Friedrich de la Motte Fouqué
Die Saga von dem Gunlaugur genannt Drachenzunge und Rafn dem Skalden
Friedrich de la Motte Fouqué

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Vierzehntes Kapitel.

Auf seinem Gehöfte zu Gilsbacka in der Gegend Hwitarsida wollte eines schönen Morgens sehr früh Illugi der Schwarze seinen Geschäften nachgehen. Wie er aus dem Schlafgemach auf die Diele des Hauses trat, sah er, daß die Thüre zu seiner mit allerhand Waaren und Gütern reich gefüllten Vorrathskammer offenstand. Darüber verwunderte und ärgerte er sich schon sehr. Aber noch mehr verwunderte und ärgerte er sich, als er in den Hof hinaus ging, und dort sechs tüchtige Waarensäcke aus seinen Vorräthen liegen sah. Dabey standen wohlgerüstet zur Fahrt von seinen besten Pferden viere. Jeden, auch den geduldigsten Hausvater hätte wohl eine so seltsame Unordnung in seiner Wirthschaft verdrossen. Und nun war vollends Illugi der Schwarze ein gar feuriger Mann. Also erhub er ein 91 ziemliches Lärmen auf dem Hofe, mit Drohworten fragend, wer sich so etwas herausgenommen habe! Das Hausgesinde kam von allen Seiten erschrocken zum Vorschein. Aber Niemand wußte Rechenschaft zu geben von dem Urheber dieses Beginnens. Da trat endlich aus dem Hauptgebäude in reisefertiger Tracht ein kecker Jüngling von etwa fünfzehn Jahren hervor, hoch aufgeschossen, aber dennoch von breiter Brust und kraftvollen Gliedern, schlank über den Hüften, mit dichtem, dunkelschwarzem, wildgekraustem Haargelock, die Züge seines Antlitzes weder schön, noch was man so gewöhnlich anmuthig zu nennen pflegt, aber herrlich funkelnd seine großen dunkeln Augen. Wer da einmahl hineingesehen hatte, konnte nicht so gleich wieder fortsehen, sey es nun aus sorgsam ängstlicher Scheu, oder aus kühnem, geistesverwandtem Wohlgefallen. Der Jüngling hatte fast schon das Wesen eines rüstigen, in vielen Gefechten erprüften Kriegsmannes an sich. Gunlaugur war es, Illugi des Schwarzen jüngster Sohn.

Er ging mit freundlicher Keckheit gerade vor seinen zürnenden Vater hin, sprechend:

»Wer Eure Vorrathskammer aufgemacht hat, Vater, und diese Säcke herausgetragen, und 92 die vier muntern Gäule zur Fahrt gerüstet – das wolltet Ihr gern wissen? Ey nun, Vater, das war ich.«

Illugi sah ihn ganz regungslos an. Sein Zorn konnte sich gar keine Bahn brechen durch das ungeheuerste Erstaunen.

Gunlaugur aber, da ihm der Vater nicht antwortete, fuhr unbefangen in seiner Rede fort:

»Ihr könnt ohne Sorgen seyn. Drey der Rosse belad' ich mit den Waarensäcken; auf Jedes kommen zweye. Das Vierte besteige ich selber – hier meinen eignen Rappen! – Und so leite ich Euch die Koppel ganz allein und bequem bis an den Meeresstrand zu Borgarfiörde. Da liegen jetzt fremde Schiffe vor Anker, und ich habe das Aussuchen, auf welches ich mich einschiffen will mit den Waarensäcken. Kann ich meinen Rappen mit an Bord nehmen – wohl gut. Wo nicht, so schicke ich ihn Euch durch irgend einen guten Bekannten zurück, sammt den übrigen drey Pferden. Denn Die sollet Ihr auf alle Fälle behalten.«

»Soll ich?« – murrte Illugi, noch immer kaum vor Ingrimm über seine Zunge Macht gewinnend. – »Ey Du bist mir ja ein recht großmüthiger Sohn.«

93 »Das eben nicht, Vater!« sprach unbefangen Gunlaugur. »Wie möchte wohl ein Sohn großmüthig seyn können gegen seinen Vater! Und Ihr habt ja eine so prächtige Pferdezucht. Ihr würdet das ganze Viergespann eben nicht vermissen. Aber das Schlimme bey der Sache ist nur: kein Steuermann wird sich so leicht darauf einlassen, mir die Rosse alle viere einzuschiffen. Ich muß denn schon höchstens mit meinem Rappen allein zufrieden seyn, und auf allen Fall mit den Waarensäcken.« –

»Reite mit Deinem Rappen, wohin Du willst, Du ungezogener, ungebärdiger Mensch!« rief Illugi. »Die Waarensäcke jedoch gehen wieder in meine Vorrathskammer zurück, und nicht das mindeste davon soll Dir bereit stehen für Deine unsinnige Fahrt!« –

Und auf den Wink des Hausvaters trugen einige Knechte die Säcke wieder an ihren gehörigen Platz, und verschlossen alsdann die Vorrathskammer mit starken Riegeln.

Ganz erstaunt sahe Gunlaugur dem Beginnen zu, und sprach endlich, als er wirklich merkte, es werde Ernst daraus:

»Aber so künde mir, Vater, was soll denn das bedeuten? Mehr als ein Jahr nun ist ja 94 vergangen, daß ich Dich tagtäglich bath, mich hinauszuschicken in die Fremde, weit von diesem Eilande fort, damit ich anderer Leute Sitten und Sprachen und Waffen und Lieder, wie auch ihre absonderliche Art von Leid und Freude erlernen möge.«

Aber der Hausvater erwiederte zürnend:

»Nun, so künde mir doch lieber, was das bedeuten soll! Mehr als ein Jahr ist vergangen, daß ich Dir tagtäglich antworte auf Deine thörichten Bitten, man vermöge ja kaum, Dich in der Heimath zu bändigen; weßhalb und wie man also Dich hinauslassen solle in die Fremde! Und nun wolltest Du ohne all' meine Einwilligung fort?« –

»Eben deßhalb, Vater!« sagte Gunlaugur freundlich. »Ihr solltet Euch nicht länger so sorghaft unnöthig den Kopf zerbrechen über eine Angelegenheit, die doch einmahl durchaus in's Werk treten muß, mögt Ihr wollen oder nicht. Ihr wißt, mir haben günstige Sterne die Sangesgabe in meinen Sinn herniedergethaut« –

»Günstige?« flüsterte Illugi sehr ernst, und senkte nachdenklich das Auge nach der Erde. –

Gunlaugur jedoch rief keck: »Ihr müßt hübsch gen Himmel schauen, Vater, wenn Ihr von 95 meiner Sangesgabe redet, und droben hinaufdanken dafür, daß Euch die Mutter in mir einen Skalden geboren hat!«

»Wie dürfte ich mit rechten Freuden dafür danken, mein Sohn?« entgegnete Illugi schmerzhaft. »Ach, ich habe ja schon so viel der unbeglückten Skalden gesehen. Und auch die alten Lieder erzählen meistens von den Sängern – wenn sie überhaupt von ihrem äußerlichen Schaffen berichten – sie hätten ein schmerzenreiches und vielbeängstetes Leben geführt.«

Da ward Gunlaugur trotzig, und sagte: »Wenn Ihr denn das so gut wisset, Vater, daß einem Liedesbegabten mehr Leiden als Freuden bevorstehen in diesem Leben, da solltet Ihr Euerm Skaldensohn das Leben nicht noch schwerer machen wollen, mit Euern unnützen Weigerungen. Laßt hübsch die Waaren aus der Kammer wieder herbeyhohlen. Gebiethet den Knechten, daß sie mir helfen, die Rosse damit zu belasten. Dann – wenn die Mutter, wie ich hoffen will, von Euerm Lärmen und Schelten noch nicht aus dem Schlaf emporgeschreckt ist, grüsset sie hübsch freundlich von mir, und sagt ihr, ich würde hoffentlich bald wieder heimkommen – über ein bis zwey Sommer etwa. Denn, lieber Vater, 96 dabey nun bleibt es einmahl!« – und sich auf seinen Rappen schwingend, leicht wie ein Federball, sang er in die duftige Morgenkühle hinaus, während er lustig auf dem Hofe herumtrabte:

»Geritten muß es seyn!
Geritten muß es seyn!«–

Des Jünglings Rappe versuchte dabey sehr tolle Sprünge, und ganz ärgerlich rief der Hauswirth in das wilde Gesinge und Getrabe hinein:

»Ey so fliegt mitsammen von hinnen,
Roß und Reiter mit tollen Sinnen!
Aber kommt mir auch nicht sobald mehr wieder!«

Gunlaugur sang mit zorneskräftiger Stimme zurück:

»Vater will's haben! viel Zeit mag verrinnen,
    Bis wir wieder hier Tanz beginnen!
    Rößlein und ich, wir kommen wohl spät erst wieder!
Vater will's haben! hinaus, hinaus in die Weite!
    Nichts nun will ich, als eignen Muth zum Geleite.
    Rößlein und ich, wir kommen wohl spät erst wieder!«

Damit sprengte er wild vom Gehöfte hinunter. Illugi der Schwarze hätte ihm fast versöhnend nachgerufen, aber er dachte in sich, 97 zurückgewendet nach dem Herde: »Ey nun, der unbändige Sinn muß ausrasen. Wer nicht hören mag, der fühle. Mein gutes Recht kann und darf ich mir nicht so schmählich vergeben. Zudem so hat gewiß ja der Bursche, seinen eignen Hals doch auch lieb, und obenein noch seine Ältern und Geschwister. Er wird mir nicht auf Einmahl so für immer verschwinden.«

Und darin hatte und behielt der Hausvater auch ganz recht. 98

 


 


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