Friedrich de la Motte Fouqué
Die Saga von dem Gunlaugur genannt Drachenzunge und Rafn dem Skalden
Friedrich de la Motte Fouqué

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Drey und zwanzigstes Kapitel.

Es war um die Zeit, wo Frühling und Winter einen ganz anmuthigen Kampf gegeneinander zu beginnen pflegen, im leisen Getröpfel schmelzenden Schnees rieselnd, und im blanken Strahl sonnendurchblitzter Eiszapfen funkelnd. Die Bäche fangen dann an, etwas wild einher zu gehen, wie unartig lustige Burschen, zwischen dem Knaben- und Jünglingsalter schäumend, und die Frostmassen hemmen sie noch von beyden Seiten ein, alten, schon ziemlich überlebten Meistern vergleichbar, die sich noch in einigem Ansehn zu halten bestrebt sind, und es auch durchsetzen zu günstigen Stunden. Aber man sieht wohl, die Jugend und der Frühling wachsen heran, und behaupten endlich ihr fröhliches Recht, allen verdrießlichen Winterbedenklichkeiten zum Trotz.

In dieser wunderlichen Jahreszeit schritt auch 165 der muntere Gunlaugur eines Abends zu König Olafs von Schweden Hofhalt auf dem alten Schlosse Upsala über die Berge hinab.

Er sahe, daß sich dorten viele Leute rings um die Burg her Wohnungen erbauet hatten; theils solche, die man wohl in der gewöhnlichen Menschensprache begründet zu nennen pflegt für alle Zeit; theils aber auch welche, denen man es ansehen konnte, ihre Bewohner hegeten selbst nicht größere Erwartung davon, als die eines vorübergehenden, fast nur augenblicklichen Schutzes gegen Wind und Wetter.

Gunlaugur dachte an die leicht aufgerichtete Wohnung Thorsteins auf dem Wahlfelde in Island, wo einstmahlen der wunderliche Ostmann Bardur Jenem einen schauerlichen Traum gedeutet haben sollte. Er hatte so dunkel davon gehört. Schon vor Schön-Helga's Geburt sollte Traum und Traumesdeutung emporgestiegen seyn, aus der gemischten Fluth der innern und äussern Begebenheiten.

Wer diese Geschichten bisher mit Achtsamkeit gelesen hat, weiß die Erinnerungen festzuknüpfen, deren hier Erwähnung geschieht. Wer nur so hinein gesehen hat, und wieder hinaus, der weiß ungefähr so viel davon, als eben jetzt 166 Gunlaugur, welcher nähmlich damahls nur noch ein Knabe gewesen war. Freylich, was in sein werdendes Jünglings- oder gar Mannes-Alter fiel, war er gewohnt, mit festen und klaren Geistesblicken deutlich anzuschauen, ob es nun scheinbar wichtig oder scheinbar unwichtig aussah.

Jetzt that ihm die dämmernde Erinnerung an irgend ein Islandverhältniß und gar an Thorstein, den Helga'svater, wohl, und er dachte sehr heiter in sich: »Ja, ja, die Menschen versammeln sich hier, wie dorten, zu Gericht und Festlichkeit!« So schritt er freudiglich in die Halle des Königs Olaf, die natürlich, wie jedes edle Nordlandhaus, allen Fremden offen stand.

Viele Helden saßen beym fröhlichen Mahl auf den Bänken umher im schimmernden Saale, den eine wärmende, großmächtige Herdesgluth in der Mitten erhellte, und von dessen Wänden hohe Kerzen und lodernde Fackeln herniederblitzten, sich nicht nur in den reichen Gold- und Silber- und Stahlwaffen der edlen Gäste spiegelnd, sondern auch in vielen prachtvollen Harnischen und Schwertern und Schildern und andern blanken Wehrstücken, die ringsher aufgereihet standen, theils als Denkmahle großer, bereits vorlängst ausgefochtner Heldenthaten, theils als 167 leuchtende Mahnung zu künftigem Schaffen ähnlicher Art.

So kühn das Gunlaugurs Auge sonst wohl in Waffenblitz und Waffenschimmer zu schauen geübt war, mußte es sich doch vor dieser überraschenden Lichterpracht ein wenig gegen den Boden senken.

Aber König Olaf, scharf geübten Blickes, war des Fremden alsbald inne geworden in dem strahlenden Gewirr, und rief mit lauter, anmuthig tönender Heldenstimme: »Es ist ein Gast in unsere Hallen getreten. Er seye willkommen! Genügt es ihm an Speise und Trank und anderer edlen Lust des Mahles, so nehme er seinen Platz an den Tischen, wo es ihm beliebt. Hat er aber sonst mit mir, seinem Wirth, dem Olaf von Schwedenland, etwas Absonderliches zu reden, so trete er freudiglich hier vor meinen Hochsitz heran!«

Und freudiglich schritt der dunkle Gunlaugur durch die leuchtenden Gestalten hin, neigte sich mit edler Sitte vor dem hohen Königsbilde, und sprach in tönenden Lauten, so zwischen Rede und Gesang: 168

»Ich bin ein fahrender Islandmann,
    Und ziehe die Lande hinab, hinan.
    Denn wo der Frühling leuchtet, da kommen die Schwäne.

Hin zieh' ich, wo Edles mir ward bekannt.
    Drum zog ich auch jetzt in das Schwedenland.
    Denn wo der Frühling leuchtet, da kommen die Schwäne.

Was sonst mir webt und lebt in der Brust,
    Steigt künftig auf zu Leid oder Lust.
    Denn wo der Frühling leuchtet, da kommen die Schwäne.

Ich bin Gunlaugur, Illugi's Kind.
    Und Ruhm bringt's, wo meines Gleichen sind.
    Denn wo der Frühling leuchtet, da kommen die Schwäne.«

»Der fremde Jüngling hat ein stolzes Lied gesprochen,« sagte König Olaf, »aber dennoch auch zugleich ein höfliches Lied. Und ausnehmend wohl sollte mir das gefallen, wenn Jemand hier beym Festmahl als vollgültiger Bürge einträte, des Fremden Geschlecht seye edel und rein genug auf Island, um so stolze Worte zu rechtfertigen.«

169 Da erhub sich ein Mann aus der Mahlesgenossenschaft, von Ansehn ritterlich und jünglingskräftig; sein Angesicht hold und freundlich, aber doch auch voll kriegerischer Hoheit und Kraft. Wie er aufstand von seinem Sitz, und seine schönen Waffen sorgfältig an die Wand der Halle lehnte, bemerkte Gunlaugur staunend, daß er neben eines Fußkämpfers manneshohem Schilde, und einem Langbogen, wie ihn gleichfalls solche Fechter zu führen pflegen, auch zugleich ein langes Reiterschwert an der Hüfte trug, und einige schöne, kurze Wurflanzen, wie dazumahl Roßbändiger sie im Kampfe zu versenden pflegten, mit zu dem andern Gewaffen stellte und ordnete. »Der ist wohl gewiß in allen Sätteln gerecht!« mußte Gunlaugur bey sich denken. »Oder vielmehr nicht nur in Sätteln, sondern auch auf jeglicher Stelle zu Berg oder Thal, zu Strand oder Schiff, wo es muthigen Fußkampf gilt.« Und dabey kam es ihm gar nicht in den Sinn, über die Menge von verschiedenartigen Waffen zu lächeln, die jener Unbekannte bey sich führte. Dennoch hatte er ja früher so sehr lachen müssen, damahls auf der Englandsinsel, als jener stolze Kämpfer mit mehr als Einem Schwerte vor ihn hingeritten kam. Aber alsbald machte er sich den 170 Unterschied durch einen still in sich selber gedachten Spruch klar, wie denn einem Sangesbegabten – die Leute nennen es auch zuweilen, wenn sie grade Mißgunst wider den Sang empfinden: Sangesbesessenen – dergleichen wohl aufzugehen pflegt in entscheidenden Augenblicken ihres Lebens. In ihm nähmlich klangen hell und lieb – wie vielleicht die Alfen singen mögen, welche man auf Island Lieblinge nennt – folgende Worte:

»Ein ungestümer Unglücksmann
Hatt' ungeschickte Waffen an,
Und dacht', Ein Schwert sey minder viel,
Als etwa Fünf zum Waffenspiel.
Hier, dieser heiter flinke Mann
Nimmt sich verschiedner Waffen an,
Zu Roß und Fuß im Waffenspiel.
Frisch trifft da Einer vielfach Ziel.«

Gunlaugur fand Freude an den in ihm aufgeblüheten Liedeszeilen. Er hätte sie vielleicht ohne Weitres laut abgesungen – denn Liedesklang hatte bey allen nordischen Heldenfesten vordem sehr freye und ehrenvolle Bahn – aber doch überlegte er, es seye schicklicher und zierlicher, kein Lied eher zu singen, als bis er mit einem 171 Gesange den Schwedenkönig gegrüßt habe. Und Schön-Helga wollte ja so gern, daß er sich als ein recht zierlicher Rittersmann zu Land und See erzeigen solle.

Derweil er das in sich selber bedachte, erfüllte es ihn mit fast neidesähnlicher Bewunderung, wie so gar anmuthig jener fremde Jüngling in seinem dunkel purpurnen mit Silber reichverbrämtem Wappenrock zu dem Hochsitze des Königs hinanging, und sich leicht und wohlbekannt verneigte, als sey er hier seit hundert Jahren zu Haus.

Der König horchte auch mit sichtlicher Achtsamkeit auf dessen Rede, die im stillwerdenden Saale also klang:

»Herr, dieser edle Islandsmann, welcher eben jetzt Deine weitberühmten Hallen betreten hat, stammt aus einem der schönsten unserer Geschlechter, und sein eignes Schwert ist in manchen herrlichen Kämpfen berühmt.« Und somit nannte er feyerlich, Abstammung und Nahmen des Fremdlings.

»Da seye Du mir herzlich willkommen,« rief der König, »Du kühner Gunlaugur, Du Illugiskind, der solch einen Bürgen fand, wie diesen hier.«

172 Und damit hieß er ihn Platz an einem der Tische nehmen, dem königlichen Hochsitze zunächst, und das Mahl ging wiederum seines fröhlichen Ganges fürder.

Je höher aber Fest und Becher die Herzen schwellten, je mehr auch fühlte Gunlaugur ein Lied zu Ehren des Schwedenkönigs aus seiner Seele hervorleuchten. Und König Olaf, der vielen Umgang mit Skalden hatte, merkte ihm das auch ganz wohlgefällig an. Doch sagte er endlich:

»Es geht schon ziemlich tief in die Nacht. Was Gesang heissen mag, werde auf Morgen verspart. Morgen ist auch noch ein Tag. Freylich auch mit und hinter diesem nächsten Morgen kommen noch viele andere Morgen, die ausschließlich meiner heiligen Herrscherpflicht für die hier zum Gerichthalten versammelte Menge angehören. Aber wenn das nur erst zu Ende ist, dann wollen wir singen hören, und allenfalls selber singen nach Herzenslust.«

Damit grüßte er sehr huldreich zum Abschiede, und absonderlich grüßte er, aus der Halle schreitend, nach Gunlaugur hin. Wer aber jemahls Anwandlungen von begeisterter Sangeslust hatte, und darin durch ein höfliches, »gute Nacht, 173 guter Freund!« unterbrochen wurde, mag sich vorstellen, wie verdrießlich jetzt dem Gunlaugur zu Muthe war.

Die andern Genossen schienen es nicht sonderlich zu beachten, daß Gunlaugur in sich versenkt in der Halle stehen blieb, indem Alles auseinander ging, sich nach seinen Ruhestätten zu begeben. Und das war ihm auch ganz recht. Denn er dachte die Nacht hier einsam unter den Heldenwaffen zu verweilen, mitunter Träume von ihnen zu empfangen, mitunter auch seine eignen Träume ihnen wieder vorzusingen.

Da regte sich aber unerwartet etwas neben ihm mit frischen Tritten und fröhlich hellem Waffenklange. Und als er angenehm überrascht emporsah, stand neben ihm jener edle Bürge von vorhin in seinem dunkel purpurfarbigen Wappenrock mit den silbernen Zierrathen, und in seinem ganzen reichblinkenden Waffenschmuck. Dabey aber hatte er sich behaglich auf eine zierliche Goldharfe gelehnt.

»Wer bist Du?« fragte Gunlaugur voll seltsam aufsteigender Ahnung.

»Ich bin Rafn der Skalde;« sagte sehr freundlich der Andere. 174

 


 


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