Friedrich de la Motte Fouqué
Die Saga von dem Gunlaugur genannt Drachenzunge und Rafn dem Skalden
Friedrich de la Motte Fouqué

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Eilftes Kapitel.

Als man sich den Küsten des edlen Norweglandes näherte, ward Gunlaugur zwiefach froh, denn er sahe mit seinen hellen Falkenaugen deutlich; der Schiffmann steuerte grade auf die Bucht los, in welcher des edlen Eirekur Jarl zierlich edle Hladiburg zu finden war.

»So ist es recht von den Sternen!« sagte Gunlaugur laut. »Ehrenleute, wie der Jarl dort, und ich, können einander wohl einmahl sehr ernsthaftiglich, ja zornflammend entgegentreten. Ja, Männer müssen vielleicht mehrentheils so eine Art von strenger Bekanntschaft machen, um einander recht aus ganzen, kühnen Herzen lieb zu gewinnen. Aber schön ist es, wenn man alsdann sich in voller, heiterer Versöhnung wieder sieht. Gewißlich, dieser jetzt 75 mild und stolz herniederschwebende Abend, fast wie ein Adler auf seine Felsenburg herniederschwebt, er soll dem Eirekur und mir gar edle Freude bringen.«

Und so ward es auch.

Kaum hatte man auf der Hladiburg vernommen, der Gunlaugur Drachenzunge sey am Bord des in der Bucht geankerten Schiffes, da bliesen auch schon Hörner von dem zierlichen Schlößlein zum freudigen Gruß, und ritten schön geharnischte Ritter mit lautem Jubelsingen dem edlen Ankömmling entgegen, an ihrer Spitze, Allen weit voraus, der edle Jarl Eirekur. Und da er den Gunlaugur bereits am Strande stehen sah, ließ er sein brausendes Roß zügellos laufen, beyde Arme dem rühmlichen Sänger weit entgegengebreitet, fast wie noch vor Kurzem Gunlaugur an Ethelreds Königsburg seine Arme der aufsteigenden Morgensonne entgegenhob.

Wer es nicht besser gewußt hätte, möchte fast auf den wunderlichen Gedanken gekommen seyn, der Jarl wolle den Fremdling überreiten. Aber dafür war von beyden Seiten gesorgt. Mit rascher und dennoch ruhiger Wendung trat Gunlaugur dem schon ganz dicht 76 heranschäumenden Gaul um einen Schritt weit aus dem Wege, grade nicht zu wenig und nicht zu viel. Eben so rasch und ruhig rief Eirekur dem Rosse zu: »Steh, Bursch!« und flog leicht und absichtlich vom Rücken des stark sich zügelnden Thieres in des erfreulichen Gastes Arm.

»O Himmel,« rief er aus, ihn fest an sich drückend, »wie viel der schönen Ritterspiele wir nun mitsammen halten wollen, und wie viel der fröhlichen Gastmahle feyern!«

»Damit müßten wir uns wohl sehr beeilen, mein gastlicher Held;« sprach Gunlaugur zurück. »Denn wie herzlich gern auch ich bey Euch in Festen und edlen Kämpfen verweilen möchte: es werden nur wenige Nächte herniederdunkeln und wiederum verdämmern, so muß ich in See stechen, um auf Island meine Herzgeliebte und Verlobte heimzuhohlen. Was aber schauet Ihr mich nur so gar beweglich – und beynahe möcht' ich sprechen, mitleidvoll – an? Mein harret ja ein großes Glück. Die engelschöne Helga, die Thorsteintochter, ist mir ja verlobt. Und somit weiß ich in starker Zuversicht, sie schauet mit holdgetreuen Blicken nach mir über die stürmige See hinaus.«

77 »Weißt Du das so gar gewiß?« fragte Eirekur Jarl.

Doch Gunlaugur entgegnete: »O mein edler Herr und Wirth, nicht abermahl müsset Ihr es darnach anfangen wollen, daß uns Euer Benehmen in Unfrieden auseinanderrisse. Wir haben uns ja so schön zusammengefunden, über Mißverstand und Meeresgewog hinaus, so schön durch Liederklang und Waffenklang! Nun möget Ihr uns nicht abermahl die Freude verderben; kann es doch ohnehin freylich nur eine kurze Freude seyn!«

»Eine kurze Freude!« wiederhohlte nachdenklich Eirekur Jarl. »Nun freylich, das haben die Erdenfreuden so an der Art, und Männer, wie sie seyn müssen, halten sich auf dergleichen gefaßt. Aber eben jetzt, da Deine tapfere Hand, sich stark in die meine drückend, mir verkündet, just so meint Deines Herzens Schlag es auch! da freu' ich mich meinerseits, daß die Buchen und Eichen umher uns schon mit gelbröthelndem Laub überstreuen. Siehe den Schmuck des Spätherbstes an, und wundre Dich nicht, daß keine Schiffe in unsern Häfen mehr vor Anker liegen, die vor dem nächsten Frühlinge noch dem Seegestürm auf der Fahrt gen Island trotzen wollen. 78 Wer dahin abzusegeln gedachte, ist abgesegelt vorlängst. Du mußt nun schon bey mir überwintern, und vielleicht, daß es Dir ein desto fröhlicherer Winter wird.«

»Ein Winter mehr oder weniger thut's grad einem Nordmann nicht!« erwiederte Gunlaugur. »Ich meine, falls einmahl ein nothwendiges Nein sich zwischen ihn und seine liebsten Wünsche drängt. Durchschwimmen kann ich das Meer nicht zwischen hier und Island. So viel haben mich meine mannigfachen Seefahrten freylich gelehrt. Aber ob es denn durchaus gar kein segelfertiges Schiff mehr gibt, nach der lieben Heimath, da muß ich vorerst die Buchten der Norwegküste noch genauer durchforschen.«

Auf diese Worte trat aus dem indessen herzugekommenen Gefolge des Jarls ein wunderlicher Mensch hervor.

Trüb, schwermuthvoll, trotzig sah er unter frühgreisendem Gelock aus funkensprühenden Augen in die Welt hinein, und es war, als solle jeden Augenblick sein scharfgeschweifter Mund in ein Lachen ausbrechen, oder doch sich zu einem Lächeln verziehen! Aber Lachen sowohl als Lächeln ließ immer und immer vergeblich auf sich warten, 79 weßhalb viele Menschen vor ihm ein geheimes Grausen anwandelte.

Der sagte jetzt, den schwermuthvollen Blick starr auf Gunlaugur gerichtet:

»Wenn Du durchaus nach Island zurücke willst, noch in diesem Herbst, ich kann Dir hinüberhelfen. Der Jarl wähnte, mein Schiff seye schon vor drey Nächten in See gestochen; oder vielmehr, er hatte Recht; aber mich haben die Stürme wieder in den Sund von Agda-Nes zurücke getrieben. Da liegt mein Kiel noch jetzt vor Anker, bis zum nächsten günstigen Segelhauche. Und wie ich das Jubeln hörte, womit alle diese Helden Dir entgegengeritten sind, da bin ich aus wunderlicher Neugier mit herzugerannt unter dieß Reitergeschwader. Doch die Reiter und selbst der Jarl scheinen seltsam scheu von mir zurückzuweichen. Was will das wieder einmahl?«

»Ja, was will das?« rief Gunlaugur. »Wer ist dieser Mensch? Und was hat er mit der Welt und Euch?«

»Laß es ihn selbst sagen!« murmelte Eirekur Jarl, sich tiefer in seinen Pelzmantel hüllend.

Der Fremde sprach gelassen: »Hallfredur nennen sie mich; Hallfredur, den wirren Skalden. 80 Ich mag ihnen ihre seltsamen Beyworte willig auf meinen Nahmen gönnen; denn, o Gunlaugur, hält diese kluggewordne Welt nicht jedweden echten Sänger einigermaßen für verwirrt? Es seye denn, daß er den Leuten ausnehmend spaßhafte Späßchen vorbringe, und obenein zum Lachen darüber den Grundton selbst mit angebe. Oder daß er das Heilige und Schöne und Edle in den Abgrund zu reissen suche! Da freut sich dann mindestens der Pöbel, und jauchzt: Hussah! Doch selbst Männerthaten, aus Geist und Schwert eines Skalden erblühend, ach darauf hab' ich mir und unseresgleichen schon früherhin ein Lied gemacht. Das heißt, gib Acht!«

Und mit wohllautender, aber sehr schmerzdurchbebter Stimme sang er:

»Hilf löschen ihm sein brennend Haus,
Flicht ihm manch duft'gen Blüthenkranz,
Weih ihm dein Leben frisch und ganz!
Machst du nicht Spässe kribbelkraus,
So sieht er doch verdrießlich aus.«

Gunlaugur faßte sich schauernd in sich zusammen und blieb still, keines Wortes mächtig.

Nach einigem Schweigen sagte der wirre 81 Skalde mit sanftem Wehmuthslaut: »Thut es Dir weh? Ach warum sollt ich es besser haben, als Andere meinesgleichen und Du auch, junger Abentheurer! Ich weiß wohl, dem Gunlaugur ward die schönlastende Gabe des Gesanges von frühauf zu Theile, und da kann es ihm nicht viel anders ergehen, als mir. Denn nicht ist es etwa Der und Jener, von dem ich meine Zeilen gesungen habe; es ist vielmehr der gesammte große Welt-Riese, welchen die alten Saga's Ymer nennen, und dem mein schmerzliches Liedlein gilt. Deßhalb dürfen weder Du noch ich, noch irgend Einer, der sich mit der seltsamen Schmerzenslust des Gesanges abgibt, uns in einzelnen Fällen darüber verwundern, wenn das Liedlein Recht behält.«

»Er faselt wieder einmahl wild!« sagte der Jarl, sich mit sanfter Schonung zu Gunlaugur wendend. »Er hat aber auch wohl sehr starken Schmerz in seinem innersten Leben auf Erden erlitten. Da muß man Eins gegen das Andere billigermaßen aufheben. Und für einen tüchtigen Steuermann muß er wahrhaftig gelten, wie überhaupt für tüchtig in allem ehrbaren Thun und Schaffen. Willst Du Dich also seinem 82 Schiffe nach Island hin anvertrauen, so darf ich Dir nach bestem Gewissen nicht entgegen seyn.«

»Danke, Jarl!« sagte wehmüthig Hallfredur und hielt ihm die Hand hin. Eirekur erfaßte sie freundlich, und sprach: »Gunlaugur mag günstigen Landwind auf meiner Hladiburg erwarten. Willst Du mit hinkommen?« Aber: »Danke, Jarl!« sagte abermahl der trübe Sänger, hinzufügend: »Bildest Du Dir ein, ich merke es nicht, wie ein Schauer vor den wirren Skalden durch Deine sonst so starke Seele zieht? Ich würde Dir nur all Deine Lust am Fest und an dem beglückterem Gaste dort verderben. Nein, laß. Wolle mir nicht einreden. Ich gehe jetzt nach meinem Schiffe zurück. Sobald der Wind sich günstig wendet, schleudre ich einen Drachen griechischen Feuers durch die Lüfte, der krachend in den Wolken zerplatzt. Dann eile Dich, Gunlaugur, und komm an Bord.«

»Es gilt!« erwiederte Gunlaugur, und man schied. Die Einen dem fröhlichen Festmahle zu, der Andere zur öden Meeresbucht hinab. 83

 


 


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