Friedrich de la Motte Fouqué
Die Saga von dem Gunlaugur genannt Drachenzunge und Rafn dem Skalden
Friedrich de la Motte Fouqué

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vierzehntes Kapitel.

Die Wolken und Stürme jedoch wollten sich nicht fortdauernd von dem Gunlaugur befehligen lassen. So ward das Schiff denn eine ganze Zeitlang auf dem Meere umgetrieben, und als man endlich in einer Islandsbucht vor Anker ging, erkannte Gunlaugur alsbald, er müsse noch tagereisenweit von seines Vaters Wohnung zu Gilsbacka sowohl, als von Thorsteins schönem Hofhalte, Borg geheißen, entfernt seyn. Und Winters Anfang war so nahe vor der Thür, und zugleich auch Helga's Vermählungstag mit Rafn dem Skalden!

Das gab denn freylich ein trübes Wiedersehen der Heimath-Insel.

Zudem auch sahe die alte Mutter Island den rückkehrenden Sohn an diesem entlegnen und ihm wenig bekannten Landungsplatze so gar fremd 110 aus hohen Bergeswarten an; Höhlen, wie erstorbene Augen darin, frühe Schneelagen wie zerrißne Schleyer auf einzelne Stellen der Berge verstreut.

Der wirre Skalde schüttelte während des Ausschiffens mehrmahl trübe sein Haupt, und Gunlaugur konnte in tiefer Schwermuth kein Wort hervorbringen. Ihm ward beynahe zu Muth, als ob er sich selbst zu Grabe begleite, und sich so nach und nach in den Hügel hinuntersenken sehe, und hohe Bautasteine drüber thürmen, zum düstern Andenken aus den Nebeln der zur Vergangenheit eindunkelnden Gegenwart für künftig heller lachende Zeiten. Hallfredur sang dazu:

»Es gibt manch schwer Getriebe
Für dieses Erdenspiel!
Jetzt führt uns glüh'nde Liebe
Und Wahnwitz an das Ziel.
O, allzuschwer Getriebe!
O, viel zu ernstes Ziel!«

»Singe doch nicht so wunderlich!« hätte Gunlaugur wohl fast bittweise zu seinem trüben Geleitsmann gesprochen. Aber da erschien plötzlich auf einem nahen Hügel ein riesig hoher und 111 starker Jüngling, schlug kraftvoll in die Hände, daß es weit durch Land und Meer hindröhnte, und sang mächtig dazu, fast wie der zornige Ruf eines Adlers durch wüste Gebirge dringt:

»Welcher der Wand'rer,
Wogendes Meer hindurch,
Kühn seinen Schiffkiel
Klemmt in die Klippen hier,
Wage den Wettkampf auch
Mit mir Gewaltigem!
Bangend bekenn' er sonst,
Daß er besiegt sey!«

Da ward dem Gunlaugur wieder ganz frisch und fröhlich zu Sinn, und er sang dem Ausfordrer mit lauter Stimme entgegen:

»Wagstück, willkommen
Wogendem Wandrer!
Steig an den Strand herab,
Stolzer Ausfordrer Du!
Trüb sah der Tag mich an;
Traut nun grüßt Abend mich.
Dank hab! Den drück ich dir
Dicht auf das Herz bald!«

Jener trotzige Jüngling kam mit hirschesschnellen Sprüngen freudiglich von den Bergen 112 herniedergelaufen, und bey näherem Gespräch ergab es sich, daß er Thordur hieß, Sohn eines Wehrfesters in dieser Gegend. Dieweil nun sein Vater ihn nicht in's Ausland auf Abentheuer ziehen lassen wollte, hielt er es für billig, einigen Ersatz an den hier Landenden zu suchen, indem er sie zwar nicht zum Kampf mit tödtlichen Waffen, aber doch zum kraftvollen, selten ohne schwere Verletzung abgehendem Ringerspiel aufrief. Und bis jetzt hatte er noch von Jeglichem, der ihn zu bestehen wagte, den Sieg gewonnen.

Gunlaugur nannte ihm seinen Nahmen, und wollte sodann nach seiner gewohnten Weise gleich frisch an's Werk. Aber da meinte Thordur, der Abend dunkle schon zu tief; man wolle lieber einander morgen in den frischen und klaren Lichtern des aufsteigenden Tages erfassen. Und Gunlaugur war auch das zufrieden, während es sich Thordur gern gefallen ließ, Nachtkost und Strandlager der Gelandeten zu theilen.

Man hatte fröhlich einige Becher mitsammen geleert, und sich zum Schlummer auf das Moos niedergestreckt, Thordur zunächst seinem morgenden Gegenkämpfer. Gunlaugur aber schlief unruhig. Auf Island, und doch von Schön-Helga noch so fern! Das war es, was seine 113 tiefbewegte Seele nicht zur Ruhe kommen ließ, und ihm wunderliche Traumbilder vorgaukelte, deren Keines sich von ihm festhalten und deutlich betrachten lassen wollte. Sie flogen dahin, wie Abendwolken im herbstlichen Gestürm, von immerfort andeutender, nimmer zu errathender Gestalt. Da rollte plötzlich ein Getos, wie ein ferner Donner dazwischen, daß Gunlaugur davor erwachend in die Höhe fuhr. Und wie ihn denn stets in dieser Zeit der Gedanke an den ganz nahen, für ihn so ernst entscheidenden Winters Anfang erfüllte, sprach er laut: »Was war das? So sehr spät schon in's Jahr hinein, und dennoch steigt ein Gewitter auf?«

Er blieb ohne Antwort. Hallfredur und die übrigen Schiffsgenossen schliefen fest, und Thordur war ihm von der Seite verschwunden. »Das wäre ja abscheulich,« dachte Gunlaugur, »wenn der erste Landsmann, mir auf Island wiederbegegnend, sich als ein furchtsamer Prahler bewiese, vor dem begehrten Ringerkampf sich unter nächtige Schatten verkriechend!« Doch schalt er alsbald sich selbst über einen so unwürdigen Gedanken, und schob die Schuld davon nur auf sein wirres Geträum, indem er sich die kraftvoll 114 kühne Erscheinung Thordurs und dessen wildes aber nicht unedles Benehmen zurückrief.

Was aber konnte den wackern Jüngling so lautlos ihm von der Seite fortgeführt haben?

Da vernahm er abermahl jenes donnerähnliche Geroll, und bemerkte nun deutlich, wie es aus einem nahen, dicht mit dunkeln Fichten und Tannen bewachsenem Klippenthale heraufdrang. Er gürtete sein gutes Schwert fester um sich, und ging schweigend dorthin.

Aus dem Thale scholl noch immerfort ein dumpfer Klang wie Donner empor. Aber jetzt merkte Gunlaugur in seinen erwachten Sinnen deutlich, es war nicht der himmelshohe und auch nicht der abgrundstiefe Gruß wunderlicher Naturgewalten. Es war das Geroll einer wohl sehr riesigen Trommel oder Pauke, von Menschenhand geschlagen.

In kecker Neubegier trat er auf den buschigen Rand des kleinen Thales vor, und sah in die Tiefe hinab.

Drunten knieete Thordur, sein Wettkämpfer auf morgen, vor einem kleinen, vom Winde halbverweheten Feuerlein, und sahe mit über die Brust gekreuzten Händen, zugleich viele unverständliche Worte murmelnd, nach einem schier 115 entsetzlich grossen Manne empor, der vor ihm stand.

»Ich hätte in meinem Leben nicht gemeint, daß es noch heut zu Tage so überaus riesenhohe Leute gäbe!« dachte Gunlaugur bey sich.

Aber da wehete ein aufsteigender Lufthauch das Feuerlein rasch hin und wieder, und vor dessen flackernden Lichtern sahe Gunlaugur deutlich, das, welches er für einen lebenden Riesen gehalten hatte, war nur ein uralt bemoosetes Götzenbild, in Stein unförmlich und abscheulich ausgehauen; und dennoch neigte sich Thordur jetzt mit häßlich demüthigen Beugungen davor unaufhörlich hin und her. Und dazu tönte nun der Flehende etwas wie Lied oder Zauberspruch zwischen seinen zitternden Lippen; ja, es kam dem Gunlaugur endlich sogar vor, als höre er seinen eignen Nahmen vernehmlich zwischen dem Geflüster nennen.

Da ward ihm, halb vor Entsetzen, und halb vor Zorn, diese Nachtwirthschaft unerträglich, und er rief mit männlich scheltender Stimme den Hügelhang hinunter:

»Du! Das ist keine schöne Vorbereitung zum Wettkampf!«

Thordur sprang verwildert in die Höhe, 116 indem er ausrief: »Gestört! Gehemmt! O Du Überlästiger, nun kann ich den ganzen Bittgang noch Einmahl beginnen, und wahrhaftig, das ist nicht eben leichtes Werk.«

»So laß davon!« entgegnete Gunlaugur. »Das wird ohnehin besser für Dich seyn.«

»Ja, besser für Dich!« sagte höhnend der Andere. Doch setzte er, sich besinnend, ernst hinzu:

»Was schiltst Du mir meinen Bittgang und willst mir ihn hindern, Mensch? Da ist nichts Arges drin, den alten Asahelden Thor um seinen Beystand anzurufen, wenn Einem der Wettkampf bevorsteht, mit solchem Helden, wie Du. Jedoch hindert Dich Niemand, das Spiel nach Kräften wieder gleich zu machen. Thu mir nach, was Du mich thun siehst, und vielleicht daß Asathor alsdann Dir neuem Knecht so huldvoll lächelt, als mir, der ihm schon seit Jahren vor jedem ernsteren Wetteringen dieses Werk dargebracht hat.«

Und damit hub er an, ein mächtiges Erzbecken, neben dem Steinbilde aufgestellt, gewaltigen Schwunges mit seinem Streithammer zu treffen, und dazu im gräßlichen Tanz umherzuschreiten; langsam feyerlich erst, dann immer wilder und wilder, nach jedem Schlage, mit 117 welchem er dem ehernen Kessel das Donnergebrüll entrang, bis er endlich in schwindlicher Eil umherrannte, und den Wiederhall die schmetternden Töne zu einem endlos fortgesetzten Rollen ineinander riß.

Gunlaugur rief mit aller Kraft seiner mächtigen Stimme durchhin:

»Thordur, was thust Du! Thordur, halt inne! Das ist fürwahr nicht Asathor, der liebe, starke Sagenheld, von dem sie so manche kräftig fröhliche That erzählen! Verhext hat hier der Heidenzauber ihn in ein gräßliches Bild, und zum Knechte gibst Du Dich einem unedlen Geiste dahin. Thordur, besinne Dich, und steh! Thordur, ein neues, schöneres Licht dämmert ja schon seit Jahren über unsere Nordlande herauf! O laß ab von dem wüsten Hexentanze, der Dich abscheulich verzerrt. Thordur, was thust Du? Ach Thordur, halt inne!«

Aber sey es, daß die mächtige Stimme doch nicht durch den Donnerschall des Erzes in das Thal hinabzudringen vermochte, sey es, daß den heidnischen Bittgänger ein wahnsinnig betäubender Schwindel erfaßt hatte, schneller nur und immer schneller kreisete Thordur seine tolle Bahn.

Da, von Grausen ergriffen, wandte sich 118 endlich Gunlaugur ab, ging wieder nach dem Strand hinunter, und streckte sich dort zum Schlafen nieder. Und ungeachtet des fernen Donnergetöses kam ein süßer, kräftiger Schlummer über ihn, und ihm war, als leuchteten noch durch seine geschloßnen Wimpern die lieblichen Gestirne der Nacht, und führten im holden Getöne, im stark und mild das Donnergetos überhallendem Getöne wunderbar herrliche Reigen vor seiner sanfthindämmernden Seele auf. 119

 


 


 << zurück weiter >>