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Zweiunddreißigstes Kapitel.
Spürhunde

Carsdale ging bereitwillig mit. Für Sylvia konnte er nichts mehr tun. Er mußte sich selbst aus der Schlinge ziehen, und das konnte er nur, indem er die volle Wahrheit sagte. So erzählte er alles frei und offen den Beamten des Reviers und dem freundlichen Mann, der wie ein Mittelding zwischen einem Gutsbesitzer und einem Sportsmann aussah, und den er bald als den berühmten Inspektor Skarrat von Scotland Yard erkannte.

Man glaubte ihm. Indessen mußte noch anderes geklärt werden.

»Was hat es mit dem auf sich, was das Mädchen sagte?« fragte der Beamte, der zuerst in der Wohnung erschienen war. »Sie kam auf Geschichten aus Neuyork zu sprechen.«

Carsdale hatte sich schon überlegt, daß früher oder später doch alles ans Licht kommen würde, und so hielt er es für angebracht, seine Darstellung der Dinge zum besten zu geben.

»Ich will alles erzählen, es wirft höchstens auf den Toten ein schlechtes Licht. Meine Kusine heiratete diesen Mann, als sie beide noch halbe Kinder waren. Mit ihrem Geld waren sie bald fertig. Ich hatte damals ein Geschäft in Neuyork, und ich ließ sie nachkommen, um ihnen zu helfen. Während sie für Geschäfte großes Talent zeigte, geriet er unter eine Bande von Falschspielern, so daß wir viel Last mit ihm hatten. Schließlich erwischte ihn die Polizei – das ist das, worauf das Mädchen anspielte.«

»Wohin ging die Anklage?« fragte der Inspektor.

»Auf Urkundenfälschung. Er bekam fünf Jahre. Ich verlegte damals meinen Geschäftsbetrieb nach London, assoziierte mich mit dem verstorbenen Mr. Barklay Leverton in der Norfolkstraße, und meine Kusine wurde unsere Privatsekretärin. Unsere Firma ist in der City bekannt. Dann hörten wir, daß der Mann aus dem Gefängnis entlassen und nach dem Westen gegangen sei. Kürzlich bekamen wir die Nachricht von seinem Tode. Sie war falsch. Eines Abends traf ich ihn zufällig auf der Straße. Ich nahm ihn in meiner Wohnung auf und gab ihm hundert Pfund, damit er sich neu einkleiden könnte. Wie er in ihre Wohnung gekommen ist, kann ich mir nicht denken, denn er hatte mir versprochen, seine Frau nicht zu belästigen. Meiner Ansicht nach hat sie ihn aus Versehen erschossen. Sie hatte immer Angst vor Dieben, seitdem in dem Haus eingebrochen worden war. Das ist alles, was ich vermuten und sagen kann.«

»Sie sahen nichts von ihr, als Sie eintraten?« mischte sich Skarrat zum erstenmal ein.

»Nein, ich habe sie den ganzen Tag über nicht gesehen.«

»Wie sieht sie aus?«

Carsdale gab eine genaue Beschreibung von Sylvia, da er sich sagte, daß es sonst jemand anders tun würde.

Als er geendet hatte, ging Skarrat fort. Der Inspektor wandte sich an Carsdale. »Leider müssen wir Sie noch eine Weile hier behalten.«

»Das verstehe ich durchaus.«

Inzwischen ging Skarrat in Sylvias Wohnung und durchsuchte alles genau. In einer Tasche des Toten fand er einen Schlüssel, der zu der Korridortür paßte. Er war neu und noch kaum gebraucht. Dann fragte der berühmte Mann nach Sophie. Sie saß unter der Aufsicht eines Polizisten im Eßzimmer und weinte. Mit einer Mischung von Verschmitztheit und Furcht sah sie in Skarrats freundliches Gesicht.

»Liebes Kind, Sie müssen mir ein wenig helfen. Als Frau Walsinghams Hausmädchen kennen Sie natürlich alle ihre Kleider?«

»Jedes einzige, das sie hat.«

»Dann sehen Sie einmal nach, welches Kleid oder Kostüm, oder was sie sonst zum Ausgehen trägt, fehlt. Aber vergessen Sie nichts.«

Mit Eifer unterzog sich Sophie ihrer Aufgabe. Endlich wandte sie sich mit sichtlicher Enttäuschung zu Skarrat.

»Es fehlt nichts, alle ihre Kleider sind da.«

»Aber, aber«, sagte Skarrat, »das ist doch nicht möglich. Sie muß doch etwas angehabt haben, als sie die Wohnung verließ.«

»Aber es fehlt doch nichts«, sagte Sophie verzweifelt. »Ich kenne jedes Stück, und es ist alles da.«

»Haben Sie nichts vergessen?«

»Nichts«, wiederholte Sophie hartnäckig, »ich kenne jedes Stück.«

»Schön, dann hat sie vielleicht etwas von Ihren Sachen angezogen. Sehen Sie doch einmal nach.«

Sophie ging, kam aber gleich darauf in heller Aufregung zurück.

»Nun weiß ich es, es fiel mir gerade ein. Sie hat eine Schwesternausrüstung, ganz schwarz mit weißer Haube. Sie ist damit einmal zu einem Maskenball mit Carsdale gewesen. Darin ist sie ausgegangen, so ist es.«

»Vermutlich«, sagte Skarrat und ging hinaus, um den Portier zu vernehmen. Der Mann gab an, daß barmherzige Schwestern in dem großen Häuserblock, teils um Angehörige oder Kranke zu besuchen, teils um milde Gaben einzusammeln, ein und aus gingen. So war ihm nichts aufgefallen.

Als Skarrat auf die Straße trat, hörte er seinen Namen rufen. Er bemerkte Fräulein Norshaw, die Leiterin jenes Detektivinstituts, an das sich Franziska Leverton gewandt hatte. Skarrat hatte schon oft mit der Dame zusammengearbeitet, und so ahnte er, daß sie ihm etwas Wichtiges zu sagen haben werde. Sie gingen miteinander die Straße entlang.

»Ich habe von dem Fall gehört«, begann Fräulein Norshow, »und ich weiß einiges, das Ihnen vielleicht nützlich sein kann. Sie haben einen Mann namens Carsdale vorläufig festgenommen. Im Auftrag einer Kundin haben wir diesen Menschen seit zwei Tagen beobachtet, und ich habe den dringenden Verdacht, daß er in dieser Nacht England verlassen wollte. Sie sind mir oft gefällig gewesen, ich will es auch sein. Ich werde Ihnen rasch vorlesen, was meine Leute über sein Tun und Treiben von heute aufgezeichnet haben.«

Skarrat hörte eifrig zu, sprang dann in eine Droschke und fuhr nach Long Acre zu der Garage, bei der Carsdale seine Reisetaschen gelassen hatte. Bald war er wieder zurück, und nach einem kurzen Gespräch mit dem diensttuenden Polizeiinspektor ging er mit ihm zu Carsdale.

»Ich fürchte, Mr. Carsdale«, begann Skarrat, »Sie haben sich da böse hineingeritten. Ich will noch keine bestimmte Anklage gegen Sie erheben, aber ich werde es wohl später tun müssen. Geben Sie freiwillig ab, was Sie bei sich tragen, sonst müssen wir Sie durchsuchen lassen.«

Und wieder entschloß sich Carsdale, gute Miene zum bösen Spiel zu machen, in der Hoffnung, für die Dinge, die sich in seinen Taschen fanden, eine plausible Erklärung geben zu können. Und so entdeckten die Polizeioffiziere zweihunderttausend Pfund und zwei Schiffskarten erster Klasse nach Buenos Aires für den Dampfer, der am nächsten Morgen von Southampton auslaufen sollte.


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