Friedrich de la Motte Fouqué
Die Saga von dem Gunlaugur genannt Drachenzunge und Rafn dem Skalden
Friedrich de la Motte Fouqué

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Dreyzehntes Kapitel.

Sie fuhren nun mitsammen von hinnen durch das herbstlich bewegte Meer, der kühne Gunlaugur und der wirre Skalde. Während das Schiffsvolk die nöthige Arbeit ausrichtete, und Skalde Hallfredur mit ernster Besonnenheit am Steuer stand, hielt sich Gunlaugur neben ihm, auf seinen Speer gelehnt, und hatte seine düstere Freude daran, wie der bleiche Mond hinter den Wolkengebilden dahinglitt, bald sie mit seinen Lichtern prachtvoll säumend, bald doch auch wieder ihre schwachen Gebilde durchbrechend, als wolle er den nachtwandelnden Menschen zu Land und See offenbaren: »Sehet und merket! Es ist ja doch Alles nur nichtiger Schatten und verdampfender Hauch!«

Wenn nun so die Mondesschimmer auf 91 Gunlaugurs und Hallfredurs Angesichter fielen, trafen sie freylich auf zwey Heldenangesichter, aber zugleich doch auch auf etwas sehr Verschiedenes:

Das Eine Bild so frisch und stark zum Lebensmahl!
Das And're stark, doch müde von der Lebensqual.

Sie waren ziemlich die ganze Nacht hindurch mitsammen so stumm und wunderlich durch's Meer gefahren. Da sagte endlich, als schon das unheimlichere Morgengeflügel, halb auf- halb abziehend von der zweydeutigen Wacht, um der Beyden thaubereifte Locken herzuziehen begann, der wirre Skalde zu Gunlaugur im dumpfen Liedeston:

»Ward dir die neueste Islandssage kund?«

Gunlaugur. »Gerüchte streifen, wie Dämmergeflügel im Rund.«

Hallfredur. »Und gibst du auf dieß Dämmergeflügel nichts?«

Gunlaugur. »Das verschwimmt machtlos im Siege des Morgenlichts.« 92

Hallfredur. »Und wenn's dich da noch in Kraft und Macht umweht?«

Gunlaugur. »Dann würden's wohl Drachen die man im Kampf besteht!«

»Ganz recht!« entgegnete Hallfredur. »Und so wird es auch vermuthlich kommen!«

Aber von da blieb er den ganzen Tag und die nächste Nacht hindurch für Gunlaugur stumm.

Als wiederum der Morgen heraufdämmerte, und sich Hallfredur an's Steuer gestellt hatte, Gunlaugur neben ihm, hub der wirre Skalde von neuem zu singen an. Und das ward ein anderes Lied, als das vorigemahl. Etwan also ungefähr hat es geklungen, und das höher aufschäumende Meer und der geheimnißreich flüsternde Morgenwind spielten eine seltsame Begleitung dazu:

Ich hört' eine Kunde,
Weiß nicht, ob Traum oder Wachen es sey,
Die drang mir durch's Herz!
Und ließ mich doch jammersfrey. 93
Was geht es mich an,
Wie beschaffen es sey
Mit der Kunde!
Was geht es mich an,
Mich, mit dem längst ausgeblutetem Schmerz
Mich längst erstorbenen Freyersmann!
Mich Ausgeschiednen aus Reigens-Runde!
Und dennoch steht hier Einer zur Stunde
Mit bey,
Den hielt ich gerne vom Natterstich frey
Zerreissender Liebeswunde!
Ach Himmel, er ist ja noch jung, wie der May!
Jedoch die Klänge quillen mir wild vom Munde.
Halt zu deine Ohren! Den Klang laß vorbey!
Du willst nicht? Siehst mich im Trübsal groß noch an,
Du starker Mann! Wohlan!«

Darauf blieb Hallfredur lange ganz stumm und blickte doch auf solch eine Weise nach Gunlaugur, daß sich abnehmen ließ, er bilde sich ein, Vieles und sehr Erschütterndes zu sprechen.

Als nun auch Gunlaugur erwartungsvoll stille blieb, nicht ohne tief innern Schauder, sprach endlich der wirre Skalde:

»Verzeih' mir Gutfreund! Es war gewiß nur wiederum einer meiner wunderlichen Träume, 94 der allzugewaltig über mich gekommen ist, und den ich Dir jetzt eben erzählen mußte: Nein, Alles mag im Ganzen erträglich gut stehen für Dich, oder auch wohl höchst erfreulich gar. Halt mir's zu Gute, Du Glücklicher, daß ich Dir so unversehens Deine gewiß recht lustigen Träume verstört habe. Warum sind aber auch die Träume von so wankelmüthiger Art und Gestalt? Ach, wer heisset sie denn so scheu und wild und unwiederbringlich von hinnen fliehen, vor jeglichem Gegen- oder Quer-Hauche der irdischen Windrose?«

»Wer?« fragte Gunlaugur wehmuthvoll. »Armer Genosse, da forsche bey Dir nach, und bey uns Allen. Doch wer es deutlich sagen könnte, der müßte schon außerhalb des Träume-Reviers wohnen, und deßhalb verständen die Leute ihn hier drinnen wiederum nicht. Und wer dagegen in dieser Art von Binnenlande über die Sache mitreden will – was weiß denn eben der von dem großen Aussenlande, welches man Ewigkeit nennt, und wovor uns Herz und Gebeine schaudern, wenn man eines so gewaltigen Weltmeeres gedenkt! – Wie, Hallfredur, Weltmeer nur hab' ich gesprochen? Nein! Weltmeer schrumpft zu einer wassergefüllten Nußschale zusammen, wenn Du es gegen das Meer der 95 Ewigkeit antönen lässest. Oder kommt Dir das dießseitige Spielwerk grösser vor?«

»Nein,« sagte der Skalde. »Und eben deßhalb auch wollen wir uns über die Nußschale und über das Weltmeer die Köpfe nicht zerbrechen, sondern mitsammen umgehen, wie es sich für lustige Reisegesellen ziemt, welche die Welt laufen lassen nach Belieben, und sich selber mit. Warte! Was läßt sich doch gleich von Island her Lustiges erzählen? Ja, richtig! Rafn, der Skalde, führet Schön-Helga als Hausfrau heim – die Thorsteintochter, mein' ich. Du entsinnest Dich wohl vielleicht des schönen Mägdleins noch?«

Gunlaugur aber sagte mit furchtbarer Gelassenheit:

»Es ist auf dasmahl ein großes Glück für Deine Sicherheit und für meine Seele, Hallfredur, daß Du eigentlich toll bist, und daß ich es weiß.«

Da lachte der wirre Skalde schmerzlich, und erzählte ihm Folgendes:

»Auf der Dingstätte Wahlfeld sind sie beysammen gewesen, all die Klugen aus Island; im vergangnem Sommer war es. Du kennst ja ihre Art. Da streuen sie viel der weisen Worte 96 zur Saat, und es wachsen dann thörichte Thaten daraus und erschleußt sich oft eine gar überreichliche Aernte von Thränen und Flammen und Blut. Nun kamen der Rechtsgelahrte Skapti, und sein tönender Neffe, Skald Rafn zum Thorstein gegangen, und der Gelahrte warb für den Tönenden um Schön-Helga, das Thorsteinkind. Sie hatten's wohl sonst schon auf diese Weise versucht, aber Thorstein hatte den Engel weit früher verlobt an einen Sturm, der fernaus im zornigen Wohllaut umhertosete auf unbekannten Meeren. Rafn sagte unter Andrem zu Thorstein:

»Sturm ras't fern
Mir den Stern!«

Und weil Sturm auch wirklich so überlange hatte auf sich warten lassen, fragte endlich Thorstein den dunkeln Sturmesvater; sie heissen ihn auch auf der Insel, Illugi den Schwarzen:

»Sturmvater, wo verweilt dein wilder Sohn?
Zu lang' harrt sein, mein Engelskindlein schon.«

Der Dunkle antwortete:

»Nicht weiß ich von dem wilden Sohn.
Vielleicht stürmt er zum Abgrund schon.«

97 Da wurden sie Alle einig mitsammen, Engel solle des Sturmes noch harren bis Winters Anfang. Aber der Sturm raset ja immer noch auf den Meeren umher; und Winters Anfang steigt nahe herauf; und alle Welt sagt:

»Nun kommt der Sturm zu spät herein,
Und Engel wird des Skalden seyn.«

»Nein!«

Donnerte Gunlaugur fürchterlich, und erfaßte den wirren Sänger, und hätte ihn in's Meer gestürzt, wäre der nicht in schauerlicher Kraft wie eingewurzelt gewesen auf dem Verdeck. So starrten die zwey Ringenden einander unbeweglich, machtvoll angespannt ihre Glieder, aus grossen furchtbar rollenden Augen an, die wild von dunkeln Locken umflatternden Stirnen dicht gegen einander geneigt.

Urplötzlich brausete eine aufsteigende Windsbraut über das Meer, und drohete des Schiffes Bahn zu hemmen.

Da ließen die Zornig-Verstrickten voneinander ab. Hallfredur erfaßte voll düsterer aber starker Besonnenheit das Steuer des Schiffes. Gunlaugur sahe stolz in die dunkelheranwehenden Wolkenzüge empor, und sang: 98

»Raum gebt! Raum gebt uns zum Meerdurchwandern,
Nebelwitwen ihr des Firmamentes!
Jagt verdrießlich euch mit tausend Andern!
Hier trotzt euch ein Herz; im Herzen brennt es!
Weckt die Flamme nicht aus einem Herzen
Das verderblich euch entgegenlodert.
Bin ich doch zum Brautfest heimgefodert,
Oder auch zum Fest von tausend Schmerzen!
Rafn erhebt der Ruf voll dreisten Hohnes!
Ruft: »Gunlaugur! Weilst du, Drachenzunge?«
Lacht beym Brautfest des Illugisohnes!
O du Schiff, hindurch im kühnen Schwunge!
Und ihr Nebelwitwen spielt mit Andern,
Ihr, umhüllend das Rund des Firmamentes!
Rath euch Gutes! Hier im Herzen brennt es!
Lasset frey dieß Herz das Meer durchwandern!«

Und wirklich war es, als ob auf den seltsamen Gesang die Windhauche sich wendeten, die Wolken ihre umdunkelnden Züge zertheilten. Wohl stürmte es noch stark über die See hin, aber die Segel des Schiffes anschwellend, und dessen Fahrt, ob auf kühn gefahrvolle, dennoch sehr herrliche Weise fördernd.

Dabey hielten die zwey seltsamen Genossen am Steuer folgendes Gespräch mitsammen: 99

Gunlaugur. Wir müssen vor Winters Beginn auf Island seyn.

Hallfredur. Gern sag' ich Ja. Herbststürme vielleicht sagen Nein.

Gunlaugur. Die zwing ich doch – du sah'st es – mit Willen und Lied.

Hallfredur. Manch Heer hält morgen den Platz, das heut noch flieht.

Gunlaugur. Nun, ich versuch's mit den Stürmen, Mann an Mann!

Hallfredur. Doch Sturm bleibt Sturm! du bleibst im sterblichen Bann.

Gunlaugur. Du nanntest vorhin mich selbst einen wilden Sturm.

Hallfredur. Der Stürme Meister entscheidet vom höchsten Thurm. 100

Gunlaugur. Thu, Sturm, dein Bestes! du wirst Gunlaugurs Knecht.

Hallfredur. Sturm gegen Sturm. Es walte das höchste Recht!«

Da hielt Gunlaugur nachdenklich inne mit Reden. Doch sprach er bald darauf mit trotziger Stimme: »Recht? Das Recht auf Schön-Helga's weisse Engelshand ist mein.« »War Dein, o Gutfreund Sturm!« entgegnete der wirre Skalde. »Wie es jetzt damit stehen mag, frage nicht Deinen dunkeln Sturmesvater. Frage nach bey dem lichten Beherrscher aller Stürme und aller Sonnen!«

Gunlaugur verstummte.

Die Fahrt ging ihres Weges kräftig fürder.

Da sagte Hallfredur einstmahlen zu Gunlaugur:

»Gutfreund, wie es nun auch um Deine Gewalt über den Sturmwind aussehen mag, läuft's Dir nur halb so gut mit dem Rafn aus, so hast Du von Glück zu sagen. Schau, ich hatte vor Monden einen Streit mit ihm um ein halb Mark Silbers, das Einer seiner Dienstbothen 101 vermeinte von mir nach Rechten fodern zu können, und ich meinte anders. Just lag ich in der Meer-Bucht Leyruwog an den Nordbergen Eurer Insel vor Anker. Kommt da nicht der zornige Jüngling mit vierzig Mannen geritten, haut ohne weitre Verhandlung meine Ankertaue durch, und läßt mich auf dem ungerüsteten Fahrzeuge in den Meerschwall hinaustreiben, so, daß ich nur mit großer Noth dem Schiffbruch und völligem Untergang entrann! Und mühsam zurückgelangt in die Bucht, hab' ich noch obenein seinem Knechte das halbe Mark Silber bezahlen müssen. Mit dem kommt sich's schlimm von der Fechtschule!«

Gunlaugur aber entgegnete, ganz in träumerisches Sinnen versunken: »Deine verwilderten Lebensgeister irren Dich abermahl, guter Hallfredur. Niemahls – obgleich manches Unbändige mit Hand und Mund durch mich geschehen seyn mag – niemahls hab' ich ein so überaus tolles Stück auslaufen lassen, als das, von welchem Du da erzählst.«

»Wer redet doch nur von Dir?« sagte Hallfredur. »Der Rafn ist also mit mir verfahren! Rafn der Skalde!«

»Rafn der Skalde!« wiederhohlte wildauflachend Gunlaugur. »Und war das nicht 102 derselbe Musterjüngling, von dem ich lernen sollte, o du Helga'svater Thorstein, so beriethest du mich einst an deinem trauten Herde, und schöne, schöne Tage zogen dazumahl durch den Himmel! War der es nicht, von dem ich lernen sollte, ein Sängerschwan zu werden, königlich stark und königlich mild zugleich? O des sanften, wohlgezogenen Jünglings!«

»Ich will Dir was sagen;« sprach Hallfredur. »Seitdem er um Schön-Helga wirbt, ist er so hochfahrend geworden. Schon der Gedanke, ein solches Engelsbild gewinnen zu können, hat ihm die inneren Fittige zum alfenkühnen Trotz gehoben. Wie wird er nicht erst als ihr Verlobter stark und fürchterlich seyn! Und wohl muß ein Verlobter Schön-Helga's recht stolz werden und sich vorkommen wie ein beglücktes Odinskind aus dem alten Sagenreigen herüber. O ich sahe sie! O ich sehe sie heute noch vor mir! So sonnig funkelnd ihr goldnes Gelock; so still und ernst und groß ihre Blicke, und doch so kindlichhold erblühend der kleine Rosenmund! Wenn sie lacht, möchte man sprechen: »Zierliches Kindchen!« Wenn sie ernst fleht, möchte man sprechen: »Königlicher Stern!«

Aber Gunlaugur rief mit Schmerzenslaut 103 dazwischen: »Wehe, was schneidest Du eben jetzt mit diesen Preisesworten so scharf mir in das blutende Herz herein!«

Hallfredur, ohne sich stören zu lassen, sprach fürder, wie ein reiner, starker Strom sich ergeht, achtlos des Klagens oder Jubelns an seinen Ufern:

»Ja, wäre des königlichen Sternes Hauptgelock nächtig dunkel, statt sonnig hell, da möchte man meinen, aus dem blühenden Süden sey eine wunderbare Erscheinung –«

»Wehe!« rief nun plötzlich er selbst, mit Schmerzenslaut sich unterbrechend. »Wehe! Was ruf' ich die südlichen Flammen auf's neue in mein ach! schon ohnehin so schmerzlich glimmendes Herz herauf! O die Provence und ihre Erscheinung!«

Er verstummte.

Gunlaugur stimmte mit trauernden und zugleich seltsam zornigen Tönen folgendes Lied an:

»Sassest gegenüber,
    Holde Feindinn, mir,
    Beym Schachtafelspiel?
    Ach wie meine Feindinn,
    Reich an aller Zier,
    Mir so hold gefiel!
    Und doch ward es trüber! 104

Wirst jetzt nie wohl Freundinn,
    Holde Feindinn, mir?
    Trübes Lebensspiel
    Süße Hoffnungsbilder
    Schwanden dir und mir,
    Nur am Lebensziel,
    Ach, sey nicht mehr Feindinn!

Stürm' nur, Weltfluth, wilder
    Zwischen ihr und mir,
    Der ich einst gefiel!
    Alles ist verfallen!
    Nun heißt's nicht mehr: wir!
    Dich und mich vom Ziel
    Drängen Wolkenschilder!«

»Ich dachte, Ihr könntet die Wolken beschwören?« fragte Hallfredur düster. »Aber seht nicht so ärgerlich drein. Ihr müßtet mich für einen schlechten Skalden ansehen, wenn Ihr wähntet, ich wisse das Kunstreiche in Euerm Verzweiflungsgesange nicht zu bewundern. Er war schön abgefaßt, und nach aller Ordnung des Einmahl erwählten Maßes.«

»Willst Du mich toll machen, Mensch, mit Deinem unsinnig höhnenden Lobe?« rief Gunlaugur aus.

105 »Keinesweges!« erwiederte der wirre Skalde. »Mag zwar ich selbst unter die Banner des Wahnwitzes gerathen seyn, wie denn allerdings viele Menschen es von mir behaupten, so folgt daraus doch keinesweges noch, daß ich als Werber für meinen scheuslichen Kriegsherren durch die Welt zöge. Und wahrhaftig – am wenigsten Dich jungen, kraftbegabten Gunlaugur möcht' ich zu solch einer nebelgrauen Spinnenfahne werben. Besinn' Dich nur! In meinem Lobe war für dasmahl nicht Unsinnigkeit, nicht Hohn. Was, junger Mensch, Du rühmest Dich der Sangesgabe, und rühmest Dich ihrer sogar mit edlem Recht, und dennoch weißt Du noch nichts von der Wohlthat jenes an goldnen Zügeln uns regierenden Maßes der Worte und Töne? Einen Weheschrey des Schmerzes, den hat die räthselhafte Waltung sogar vielen sonst unbegabten Thieren verstattet, und allen Menschen auch. Aber das ist noch kein eigentlicher Klang, und dringt auch nur um Hülfe oder Erbarmung an andre Geschöpfe. Wird er da nicht vernommen, oder findet wohl gar eine schlimme Stätte, so prallt er zerreissend und zerfleischend in die beängstete Brust zurück, die ihn ausstieß, einem Pfeile vergleichbar, von undurchdringlichem Erze 106 rückgeschleudert zu des Schützen eigenem Verderben. Wo wir uns aber fügen in Maß und Sangesweise, oder vielmehr, wo wir uns drin fügen können; – denn ich denke immer: wenn ihnen Allen die Wahl frey stände, thäten sie es auch Alle von Herzen gern – ja, wo wir das können, und keine absichtlich ungezogenen Kinder sind, keine Solche, die da mit wüster Geberde und tollem Geschrey von sich stossen und verschmähen, was ihnen die ewige Älternliebe zum süßen Linderungsmittel einzuflössen gedachte; o mein Gunlaugur, da werden uns Reim und Maß und Klang zu goldenen Laufbändern, zu goldenen Königsbinden sogar, die uns schmücken und im Gleichgewicht halten, und uns mahnen an ein himmlisches Herrscherrecht; an ein unverlierbares! Ach, ich Ungezogner hab' es dennoch großentheils verloren, durch eigne Empörerschuld! Begehrte ich doch durchaus nur das Eine, Eine mir, ach auf immer in den höheren Rathschlüssen versagete Gut! Laß uns singen, mein Gunlaugur, auf daß ich den bösen Geist von mir banne, der wiederum aufsteigen will. Ist mir doch manch Tröpflein von der herrlichen Gabe, der süß bindenden und 107 zähmenden, aus zärtlichem Mitleiden unsichtbarer Gewalten noch zurückgeblieben.«

Und es erhub sich zwischen Beyden folgender Wechselgesang:

Hallfredur.
        »Sie nennen mich den wirren Sänger!
    Sie haben Recht, und Unrecht auch.
    Ach wirds nun Einem bang und bänger
    In Lebens hergebrachtem Brauch,
    Und schwindelts ihn, weil sich der Reihen
    Ihm unbegreiflich toll verschlingt,
    Da müßt er ja am Ende schreyen.
    Nun thut er besser doch, er singt!«
Gunlaugur.
»Zum Liede treibt's und zu den Waffen.
    Die Heldenbrust will weitern Raum,
    Als ihr des Lebens Marken schaffen.
    Soll sie versprüh'n im blut'gem Schaum?
    Sie trotzt der dunkeln Schicksalswage,
    Sie ringet kühn durch Nacht und Licht.
    Eh' ihre Kraft sich selbst zernage,
    Ists besser, daß ein Kampf sie bricht!« 108
Beyde.
»Wir sind Allzwey wohl nicht hienieden
    Auf unsern besten Platz gestellt.
    Doch haucht uns Etwas an, wie Frieden,
    Aus ferner, wundersamer Welt.
    Ob man einander nicht verstehe
    In trüber Wandrung wirrem Streit,
    Einst blüht doch aus dem Räthselwehe
    Das Lösungswort der Herrlichkeit!« 109

 


 


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