Friedrich de la Motte Fouqué
Die Saga von dem Gunlaugur genannt Drachenzunge und Rafn dem Skalden
Friedrich de la Motte Fouqué

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Sechzehntes Kapitel.

»Komm herein, mein lieber kühner Sänger!« rief König Sigtryggurs Stimme aus dem Saale. Und wie sich Gunlaugur schnell und gehorsam dorthin wendete, mußte Thorkill um so bestimmter in sich selbst denken: »Ja, ja, er ist bezaubert! denn das geht gradezu wider seine sonstige Weise an, dieß demüthige Gehorchen, und dieß leise Wandeln. Bezaubert ist er, und ich bin es auch. Aber eigentlich bekommt es uns Beyden gut, und viel Glücklicheres hätte uns auf Erden wohl nicht begegnen können.« Damit setzte er sich sehr fröhlich zu dem Tische nieder, an welchem sein lustiger Festesplatz ihm schon früher angewiesen war.

Nachdenklich jedoch schritt Gunlaugur zu dem Königstische in die Halle zurück.

114 Der ehrwürdige Sigtryggur Seidenbart sagte zu ihm:

»Weile bey uns. Die Liedesklänge – wie man ihre Loose aus jener Traumesdämmerung auch fallen läßt, nach allen Weltgegenden hin, und in den Tönen jedes wunderbar wechselnden Maßes – die Liedesklänge verkünden nicht Dir, nicht jenem süßen Schwanenweibe Glück!«

»Nicht jenem süßen Schwanenweibe Glück!« wiederhohlte träumerisch Gunlaugur, und seine Augen funkelten von wunderbar sanften Thränen. »Nicht jenem süßen Schwanenweibe Glück!« So klagte er nochmahls, wie ein schmerzlich jammernder Wiederhall. Aber dann setzte er keck und freudiglich hinzu: »O König, so lehre mich, was ich beginnen soll zu des Schwanenweibes Heil. Die Welt soll mir einmahl aufstehen mit irgend einem Begehr, was ich nicht um der holden Erscheinung willen vollbringen möchte!« Und alsbald griff er in die Saiten und sang:

»Sie haben mich gewonnen
In ihre stillen Schatten!
Ich soll nun hier verweilen
In Traumes Dämmerzelt,
In wolk'ger Ahnung Welt! 115
Nun ist mir Streit verronnen!
Der Ruh' soll ich mich gatten,
Soll nicht mehr fürder eilen,
Dem heitern Ruhm gesellt,
Durch die bewegte Welt.
Ward ich so still gesonnen?
Ist's Weisheit? Ist's Ermatten?
Ihr fernen Wandermeilen,
Zweykampfs- und Schlachtenfeld,
Was ist es, das mich hält?
O Sonne weisser Sonnen,
O Schwan! mit and'rem Gatten
Willst du die Seele theilen?
Mein Glück, mein Preis zerfällt.
Sie haben mich gewonnen
In ihre stillen Schatten!
Ich soll nun hier verweilen
In Traumes Dämmerzelt!«

»Willkommen!« sagte König Sigtryggur, und reichte ihm die Hand, wie zum geschloßnen Vertrage, und fast wollte Gunlaugur einschlagen, denn er dachte bey sich:

»Mensch, Roß, Zeit, Bach, Sturm hat sein Ziel.
Steht's vor uns da – warum sperrt man sich viel!«

Ja, es ward ihm, als müsse dem Menschen etwa in den letzten verrinnenden Augenblicken seines 116 Lebens doch eben so zu Muthe werden, wie jetzo ihm, und, je früher es mit solcher Entsagung abgemacht sey, je besser.

Der Mensch erschafft sich überhaupt oft gar seltsame Begriffe vom Leben. Das macht, weil er eigentlich das Leben selber ist, und das Leben er, und weil Einer eben so wenig sich selber begreifen kann, als er etwa sich selber aufzuheben vermag.

Diese und vielleicht noch seltsamere Gedanken, rannen durch Gunlaugurs Seele, als flüstre ein fremder, Räthsel aufgebender Geist sie ihm zu, einem mährchenhaften Pförtner an neu zu betretender Lebensstaffel vergleichbar.

Aus dem Jünglinge wollte die Frage hervorblitzen: »Wer bist du, König Seidenbart? Dein werd' ich nun wohl. Aber ich muß die Wahrheit wissen: Bist du das Leben, oder bist du der Tod?«

Doch wie er noch in Kraft und Demuth die Beschwörungsworte an sich hielt, vernahm er, daß König Seidenbart zu einem sehr kleinen, sehr alten und sehr häßlich grinzenden Manne flüsterte:

»Also zwey beladne Kaufmannschiffe zum Geschenk für diesen edlen jungen Skalden und 117 Kriegsmann – o Schatzmeister, das will Euch wirklich zu viel bedünken?«

»Versteht sich!« sagte der kleine Befragte, und schlug vor Freuden in die Hände darüber, daß er wirklich zu einer so wichtigen Entscheidungssache berufen ward. »Versteht sich! denn seht, mein hoher Herr, wenn ein Mensch sich über das Geschenk zweyer Waarenschiffe freuen kann, so kann er sich auch gar wohl über das Geschenk Eines derselben freuen. Oder warum auch nur ein ganzes Schiff? Ein Beschenkter kann auch eben so gut mit einem blanken Waffenrock oder einem hübschen Armringe dankbar fürlieb nehmen. Und so erreichen wir mit sehr verminderter Ausgabe denselben Zweck, welches mir um so wünschenswerther scheint, da grade zu dieser Frist nur wenig Vorräthe in Euern Hallen vorhanden sind, und auch nur wenige Schiffe im Hafen.«

Da trat Gunlaugur näher heran, und sprach: »Ich habe nicht gehorcht. Aber in meine Ohren ist dieses höchstwundersame Gespräch hier gedrungen. Das bekenn' ich frey. So bitt' ich Euch, o König Seidenbart, verkündet mir: Sollte das nur etwa einen prüfenden Scherz gegen 118 mich bedeuten? Oder gibt es wirklich in Euerm wunderbaren Lande Dinge wie Noth, und Beschränktheit, und Sorge um das Wieviel oder Wiewenig, wo es an ein Schenken geht?« »In allen Reichen der Welt,« sagte der König, »kommt mitunter dergleichen vor. Warum also nicht auch in dem meinigen?« Staunend entgegnete Gunlaugur: »Also gehört Euer Reich zu den so ganz gewöhnlichen Reichen der Welt mit, und nicht etwa zu den verzauberten? Ihr stelltet Euch doch wahrlich auf die letztere Weise an.« Mit einem etwas verlegnen Lächeln sagte König Sigtryggur: »Verzaubert! Ey nun, mein junger Freund, das wäre allzuviel gesprochen. Aber daß hier allerhand Künste und Deutungen und wundersame Wirkungen im Schwunge gehen, wovon die übrige Welt nichts oder nur wenig weiß, das ist Dir ohne Zweifel schon deutlich genug in Deiner eignen Empfindung aufgegangen.« »Ja so!« entgegnete Gunlaugur, sehr herabgestimmt; nachdenklich – beynahe lachend. – »Ja so! – Nun das ist eben keine große Kunst, wenn Einer unterweilen einen Luftsprung versucht. Nur muß er den Leuten nicht darüber einreden wollen, er könne fliegen. Nein, lieber Herr, wenn Ihr nicht vermögt, fortdauernd zu 119 athmen, in jener wundersamen Räthselwelt, die uns den gewöhnlichen Sorgen und dem ganzen gewöhnlichen Treiben enthebt, dann ist es nichts Wundervolles mit Euch, und auch nichts Außerordentliches einmahl. Auf Augenblicke und Stunden, und allenfalls auf Tage dorten zu wohnen und aus den Wunderquellen der Ahnung meinen Durst zu löschen, oder mich und meine Schicksale darin zu spiegeln, dazu bedarf es für mich keiner fremden Hülfe. Gehabt Euch wohl in Eurem friedlich bedürftigen Lande. Mir aber muthet nicht zu, daß ich dafür aus meiner kühnen Heldenlaufbahn hinauswanken soll. Gute Nacht, guter Herr. Mein Weg ist der weiteste.«

Somit ging er mit unzufriednem Lächeln aus dem Saal, und rief draussen in der Vorhalle seinem Geleiter zu:

»Laß Dir nichts Wunderliches einreden, Thorkill! Von andern Leuten nicht, und minder noch von Dir selbst! Stehe nur auf von Deinem lustigen Mahl, und komm mit mir. Auf's Treuwort eines sagenkundigen Isländers; wir sind nichts minder, als verzaubert!« »O!« sagte Thorkill sehr verwundert. Aber zu fürdern Erläuterungen gewann er nicht Zeit. Denn als er seinen jungen Meister so keck aus der Burg 120 wandeln sah, galt es auch für ihn keine Säumniß mehr. Die Waffen schnell zusammenraffend schritt er dem Gunlaugur nach, seine bisherigen Mahlesgenossen zum Abschiede grüßend, die ihm beynahe noch staunender nachsahen, als er selber staunend von hinnen ging. 121

 


 


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