blick zum Strome senket?
Beschau' nur, wie ihr Licht
Mit Wiederschein die Fluth beschenket!
Mit sel'gem Wiederschein!
O allwärts seh' ich sie, und allwärts dennoch mein,
Und hold und rein!«

Damit hatte er sich rasch auf ein Roß geschwungen, und so durchschwamm er die breite, von 170 Klippengestein zu mannigfachen Wirbeln damahls angeregte Fluth.

Schön-Helga blieb still und ernst am Ufer stehen, ihn erwartend, fast jenen todesgeweiheten Jungfrauen der alten Sage vergleichbar, die einem aus Wogen auftauchenden Zauberwesen ihr Leben opfern sollten.

Doch zart und sittig trat Gunlaugur zu ihr heran, während sein Waffenrock noch von dem Silber der Stromfluth, wie von tausendfachen sonnendurchblitzten Perlen, träufelte. Wenige Worte sprachen sie mitsammen, und Beyder Augen mochten wohl von thauigen Perlen leuchten, wie des Jünglings Ritterkleid.

Dann sprang Gunlaugur wieder zu Roß, und maß als kühner Schwimmer den Strom zurück, während Helga regungslos stehen blieb, keinen Blick von dem scheidenden Freunde verwendend.

Auf dem dießseitigen Ufer angekommen, wandte sich Gunlaugur nochmahls nach Helga zurück, und sang ihr folgende Liedesworte zu:

»Durch Wolken zieh'n im Schimmer,
Im eignen Schönheitlicht
Die reinen Mondesflimmer,
Viel Menschen merken's nicht. 171
Der Eine schläft! Ein Andrer
Jauchzt wild im Festeslauf.
Nur einsam blickt ein Wandrer
Zum fernen Licht hinauf.
Auch hier steht Einer ferne,
Sieht fern ein Liebeslicht.
Wie naht' er ihm so gerne,
Der Strom vergönnt es nicht!
Der Zeitenstrom, sie scheidend
In aufbeschworner Macht!
Doch sey auch Lieb' oft leidend,
Einst blühet Tag aus Nacht!«

Als er ausgesungen hatte, sprengte er kühn die Klippen hinan.

Schön-Helga wandelte sanft in die Thäler zurück. 172

 


 


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