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Achtunddreißigstes Kapitel.
Ein Vermögen ist gerettet

Bei der hastigen, aber sorgfältigen Überlegung, die Kedgin anstellte, nachdem sein Opfer tot war, kam er zu dem Schluß, daß eine gewisse Zeit vergehen würde, ehe man die Leiche entdeckte. Er hielt es für unmöglich, daß man das leere Haus in absehbarer Zeit betreten könne, und so glaubte er, einen genügenden Vorsprung vor den Organen der Justiz zu haben. Seine Vorbereitungen hatte er schon lange gemacht, bevor Sylvia auf dem Schauplatz erschienen war. Sie hatte ihm Gelegenheit gegeben, seine Beute zu vergrößern, daß sie darum hatte sterben müssen, betrachtete Kedgin als nebensächlich.

So verließ er das leere Haus auf dem Wege, den Skarrat seinen Begleitern gezeigt hatte. Durch ein Gewirr von Gassen gelangte er in die Conduitstraße. Keiner der zahlreichen Menschen, die ihm begegneten, hätte ihn für einen Mörder gehalten. Am wenigsten seine Wirtin in dem kleinen Haus am Golden Square, wo er schon seit längerer Zeit ein Zimmer gemietet und immer pünktlich bezahlt hatte.

Er hatte alles bereit zur Flucht. Er wußte schon lange, daß Mr. Shrewsbury nicht nur unerfahren, sondern auch unglaublich sorglos war, und nachdem Frau Kedgin, deren er längst überdrüssig, sich zum Besuch einer Freundin aufs Land begeben hatte, hatte er mühelos die Wohnung ausgeplündert. Er hatte seine Beute zu Geld gemacht und brauchte nun nur noch das Ergebnis der Beseitigung Sylvias hinzuzufügen, die sehr entrüstet gewesen wäre, hätte sie wissen können, daß ihre mühsamen Reisevorbereitungen einem anderen zugute kommen sollten.

Es lag nicht in Kedgins Plan, seine Wohnung sofort zu verlassen, denn er hatte alles auf die Minute ausgerechnet. Als er daher gepackt hatte, zündete er sich eine von Richards Zigarren an, goß sich ein Glas von Richards Wein ein und genoß eine Zeit behaglicher Muße. Dann trat er an das Fenster, um auf die Straße zu blicken. Was er sah, bewog ihn, die Zigarre fallen zu lassen und zurückzutaumeln.

Quer über den Fahrdamm, da, wo er kürzlich selbst gegangen war, kam eine große Dogge, ein Bluthund mit rotem Maul, von einem großen Mann am Riemen gehalten. Dahinter gingen Leute, von denen Kedgin einige kannte, Burgoyne, Blair, und auf dessen Arm gestützt, Richard. Und das Tier ging unverwandt weiter. Wäre die Spur mit Blutstropfen gekennzeichnet gewesen, es hätte seinen Weg nicht besser finden können. Jetzt kam es auf das Haus zu. Die Männer deuteten nach oben. Sie hatten Kedgins blasses Gesicht am Fenster bemerkt.

Da trat er zurück und nahm einen Revolver aus der Tasche. Das war ein Strich durch seine Rechnung. In diesem Hause gab es keinen zweiten Ausgang. Das war – das Ende.

 

Sie saßen wieder alle beieinander in Richards Wohnung. Der junge Mann fühlte, daß die Ereignisse der letzten Stunden ihn zu überwältigen drohten. Die Frau, die ihn betrogen hatte, war das Opfer eines Mörders geworden. Der Mörder hatte sich selbst gerichtet. Es schien ihm eine geringe Genugtuung, daß sein Vermögen auf diese Weise gerettet worden war. Er sprang plötzlich auf.

»Ich kann in diesen Räumen nicht länger bleiben. Ich suche mir einen Ort, wo ich frei atmen kann. Diese Nacht bleibe ich im Hotel Ritz. Hierher komme ich überhaupt nicht mehr zurück.«

»Es ist noch allerlei zu klären«, sagte Burgoyne langsam. »Die Sache mit Carsdale zum Beispiel. Zweifellos sind die Papiere, die sich bei ihm befanden, Mr. Shrewsburys Eigentum.«

»Zweifellos«, antwortete Skarrat. »Wir müssen ihn leider laufen lassen, da er mit Werricks Tode nichts zu tun hat. Übrigens hat er mich heute morgen gebeten, eine Zusammenkunft zwischen ihm und einem Bevollmächtigten Mr. Shrewsburys zustandezubringen, damit er diesem das Geld übergeben und ihm erklären könne, was er damit habe anfangen wollen. Er hält Mr. Winch für den geeigneten Mann. Aber möchten Sie nicht lieber selbst Ihr Eigentum von ihm in Empfang nehmen, Mr. Shrewsbury?«

»Nein«, sagte Richard fest. »Ich will ihn nicht sehen. Möchten Sie das nicht für mich besorgen, Burgoyne? Nehmen Sie Winch oder wen Sie wollen.«

»Schön«, sagte Burgoyne. »Ich werde ihn aufsuchen.«

So verließ Richard seine prunkvolle Wohnung mit dem Entschluß, alles, was er darin zurückließ, zu verkaufen und dann in Trinidad oder sonstwo ein neues Leben zu beginnen. Er schmiedete noch immer Zukunftspläne, als Burgoyne am späten Nachmittag zu ihm ins Hotel kam.

»Der Mensch ist nicht zu fangen«, sagte Burgoyne ohne weitere Einleitung. »Winch und ich haben in Skarrats Gegenwart mit ihm gesprochen. Wer ihn nicht kennt, hätte sein Märchen ohne weiteres geglaubt. Er zeigte Ihre Vollmachten vor und erklärte, daß er für die zweihunderttausend Pfund bessere Papiere habe kaufen wollen. Hier ist alles. Winch sagt, daß nichts fehlt. Sie werden nur die Zehntausend verlieren, die Sie ihm für seine Spekulationen gegeben haben.«

»Mögen Sie hin sein!« rief Richard.

»Immerhin sind Sie noch ziemlich billig davongekommen, es ging hart auf hart. Wissen Sie auch, wem Sie es zu verdanken haben, daß Ihr Vermögen gerettet worden ist? Carsdale schwört zwar, daß die beiden Schiffskarten für das Ehepaar Werrick bestimmt gewesen wären, aber das ist Schwindel, er wollte mit der Frau flüchten. Und er wäre entwischt, wenn erstens die Geschichte in der Marengo Mansions nicht dazwischen gekommen wäre, und wenn man ihn nicht um Ihretwillen hätte beobachten lassen. So ist es, mein Sohn.«

»Wer hat ihn denn um meinetwillen beobachten lassen?« fragte Richard.

Burgoyne lächelte.

»Fräulein Leverton«, antwortete er. »Bei ihr müssen Sie sich bedanken.«

Richard sprang auf und steckte das Bündel Papiere in die Tasche. Er nahm seinen Hut und stürzte zur Tür.

»Das will ich sofort tun«, rief er.

Während der Fahrt nach Maida Vale hatte er sich alles mögliche ausgedacht, was er sagen wollte. Aber als er mit Franziska Leverton allein war, spürte er, daß er alles durcheinander warf, und er gab den Versuch auf.

»Das wollte ich Ihnen gar nicht sagen«, gestand er verzweifelt. »Sie wissen, wie ungeschickt ich mich ausdrücke. Ich wollte Sie nur wissen lassen, wie dankbar ich Ihnen bin. Und dann wollte ich Sie noch etwas fragen.«

»Was denn?«

»Sie hatten mir erlaubt, am vergangenen Sonntag zum Tee zu kommen. Ich habe es versäumt. Darf ich ein anderes Mal kommen?«

Lächelnd wandte sich Franziska ab und drückte auf eine Klingel.

»Wir sind gerade im Begriff, Tee zu trinken«, sagte sie. »Möchten Sie nicht dableiben?«

 


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