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Zehntes Kapitel.
Neuigkeiten für Frau Walsingham

Es kam selten vor, daß Frau Walsingham ihr Büro ohne Richards Begleitung verließ. Meistens wartete sein Wagen vor der Haustür. An den warmen Sommertagen machte es ihr natürlich mehr Freude, dreißig Meilen über Land zu fahren, in ländlicher Umgebung zu speisen und in der Abendkühle heimwärts dahinzusausen, als für ein Diner im vornehmen Restaurant große Toilette machen zu müssen. Diese Art, die Tage zu verbringen, war fast zur Regel geworden.

Aber an dem Nachmittag, da Richard seinen Besuch in den Acacia Mansions gemacht hatte, wartete Frau Walsingham vergebens auf ihn, allerdings nicht länger als eine halbe Stunde. Als er sich dann immer noch nicht sehen ließ und auch keine Botschaft von ihm kam, machte sie sich auf den Weg zu ihrem Lieblingsrestaurant. Sie wußte genau, daß Richard im Laufe des Abends sich in ihrer Wohnung einfinden würde. Über sein Ausbleiben wunderte sie sich weiter nicht, da sie annahm, Kapitän Burgoyne habe ihn mit Beschlag belegt.

Die Erinnerung an den Weltreisenden erweckte einen anderen Gedanken in ihr, als sie gerade in der Nachbarschaft von Charing Croß angelangt war. Sie sah auf ihre Uhr, ging ein paar Schritte zurück und trat in den Laden eines Juweliers. Es war ein vornehmes Geschäft mit wertvollen Auslagen in den Schaufenstern, aber über der Tür waren, wenn auch unauffällig, die drei goldenen Kugeln angebracht, die den Pfandleiher verraten. In der Tat wohnte hier ein Geschäftsmann dieser Branche, der die vornehme Welt bediente und in dessen Brust mancherlei Geheimnisse tief verschlossen lagen.

Als Frau Walsingham eintrat, stürzte der Prinzipal hinter dem Ladentisch hervor und nötigte die Kundin in ein Privatzimmer. Sie ließ sich in dem ihr zuvorkommend angebotenen Sessel nieder und öffnete das Patentschloß ihrer Handtasche.

»Ich möchte die Zinsen für mein Darlehen bezahlen, Mr. Wiertz«, sagte sie. »Sie sind meines Wissens gerade fällig.«

»Nächste Woche, glaube ich. Sie wollen den Schein erneuern?«

»Ja«, erwiderte Frau Walsingham. Sie nahm einige Banknoten aus der Geldtasche.

Der Mann setzte sich an sein Pult und begann zu schreiben. Plötzlich wandte er sich um und betrachtete seine Kundin mit höflicher Nachdenklichkeit.

»Ich wollte Ihnen so schon schreiben, gnädige Frau«, begann er. »Es handelt sich um diese Diamanten. Ich habe Ihnen vor zwei Jahren tausend Pfund darauf geliehen, nicht wahr? Sie sind aber sieben- oder achtmal so viel wert.«

»Ich weiß, sie sind sogar noch mehr wert, nicht einen Pfennig unter zehntausend. Ich habe sie von drei verschiedenen Fachleuten abschätzen lassen. Aber warum wollten Sie an mich schreiben?«

»Ich wollte mich erkundigen, ob Sie Lust hätten, die Steine zu verkaufen. Ich könnte sie gerade brauchen. Es ist schade, daß sie da nutzlos in meinem Geldschrank liegen. Ich biete Ihnen achttausend.«

»Bedaure«, antwortete Frau Walsingham, ohne zu überlegen.

»Nicht? Lieber Himmel, wären Ihnen bare achttausend Pfund nicht lieber als die Steine, für die Sie Zinsen zahlen müssen?«

»Nein, sie liegen hier sicher, bis ich sie einmal brauche. Außerdem sind sie zehntausend wert.«

»Ich könnte bis neuntausend gehen.«

»Ich verkaufe nicht, wenigstens jetzt nicht«, sagte Frau Walsingham fest. »Es ist außerdem möglich, daß ich sie bald brauche und einlöse. Wenn nicht, können wir das Geschäft immer noch machen.«

»Ausgerechnet jetzt hätte ich einen Käufer«, drängte Mr. Wiertz.

Frau Walsingham raschelte mit den Banknoten.

»Diamanten verkaufen sich immer. Wieviel machen die Zinsen?«

»Und wenn ich bis zehntausend gehe? Was sagen Sie dazu, gnädige Frau?«

Frau Walsingham lachte herzlich und schüttelte den Kopf.

»Ich sage dann, daß Sie zugeben, daß die Steine noch mehr wert sind als zehntausend Pfund, Nein, ich verkaufe jetzt nicht, Mr. Wiertz.«

Der Juwelier seufzte und sah in sein Buch.

»Sie müssen es am besten wissen«, sagte er. »Aber ich würde nicht für ein Darlehen Zinsen zahlen, dessen Sicherheit einen Wert von, von –«

»Von zehntausend Pfund hat«, unterbrach die Kundin ihn mit silberhellem Lachen. »Ich glaube schon, daß Sie es nicht tun würden. Aber ich.«

Mr. Wiertz geleitete Frau Walsingham durch einen Seitenausgang auf eine Gasse, die zum Strand führte. Dort kam gerade ein Mann aus der Richtung des Trafalgar Square, sah sie, blieb stehen, blickte genauer hin, kehrte dann bedächtig um und folgte ihr. Er tat das ganz unauffällig und machte einen Augenblick vor einem Schaufenster halt, als habe dort etwas seine Aufmerksamkeit erregt. Dann schlenderte er in einer Entfernung von zwanzig Schritt hinter Frau Walsingham her.

Sie ging durch die König Wilhelm- und Grünstraße bis zum Leicester Square und verschwand in einem Restaurant. Mit raschem Blick erfaßte ihr Verfolger das Lokal, die aushängende Speisenkarte und die Preise.

»Schätze, ein Dollar wird reichen, die notwendigen Auslagen zu decken«, brummte er, während er stehenblieb. »Essen muß ich so wie so. Da will ich sehen, wo sie geblieben ist, denn sie und keine andere ist es.«

Er drückte seinen Schlapphut tief ins Gesicht und trat ein. Sein Blick fiel sofort auf Frau Walsingham, die an ihrem Stammtisch saß und die Karte studierte. Bei dieser Beschäftigung achtete sie nicht auf den Fremden, der an ihr vorüberglitt und sich ein paar Tische entfernt niederließ, so daß sein Gesicht sich im Dunkel befand. So konnte er sie, ohne daß sie etwas davon ahnte, mit Muße beaugenscheinigen.

»Klar, daß sie's ist«, sagte er vor sich hin. »Scheint ihr nicht schlecht zu gehen.«

Frau Walsingham war mit ihrem Essen fast fertig, ehe sie den Fremden bemerkte. Eine Gesellschaft junger Leute kam hungrig und lärmend herein, und der eine Kellner machte mehr Licht an. Es fiel voll auf des Mannes Gesicht, und Frau Walsingham, die in dem Augenblick den Kopf ein wenig wandte, sah den Fremden.

Einen Augenblick betrachteten die beiden einander mit festen Blicken. Dann aß Frau Walsingham ruhig weiter. Aber der Mann wußte, daß sie ihn erkannt hatte, und sie zweifelte nicht daran, daß er es wußte. Er wartete auf irgendein Zeichen, aber vergebens. Ohne die geringste Unruhe oder Bestürzung zu verraten aß und trank sie weiter, und wenn ihr Blick sich in die Richtung, wo der Fremde saß, verirrte, blieb er so ausdruckslos, als ruhte er auf einer Statue.

Aber der Beobachter merkte, daß sie etwas betrachtete, das offenbar Bezug auf ihn hatte, und er paßte unauffällig auf. Endlich, als sie schon beim Kaffee war, riß sie ein Blatt aus ihrem Notizbuch und schrieb ein paar Worte darauf. Dann faltete sie das Blatt zu einer dünnen Rolle zusammen, sah den Fremden kalt an und legte die Rolle auf die eine Tischecke. Der Mann zwinkerte kaum merklich mit den Augen. Gleich darauf rief er seinen Kellner, bezahlte und ging langsam hinaus. Frau Walsingham blätterte in einem Journal. Als sie aufsah, war die Rolle verschwunden. Nun bezahlte sie ebenfalls und verließ das Restaurant.

Der Fremde ging rasch bis zur nächsten Straßenecke, entfaltete das Papier und las:

»Gehen Sie bis zum Soho Square und warten Sie an der Ecke der griechischen Straße.«

Er lächelte und zerriß das Blatt in kleine Stücke, die er verstreute. »Dacht's mir, daß sie neugierig sein würde«, murmelte er. »Da hab' ich Schwein gehabt.«

Sie sprachen kein Wort der Begrüßung, als sie ihn erreichte. Er lüftete den Hut, sie nickte, dann gingen sie zu einer ruhigen Ecke des Platzes. »Das nenn ich Dusel«, begann er. »Suchte Sie schon seit drei Tagen.«

»Und warum?«

»Weil ich Nachrichten für Sie habe. Kann sein, Sie wissen schon, kann auch nicht sein. Komm gerade von drüben. Er ist – tot.«

Er dachte, sie würde umfallen, denn sie wurde blaß bis zu den Lippen, und er streckte die Hand aus, um sie zu stützen. Aber die Farbe kam wieder in ihr Gesicht, und mit schillernden Augen sah sie ihn an.

»Den Beweis, daß es wahr ist«, sagte sie leise und hastig, »und ich will – ich will –«

»Was?«

»Ihnen die Nachricht mit Gold aufwiegen.«

Der Mann rieb sich das Kinn.

»Wahr genug«, sagte er mit trocknem Lachen. »Bei einer Schlägerei in Carville – liegt in Nevada – wurde er vor sechs Wochen erschossen. Ich sah es mit an. Beweisen? Gut, rechne, daß ein Brief oder Telegramm von dem Polizeirichter genügen wird. Er führte seinen richtigen Namen. Ich wußte natürlich Ihre Adresse nicht, und sonst konnte ich es keinem mitteilen.«

»Sagen Sie mir den Namen des Richters. Hier, schreiben Sie die Adresse auf.«

Der Mann kritzelte ein paar Worte in das Notizbuch, das sie ihm hinhielt. Sie las und steckte das Buch in die Handtasche.

»Treffen Sie mich morgen um diese Zeit hier«, sagte sie. »Und hier, es soll kein schlechtes Geschäft für Sie sein.«

Damit drückte sie ihm eine Banknote in die Hand, ließ ihn stehen und eilte fort in der Richtung des nächsten Postamts. Zwanzig Minuten später stieg sie vor ihrer Haustür aus einem Mietsauto. Oben empfing sie ihr Mädchen.

»Mr. Shrewsbury ist im Wohnzimmer. Er kam erst vor kurzem.«


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