Joseph Smith Fletcher
Der Stadtkämmerer
Joseph Smith Fletcher

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29. Kapitel.

Ohne Überlegung.

Tiefe Stille herrschte im Hause, als Mallalieu vollkommen wach auf seinem Bett lag und angestrengt lauschte. Seine Pulse fieberten, und es fiel ihm schwer, ruhig zu bleiben. Außerdem hatte er sich sehr an den abendlichen Schlaftrunk gewöhnt und spürte jetzt ein unbezwingbares Verlangen danach.

Was mochten die beiden wohl vorhaben? Christopher hatte sich seit ihrer Unterredung am Nachmittag überhaupt nicht mehr sehen lassen, und Miß Pett spielte die Rolle der beleidigten Unschuld, so oft sie sich zeigte. Schweigend hatte sie ihm den Tee und das Abendbrot gebracht.

Er befand sich in der Gewalt dieser beiden Menschen, die er als skrupellos und absolut selbstsüchtig erkannt hatte. Sie konnten ihn ja sofort der Polizei übergeben, wenn sie wollten. Christopher Pett mochte schon Schritte in dieser Richtung unternommen haben. Aber bei längerem Nachdenken hielt Mallalieu das doch nicht für wahrscheinlich, denn dazu waren die beiden zu gewinnsüchtig. Die Polizei würde ihnen keine Belohnung geben, während sie doch von ihm allerhand zu erwarten hatten. Aber wieviel erwarteten sie? Er war sehr erstaunt über ihr Verhalten. Plötzlich kam ihm ein Gedanke. Wußten sie vielleicht, daß er ein Vermögen bei sich führte? War es möglich, daß Miß Pett ihn Abend für Abend nur deswegen betäubt hatte? Sicher war sie in sein Zimmer geschlichen, während er schlief, und hatte seine Kleider durchsucht, vor allem die Weste mit dem wertvollen Inhalt.

Mallalieu hatte sie jeden Abend an dieselbe Stelle gelegt und sie am nächsten Morgen auch immer dort wiedergefunden.

Er streckte die Hand aus und betastete die Kleider, die sorgsam gefaltet auf dem Stuhl lagen. Dann faßte er wieder an den Revolver. Konnten sie den nicht auch entdeckt haben? Seit er hierhergekommen war, hatte er ihn nicht mehr genauer untersucht. Wenn sie nun die Patronen daraus entfernt hatten, und er hier lag, ohne sich wehren zu können? Der Angstschweiß trat bei diesem Gedanken auf seine Stirn, und im Dunkeln betastete er die Schußwaffe, um festzustellen, ob sie noch geladen sei. Aber im selben Augenblick hörte er ein Geräusch, und es lief ihm eiskalt den Rücken hinunter. Man hätte den Laut nur für das leise Huschen einer Maus halten können. Aber jetzt sah Mallalieu auch einen schwachen Lichtschein, der allmählich stärker wurde, und darin vernahm er wieder ein Geräusch. Mallalieu blinzelte durch nahezu geschlossene Augen. Die Tür öffnete sich, und eine große, hagere Gestalt kam langsam auf das Bett zu. Vor der Tür tauchte in dem Lichtschein Christopher Petts scharfgeschnittenes Gesicht auf.

Mallalieu faßte einen schnellen Entschluß. Er wußte, was Miß Pett vorhatte, und ließ sie näherkommen. Während sie sich lautlos durch das Zimmer schlich, zog Mallalieu ebenso lautlos den Revolver hinter dem Kopfkissen vor und richtete ihn gegen sie. Plötzlich sah sie den vernickelten Lauf in dem schwachen Licht aufblitzen und schrie entsetzt auf. In demselben Augenblick feuerte Mallalieu. Und ihr Schrei verklang in einem heiseren Röcheln. Gleich darauf feuerte er in die Richtung, in der er Christopher Pett gesehen hatte. Er hörte nur einen schweren Fall.

Dann folgte eine tiefe Stille. Mallalieu lauschte vergeblich nach einem Laut, nach einem Seufzer. Er tastete mit der Hand nach dem Schalter, und als das kalte Licht den Raum durchflutete, sah er entsetzt nach der Tür.

»Ich kann sie doch nicht beide tödlich getroffen haben!« murmelte er vor sich hin.

Er richtete sich langsam auf, zog sich an und ging dann auf Miß Pett zu, die reglos auf dem Boden lag. Sie war gegen die Wand gefallen und lehnte nun dort in grotesker Haltung. Der farbige indische Turban, den sie manchmal trug, war von ihrem Kopf gefallen. Mallalieu erkannte auf den ersten Blick, daß sie tot war. Er wandte sich zur Tür und sah Christopher in dem Gang liegen, der zum Wohnzimmer führte. Lange starrte er auf den Toten, dann aber eilte er zurück in sein Schlafzimmer und zog hastig Schuhe und Rock an.

Er hatte die beiden nicht töten wollen, obwohl sie es sicher verdient hatten. Er hatte sie abgrundtief gehaßt, aber er wollte sie doch eigentlich nur erschrecken! Aber nun war das alles ohne Bedeutung. Sie waren tot, und er lebte. Und er mußte fort von hier, sofort! Hinaus auf die Heide, zu den Hügeln, fort von hier . . .

Plötzlich klopfte es schwer an der Hintertür.

Mallalieu zitterte. Er eilte zur Haustür, aber auch dort klopfte es, und eine Stimme verlangte dringend Einlaß. Laut wurde der Name von Miß Pett gerufen. Er schlich sich an ein Fenster, hob vorsichtig die eine Ecke des Vorhangs und sah hinaus. Viele Leute standen draußen im Garten. Eine von ihnen trug eine Laterne, und in ihrem Schein erkannte Mallalieu seinen Partner Cotherstone.

 


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