Friedrich de la Motte Fouqué
Die Saga von dem Gunlaugur genannt Drachenzunge und Rafn dem Skalden
Friedrich de la Motte Fouqué

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Fünftes Kapitel.

Der Wind hielt sich günstig, und nach einigen Tagen glücklicher Meerfahrt stiegen eines schönen Morgens die weißen Küsten der Insel Albion vor den Schiffenden aus den Wogen empor.

»Es sieht ganz hübsch und ordentlich angenehm von dort herüber aus;« sagte Gunlaugur zu Thorkill, welcher just neben ihm auf dem Verdecke stand. »Aber wozu wird das am Ende helfen! Norweg sah auch hübsch aus, als ich es zuerst vom hohen Mast her aus den Fluthen tauchen sah. Ja schöner, noch viel schöner nahm es sich nachher im funkelnden Abendroth aus. Und als wir endlich zu Nacht von hinnen schifften – o der schönen waldigen Küste unter den Schleyern des Mondes- und Sternenlichtes! dagegen kommt diese kreideweisse Englandküste 37 gar nicht auf. Warum sollten wir eben hier Fröhlicheres erleben, als auf Norweg? Mit den fremden Ländern geht's auch wohl überhaupt, wie manche Skalden es von den Frauen singen:

Die Hübschesten, die Herbsten!
Die Herrlichsten, die Schmerzlichsten!

Wolle Gott, daß ich nicht einstmahlen Ähnliches von Schön-Helga erlebe! Doch gewiß, damit alsdann nicht die Schuld auf meiner Seite bleibe, will ich doch nun endlich anfangen, mich in der Fremde recht lieb und höflich aufzuführen. Mein erster Anfang in Jarl Eirekurs zierlicher Hladiburg – das muß ich nur bekennen: Der Anfang taugte nicht viel.«

Und darauf berief er sich den Schiffmeister, und hieß diesen erzählen, wie es eigentlich auf der Insel Albion oder Britannia zugehe, und wie man sich dorten aufzuführen habe. Der Schiffmann kam und sagte:

»Gut muß man sich betragen auf Albion, wie allerwärts, wo man es gut haben will.«

Da schwoll dem Gunlaugur wieder die Zornesader vor seiner Stirn. Aber weil er sich nun in all seiner starken Kraft vorgenommen hatte, zu Schön-Helga's Ehren mild und freundlich zu 38 seyn, sprach er blos zu dem Schiffmann und zwar mit recht sanfter Stimme:

»Wenn ich Dich künftig einmahl fragen sollte, wie Dir mein gesammtes Thun und Lassen gefällt, da wirst Du allenfalls wohl thun, mir in einem Tone zu antworten, wie jetzt. Aber außerdem rath' ich Dir, es zu unterlassen. Unbegehrter Lehr- und Weisheitspruch pflegt wohl seinen Vater um's Leben zu bringen.«

Dabey funkelten ihm seine großen blauen Augen recht entsetzlich, und es war, als sträube sich sein dichtes Haargelock.

Der Schiffmann sagte freundlich:

»Hört an! ich will Euch berichten, wie es auf England aussieht, mein lieber Herr. Und fürwahr zum Rathgeben will ich mich nicht erkühnen. Ich erzähle ja nur.«

»Erzähle!« sagte Gunlaugur gebiethend.

Und der Schiffmann hub an:

»Hier herrscht jetzt über alle Englandsgauen – vor uralten Zeiten waren sie unter sieben Könige vertheilt – in schöner Machtgewalt König Ethelred allein, der Edgarsohn. Der ist ein so freundlicher Mann, daß allen Menschen wohl wird, die in seine Nähe kommen, so etwa wie den Hirschen, wenn sie nach der Jagd an einer 39 sichern und heilsamen Quelle Bord gelangen. Da pflegen denn wohl die Nachtigallen zu singen und andere tonbegabte Vögelein sonst. Und so auch hat es König Ethelred sehr gerne, wenn edle Sänger sich mit schönen Liedern an seinem Hofhalte vernehmen lassen. Aber was seufzest Du, mein edler Schiffesgast so ernst und tief?«

»Das kommt davon her,« sagte Gunlaugur, »daß Du mir das Leben an König Ethelreds Hofhalt gar hübsch vor die Seele gestellet hast, und daß auch ich ein Freund von anmuthigen Liedern bin. Denn siehe, in den Sang dorten werde ich wohl nicht mit einstimmen können, weil vermuthlich die Leute auf Albion in andern Zungen reden und singen, als wir in unsern Nordlandsgauen. Und ein Lied, das vom Herzen kommt und nicht wieder zum Herzen dränge, o wehe! das fällt zurück, zermalmend im unendlichen Schmerz, wie ein bergangewälztes und wieder auf unsere Brust herabrollendes Felsenstück. Die Kauffahrer, aus den fernsten mittäglichen Landen kommend, verkünden bisweilen die Sage von solch einem entsetzlichen Jammer, wie ihn dort ein uralter Sangeskönig erlitten habe und noch erleide, welcher Sysiphos geheissen sey.«

40 Dabey hatten sich Gunlaugurs Blicke und Wangen wunderbarlich mild entflammt, und er sang mit wehmüthiger Klage:

»Sysiphos! Sysiphos!
Sehnender! Felsenwälzender!
Winkend lieblich wandelt die Ruhe
Ob Wipfeln der Bergeshaine. –
Und du unterstämmest dich
Übermächtigen Urfels,
Hinaufzuheben zu Berges-
Höhen, den hallenden Stein.
Rasch donnernd rollt er bergan –
Rückwärts wieder auf's Haupt dir.
Unbeglückter! An selig hohen Ufern
Unvernommener du! –
Also ergehet wohl Ach und Weh
All den Unseligen,
Lieder anstimmend im fremden Laut: –
Lied, mein Nordlandslied, kühn hallst du –
Aber nicht Englands Anfuhrt
Antwortet meinem Gesang!« –

Der Schiffmann hatte ihm voll tiefer Bewegung zugehört, und konnte sich nicht entschliessen, ihn zu unterbrechen. Um so freudiger aber antwortete er ihm, als nun das Lied verklungen war:

41 »Herr, Ihr höret ja und empfindet, daß ich Euch verstehe. Wie sollte es denn mit andern Englandskindern anders seyn? Gewiß, mein rascher, sangesbegabter Schiffesgast, wenn Ihr nur noch mehr herumkommt in der Welt, da sollet Ihr es schon ganz von selbst inne werden, wie mit Adlerfittigen schwebt Nordlands Sprache über unsern altverbrüderten Reichen allzumahl. Vom Mittag herauf schwebt uns der Roma's-Adler entgegen mit anderem Klang, und will damit hereindringen zu uns, wie er es früherhin umsonst mit dräuenden Waffen versucht hat. Und deßhalb will er uns untereinander entzweyen. Aber wir untereinander, wir Germanenkinder, verstehen uns noch immer gut. Singt Ihr nur freudiglich Eure Nordlandslieder in Lundunaburg. König Ethelred wird sie verstehen und seine edle Freude daran haben. Er hat überhaupt die Nordlandsmannen gern um sich. Sogar sind Leute darunter, denen er allzusehr die Flügel wachsen läßt, und sich dann selbst über ihre Kühnheit ärgern muß. Da ist so ein wilder Bursch, der heißt Thorgrimur –«

»Thorgrimur!« unterbrach ihn Gunlaugur mit unwilligem Ton, und Jener fragte: »Kennt 42 Ihr ihn vielleicht? Fürwahr, ich sprach nichts aus, was Euch beleidigen sollte.«

»Nun, es beleidigt mich auch eben nicht!« sagte Gunlaugur mit einer Art von düsterer Freundlichkeit. »Ich habe den Mann noch niemahls nennen hören bis heut. Aber sein Nahme klingt nach nordländischer Würde und Hoheit. Und von solchen Leuten hört ein Islandskind nicht gern auf so überhinfahrende Weise sprechen, wie es Euch eingefallen war. Oder hat er gegen Euern König gefrevelt?«

»Nicht eben das;« erwiederte der Schiffmann. »Aber dafür, daß er in des Königs Geschwadern reich und würdig gehalten und besoldet wird, zeigt er sich doch nur ausnehmend selten zum edlen Dienst an des Königs Hofhalt. Dagegen fängt er oft ohne alle Noth Händel mit des Königs getreuesten und liebsten Waffnern an, und hat schon Unterschiedliche von ihnen todt oder verstümmelt in den Sand gestreckt. Der König aber, weil der Thorgrimur ihm bey mancher Kampfesfahrt recht Wackeres geleistet hat, und weil noch einige andere tapfere und riesigstarke Nordmannen mit dem unbändigen Streiter nahe verbunden sind, wollte dergleichen schlimme Dinge nicht allzuherbe rügen.«

43 »Da hat König Ethelred Recht!« sagte Gunlaugur. »Was soll sich auch die hohe königliche Gewalt damit abgeben, Leute zu beschirmen – waffenfähige Leute mein' ich – die sich so leicht in Tod und Blut und Sand werfen lassen, wie Jene! Was mich betrifft, mich würd' es freuen, einmahl mit Euerm Thorgrimur ein vernünftiges Wort zu wechseln. Entweder der Mann ist ein echter Held – wohl gut; dann gewinnt man ihn lieb und verträgt sich gut mit ihm, und lernt allerhand von ihm. Oder er ist ein Händelsucher, ey nun, auch nicht übel! dann erprüft man sich gründlich gegen ihn, und sieht, wie weit man kommt, und weiß fortan um so gewisser, was man an sich selber hat.«

Indem sie noch so miteinander sprachen, trat der Schiffmann an's Steuer, und wendete das Fahrzeug plötzlich von einer sonst günstig scheinenden Landungsstelle ab, nach einer Gegend hin, wo ein Fluß mit raschem Gestrudel sich in das Meer ergoß. Gunlaugur befragte ihn darüber, und er entgegnete:

»Das ist die Mündung des Stromes Thames, und eben dort müssen wir hinein, denn die Lundunburg, die Wohnung des Königs 44 Ethelred, liegt nicht so nahe am Meer, sondern einige Meilen hinauf am Flussesufer.«

Gunlaugur sagte:

»Das dünkt mich ein wunderlich Ding für einen mächtigen König und Kriegsherrn, so tief in's Land hinein seinen Sitz aufzuschlagen, und vorzüglich, wenn er eines Inselreiches Beherrscher ist. Einem Eilands-Könige ja muß das Meer für seine spröde, aber dennoch liebende Braut gelten, die er durch große Thaten im leuchtenden Schrecken zu bezwingen hat, wenn sie sich nicht voll hochmüthiger Verachtung immerdar von ihm wegwenden soll. Sie spielt das im unwilligen Abwärtsrollen der Ebbe vor. Seinem Feinde aber droht sie einem trägen und scheuen Manne zuzuführen, und zeigt ihm das im gewaltigen Andringen der Fluth.«

»Das mag Alles an sich recht wahr und gut seyn, lieber Gast!« sagte der Schiffmann. »Aber, jeder Gedanke zu gehöriger Zeit, und jeder Spruch in's gehörige Ohr. Siehe Du Dir vorerst nur den Thamesstrom recht ordentlich an, und auch die Lundunaburg. Dann wirst Du mir schon von selber eingestehn: Dort ist ein schöner Heldensitz für einen Insel-König, und zwar für Einen, der seine Schiffessegel sieghaft 45 hinaussenden will an alle Küsten der bekannten und auch bisher noch unbekannten Welt.«

»Woll'n einmahl sehen!« sagte Gunlaugur.

Und somit segelten sie in den breiten Thamesstrom hinein.

Zu Anfang blickte der junge Isländer mißvergnügt um sich her auf die ebnen, wohlangebauten Ufer zu beyden Seiten des Flusses. Da war keine Spur einer Burg oder sonst einer tüchtigen Verschanzung anzutreffen, und die Leute bestelleten im tiefsten Frieden ihren Acker, oder gingen sonst geruhig ihren Beschäftigungen nach.

»Das sind hier träumerisch sorglose Menschen!« dachte Gunlaugur unzufrieden. Doch sahe sein scharfes Auge bald: unter den langen Kleidern der behaglich Hin- und Herwandelnden leuchteten schöne, scharfe Waffen, und die Pflügenden und Grabenden allzumahl hatten Schwert und Speer und Schild unfern an den frischen Heckenbäumen aufgehangen, welche ihre Äcker begrenzten.

Und da mußte ihm zugleich in ernster Erinnerung Oeduns weise Frage beyfallen, während der Landung vor Jarl Hakons zierlichem Schlößlein Hladi. Die Frage: »Meint Ihr, daß 46 Helden von Mauerwerken vertheidigt werden, oder Mauerwerke von Helden?«

Und somit gewann er ein Gefühl freundlicher Achtung vor den Bewohnern des Thamesufers.

Als er aber nun vollends sah, wie auf edlen Rossen, bald da, bald dort, eine kühne Reitergestalt durch die Ländereyen hintrabte, bisweilen sich in schlanker Eile zwischen den Hecken hinwendend, bisweilen auch sie kühn überspringend, und wie edle Stuten und Füllen auf grünschwellenden Angern weideten, da sprach er in großer Fröhlichkeit zu dem Schiffmann:

»Das ist ein edles Land, in welches Du mich hier hereingesegelt hast. Daß mir nun die Lundunaburg und ihr Fürst wohlgefallen muß, versteht sich im voraus von selber. Frage mich aber jetzt nicht nach allzuvielen Dingen, denn ich sinne auf ein Lied für Deinen König. Ungern nur würde ich vor den Beherrscher eines solchen Landes hintreten ohne Kreisgesang. Und die Blüthe des Liedes steigt in mir empor. Willst Du ihr Entknospen vernehmen? Das kann ich Dir einstweilen singen. Es heißt also!«

Und mit anmuthig träumerischer Stimme sang er die Worte: 47

»Hier, in heit'rer Hirten
Hürden hauche Frieden!
Englands Engel walte,
Ethelred, der Edle!«

»Das ist ein hübscher Liedesanfang!« sagte der Schiffmann. »Und gar seltsam trifft es sich mit uns Beyden. Erst, als Du das Schiff betratest, kamest Du mir ausnehmend viel weiser und stärker vor, als ich. Dann wieder erschien es mir umgekehrt, und ich versuchte es, mich hochmüthig gegen Dich aufzuführen. Jetzt nun ist es abermahls zur Umwandlung gekommen. Ich dächte, wir hielten's künftig überhaupt im Gleichgewicht, und erhüben uns keiner ob dem andern. So gut das nähmlich gehen will, mein' ich!«

Und Gunlaugur schlug in seine dargebothene Rechte ein, und sie vertrugen sich von da an sehr gut miteinander. 48

 


 


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