Friedrich de la Motte Fouqué
Die Saga von dem Gunlaugur genannt Drachenzunge und Rafn dem Skalden
Friedrich de la Motte Fouqué

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechs und zwanzigstes Kapitel.

Die Versammlung des Volkes zum Gericht auf der Ebne um die Upsalaburg her war auseinander gegangen, und es ward nun allenfalls wieder Zeit zum Singen und Singenhören.

Es schien auch, als hätten Rafn und Gunlaugur jenes trübe Morgengespräch auf der Seeküste ganz und gar vergessen, und ihre Herzen wären abermahl innig und einig wie zuvor.

Gunlaugur erzählte dem Rafn gar Manches von Schön-Helga, und sang ihm Lieder in die Seele, wie Helga ihm auf aller Welt sein Liebstes und Edelstes und Höchstes sey, und wie er nur eben deßhalb die Welt durchfahre, um sich dem holdseligen Edelstein als ein edles Wesen darzustellen, mit Recht leuchtend in dem Abglanze der wunderseligen Erscheinung.

»Es muß hübsch seyn und ehrebringend, wenn 185 man ein schönes Frauenbild auf diese Weise liebt und im Gedanken trägt!« pflegte Rafn bisweilen auf solche Reden zu erwiedern, und versank dann wohl in ein sehr tiefes Sinnen, aus dem ihn oft kaum der Klang des Hornesrufes zum Kampf- und Ringenspiel, oder das Wiehern edler Rosse, oder das Klirren seiner vom Knappen ihm dargereichten schönen Waffenstücke wieder zu erwecken vermochte.

Um diese Zeit kam ein Festestag heran, wo Gunlaugur und Rafn, allezwey mit ihren Harfen vor dem Hochsitze des Königs standen. Und Gunlaugur sagte:

»Die Gerichtstage sind gehalten. Der Friede schwebt mit seinen Schwanenfittigen über den Landen weit umher. Ich dächte, o König, es wäre nun eben recht an der Zeit, daß Du jenes Lied anhören möchtest, welches ich schon längst zu Deinen Ehren anstimmen wollte; gleich damahls, als ich in diese Deine Upsalaslande kam.«

»Ja wohl!« sagte König Olaf freundlich. »Wie mich die Welt eben jetzt ansieht, scheint mir eine Zeit der Lieder heraufzugehen. Denn das, wie jegliches Andere auf Erden hat seine Zeit. Nicht zwar, als könnten die Lieder je ganz verschwinden aus der Zeit. Aber sie halten 186 es, wie die lieben, schönen Sterne mit ihrem süßen Licht. Auch das wird ja nur vernehmlich den Menschen, wo weder die glühende Sonne vom Himmel brennt, noch auch verhängnißschwere Wetterwolken ziehen. Und auch die Nachtigallen singen am liebsten in solcher Zeit. Singet denn, o meine Nachtigallen, Ihr meine lieben Sänger.«

»Herr König,« sagte Gunlaugur sehr freundlich, »damahls in Eurer Halle, wo ich zum erstenmahle vor Euch stand, und Euch mein Lied zu Euren Ehren anstimmen wollte, auf ein andermahl schobet Ihr es hinaus, und es hat mich schwer verdrossen in selbiger Stunde. Denn ich dachte, das käme Euch von wegen einer Mißachtung der edlen Sangeskunst so in den Sinn, als dürfe sich nähmlich die nur da vernehmlich machen, wo es eben nichts sogenannt Besseres in der Welt zu thun gebe. Und Leuten von solcher Gesinnung scheint eben Alles und Jedes wichtiger, denn die Sangeskunst, so daß ein Menschenkind dieser Art sich endlich nur da ihr in die Arme wirft, wo es schon halbtodtgehetzt ist von Arbeit oder Langweil, und nicht mehr dazu taugt, ein Kaninchen zu fangen, ach kaum nur noch, ein solches zu verspeisen. Und alsdann den 187 schläfrigen Ohren und matten Herzen etwas vorzusingen, ja das ist eine Art von Sänger-Wonne, die seye Gott geklagt!«

»Und Du, Gunlaugur, hältst Du mich für einen solchen Zuhörer?« fragte König Olaf, und seine Augen begannen zu lodern. Gunlaugur aber sahe still und ruhig dahinein, wie er denn gewohnt war, mit seinen Adleraugen in jegliches Feuer zu blicken, selbst das Sonnenfeuer nicht ausgenommen, und sprach:

»Herr König, wenn ich Euch zu heutiger Stunde noch für einen solchen Zuhörer ansähe, wie hätte ich Euerm Ohr denn da überhaupt zum zweytenmahle meinen Sang dargebothen! Und nun vollends Deine lieben Worte vorhin von Nachtigallensang und Deiner Sänger Sang, hindeutend auf die holde Ruh, oder mächtige Lust, in welcher man Sänger eigentlich hören soll, die entzünden mir das ganze Herz zu einem Liede für Dich.« Und damit hub er an, die Saiten seiner Harfe rasch und kunstgerecht in anmuthigen Gängen zu stimmen.

Rafn aber stimmte sein Harfenspiel zugleich mit, und das gab einen sehr herben Mißklang. Staunend sahe König Olaf nach den zweyen 188 Skalden; zürnend blickte Gunlaugur nach seinem Genossen.

Da sagte Rafn: »Wenn es überhaupt nun Zeit zum Harfenliede geworden ist, warum denn soll nicht ich mit meinem Tönen und Singen beginnen? Bin ja doch ich von uns Zweyen hier der ältere Skalde vor des Königs Thron.«

»Auch Du magst singen, Rafn!« erwiederte der Schwedenkönig. »Jeder in seiner Reihe. Auch Dich werde ich gern vernehmen.«

Und Rafn hub an, die Saiten lauter zu schlagen, als wolle nun er zuvörderst sein Lied beginnen. Aber Gunlaugur sahe darüber aus wie ein zorniger Adler, und sprach mit donnernden Worten: »Bevor Du zu tönen beginnest, o Rafn, so rede noch Eines mit ganz dürren und einfältigen Worten. Rede und verkünde, wo kamen je wohl meine Väter mit den Deinigen zusammen, so daß sie diesen nachgestanden hätten? Wo geschahe das, als im Nimmermehrslande? So, fürwahr, wollen auch wir Zwey es mitsammen auf unsern Fahrten durch die Welt halten, wo wir einander begegnen!« Da ward das Antlitz des kühnen Rafn roth, wie Purpur. Doch drängte er mit grosser Willensgewalt die lodernde Gluth wiederum zurück, und sahe nun kalt und 189 weiß aus, wie ein Gebilde, von kecken Jünglingshänden um strenge Winterzeit aus Schnee geformt. Zugleich sagte er: »Laß uns höfliche Leute bleiben hier gegeneinander, o Landesgenoß Gunlaugur! Nicht uns geziemt das Zanken um den Vorrang. Entscheide der König!«

Da sagte König Olaf: »Dem Fremden gebühret der Vortritt. Du Fremdester sollst den Sang beginnen. Und Du, mein schier heimathlich gewordener Skalde Rafn, zürne nicht deßhalb mit mir. Dein ist ja die Kunde der edelsten Sitte, und Du erfüllest ihre Gebothe gern und sonder alles Staunen. Gunlaugur also gehe vor!«

Und Gunlaugur begann den Sang.

Ist Euch wohl aus Wachen oder Traum der Klang erinnerlich, womit Fluthen, lange schon durch Frost oder Dämme oder Klippen gehemmt, urplötzlich ihre Fesseln brechen, und mächtig dahinrasen über die Gefilde? Kaum weiß man, geschieht es in überquillender Liebe? Geschieht es im übergewaltigen Zorn!

Denkt Euch ein Lied aus diesem Ton, und Ihr ahnet ein solches, wie Gunlaugur es zu Olafs Preise absang, vor des staunenden Königs Thron!

190 Vielleicht möchte Euer Erzähler kühn genug seyn, das Lied nachzusingen. Aber es würde doch auf's Mindeste dabey an den erschütternden Klängen der alten Islandsprache fehlen, die unser heutiges Geschlecht beynahe vergessen hat, und an den Donnerstürmen der alten Nordlandsharfen, Beydes wunderbar gemässigt von den überaus kunstreichen Wendungen des Liedes, wie unsere alten Skalden dergleichen sich oftmahl aufzulegen gewohnt waren, ahnend, ihre gewaltige Kraft bedürfe unerläßlich eben so strenger, als edler Fesseln. Man könnte dabey an die Cimbernheere denken, wie sie sich mit Ketten aneinander banden, um ihren stürmigen Siegesmuth gegen die wohlgereiheten Italier zusammen zu pressen. Aber die Skalden hatten sich schönere Ketten und gelenkigere geschmiedet, als die Cimbern, und errangen auch da noch herrliche Siege, wo Jene erlagen.

Absonderlich schön bewegte sich Gunlaugurs überschwängliche Kraft in solchen schwierigen Sätzen des Gesanges.

Der Schwedenkönig hörte ihm staunend zu, und sagte, als das kunstreich wilde Lied verklungen war, zu Rafn dem Skalden:

»Du mußt Dich besser auf Deines Landes- 191 und Kunstgenossen Lied verstehen, als ich o Rafn, obgleich meine Seele davor in der Lust kühner und großer und erfreulicher Gedanken schwimmt, wie ein Kriegesschiff vor günstigen Winden im frühlingsbrausenden Meer. Aber ein Kunsturtheil bleibt allemahl ein Kunsturtheil. Sag' uns an, mein Rafn der Skalde, was hältst Du von diesem Gunlaugursgesange?«

Die Wangen des edlen Rafn erglüheten. Seine Augen funkelten ihm stolz und mild.

»Dieß hier ist,« sprach er, »ja, dieß hier ist Eines der echten, schönen Heldenlieder, wodurch unsere Sangesheimath Island einen so tönenden Ruf gewinnt durch die ganze Norderwelt hinaus, und auch wohl zum Theil bis in des Südlands würzig duftende Gauen! Ja, Herr König, dieß hier ist ein Lied, so frey und stolz wie das Meer, und so regelrecht wie das Meer, wo es ebbet und fluthet. Freylich trägt es dabey etwas Herbes und Wunderliches in sich. Aber das ist nun so einmahl mit dem Gunlaugursgeiste beschaffen, und wo gäbe es in aller Welt ein echtes Lied, das seinen Vater verläugnen könnte!«

Freudiglich reichte ihm Gunlaugur die Hand, und sagte:

»Rafn, Du hast gesprochen, wie ein sehr 192 kunstverständiger, aber auch zugleich wie ein sehr liebevoller Mann.«

»Wohlan nun!« sagte König Olaf, erfreut über seiner Skalden Einigkeit, »so beginne jetzt Du Deinen Gesang, o Rafn!«

Und Rafn der Skalde hub ein anmuthiges Lied an. Es handelte von des Schwedenlandes heiterem Aufblühen unter Olafs Regierung, und rann so leise lieblich hin, wie ein Bach durch heitere Lenzesflur, daß ein anmuthiges Lächeln sich über des Königs Angesucht und über aller Umstehenden Angesichter legte. Nur einzig das düstere Gunlaugursantlitz ausgenommen. Das sahe noch strenger und finsterer, als gewöhnlich, drein, und endlich senkte der Islandsfremdling seine Augen schwer zu Boden, etwa wie Einer, der merkte, daß sein Schiff zu Grunde gehen müßte, indem es ein anderes übersegelt, und der dennoch keinen Raum zum Ausweichen vor dem stürmigen Zusammentreffen mehr finden könnte.

Und als der Gesang verklungen war, und der König fragte: »Nun, edler Gunlaugur, was ertheilst Du von diesem Liede?« Da sahe der trübe Jüngling empor, und sprach:

»Das Lied ist recht gut und macht so freundliche Gesichter, als Rafn der Skalde selbst. Aber 193 so schwach ist es, daß sein Meister es nicht einmahl der Mühe werth fand, seine Höflichkeiten in die Bande eines zierlich strengen Maßes zu legen.«

Und sich gegen seinen Landesgenossen voll zorniger Wehmuth wendend, rief er aus: »Rafn, wer vor Königen singen will, suche sich dazu edle und zierlich kunstgerechte Weisen! Nicht aber mache er es sich dergestalt bequem, wie der Hirt, welcher dudelnd vor seiner Heerde hingeht, sie recht behaglich in den Stall zu leiten. Ein Heldensänger ist kein Schäfer, und ein König ist keine Heerde, und eine Burg keine Hürde, und Dudeln ist nicht Singen!«

Auf Rafn's Zügen lag wiederum die eisige Kälte und die Farbe des Schnees. Er sagte mit gesetzter Stimme: »Dudeln – wenn Du die Buchstaben wechselst – heisset's auch Dulden. Ich dudle nicht, aber ich dulde. Und das zwar der Gegenwart dieses grossen Königs zu Ehren. Im Übrigen steht zu hoffen, daß wir unsern Wettkampf irgend einmahl wo anders von vorn wieder aufnehmen können.«

Der König entließ sie beyde.

Im Hinausgehen aus der Halle wollte Gunlaugur die Hand Rafn's ergreifen, zu einem 194 Zeichen der heitern, alles versöhnenden Brüderlichkeit.

Es war aber fast, als hätte Rafn keine Hände, so dicht hielt er sie über seine gepanzerte Brust unter dem Pelzmantel zusammengepreßt.

Und so hatte er auch fortan keinen Blick für Gunlaugur mehr, weder im Frieden noch im Unfrieden. Es war, als seye Gunlaugur gar nicht mehr für ihn da.

König Olaf mochte wohl auf das verletzte Gemüth Rafn des Skalden Acht geben, und vermeinen, daß er ihn heilen könne, wenn er ihm eine neue Ehrenbezeigung erwiese: Deßhalb sagte er eines Tages beym Feste:

»Rafn, Du sollst mir Einer meiner vornehmsten Herdesmannen und Ehrenwächter seyn. Nimmst Du das gern und willig an?«

»O ja, Herr König!« sagte Rafn. »Es gilt! Und zwar um so williger und lieber, als Ihr solchen Ehrenleuten gern einen langen Urlaub von Euerm Hofe zu bewilligen pflegt. Den fordere ich hiermit als von Euch ernannter Herdesmann und Ehrenwächter. Ihr werdet Euer königliches Wort nicht zurücknehmen; mir aber liegt eine lange und sehr ernsthafte Reise im Sinn.«

König Olaf sahe unzufrieden drein, und 195 sagte nach einigem Besinnen: »So scheint es also wirklich, o Skalde Rafn, Du habest die Bestallung als mein Herdesmann und Ehrenwächter nur angenommen, um Dich möglichst bald in Ehren recht weit von meinem königlichen Herde zu entfernen. Ziehe denn, wohin es Dich treibt. Aber gib mir Dein feyerliches Ehrenwort darauf, daß Du wiederum an meine Hofhaltung dereinst zurückkehren willst.«

Und damit hielt er ihm freundlich seine königliche Rechte zum Einschlagen hin.

In Rafn des Skalden Seele war indessen eine tiefe Wehmuth über dieses huldreiche Bezeigen aufgewacht, davor alles Stolze in seinen Gesichtszügen verrann, so daß er fast anzusehen war, wie ein hübsches, sehr freundlich lächelndes Kind. Er sang auch mit sehr anmuthiger Stimme, indem er leise, ganz leise die Saiten seiner Harfe bewegte, als flüstere Abendwind, mit blühenden Gesträuchen spielend, durchhin:

»Wer kann voraus denn melden,
    Wohin ihn Schicksal zieht?
    Gar Mancher uns'rer Helden
    Lebt hoch im Skaldenlied, 196
Der ernst sich vorgenommen
    Rückkehr zum Heimathland.
    Allein er ist verglommen
    Am fernen, fernen Strand.
Ernst ist das Loos des Helden!
    Dunkel, was ihn berieth!
    Wer kann, wer darf es melden,
    Wohin ihn Schicksal zieht?«

Der Saitenklang verhallte in wundersüßen Schwingungen durch die Hallen des Pallastes weit umher. Und stolz blickte Rafn der Skalde darein, und sprach endlich dazu: »Ihr seht nun wohl, wie selbst die stummen Steine meine Liedesgewalt verstehen, und sie mir anerkennend wiedersenden, als grüßten mich die Geister alter Tage aus ihnen herzinniglich, wie Freunde den längst erwarteten Freund. So ging's mit den Geschichten von dem Griechensänger Amphion, vor dessen Saiten eine herrliche Burg emporgestiegen ist. Komm ich selbst auch sehr lange nicht wieder, da sollen meine Klänge, tönend über Land und Meer, Euch Eure Upsalaburg verschönern helfen. Ja, kehr' ich vielleicht Euch nimmermehr zurück, o so denket von mir, daß ich Euch liebe und Euer schönes Upsalaleben, aber 197 daß irgend ein seltsamer Zauber mich an fernen Küsten gebunden hält: heisse der Zauber nun Glück oder Tod, Lust oder Rache!«

Wehmüthig lächelnd reichte ihm König Olaf den scheidenden Handgruß.

Gunlaugur ging dem Rafn nach, als Der aus der Königshalle schritt, mit Befehlshaberruf sprechend: »Halt!«

Und als nun Rafn mit edlem Trotze stehen blieb, sagte Gunlaugur:

»Durchaus will ich wissen, wie wir Beyde miteinander daran sind, und flink heraus sage mir Du, was Du auf Deinem wunderlichen Herzen hast!«

Da entgegnete Rafn:

»Es ist nichts Wunderliches dabey; es ist einmahl meine Art so. Hab' ich Dir ja meine Warnung kund gegeben, daß Du nimmer die Heklagluth nach dem Schnee zu messen versuchest, der auf des Berges Gipfel ruht! Schnee von aussen! Flamme von innen! Das ist die Losung aller Nordmannen, welche sich dem Treiben ergeben haben, dem heut zu Tage in einer seltsamen Dämmerung das gesammte Westland, Europa geheissen, sich ergibt.«

»Mich schwindelts vor Deinen Worten!« 198 sagte Gunlaugur. »Und obenein noch redest Du von Dämmerung. Wäre denn jetzt wirklich schon die allgeweissagete Götterdämmerung begonnen? Der abendliche Untergang aller bisher bestandenen Weltherrlichkeit, davon die heidnischen Asalieder vorausverkündend tönen?«

»Es mag auch wohl Aufgang heißen, davon sie tönen!« entgegnete Rafn. »Dämmerung an und für sich stehet dem Aufgang nicht minder nahe, als dem Untergang, wo es sich von dem Verhältniß der Erde zur Sonne handelt, oder gar zu allen Himmeln.«

»Du redest so wunderlich klug, Rafn!« sagte Gunlaugur. »Beynahe wie Menschen, die im weissagenden Traume reden. Es liegt Ahnung darin, aber auch Entsetzen.«

»Die Wachenden haben's zu deuten!« sagte Rafn, und sahe schmerzlich in sich hinein, und sprach nach kurzem Besinnen: »Fahre Du wohl, mein ehemahls geliebter Gunlaugur. Es ist an Glück und Freude gewiß noch zwischen vielen Menschen zu denken, denn jene uralt geahnte Götterdämmerung ist doch wohl noch lange nicht herauf. Aber zwischen uns Beyden fortan gibt es nur Zorn und Schmerz. Du kennest die alte grimmige Nordlandsflamme welche 199 Berserwuth geheissen ist. Die entloderte in meinem Herzen gegen Dich, als Du mein Lied vor dem König Olaf tadeltest. Und ich hatte doch Dein Lied vor ihm gelobt, nach besten Kräften. Halte Dich still! Ich weiß wohl, daß Du Sühnungsworte reden willst. Aber ich künde Dir es im Voraus, dergleichen Worte stehen Dir nicht fürder zu Gebothe, mir gegenüber. Die Berserkerflamme lodert in meiner blutig gerizten Brust. Hüthe Dich vor ihr, Gunlaugur! denn ich habe sie eingezäunet mit überzarter Sitte, und davor kann sie auch jetzt noch nicht so recht heraus, und treibet deßhalb in meinem Innern ein überaus entsetzliches Heklaspiel. Zum letztenmahl warne ich Dich, o mein einst so recht innig lieber Gunlaugur, nimm Dich in Acht vor der schon gräßlich züngelnden Schlange in meiner Brust!«

»Wir wollen ihr Luft gönnen!« sagte Gunlaugur. »Wir wollen uns gleich jetzt gegeneinander schlagen auf Leben und Tod!«

Aber Skalde Rafn entgegnete mit trübem Lächeln:

»Das ist ja eben das Schlimme bey der Sache, o Gunlaugur, daß es der Welt vorkommen will, als seye sie gar zu sanft und sittig geworden, für solche frisch rüstige Auswege. Nein, 200 wahrlich, diese zahme Genossenschaft beschwört die Götterdämmerung der Dinge noch nicht herauf. Und was willst Du, daß ich Dir gegenüber beginnen soll? Zweykampf auf Leben und Tod? Mag seyn, das wäre von Anfang her das beste gewesen für uns Beyde. Vielleicht gleich im Augenblick, wo wir uns Auge in Auge sahen! Aber da ist betrügerische Ruhe eingetreten, und je tiefer solch eine falsche Ruhe sich setzt, je schlimmer ist es. Nun ward es viel zu spät zum schönen rüstigen Entscheidungskampf. Viel zu viel haben Du und ich Einer den Andern gewonnen, um Einer auf den Andern loszuhauen, wenn es nicht im allerentsetzlichsten Zorne geschieht. Und solch einen Zorn, ach Gunlaugur, möchtest Du ihn aufbeschwören?«

Zugleich breitete er die Arme weit aus, und Gunlaugur wäre fast innig und liebevoll dahineingestürzt. Aber da trat Rafn gleich wieder in ernster Fechterstellung zurück, und sagte:

»Wie es Euch gefällt, Meister Gunlaugur. Auf Eure Gefahr! Denn ich schädige Euch, wo ich weiß und kann. Euch wahrlich gilt mein Busen als kein Ruhekissen mehr, mein Herz gilt Euch als kein beschirmender Schildrand hinfort! Ach unglücklicher Gunlaugur, der Du den Rafn 201 also zum Zorne gereizet hast gegen Dich! Du thust mir ordentlich leid, aber Du bist nun einmahl nicht mehr zu retten. Denn das Leben Desjenigen ist an allen Freuden verarmt, welcher den Skalden Rafn gegen sich aufbeschworen hat.«

Aber da erhub sich Gunlaugur in feurigem, freudigem Zorn, und sprach:

»Siehe, Rafn, Du hast uns nun Beyde zu Feinden gestellt, und das gefällt mir an Dir. Deine Drohungen, die mich erschrecken sollten, machen mich lustig, als seye von meiner Brust eine entsetzliche Last gefallen, und eingezogen seye dagegen die Freude mit ihrem allerlieblichsten und allerfröhlichsten Gefolg, wie es die blühendsten Sagen des Südlandes nur immer zu verkündigen wissen. Aber noch Einmahl, o Rafn, weil so freundliche Frühlingsbilder meine Seele durchziehen, bieth' ich Dir es an, wollen wir uns dennoch einander liebhaben, allem Vorgefallenem zum Trotz?«

Rafn wandte sich trotzig ab.

Da sagte Gunlaugur, oder vielmehr er sang es im stolzen Nordlandsgrimme:

»Kuckuk ruft: kuck' auf zum Frühling,
Kuck' empor, o kühne Maywelt! 202
Und die unschuldvollen Blumen
Und die unbewußten Knospen
Schwellen, schmiegen froh empor sich
Vor der schmeichelnd süßen Sonne,
Und der Kuckuk wähnt, der Kecke,
Sein: »Kuck auf!« hab' das berufen.
Doch wenn Wetterwolken donnern
Wunderlich und wildverworren,
Wenn Orkan die Wolken umtreibt,
Zu verwirr'n die wüste Seefluth,
Kuckuk, ey du kühner, schrey nur!
Keine Blumen blüh'n dir, Kuckuk!«

»Wohlan denn!« sagte Rafn. »So laß uns proben gegeneinander, wer von uns Beyden der Kuckuk ist, welchem keine Blumen blühen. Was mich betrifft, mir gefallen fortan nur einzig die Blumen, die ich Dir entreissen kann.«

»Und was mich betrifft,« entgegnete Gunlaugur: »Ich weiß, daß wo ich je mit Dir zusammentreffen mag, es allemahl der schönere Kranz seyn muß, der mir die Locken umkränzen wird.«

Rafn sagte: »O ja! Recht blutrothe Rosen hält man an vielen Arten für die schönsten Blumen. Und außerdem kann ein Mensch ja auch wohl blutige Thränen weinen. Aber blutiger Kranz, oder blutige Thränen, o Gunlaugur, 203 beklage Dich fortan nicht über mich. Du bist gewarnt.«

Damit wandten sie einander trotzig den Rücken, und wie weh auch Jeglichem dabey im Herzen seyn mochte – denn sie hatten sich mitsammen sehr lieb gehabt – es wäre ihnen doch wohl noch weit minder weh gewesen, hätten sie sich nie einander seit diesem schmerzhaften Augenblicke wiedergesehen. 204

 


 


 << zurück weiter >>